Deutsch
Gamereactor
Artikel

Jobsuche mit Simulationen

Das Leben als Videospiel-Journalist ist kein leichtes. Schlechte Lizensspiele lauern an jeder Ecke, unsinnige Pressemitteilungen rauben uns Lebenszeit und die nervigen Chefs hauen einem jeden Tag die Deadline um die Ohren. Unser Mitarbeiter Daniel will raus aus der Tretmühle. Er hat sich auf die Suche nach Alternativen gemacht und drei verschiedene Berufe in Simulationen ausprobiert.

HQ

Die Anzahl von Drohbriefen wütender Leser stapeln sich unaufhörlich im E-Mail-Postfach. "NUR 8/10?! Ich werde dich erwürgen!", lese ich auf einem Zettel mit achtlos ausgeschnitten und aufgeklebten Zeitungsbuchstaben. Ich kann mit weniger gebrochen werden, denke ich mir und packe meine Koffer. Jetzt ist es wirklich genug!

Aber nun? Was machen? Keines der Stellenangebote, die ich mir ansehe, klingt besonders verlockend. Pokerprofi wäre doch eine Option. Nee, besser nicht, am Ende werde ich mit Zement an den Füßen im nächsten See versenkt. Also doch besser Bürstenbinder oder schlummert am Ende ein autokratischer Herrscher in mir? Nein, irgendwie fühlt sich das alles noch nicht richtig an.

Doch plötzlich ist da dieser entscheidende Moment. Mitten im Supermarkt überkommt es mich. Da, wo normalerweise das Schlimmste in den Regalen zu finden ist, das man mit Nullen und Einsen entwickeln kann, finde ich sie. Eine ganze Reihe Simulationsspiele bauen sich vor mir auf. Doch anstatt mich angewidert abzuwenden, spüre ich da dieses Gefühl. Dieses Gefühl von ansteigender Aufregung. Kann das Schicksal sein? Da, in dieser unscheinbaren Plastikhülle, da liegt vielleicht eine völlig neue und bessere Welt.

In meinem Kopf ist der Plan bereits klar: drei Tage, drei Spiele. Es wird eine intensive Karriere-Suche. Beginnen wird meine Reise als Straßenkehrer in einem mittelständischen Unternehmen irgendwo in Deutschland.

Werbung:

Tag 1: Müllabfuhr-Simulator 2011

Jobsuche mit Simulationen

Sehr gut. Eine lehrreiche Einführung bringt mir schon einmal die wichtigsten Funktionen des Säuberungsfahrzeuges bei. Ich weiß nun, wie ich die Handbremse löse, den Besen drehe und das Blinklicht einschalte. Unter donnerndem Getöse rase ich mit sagenhaften acht Kilometern pro Stunde aus der Garage, um meine erste Aufgabe zu erfüllen. Der Parkplatz des Gemeindeamtes muss gesäubert werden. Ich finde, da haben sie durchaus den richtigen Mann engagiert. Mit viel Schwung entsorge ich den Müll auf der Deponie, fülle das Wasser auf. Noch dazu wird mir die immense Bedeutung der wehenden Warnlichter bewusst, wenn es raus auf die Straße geht. Das war schon mal ein ereignisreicher Tag.

Zurück im Büro checke ich meine Mails. Unglaublich, der Bürgermeister bittet mich persönlich darum, einen Job zu übernehmen. Und ich bekomme sogar 1000 Euro für den Spaß. Nicht schlecht, stelle ich fest. Jetzt heißt es die Ärmel hochkrempeln und ran an die Arbeit! Es geht zurück auf die Straße. Mit acht Kilometern pro Stunde.

Werbung:

Doch es dauert nicht lange, bis ich merke, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Während ich bedächtig einen Block nach dem anderen hinter mir lasse, sehe ich Dutzende Passanten, denen die Bordsteine nicht breit genug sind und die deshalb eine Abkürzung durch die Wand wählen. Seltsam, denke ich noch - und ein ungutes Gefühl überkommt mich.

Und plötzlich trifft es mich ohne Vorwarnung. Mein Gefährt und ich geraten ins Schlingern und heben ab. Ein anderes Auto hat mich gerade gerammt. Nachdem ich zwei Meter durch die Luft geflogen bin, lande ich wieder auf der Straße und verkeile mich in zwei weitere Wagen. In völliger Panik springe ich aus dem Wagen.

Jobsuche mit SimulationenJobsuche mit Simulationen

Wie konnte das nur geschehen? Was wie ein verheißungsvoller Tag begann, entpuppt sich plötzlich als unfassbarer Albtraum. Doch meine Umgebung nimmt keinen Notiz davon. Niemand hupt und es gibt keine wilden Beschimpfungen. Wir blockieren den kompletten Verkehr und es scheint wirklich NIEMANDEN zu interessieren. Passanten laufen an mir vorüber, als wäre nichts geschehen. Keiner von ihnen ist besorgt oder bietet mir Hilfe an.

Mir wird immer unwohler. Immerhin habe ich meinen Klienten noch nicht über den Unfall informiert. Also schnell noch den ganzen administrativen Kram erledigen und die Versicherungspapiere ausfüllen...

Doch mir bleibt keine Zeit zum Verschnaufen, denn schon ereilt mich der nächste Schicksalsschlag. Ein völlig wahnsinniger Autofahrer rast mit seiner Karre direkt auf mich zu. Nein, er rast in mich HINEIN, denn schon wenige Sekunden später sitze ich auf dem Beifahrersitz eines schwarzen, gesichtslosen Dämonen. Argh!!! Erst jetzt beginne ich zu verstehen, wieso mir der Bürgermeister diesen großen Auftrag angeboten hat. Diese Stadt ist die Ausgeburt der Hölle, voll von verrückten Fahrern, emotionslosen Psychopathen und - nicht zu vergessen - unheimlichen Geistern.

Jobsuche mit Simulationen

So schnell mich meine Füße tragen, renne ich davon. Ich muss hier ganz einfach weg. Weg von diesem gottverlassenen Ort. Niemals wieder will ich mich in so einer Situation wiederfinden. Mehr noch, durch diesen Unfall habe ich einige Verletzungen davon getragen. Ich stelle fest, dass ich nicht mehr aufrecht bin, sondern sich offenbar mein Rückgrat nach hinten verbogen hat, sodass ich in einer rückswärts gebeugten Haltung davon laufe. Keine falsche Scham: Hier muss in jedem Fall die Gewerkschaft informiert werden.

Tag 2: Garten-Simulator 2010

Nachdem ich nun angefahren, verkrüppelt und belästigt wurde, fühle ich mich mental und vor allem physisch gebrochen. Meine Lust auf ein vergnügtes Arbeitsleben hat den Nullpunkt erreicht. Deshalb habe ich beschlossen, mich zur Ruhe zu setzten und das Leben eines Frührentners zu erproben. Kreuzworträtsel lösen, Bingo spielen und Gartenarbeit klingen jetzt wie ein Traum.

Jobsuche mit SimulationenJobsuche mit Simulationen

Ach, diese Gelassenheit. Tief atme ich die frische, halbstädtische Luft der Nachbarschaft ein. Hier bin nur ich, ein Schuppen und ein kleiner Garten. Kann das Leben schöner sein als in diesem Moment, da das wild wachsende Gras das Einzige ist, um das du dich zu sorgen brauchst? Und selbst dieses Problem wird spätestens dann gelöst sein, wenn ich den Rasenmäher aus dem Schuppen geholt habe.

Schon throne ich bequem auf dem Aufsitzmäher, da beginnt es plötzlich zu regnen. Das Radio spielt klassische Musik in einer eher mäßigen Qualität. Schnell schlägt meine gute Laune in Irritation um. Doch immerhin ist das Gras getrimmt. Gesagt, getan. Aber ist das schon alles, was mir dieser Garten zu bieten hat? Während ich den Rasenmäher zurück in den Schuppen fahre, sehe ich mich nach irgendetwas Lebendigem um. Aber hier gibt es nicht einmal einen Gartenzwerg. Ich stehe in der Mitte des Gartens, genieße die Aussicht und mich überkommt dieses starke Gefühl der Sinnlosigkeit.

Jobsuche mit Simulationen

Doch nur einen kurzen Augenblick später meldet sich mein Nachbar. Offenbar verreist er und hofft, ich könnte in der Zeit seiner Abwesenheit auf den Garten aufpassen. Warum nicht, denke ich mir. Immerhin macht mir das Rasenmähen Spaß.

Schnell aber trudeln plötzlich unverständliche Aufträge ein. Er will, dass ich die Blumenbeete dünge, Unkraut harke und das Ganze auch noch ohne eine Art von Entschädigung. Noch dazu ist sein Garten viel größer als meiner und hat neben einem Gewächshaus auch noch ein Gästehaus mit Zugang zum Garten. Was für ein frecher und ungehobelter Snob. Ein richtiger Garten-Hitler. Am Ende bin ich nicht nur beleidigt und neidisch, nein, ich hab auch das Leben eines Frührentners satt.

Da scheint es nur gerecht zu sein, dass ich meine Frustration an seinem Blumenbeet auslasse. Tjoff-Tjoff-Tjoff brummt der Rasenmäher und zack erscheint ein "Sie haben verloren!"-Bildschirm. Und trotzdem fühle ich mich als der eigentliche Gewinner und bin verdammt noch mal wieder bereit für richtige Arbeit.

Jobsuche mit Simulationen

Tag 3: Berg-und Tunnelbau Simulator

Die Zeiten von Blumenbeeten und Rasenmähern sind vorbei. Ich hab' genug von diesem protzigen Nachbarn mit seinem Garten. Doch durch die Zerstörungswut, die mich in seinem Grundstück plötzlich überfiel, habe ich meine wahre Passion erkannt. Löcher in den Boden graben und Steine durchbohren. Jaaaa, TNT - das ist das Richtige. Aller guten Dinge sind drei, sagt man ja oft.

Meine erste Aufgabe im Berg-und Tunnelbau Simulator finde ich im Metro-System von Paris. Ein Klacks. Ich belade meinen Laster bis unters Dach mit Dynamit und platziere ihn strategisch günstig an der vorgesehenen Explosionsstelle. Dann springe ich aus dem Wagen und laufe ins Büro, wo sich der Detonationsknopf befindet. Feuer frei!

Klick.

Stille.

Hm?

Jobsuche mit SimulationenJobsuche mit Simulationen

Ich muss wohl mal nachsehen, was da schief gegangen ist. Warum höre ich kein großes, wunderbares Feuerwerk? Und ich bin der Meinung, das ist das Mindeste, was man erwarten kann, wenn man so viel Sprengstoff hochjagt, dass es einen halben Häuserblock wegsprengen würde.

Doch offenbar habe ich gerade den leisesten Sprengstoff der Welt zur Detonation gebracht. Wo vorher ebener Boden war, ragt jetzt ein Krater in die Tiefe. Nur ein wenig Geröll ist übrig geblieben. Etwas enttäuscht, aber immer noch guter Dinge springe ich in einen gelben Bauwagen, um die Reste wegzuschaufeln.

Dieses Vorgehen entpuppt sich aber als schwerer als gedacht, denn das Geröll scheint aus Radiergummi zu bestehen und weist eine äußert gewöhnungsbedürftige Gravitation auf. Es scheint fast so, als wäre ich auf dem Mond. Doch irgendwie schaffe ich es, die kleinen Steine in eine andere Grube zu schieben, die vermutlich mithilfe desselben Ninja-Dynamits entstanden ist. Dann eile ich schnell in den Kontrollraum. Es ist Zeit für die große Bohrung.

Jobsuche mit Simulationen

Die Kontrollanzeige vor mir zeigt mir klar den Bohrungsweg an. Leider klicke ich das Tutorial weg, wie ich das auch im normalen Leben mit elektronischen Geräten zu tun pflege. Als selbst ernannter IT-Experte hat man immerhin einen Ruf zu verlieren. Doch ich sage an dieser Stelle noch einmal deutlich: leider. Denn anstatt den Bohrer unter die Erde zu bringen, schraubt er sich immer weiter nach oben. Nun, es gab dann einige ... unerwünschte Zwischenfälle.

Man kann sich sicher meine Enttäuschung über diese fehlgeschlagenen Ausflüge in die andere Arbeitswelt vorstellen. Und so sitze ich nun wieder hier und übersetze Vorschauen aus anderen Ländern, kämpfe mich durch das nächste, noch schlimmere Lizenzspiel und werde von meinem Chef herumgeschubst. Naja, aber es ist trotzdem irgendwie nicht mehr ganz so schlimm wie vorher.

Jobsuche mit SimulationenJobsuche mit SimulationenJobsuche mit SimulationenJobsuche mit Simulationen
Jobsuche mit SimulationenJobsuche mit SimulationenJobsuche mit SimulationenJobsuche mit Simulationen


Lädt nächsten Inhalt