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Night in the Woods

Night in the Woods

Neugierde, Depression, Freundschaft, Loyalität, Fragen, Zweifel, Zynismus - all das sind Themen, die Infinite Fall in ihrem Debut behandelt.

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Es ist diese wunderbare Mischung aus übertriebenen Eigenarten und dem Kontrast mit seinen Themen, die das kleine Indie-Abenteuer zumindest für mich zu einer der bisher besten Spielerfahrungen des Jahres macht. Night in the Woods mischt eine scheinbar kindliche Ästhetik mit erwachsenen, dunklen Themen und benutzt kluge Details, um eine Geschichte über etwas zu erzählen, dass nur wenige Spiele wagen überhaupt zu thematisieren. Das Spiel fängt das Gefühl der Ungewissheit ein, das ein neuer "Erwachsener" erfährt, während er mit all den schwierigen Entscheidungen und Komplikationen in Berührung kommt, die uns alle im Prozess unserer Reife widerfahren. Es geht dabei um die amerikanische Arbeiterklasse und deren tägliche Lasten und Herausforderungen, aber auch darum, wie das Kleinstadt-Amerika langsam ausstirbt. Es ist vielschichtig und nuanciert, ohne anmaßend oder übermäßig künstlerisch sein zu wollen. Nights in the Woods ist geradezu erstaunlich.

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Nur drei Leute haben dieses Siel realisiert. DREI! Assassin's Creed: Syndicate wurde von über 800 geschaffen.

Es ist nun etwas mehr als drei Jahre her, seitdem Alec Holowka und Scott Benson auf Kickstarter nach 45.000 Euro für die Realisierung ihres gemeinsamen Traums fragten - die Entwicklung eines eigenen Abenteuerspiels. Nur eine Woche später hatten sie es geschafft, ein bisschen über 200.000 Dollar zusammenzukratzen und in derselben Sekunde begannen sie mit ihrem Vorhaben. Night in the Woods erschien schon vor einigen Wochen, warum hat meine Kritik so lange auf sich warten lassen? Zum Teil natürlich, weil ich hier bei Gamereactor und zu Hause viel zu tun hatte und nicht großartige Mengen an Zeit in das Abenteuer investieren konnte. Andererseits habe ich mich aktiv dazu entschieden, mir das Adventure in kleine Portionen aufzuteilen und nicht zu lange am Stück zu spielen. Für mich zumindest hat diese Einteilung ziemlich perfekt harmoniert. Dass meine Art und Weise, mit der Zeit umzugehen so wunderschön die Chronologie einfängt, in der das eigentliche Spiel stattfindet, lässt Maes verzauberte Welt noch glaubwürdiger werden.

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Die Geschichte dreht sich um eine Katze namens Mae. Sie hat gerade das College geschmissen und muss sich nun in ihr Elternhaus zurückziehen. Sie wählt an jeden Tag, mit welchen ihrer Freunde sie den Nachmittag verbringen wird und der Fokus liegt eindeutig auf der Erzählung und den wunderbar komplexen und interessanten Charakteren, anstatt mit reiner Spielmechanik zu punkten. Bea, Gregg und Angus sind alle Freunde und ganz anders als unser Charakter. Alle drei sind lebensfroh und ihre Gedanken stecken so voller Bedeutung, dass ich, selbst nachdem ich meine Playstation 4 ausgeschaltet habe, noch darüber nachdachte, was im Spiel gesagt wurde. Die Dialoge sind hervorragend und die Themen, wie schon erwähnt, provokant erzählt und intelligent strukturiert.

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Das Spiel wirkt von außen sehr kindlich, doch es ist wundervoll gestaltet, mit seinem herrlichen Licht und den tollen Animationen.

Da es so lange gedauert hat, bis ich Night in the Woods durchgespielt habe, konnte das Team bereits die schlimmsten Fehler und Abstürze beheben, unter denen das Abenteuer kurz nach der eigentlichen Veröffentlichung litt. Ich habe es deshalb als Titel wahrgenommen, der weitgehend von technischen Mängeln befreit ist. Überaus begeistert hat mich Night in the Woods mit wundervoller, atemberaubender Vielfalt und cleverem Gebrauch von echt wirkendem Licht, das die vielen Umgebungen fast immer in wunderbarer Abendsonne, Mondschein oder den magischen Morgennebel taucht.

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Je nachdem, mit welchen Charakteren Mae ihren Tag verbringt, sieht und hört der Spieler verschiedene Dinge. Die Spielerfahrung wird in Abhängigkeit ihrer Wahl unterschiedlich ausfallen und der Wiederholungswert ist dadurch sehr hoch. Darin ist natürlich auch ein Rätsel begründet, wie sollte es anders sein. Night in the woods ist nuanciert und facettenreich im Sinne seines inherenten Ansatzes, sich Themen zu nähern. Der Dialog ist brillant, wirklich absolut brillant, und wir wollen an dieser Stelle lobend erwähnen, was für eine fantastische Leistung es ist, eine Katze zu gestalten, die wie eine Papierpuppe aus irgendeinem Bilderbuch für Säuglinge aussieht, und sowohl lebendiger als auch vor allem menschlicher ist, als zum Beispiel Geralt von Riva oder Alan Wake.

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Die Dialoge und Narration sind die Essenz des Spiels, nicht die Spielmechaniken.

Alec Holowka vermischt Animal Crossing mit Twin Peaks und spritzt ein wenig von Life is Strange und Alan Wake hinein. Um diese Mischung zu toppen, finden wir auch Elemente von Limbo im Spiel wieder, weshalb es super leicht ist, sich darin zu verlieben. Doch davon wieder loszukommen, ist umso schwerer. Mae und ihre moralischen Verpflichtungen, sowie das Geheimnis, das da draußen in den Wäldern wartet, haben mich erschreckt und eine enorme Neugierde erschaffen. Ich würde ganz klar sagen, dass das jeder Spieler erleben muss. Genau wie bei Braid und Journey ist auch dieser Titel ein Indie-Diamant, den man nur einfach erleben muss. Es gibt eine Dunkelheit unter der Oberfläche dieser Geschichte, die sehr stilvoll entworfen wurde und an die besseren Werke von H. P. Lovecraft oder Chris Wares erinnert.

Es sind zu einem großen Maße die Details, die Night in the Woods so unvergesslich machen und obwohl ich euch so gern sagen möchte, wie sich die Geschichte entfaltet, was genau dort gesagt wird und welche unvergesslichen Szenen ich erlebt habe - ich kann und will es nicht. Erlebt es stattdessen einfach selbst. Neugierde, Depression, Freundschaft, Loyalität, Fragen, Zweifel, Zynismus - all das sind die Themen, die sich in diesem Spiel befinden. Obwohl der Titel ein wenig langsam anfängt, der Kurs mündet in einem Abenteuer, das man einfach nicht verpassen darf. Persönlich mag ich es noch mehr, als den letztjährigen "Game of the Year"-Gewinner Inside.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Erstaunliche Bilder, großartige Musik, perfekte Atmosphäre, hervorragende Dialoge, richtig gutes Storytelling
-
fängt langsam an, dauert nur ca. 7-8 Stunden
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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