Deutsch
Gamereactor
Kritiken
Venetica

Venetica

Wenn ein Entwickler aus Hessen ein Rollenspiel in Venedig machen will und am Ende ein tödliches Sandbox-Shenmue-Gefühl entfaltet, dann kann so viel nicht schlecht gelaufen sein. Ein hübsches Mädchen ist auch noch dabei - und die schöne Scarlett ist sogar mit dem Tod im Bunde.

HQ

Spiele von deutschen Entwicklern haben in den hiesigen Medien einen gewissen Vorteil - aufgrund hohen Interesses für den Standort Deutschland, der örtlichen Nähe und der fehlenden Sprachbarriere können sie sich meist über eine flächendeckende Berichterstattung freuen. So war im ausgehenden Jahr viel über Venetica zu lesen. Das Rollenspiel vom hessischen Entwickler Deck 13 sieht sich auf der anderen Seite auch mit unausweichlicher Skepsis konfrontiert. Kann eine so ambitionierte Entwicklung ohne einen Multimillionen-Dollar-Hintergrund mit thematisch ähnlichen Schwergewichten wie Assassin's Creed 2 oder der Fable-Reihe konkurrieren? Oder überhaupt funktionieren?

Die ersten Spielszenen von Venetica nähren solche Zweifel leider zunächst - in einer etwas holprig animierten Cutscene versichern die leicht polygonarme Scarlett und der holde Ritter Benedict sich ihre gegenseitige Liebe - nur um von einem erbarmungslosen Angriff vermummter Assassine getrennt zu werden. Wir übernehmen im Anschluss die Echtzeit-Kontrolle über Scarlett und steuern sie einigermaßen flüssig durch die ersten Areale, wo sie zur Heldin wider Willen wird. Richtige Dramatik will in den folgenden Minuten trotz der bedeutungsschwangeren Geschehnisse leider nicht aufkommen. Trotz der guten Sprecher stört einfach die nicht mehr zeitgemäße technische Umsetzung, in der vor allem Clipping-Fehler zu unfreiwilliger Komik führen.

Ein amtliches, beeindruckendes Rendervideo hätte hier Wunder gewirkt - doch so dominiert in den ersten Spielstunden das Gefühl, die Entwickler hätten nicht genug Zeit für das Feintuning gehabt. So ist die Bewegungsfreiheit in Scarletts heimatlichem Dorf stark eingeschränkt, die Kontakte mit den umherstolpernden Nichtspielcharakteren wirken generisch und diverse Unstimmigkeiten stören den Spielfluss. So heißt es zum Beispiel im Ausrüstungsmenü, man solle Gegenstände auf den Charakter ziehen - das funktioniert allerdings wohl nur auf dem PC.

Oder: wählt man beispielsweise einen Apfel an, um Scarletts Gesundheit wieder herzustellen, schließt sich das Menü automatisch - nur leider braucht es etwa zehn Äpfel, um auch nur die Hälfte der Hitpoints wieder vollzukriegen. Oder: Wird die Funktion genutzt, die Kamera hinter Scarlett zu zentrieren, kehrt sie nach ein paar Metern des Vorwärtlaufens von selbst wieder um. Bei solchen Vorkommnissen stellt sich dann schon mal die Frage, ob überhaupt auf Fehler getestet wurde.

Werbung:

Die Aussicht, dass Scarletts nächstes Ziel die Stadt Venedig ist, hält zum Glück fürs Erste bei der Stange. Außerdem sieht sie aus wie eine Mischung aus Angelina Jolie und Sandra Bullock. Zudem ist sie die Tochter des leibhaftigen Todes, mit so einer Braut will man es sich nicht gleich verscherzen. Auf den zweiten Blick ist dann auch die Spielgrafik ziemlich hübsch, vor allem die enorme Weitsicht beeindruckt und der Designstil erinnert ein bisschen an Beyond Good & Evil.

Also nach und nach die ersten Items sammeln und einige Dungeons säubern, wobei sich die Echtzeit-Kämpfe am Anfang leider arg hakelig spielen. Überhaupt wirken die Rollenspiel-Anleihen eher minimal, da beim Levelaufstieg jeweils drei Punkte auf vier läppische Attribute für Gesundheit, Stärke, Mentale Kraft und Zwielicht verteilt werden dürfen - wovon die letzten beiden zunächst auch quasi bedeutungslos sind.

Das alles ändert sich aber mit der Zeit - nach und nach lernt Scarlett durch Storyelemente oder hilfsbereite Trainer neue Fähigkeiten. Dazu gehören der Kampf mit vier verschiedenen Waffen, von denen einige durch Spezialitäten wie das Einschlagen von Türen neue Bereiche zugänglich machen. Auch die vererbte Nähe zum Tod erlangt mehr und mehr Bedeutung. Am Ende des ersten Kapitels wandelt Scarlett bereits in einer Zwischenwelt, spricht mit Toten und triezt die Lebenden auf mannigfaltige Weise. Neben Standards wie Konterattacken und dem Absaugen von Hitpoints gibt es auch originelle Skills. Dazu gehört der Blick durch die Augen von Raben, der nicht selten auf schwer zu ortende Schätze gerichtet ist, oder auch ein rustikaler Tritt in die Eier des Feindes.

Spätestens im wundervoll gestalteten Venedig dämmert langsam, dass dem Spiel durch den RPG-Stempel kein Gefallen getan wird. In der lebhaften und vielschichtigen Stadt, deren einzelne Viertel natürlich erst nach und nach zugänglich werden, gibt es an jeder Ecke etwas zu tun. Die meisten Bewohner sind irgendwie miteinander verbandelt und Schritt für Schritt entfalten sich diese Strukturen und die daraus resultierenden Aktivitäten. Von Botengängen über Monsterjagd bis hin zu Arenakämpfen ist alles vorhanden, was das Genre zu bieten hat - und dennoch fühlt man sich viel eher wie in einem Sandbox-Game. In seinen besseren Momenten weckt Venetica sogar positive Erinnrungen an das altehrwürdige Shenmue.

Werbung:

Auch wenn sich bestimmte Missionen in jedem neuen Stadteil wiederholen, gibt es insgesamt eine unglaubliche Fülle von liebevollen Details und überraschenden Elementen. Das gute, alte "ach, diese eine Quest mach ich jetzt noch!"-Gefühl wird zum dauerhaften Begleiter, während es über die Dächer, durch die Villen und die düsteren Kanäle Venedigs geht. Wenn einem dann auffällt, dass die Sonne im Spiel ungefähr alle 15 Minuten aufgeht, aber im richtigen Leben um exakt 8:14 Uhr, wird klar, dass die Entwickler von Deck 13 doch das meiste richtig gemacht haben.

Unterm Strich hoffen wir auf jeden Fall, dass Unmengen von Spielern Venetica die Chance geben, die es verdient - denn mit dem nötigen Backing könnte ein Nachfolger wirklich in die Sphären der großen, internationalen Produktionen vorstoßen.

VeneticaVeneticaVeneticaVenetica
08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Liebevoll gestaltete Spielwelt mit Unmengen von motivierenden Aufgaben
-
Es mangelt vielerorts leider an Feinschliff
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

Ähnliche Texte

0
VeneticaScore

Venetica

KRITIK. Von Kalle Max Hofmann

Ein hessischer Entwickler macht ein Rollenspiel in Venedig mit Sandbox-Shenmue-Gefühl und tödlichem Mädchen.



Lädt nächsten Inhalt