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USK - Richter über die Videospiele

Zu Besuch bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle in Berlin - jener Institution, die im Auftrag der Spieleindustrie sicherstellen soll, dass alle Videospiele ein passendes Altersiegel bekommen - oder eben gar keines.

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"Der Sichter ist die größte Stärke der USK, aber gleichzeitig auch ihre größte Schwäche." Marek Brunner, der Leiter des Testbereiches bei der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle, kurz USK, lehnt sich in seinem Drehstuhl zurück. Seit über einer Stunde sitzen wir nun schon in dem gemütlichen Raum zwischen einer Unmenge von Konsolen, PCs und Bildschirmen. Hier sitzen an jedem normalen Arbeitstag die Sichter der USK. Stunde für Stunde spielen sie, um Futter für ihre Präsentationen zu bekommen. Doch an diesem regnerischen Freitagnachmittag ist kaum noch jemand von ihnen da.

Den ganzen Tag Video- und Computerspiele zu zocken, die vielleicht erst in einigen Monaten erscheinen, das klingt nach dem Traumjob für jeden Fan. Doch kaum einem ist bewusst, was diese Arbeit alles mit sich bringt. Dennoch bewerben sich jedes Jahr rund 100 Spieler, von denen lediglich ein oder zwei einen Platz erhalten. Um herauszufinden, was eigentlich hinter diesem Job steckt, treffen wir uns mit Marek Brunner und seinem Chef Felix Falk, dem Geschäftsführer der USK.

Als wir während des Rundgangs durch die Räumlichkeiten vor dem riesigen Archiv der USK halt machen, erläutert Marek Brunner, was die Sichter im Kern für eine Aufgabe haben: "Sie sind das Bindeglied zu den jungen Leuten und der aktuellen Popkultur." Beiläufig schließt er eine große Glastür auf. Hinter ihr stehen Hunderte von Spielen verschiedener Generationen - ein Traum für jeden Videospieler, der sich nicht nur für die aktuellen Titel interessiert. Einmal hier eingeschlossen werden...

USK - Richter über die Videospiele
Das Heiligtum der USK ist das Zimmer mit den Spielen. Hier findet sich fast alles, was das Herz eines Videospieljunkies begehrt.
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Interesse am Medium sollte jeder zukünftige Sichter neben einigen anderen Voraussetzungen mitbringen, sagt Marek Brunner. "Die Hauptvoraussetzung ist, dass man in der Lage ist, Spiele zu spielen und auch über sie zu schreiben. Videospiele sollten ein Hobby und eine Passion sein." Leidenschaft ist beim Leiter des Testbereiches deutlich sichtbar, als er sein Büro zeigt. Stolz präsentiert er eine importierte japanische Sammleredition von Ni no Kuni: Der Fluch der Weißen Königin. Hier sind alle leidenschaftliche Videospieler, und das kann manchmal wirklich frustrierend sein. Warum, erklärt Marek mir, als wir gemeinsam mit Georg im Testraum der USK sitzen. Der langjährige Sichter will seinen Nachnamen nicht preisgeben, spricht aber gerne über die eigentlichen Aufgaben der Sichter. Als erste Station im Prüfprozess nehmen sie nämlich die ungeprüften Titel entgegen.

Seit 2003 ist der Prüfprozess der USK gesetzlich für jedes Unternehmen vorgeschrieben, das in Deutschland im Handel Video- oder Computerspiele an Kinder und Jugendliche verkaufen möchte, führt Felix Falk aus. Reicht ein Publisher den Titel ein, erhält ihn einer der Sichter zur Aufbereitung. Welcher Sichter am Ende welches Spiel bekommt, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Natürlich gibt es für jedes Genre einen Experten, bestätigt Marek Brunner und schaut grinsend zu Georg rüber, der sich für asiatische Rollenspiele interessiert. "Aber auch ein Georg muss mal einen Shooter anfassen. Man kann ein Experte für Rollenspiele sein, aber man muss auch alles andere spielen können." Fachidioten will man bei der USK keine machen. Georg hat durch die Rotation sogar Spaß an Egoshootern gefunden. "Ich habe mit Egoshootern immer Probleme gehabt und nicht verstanden, was die große Faszination an ihnen sein soll." Aber eine Serie hat ihn dann gepackt, und von der ist er nun sogar ein ziemlich großer Fan.

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Felix Falk (links) ist seit November 2009 Leiter der USK. Sein Kollege Marek Brunner wurde 1994 der erste Spieletester der USK. Seit 2003 ist er der Leiter des gesamten Testbereiches.

Durch die Rotation soll vermieden werden, dass die eigene Präferenz das Urteilsvermögen trübt. "Natürlich geht man mit mehr Freude ran, wenn das ein Titel ist, auf den man sowieso schon wartet". Wenn es aber nicht der Lieblingstitel sei und man deshalb einen Unterschied machen wolle, dann sei man hier falsch, stellt Georg klar. Sein Chef nickt. Zwischen acht und zwölf Stunden benötigen die Sichter im Schnitt, um einen Titel durchzuspielen. Bei Sportspielen sei es deutlich weniger, bei Rollenspielen dafür umso mehr. Dabei werden alle wesentlichen Informationen notiert und Spiele wie Deus Ex, Bioshock oder Dishonored auf jede mögliche Art und Weise absolviert, um einen Überblick über jede Lösungsmöglichkeit zu erhalten. Wegen dieses Ungleichgewichts erhält kein Sichter zwei Schinken wie etwa The Elder Scrolls V: Skyrim hintereinander, sondern kriegt nach einer Rollenspielwoche als Ausgleich einen leichteren Sporttitel.

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Weil das alles aber trotzdem kein Vollzeitjob ist, sind die meisten Sichter Studenten aller möglichen Studienrichtungen. Für die ehrenamtliche Arbeit gibt es eine Aufwandsentschädigung von 50 Euro pro getestetem Spiel. Ein netter Nebenverdienst, wie Georg findet, der sein Musikstudium abgeschlossen hat und im Moment als freier Tontechniker arbeitet. Wer das große Geld verdienen will, ist bei der USK an der falschen Adresse. Stattdessen sei es für viele Studenten eine Möglichkeit, ihre Leidenschaft für Spiele auszuleben, sagt Marek Brunner. Das gehe aber nur so lange, wie weder das Studium noch die Arbeit unter der Doppelbelastung leide. Das ist ihm wichtig.

Denn Gründlichkeit bei der Vorbereitung einer Präsentation ist bei jedem Titel immens wichtig. Das Gremium trifft seine Entscheidung nur auf Grundlage des Berichts des Sichters und dessen Präsentation. Es besteht aus ehrenamtlichen Vertretern von Jugendämtern oder Jugendclubs und anderen Einrichtungen, die sich für die Belange von Kindern und Jugendlichen einsetzen sowie einem staatlichen Repräsentanten. Für jede Prüfsitzung werden jeweils vier Mitglieder von den über 50 Sachverständigen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt, sodass es immer bunt gewürfelte Zusammensetzungen gibt.

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Um den Überblick nicht zu verlieren, gibt's ein tolles Whiteboard. Darauf findet sich auch die Liste der am heißesten erwarteten Spiele eines jeden Testers.

Während der Spieldemonstration dürfen aber auch Mitarbeiter der Publisher anwesend sein. "Natürlich wissen wir, wenn ein Anwalt geschickt wird oder der Firmenchef kommt, dass es sich bei dem Titel um ein ziemlich wichtiges Produkt handelt, das ohne Kennzeichnung schlechter laufen würde in Deutschland", umschreibt Marek Brunner das Spannungsverhältnis. Georg als Sichter indes spüre diesen Druck gar nicht, sagt er.

Gerade bei Spielen, deren Gewaltgrad sie zu einem potenziellen Kandidaten für eine Verweigerung der Freigabe werden lässt, scheinen manche Publisher in der Präsentation das Gefühl zu haben, die Sichter würden den Fokus zu stark auf die Gewalt legen. Das zumindest hört man raus. Marek Brunner kann das nachvollziehen, erklärt aber: "Die Sichter spielen einen Titel und müssen dabei auch die härteste Linie zeigen." Sie zeigen aber alternativ, wenn man ein Spiel ganz ohne Gewalt durchspielen kann. Zudem ist klar, dass wenn "wir die 20 Stunden Spielzeit auf zwei Stunden runterdampfen müssen, überdurchschnittlich viel Gewalt gezeigt wird, weil wir natürlich nicht ewig zeigen, wie man in der Wildnis Kochrezepte sucht." Deshalb erhält jedes Gremiumsmitglied zusätzlich eine Wertungsübersicht, auf der mit Hilfe eines Kreisdiagramms aufgeschlüsselt wird, zu welchen Anteilen Kämpfe, Dialoge, Charakterentwicklung oder Erkundungen im Spiel vertreten sind.

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Georg ist Spieletester bei der USK. Er kriegt als Entschädigung für jeden gespielten und zur Präsentation vor dem Entscheidungsgremium vorbereiteten Titel 50 Euro. Reich wird man hier also eher nicht.

Die große Stärke der Sichter ist ihr Fachwissen und der Zugang zum Medium. Das macht sie im Prüfungsausschuss unentbehrlich. Doch genau da liegt auch ein Problem. Auch Sichter sind am Ende "nur" Gamer und Menschen. Durch ihre Präsentation können sie indirekt Einfluss auf das Gremium nehmen. Das geschieht vor allem durch die Art und Weise, wie der Titel vorgestellt wird. Das weiß auch Marek Brunner, der 1994 der erste Tester der USK wurde. "Wenn eine Person einen bestimmten Titel gespielt hat, wird die Präsentation dadurch schon automatisch gefärbt sein."

Aus diesem Grund werden die Sichter intensiv geschult, begleitet und weitergebildet. Täuschen könnte der Sichter die Gremiumsmitglieder ohnehin nicht, glaubt Marek Brunner. Denn nach über 6000 gesehenen Präsentationen hätten die schon ein gutes Gespür für Spiele entwickelt und seien selbst zum Teil erfahrene und teils auch begeisterte Gamer geworden. Wenn es zu einer Täuschung käme, wäre die Arbeit des Sichters bei der USK ohnehin beendet. Schließlich kann über die Archive jederzeit nachvollzogen werden, was in der geprüften Version enthalten war.

Eine wichtige Unterstützung dabei, das Übersehen von Faktoren in einem Spiel zu vermeiden, sind zudem die Publisher. Denn, so sagt es der Fachmann: "Jugendschutz ist etwas, das in der Wichtigkeit dort weit oben steht." Da sie vor Prüfungsbeginn die Grundsätze der USK unterschreiben, seien sie darauf bedacht, die Sichter auf alles Mögliche hinzuweisen, so absurd es auch sein mag. Marek Brunner hat eine hübsche Anekdote dazu: "Es gibt da durchaus Erlebnisse wie 'Achtet mal bei Regen darauf, dass da im Hintergrund etwas so wirkt wie ein Hakenkreuz, aber es ist gar keins.' Oder beim Prüfprozess eines anderen Titels wurden wir auf Folgendes hingewiesen: 'Wir haben da noch eine Spieländerung und wissen nicht, ob sich dadurch was ändert, aber der Herzschrittmonitor ist jetzt rosa und nicht mehr rot.'"

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Fear and loathing in Berlin? Im Prüfungsraum der USK finden die Publisher-Präsentationen statt.

Dennoch erhalten gerade einmal 0,5 Prozent der eingereichten Titel keine Altersfreigabe. Oft sind aber auch mehrere Verfahren notwendig, wie etwa beim kürzlich erschienenen Spec Ops: The Line. In erster Instanz hatte das Spiel vom Berliner Entwickler Yager kein USK-Logo erhalten. Erst in der dritten Verfahrensrunde wurde mit einer USK 18-Kennzeichnung zugunsten des Antikriegs-Shooters entschieden.

Einfluss können die Sichter auf das Ergebnis nicht nehmen. Sie stehen dem Gremium nur als Sachverständige zur Verfügung und geben keine Einschätzung über eine Altersfreigabe ab. Zwar dürfen die Gremiumsmitglieder auch selbst Hand an die Titel legen, bei bis zu acht Präsentationen pro Tag gestaltet sich das in der Realität aber schwierig. So beantworten die Sichter immer wieder auch kritische Fragen zu Gewaltszenen. Zu deren Inhalt dürfen und müssen sie sich äußern, ihre persönliche Meinung allerdings ist hier nicht gefragt. Im Kopf haben viele im Vorfeld trotzdem schon eine Vorstellung davon, in welche Richtung es bei bestimmten Genres geht. "Oft ahnt man einfach, was es wird. Weltraumsimulationen sind zum Beispiel eine 12, Aufbaustrategie ist häufig eine 6, Action-Adventure eher eine 16 - diese Reihen haben die Sichter im Kopf", berichtet Marek Brunner. Aber gesagt werde natürlich nichts.

Die eigene Begeisterung über einen besonderen Titel kann man als Sichter bei den Sachverständigen natürlich nicht voraussetzen, meint Marek: "Bei meiner Präsentation von Final Fantasy VII haben die Gutachter einfach nicht verstanden, was dieser Meilenstein für mich als Gamer bedeutet. Die fragen nur: 'Was ist das denn? Die Charaktere sind doch viel zu eckig?'" Eine Episode wie diese hat zwar keine Auswirkungen auf die Altersfreigabe, sei für ihn als Gamer aber eben nur schwer hinzunehmen. Aber für die Entscheidungen der Sachverständigen kann eben nur der Jugendschutz relevant sein, Geschmacksurteile dürfen sie nicht fällen.

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Im Testzimmer dürfen sich die Freiwilligen mit „ihren" Spielen beschäftigen - und nur hier. Mit nach Hause nehmen darf nämlich niemand die noch unveröffentlichten Games.

Es gäbe aber auch immer wieder tolle und lustige Erfahrungen, die sie in ihrem Job machen würden - wie etwa Mehrspielerduelle gegen die Entwickler oder Sichter, die auch mal an einem Montagmorgen schlafend in der Spielecke gefunden werden. Denn mit nach Hause dürfen die Titel nicht genommen werden. Hat so jemand privat überhaupt noch Spaß am Spielen? Georg überlegt einen Moment. "Man spielt hier mit einer ganz anderen Intensität. Du kriegst ein Spiel und mit dem musst du dich dann beschäftigen. Man geht viel bewusster rein und manchmal vermisse ich diese Intensität, wenn ich zu Hause einen Titel spiele."

Das liege vor allem daran, dass die Sichter jedes Jahr eine Unmenge von Spielen vor sich haben, führt Marek Brunner aus. Wer in jedem USK-Jahr 100 bis 150 Titel sieht, baue eben doch ein Schubladen-System auf und werde immer seltener wirklich überrascht. Schön sei da der Trend zu mehr Indie-Titeln, die viele tolle Ideen und Abwechslung mit sich bringen würden. Und es sind gerade frische Spielkonzepte, die Marek und Georg am meisten Spaß bereiten. Denn es ist klar, dass man nach vielen Jahren auf eine gewisse Weise abstumpft. "Wenn es schon wieder gegen die Russen und schon wieder gegen die Afghanen geht, dann können wir es nicht mehr sehen. Wir sind in den letzten zehn Jahren dreißig Mal am Omaha Beach gelandet und haben vierzig Mal die Welt gerettet, da ist es Zeit für neue Spielkonzepte."

Es sei schade zu sehen, wie viele Serien zu einem Einheitsbrei verkommen. Gerade als Sichter fällt diese Entwicklung auf, da man mit dem ersten Spiel einer Reihe auch zukünftig die ganze Serie betreut. "Wenn man sich anguckt, dass ein Spiel manchmal genauso aussieht wie das andere, finde ich es einfach schade, dass Serien auf einer Schiene verweichlichen", ärgert sich Marek Brunner. Er weiß aber auch um die Realitäten. Denn oftmals bleibt den Entwicklern nur die Wahl zwischen erprobten Erfolgsrezepten oder einem unkalkulierbaren Risiko. Gerade in der heutigen Zeit kann sich das kaum ein Entwickler noch leisten, so teuer sind viele Produktionen und so brutal ist das Geschäft geworden.

Und wie geht er selbst mit der USK-Kennzeichnung um? Marek Brunner, der gern mit seinem dreieinhalbjährigen Sohn Videospiele spielt, lacht. Da er die meisten Spiele selbst teste, könne er gut einschätzen, was seinem Sohn zumutbar ist und was nicht - auch unabhängig von der Alterskennzeichnung. Deshalb spielt er beispielsweise auch Red Dead Redemption mit ihm, weil es für den Jungen eine tolle Farmsimulation ist. Wilde Duelle und blutige Schießereien aus dem Spiel zeige er ihm natürlich keine - er bleibt immer auf der sicheren Farm. Ihm sei aber auch klar, dass viele Eltern schlicht keine Zeit dafür haben, alle Titel für ihre Kinder vorzuspielen oder geeignete Abschnitte herauszufiltern. Gerade dann erweise sich das USK-Kennzeichen als guter Hinweis.

Dennoch sind einige Menschen offenkundig verunsichert, weiß Marek Brunner. "Da fragen dann manche Eltern: 'Mein Kind hat mit elf schon Harry Potter gesehen, aber das Spiel ist ab zwölf. Welche Strafe droht mir?' Weil sie denken, da kommt jemand von der USK zu ihnen nach Hause und sagt: 'Entschuldigen sie mal, rücken sie den Harry Potter raus.'" Das ist natürlich nicht so. Die Eltern müssten aber selbst begreifen, dass sie eine gewisse Freiheit haben, zu entscheiden, was ihr Kind schon sehen und erleben darf.



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