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Tony Hawk: Ride

Tony Hawk: Ride

Mit einem Plastikskateboardcontroller für Tony Hawk: Ride will Activision die ehemals beste Skateboarding-Serie revitalisieren. Ist das Plastikboard nur ein weiteres lustiges Gadget, kompletter Trash oder geht der Plan auf?

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Skateboarding ist der Sport meines Lebens. Über 20 Jahre bin ich Skateboarder, fast so lange wie Tony Hawk. Bis heute war und ist immer ein Board am Start. Videospiele sind die zweite Liebe, auch bis heute. Skateboardingspiele müssten also mein logisch ultimatives Freizeitvergnügen sein. Früher waren die aber immer Schrott. Bis vor zehn Jahren Tony Hawk's Pro Skater für die Playstation kam. Ein Wendepunkt. Die Steuerung funktionierte irgendwie nachvollziehbar für einen Skater. Es sah toll und die richtigen Skater waren als Charaktere am Start. Die Serie arbeitete sich zu ihrem Höhepunkt Tony Hawk's Pro Skater 3 vor, um dann langsam einzuknicken und schließlich von Skate und Skate 2 aus dem Hause EA mit seiner fetten Grafik und unglaublich intuitiven Flickit-Steuerung komplett einkassiert zu werden.

Das hat den Gewinnertypen Tony Hawk sicher gewurmt, und da der Mann den Wettkampf nicht scheut, entwickelte er gemeinsam mit Activision und Robomodo eine neue Vision für seine Skateboarding-Serie. Das Resultat dieser Vision ist ein Plastikskateboarddeck ohne Rollen als realistischer Controller für die nächste Generation des digitalen Skateboarding. Kostenpunkt: 119 Euro. Ich war trotz des Preises sofort Fan, was einem hauptberuflichen Videospieler eher selten als häufig passiert. Ein Skateboard, das blinkt und Strom verbraucht. Yeah!

Als Tony Hawk: Ride endlich eintrudelte, war die Freude beim Auspacken riesengroß. Das Board selbst macht sofort einen guten Eindruck. Sauber verarbeitet, schwere Qualität. Der robuste Gesamteindruck bleibt auch nach den ersten, intensiven Session-Tagen erhalten. Einzig im Bereich der beiden Bewegungssensoren hinten und vorne an Tail und Nose wackelt das Plastik etwas. Und dort knackt es auch manchmal bedrohlich, allerdings ohne das bis jetzt etwas passiert ist. Bevor es losgeht, müssen die vier Bewegungssensoren mitsamt dem Deck kalibriert werden. Das dauert eine Weile, muss aber offiziell nur beim Batteriewechsel der vier AA-Zellen wiederholt werden. Inoffiziell hab' ich es mehrmals rekalibriert, mit der Hoffnung, dass sich die Steuerung verbessert.

Nun zu ersten Trainingseinheit. Das Plastikdeck kommt erstaunlich skateboardmäßig rüber, zumindest wenn man als Skateboarder draufsteht. Nicht-Skater wackeln anfangs arg hin und her und neigen dazu, das Deck viel zu heftig zu bearbeiten. Das Steuern des Spiels wird dadurch nicht einfacher. Als mein Mädchen das Teil zuhause testet, knallt sie das Board regelrecht auf den Holzfußboden - die Nachbarn in der Wohnung unten wird das nicht so richtig freuen. Holzfußbodenbesitzern liefert Activision zum Glück vier Schutzstreifen zum Aufkleben mit, wobei die bereits nach drei Tagen gut abgewetzt sind. Was tut man nur, wenn die runtergerockt sind? Fürs echte Skateboard geht's in solchen Fällen in den Skateshop, neues Griptape für oben drauf kaufen. Ob es dort bald auch das Gegenteil von Griptape fürs Ride-Board gibt?

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Entgegen sonstiger Gewohnheiten wird im niedrigsten der drei Schwierigkeitsmodi Casual, Erfahren und Hardcore gestartet. Obwohl ich Profi bin. Im Casualmodus fährt der Skater quasi alleine wie auf Schienen durchs Level, so dass die volle Konzentration dem Ausführen von Tricks und dem Schwung holen durchs Pushen gewidmet werden kann. Fuß neben das Board und abgestoßen. Das fühlt sich wie Skaten an. Hinten aufs Board kicken löst einen Ollie aus, nachfolgende leichte Kippbewegungen zur Seite Fliptricks und etwas heftigere Seitwärtsbewegungen komplexere Fliptricks. Das hat bereits nur noch bedingt etwas mit echtem Skaten zu tun, darf aber durchaus noch als interessante Interpretation davon gelten. Nicht-Skater interessiert der Realitätsgehalt ohnehin wenig. Diesen Anfängern werden die Basics via kurzen Lernvideos gut erklärt (die sind zudem ein Musterbeispiel für gutes Product Placement in Videospielen). Für mich klappt's im Casualmodus nach kurzer Zeit prima. Zuerst jedenfalls.

Rein in den Karrieremodus also. Der ist schlicht konzipiert, aber okay. Der Karrieremodus lässt Mr. Hawk und seine Mitstreiter, alles gestandene Skatepros aus der Szene, durch diverse Städte und deren Spots reisen. Pro Stadt warten (fast immer) drei Modi sowie Contests und Pro-Challenges. Fürs erfolgreiche Skaten gibt es in jedem Modus Punkte zum Freischalten. Im Modus Tempo geht's um Speed, bei Tricks um möglichst viele Punkte (wie immer sind Kombos aus Grinds, Flips und Manuals hier eine bewährte Waffe) und Herausforderungen. Hier müssen bestimmte Spots mit passenden Tricks geskatet werden. Die teils sehr langen Ladezeiten beim Wechseln zwischen den Modi (+/- 30 Sekunden) nerven gewaltig.

Bei den Herausforderungen sind einige derart spartanisch beschrieben, dass vor allem Nicht-Skater einfach nicht wissen können, was das Spiel gerade will. Es gibt zwar schnell erreichbare Videotutorials, die die Basics eines Grinds oder Inverts erklären, aber nicht deren Details. Ein Skater weiß genau, was sich hinter einem Five-O- oder 50-50-Grind verbirgt, aber der Laie bleibt ahnungslos zurück und versucht und versucht und versucht. Solche Probleme hat der Profi übrigens vor allem später auch. Beispiel: In einer Herausforderung soll ein Invert gemacht werden, wofür die Hand des Spielers zum Sensor an der Nose greifen muss. Das resultiert aber stets in einem Gymnast Plant, einer Form des Invert, den das System aber nicht als Invert zählt. Nach 40 Versuchen gebe ich genervt auf. Ähnliches passiert später bei der SKATE-Herausforderung in Barcelona, wo man Tricks eines anderen Skaters kopieren muss. Die Choose ist wegen der mangelhaften Steuerung unspielbar, bereits auf Casual.

Nervig, unspielbar, nicht nachvollziehbar - das sind Stichworte für viele Aspekte von Tony Hawk: Ride. Ein bisschen bereits im Casualmodus, zu großen Teilen in den beiden Schwierigkeitsstufen Erfahren und Hardcore. Wenn ein gestandener Skater schon beim Trainingsmodus für Erfahren bei der finalen Testsession cheatet, um sie endlich zu schaffen, damit es voran geht, dann stimmt etwas beim Gameplay bzw. mit dem Controller nicht. Ich steuere das Board mit den Händen, um genug Gefühl zu haben. Da wird es mir das erste Mal klar. Tony Hawk: Ride hat nichts mit echtem Skateboarding zu tun. Denn die Steuerung ist zu sensibel, wenn es ums Lenken geht. Oder das Board ist nicht flach genug abgeformt an den Seiten, denn es wackelt viel zu stark hin und her. Aus Sicht eines Skateboarders jedenfalls ist der Skateboardcontroller von Tony Hawk: Ride untauglich.

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Wann immer ich ein Lenkmanöver einleite, lenkt der virtuelle Skaterboy zu hart ein. Ich fahre an Spots vorbei oder rase gleich mit einer schnellen 180-Grad-Drehung in den nächsten Obststand und muss den Level neu starten. Um es klar zu sagen: Mit Balancefähigkeiten hat das nichts zu tun, an der mangelt es mir nämlich nicht. Die Härte der Achsen (immerhin im Menü justierbar) steht bereits auf Eng, der zweithärtesten Option. Im echten Leben lenkt ein Board so kaum noch ohne viel Körpereinsatz.

Der Unterschied von Erfahren zu Hardcore ist in der Steuerung nicht mehr konkret spürbar, mal abgesehen vom noch ungnädigeren Timing bei der Landung von Fliptricks. Beide Schwierigkeitsstufen haben gemeinsam, dass Tony Hawk: Ride in ihnen faktisch weitgehend unspielbar ist. Es sei denn, man stellt sich mit beiden Füßen schräg vorwärts gerichtet mittig aufs Board wie ein schlechter 80er Jahre-Snowboarder. Nur werden dann die später erforderlichen Trickkombinationen unmöglich, wo es wirklich darauf ankommt, die perfekte Kombination aus Neigung nach hinten und Neigung zur Seite auszubalancieren.

Tony Hawk: Ride ist am Ende nur ein Casual-Game, ein sehr, sehr teures Casual-Game. Und eines, das einfach nicht so funktioniert, wie man es erwartet. Ich bin bereits früh im Casual-Modus dazu übergegangen, die Halfpipe-Herausforderungen mit dem Board auf dem Schoss zu spielen, weil man so wenigstens die nötigen Punkte zusammenbekommt. Ein entwürdigendes Verhalten. Auf Erfahren oder Hardcore ist das Skaten in der Halfpipe ein Ollie to Disaster, der mit einem bösen Slam endet. Es ist wohl so, dass ich der traurigen Realität langsam mal in ihre Fratze blicken muss: Tony Hawk: Ride ist kein Spiel, das Skateboardfahren irgendwie sinnvoll simulieren will oder kann, trotz des pompösen Skateboardcontrollers. Es ist wie alleine Pornos gucken, das hat so wenig mit Sex oder Liebe zu tun wie Tony Hawk: Ride mit Skateboardfahren...

Zu allem übel sieht das Game nicht schön aus. Die Grafik ist schlicht nicht mehr zeitgemäß, wenn vorherige Games der Serie oder das sehr schöne Skate 2 als Messlatte genommen werden. Mehr muss zu diesem Thema nicht geschrieben werden. Richtig gelungen ist dagegen mal wieder der Soundtrack, dafür haben sie bei Activision Leute mit Geschmack. Es dominiert guter Skatepunk und Indiestuff, tadellos. Auch die Skatesounds selbst sind okay.

Die Schwankungsbreite für eine ehrliche Wertung ist gewaltig, liegt zwischen 2/10 und 8/10. Das Game hat seine wirklich guten Momente. Als Casualgame auf dem Casualschwierigkeitsgrad spielt sich Tony Hawk: Ride sogar zeitweise toll und macht wirklich Spaß. Der Partymodus ist hier richtig lustig. Bis zu acht Spieler zocken hintereinander. Die Fußstellungen Regular und Goofy sind schnell und unkompliziert getauscht. Tricksessions, Rennen, Herausforderungen und Wettbewerbe stehen auf dem Programm. Spielen Skateboarder und Unwissende gemeinsam, gewinnen tendenziell die Unwissenden, ein weiterer Beweis für die schlechte Steuerung. Spaß haben sie aber trotzdem gemeinsam. Einen ähnlich konzipierten Onlinemodus gibt es auch, nur war selten jemand da zum Spielen. Als Casualgame zum Casualpreis ohne die Modi Erfahren und Hardcore hätte Tony Hawk: Ride eher eine 8/10 bekommen. Aber das ist nicht der Anspruch des Titels.

Er will mehr - und richtig schlimm wird Tony Hawk: Ride, sobald es mehr sein will als ein Casualspaß. Wegen aller bereits beschriebenen Gründe. Es gab 1990 einen tollen Skatefilm der US-Company New Deal mit dem Titel Useless Wooden Toys. Das war natürlich ironisch gemeint, wird aber im Jahr 2009 zur bösen Metapher. Denn in vielerlei Hinsicht gehört der Skateboardcontroller mitsamt dem Spiel Tony Hawk: Ride in die Kategorie Useless Plastic Toys. Leider. Leider. Und das meine ich ganz ehrlich. Ich respektiere absolut den wirtschaftlichen Aufwand, der in ein solches Produkt gesteckt wurde, aber wenn man als Publisher Tony Hawk im Boot hat, warum kommt dann am Ende so etwas dabei raus. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Endresultat ernsthaft gut finden kann. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die 119 Euro besser in ein echtes Skateboard investiert sind.

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04 Gamereactor Deutschland
4 / 10
+
Immer noch die Idee und das Plastikboard
-
Schlechte Steuerung, unspielbare Schwierigkeitsstufen und Modi, zweitklassige Grafik
overall score
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