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Tour de France 2012

Tour de France 2012

Die Rennsimulation zur 99. Tour de France - ein Nischenprodukt, bei dem man sich fragt, wie es überhaupt Spielspaß generieren soll.

Ich bin bei weitem kein Radsportexperte, aber die Tour de France-Übertragungen lasse ich mir seit fünfzehn Jahren selten entgehen. Meistens läuft der Fernseher natürlich nur so nebenbei, aber wenn das Peloton - durch schöne Luftaufnahmen in Szene gesetzt - durchs sommerliche Frankreich rollt, ist für mich definitiv Sommer und ich kann mir kaum etwas entspannteres vorstellen. Dazu dann noch zwei Kommentatoren, die über Stunden eigentlich nur so durchlabern und bei jeder noch so kleinen Sehenswürdigkeit mit Zahlen und Statistiken um sich werfen. Perfekt für verregnete Sommer.

Auf ihre ganz eigene Art kann die Tour de France über lange Strecken natürlich auch wahnsinnig öde sein und man muss schon einiges an Durchhaltevermögen mitbringen, um es bis zu den spannenden oder tragischen Höhepunkten auszuhalten. Auf Dauer findet man aber immer Sympathie-Träger und irgendwann hat man ja auch seine Favoriten, die man schon über Jahre kennt.

Um Ausdauer und Durchhaltevermögen geht es natürlich auch im Fahrerfeld von Tour de France 2012 - hier wird das durch gleich drei Balken repräsentiert. Der grüne Balken steht für die generelle Kondition des jeweiligen Fahrers und zeigt die allgemeine Leistungsfähigkeit an. Dieser Balken sollte tunlichst bis zum nächsten Ruhetag reichen. Der gelbe Balken nimmt ab, wenn der Fahrer über längere Zeit mit erhöhter Trittfrequenz fährt. Der rote Balken zeigt die Kraft für Angriffe, Konter und Sprints an und kann auch voll aufgefüllt nur einen kurzen Leistungsschub ermöglichen.

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Tour de France 2012Tour de France 2012
Die Teams sind teilweise lizensiert und zeigen Fotos der echten Fahrer, aber es gibt auch Teams ohne Fotos mit leicht veränderten Namen.
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Von wildem Knöpfedrücken à la Track & Field ist Tour de France 2012 aber weit entfernt. In dem knapp zweihundert Fahrer großen Feld kommt es mehr auf Teamtaktik und kluges Positionieren an.
Einen einstellbaren Schwierigkeitsgrad gibt es nicht, denn der wird allein durch die Wahl des Teams bestimmt. Alle Fahrer haben eine eigene Wertung, die auf ihren Fähigkeiten beruht. Hier ist das ganze Programm gespiegelt aus Zeit- und Bergfahrern, Sprintern oder den klassischen Edelhelfern. Die Fähigkeiten in den einzelnen Disziplinen werden dann im Einzelnen noch mal mit Gold, Silber und Bronze bewertet. Was die theoretische Qualität der Fahrer angeht, sind dann eben einige Teams einfach besser ausgestattet als andere.

Die Teams sind teilweise lizensiert und zeigen Fotos der echten Fahrer, aber es gibt auch Teams ohne Fotos mit leicht veränderten Namen. Da wäre zum Beispiel Andy Schlick, der allerdings bei dieser Tour verletzungsbedingt gar nicht angetreten ist. Nachdem man sein Team ausgewählt hat, stehen drei Spielmodi zur Auswahl: die komplette Tour, ein Einzelrennen oder ein Zwei-Spieler-Duell auf einer Etappe online. Jede Etappe ist in fünf Abschnitte gegliedert, die abwechselnd selbst gefahren oder nur simuliert werden. In den simulierten Abschnitten sieht man leider nur eine Art Live-Ticker mit Streckenprofil und den Positionen der Fahrer.

Zu Beginn der fahrbaren Abschnitte entscheidet man sich für einen der Fahrer aus seinem Team und geht mit diesem auf die Strecke. Mit wiederholtem Tastenhämmern wird die Trittfrequenz erhöht und bei gehaltener A-Taste dann auf aktuellem Niveau beibehalten. Immer vorausgesetzt, die eigenen Ausdauerwerte lassen dies zu. Das eigene Rad hat zwei Übersetzungen, wobei die große in erster Linie für Attacken und Sprints dient und bei voller Fahrt den roten Balken in Sekunden auffrisst. Im Windschatten anderer Fahrer kann man sich langsam wieder regenerieren oder man greift zum Power-Riegel und lädt so seinen Balken wieder auf.

Für die Nährstoffaufnahme darf man pro Etappe drei Nahrungsmittel wählen, die jeweils einen der Balken langsam wieder auffüllen. Während vom Power-Riegel oder Silberling gegessen wird, ist für einen längeren Zeitraum keine Attacke oder Konter möglich. Der Zeitpunkt will also gut überlegt sein.

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Das eigentlich Fahren könnte unspektakulärer nicht sein. Lenken ist eigentlich nur in den wenigen Kurven des Zeitfahrens wichtig - den größten Teil der Zeit ist man höchstens mit seiner Position zum Wind oder dem belgischen Kreisel in einer Führungsgruppe beschäftigt. Das gewöhnt man sich aber schnell wieder ab, denn selbst ein satter Vier-Minuten-Vorsprung ist nach der simulierten Rennphase gerne wieder weg und man startet den nächsten Abschnitt wieder mitten im Peloton.

Tour de France 2012
In dem knapp zweihundert Fahrer großen Feld kommt es mehr auf Teamtaktik und kluges Positionieren an.

Die Fernsehausstrahlungen der Tour de France sind über weite Strecken ja oft schleppend und die Sender wissen schon, warum beim Start ihrer dreistündigen Live-Berichterstattung meistens die ersten einhundert Kilometer schon hinter den Fahrern liegen. Es passiert einfach kaum etwas und eigentlich soll die ganze Veranstaltung ja nur für das Finish mürbe machen.

Das simuliert Tour de France 2012 leider ziemlich gut. So ein einzelner Streckenabschnitt dauert gerne acht Minuten oder mehr und man macht eigentlich nichts, außer sich im vorderen Drittel des Fahrerfelds aufzuhalten und Kräfte zu sparen. Eventuell kurz für eine Zwischenwertung in einer der Kategorien anziehen - mehr ist da nicht, denn Ausreißversuche scheitern genauso oft wie bei der richtigen Tour. Und bei den simulierten Abschnitten muss man selbst im Schnelldurchlauf einiges an Geduld mitbringen und schaut sich dann über eine Minute lang den Live-Ticker im Streckenprofil an.

Trotzdem muss ich zugeben, dass sich genau dadurch gegen Ende des Rennens ein wahnsinnige Spannung aufbaut. Über Teamfunk können den anderen Fahrern des Teams jederzeit Aufträge erteilt werden. Windschatten geben, Führungsarbeit um Ausreißer einzufangen, damit sich die Sprinter in Szene setzen können oder eben den Zug für die Sprinter auf dem letzten Kilometer starten. Der Teamfunk - eigentlich wichtigstes taktisches Mittel - wird allerdings extrem umständlich über die Schultertasten ausgeführt und natürlich während das Rennen weiterläuft. Dafür ist dann beispielsweise der rechte Stick überhaupt nicht belegt. Die Tastenbelegung ist sowieso sehr ungünstig. Die beiden Trigger werden für das Umsehen über die Schulter verschwendet, statt sinnvollerweise die Geschwindigkeit zu regeln. So muss für die Einahme der Power-Riegel oder das Schalten immer umgegriffen werden.

Tour de France 2012
Die Präsentation der Etappen ist unspektakulär, aber bietet zumindest in Ansätzen die Illusion, durch das sommerliche Frankreich zu radeln.

Tour de France 2012 ist eindeutig Simulation und kein Actionspiel, aber wenigstens die Bergabfahrten wären ja klassisches Videospiel-Terrain. Die geraten aber so tempoarm, das man den Geschwindigkeitsunterschied nur am Tacho erkennt. Absolut gefahrlos rollt man wie auf Schienen ins Tal. Lenkung, Idealline oder Bremspunkte spielen keine Rolle und so ist man wieder nur damit beschäftigt, die Zeit bis zum Ziel totzuschlagen.

Die Präsentation der Etappen ist unspektakulär, aber bietet zumindest in Ansätzen die Illusion, durch das sommerliche Frankreich zu radeln. Die fast unbeweglichen und wenig motivierenden Zuschauer sind dabei eher gruselig, da hilft auch der Gastauftritt von Didi Senft in seinem Teufelskostüm wenig. Die minutenlange Live-Ticker-Phase löst eigentlich nur Kopfschütteln aus. Da wären ja wohl wenigstens ein paar Kamerafahrten um das Peloton drin gewesen. Luftaufnahmen des Feldes haben die generischen Etappen wohl nicht hergegeben, hätten aber einiges an Atmosphäre geschaffen. Irgendwelche Slogans aus Heuballen oder ins Feld gemähte Fahrräder, das gehört zur Tour de France wie die auf die Straße gepinselten Namen.

Die Tour de France als Videospiel umzusetzen, dass ist sicher keine leichte Aufgabe. Tour de France 2012 hat einige interessante Ansätze, aber das schlechte Interface und die bestenfalls mittelmäßige Präsentation rauben einem jeglichen Spielspaß. Meine masochistische Ader wird mich die Tour noch parallel zum echten Radrennen zu Ende bringen lassen, aber vom Kauf dieses Spiels kann man selbst Radsport- und Simulationsfans leider nur abraten.

04 Gamereactor Deutschland
4 / 10
+
Tour de France, Fokus auf Taktik
-
wenig Atmosphäre, langatmige und öde Rennen, merkwürdige Steuerung
overall score
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