Vor ein paar Jahren haben wir darüber gestritten, was zuerst da war: der Grind oder die Option, mit ein paar zusätzlichen Euros eben jene repetitiven Aktivitäten zu umgehen. Dieses dunkle Kapitel der Videospielgeschichte haben wir mittlerweile zwar größtenteils hinter uns gelassen, doch die verschiedenen Formen der "Überraschungsmechaniken" begleiten uns noch immer. Genshin Impact ist in gewisser Weise die nächste Evolutionsstufe der Live-Service-Spiele, denn es verbindet billige Mikrotransaktionen mit AAA-Qualitäten. Bevor wir jedoch dazu kommen, sollten wir zuerst den Elefanten aus dem Porzellanladen herausführen.
Das neue Spiel von MiHoYo ist dieser Breath-of-the-Wild-Klon, der dreist Nintendos erfolgreiche Open-World-Formel kopiert. Die weitläufige Graslandschaft rund um Mondstadt, die erste große Stadt im Spiel, zeigt etliche Parallelen zum neusten Zelda-Abenteuer, obwohl die chinesischen Entwickler im späteren Verlauf des Spiels immer wieder sehr begrüßenswerte Eigenkreationen zur Schau stellen. In dieser wunderschön bunten Fantasy-Welt namens Teyvat bekämpfen wir eine Handvoll unterschiedlicher Monster, gehen regelmäßig auf Schatzsuche und sammeln zwischendurch unzählige Materialien ein. Sprinten, Gleiten und Klettern funktioniert genau wie beim Vorbild, denn all das wird von einer zentralen Ausdauerleiste geregelt.
Im Gegensatz zu Link müssen wir in Genshin Impact zwar keine Prinzessin retten, allerdings suchen wir ebenfalls etwas, nämlich unsere bessere Hälfte. Während wir in dieser fremden Welt nach ihr oder ihm suchen, werden wir in einen anhaltenden, politischen Streit rivalisierender Reiche gezogen. Man kann die Geschehnisse größtenteils ignorieren, zumindest wenn man sich an quietschenden Anime-Stimmen oder extrem einseitigen Figuren nicht allzu sehr stört. Da gibt es zum Beispiel diesen Typen, der die Gerechtigkeit selbst in die Hand nimmt, weil er glaubt, dass die hiesige Polizei die Gegend nicht alleine beschützen kann. Das funktioniert bei Batman ja ganz gut, bei Genshin Impact ist das halt noch ein paar Stufen cooler, sehr bedeutungsschwanger und im besten Fall etwas lustig.
Insgesamt bleibt die Handlung von Genshin Impact hinter ihren Möglichkeiten, denn MiHoYo unterwirft alle eigenen Bemühungen der furchtbaren Monetarisierung. Die Story hat ohne Frage ihre Momente, doch häufig wird in den Quests eine Spannung aufgebaut, die das Spiel schlicht und ergreifend nicht erfüllt. Das ist für Live-Service-Spiele eigentlich nicht ungewöhnlich, aus Spielersicht ist das alles aber auch nicht besonders verlockend. Mehr Inhalte sollen in Zukunft nachgereicht werden, denn nach ein paar Akten endet das Spiel momentan schon - noch im ersten Kapitel mit der einen oder anderen offenen Frage.
Was das Gameplay betrifft, da setzt der Titel vor allem auf Erkundung und den Kampf. Die offene Welt von Genshin Impact ist wie gesagt sehr schön mitanzusehen und es hilft dem Titel ungemein, dass die Entwickler so viele Aufgaben zum Zeitvertreib integriert haben. Es gibt sogar Dungeons, die mit Zelda aber gar nichts zu tun haben und so furchtbar linear sind, dass sie ehrlich gesagt kaum der Rede wert sind. Leider kommen verschiedene Quests regelmäßig zum Erliegen, bis unser Abenteuerlevel eine bestimmte Stufe erreicht hat. Das ist nervig, wenn ihr einem Missionsstrang unbedingt folgen wollt, aber das Prinzip kennt man aus ähnlichen Spielen.
Die Gefechte sind von Anfang an sehr beeindruckend, vor allem für den F2P-Bereich auf mobilen Geräten. Genshin Impact setzt primär auf die Wechselwirkung von Elementarketten, denn jede eurer bis zu vier aktiven Spielfiguren verfügt über ein vorherrschendes Element und bringt entsprechende Statuseffekte mit sich. Schocken wir einen nassen Feind, zieht ihm unser Angriff sprichwörtlich durch Mark und Bein, was hohen Extraschaden verursacht. Das sieht nicht nur ziemlich cool aus, es spielt sich auch flott - genau wie bei einem vollwertigen Actionspiel.
Ihr könnt die offene Welt übrigens auch mit euren Freunden zusammen erkunden, zumindest wenn ihr die Option bereits freigespielt habt. Es ist selten der Fall, dass man in Genshin Impact wirklich zusammenarbeiten muss, da man die besagten Elementareffekte allein in der Regel viel präziser aktiviert, aber die Option begrüßen wir dennoch sehr. Beim Zusammenspielen muss der beitretende Spieler leider viele Einschnitte in Kauf nehmen, da ihr keinerlei Quest-Fortschritt übernehmt und mit der fremden Welt so gut wie nicht interagieren könnt.
In Genshin Impact können wir jederzeit zwischen den verschiedenen Figuren unserer aktiven Truppe hin und her wechseln und das müssen wir auch, um auf die Elementarangriffe zugreifen zu können. Weil die nicht nur beim Kämpfen, sondern auch beim Rätsel-Lösen in der offenen Welt zum Einsatz kommen, schalten wir im Verlauf des Abenteuers immer mal wieder einen Neuzugang frei. Ihr solltet zum Beispiel unbedingt jemanden im Team haben, der Feuer wirken kann, denn dieses Element ist an die Hälfte aller Rätsel im Spiel gekoppelt. Wollt ihr Amber aber nicht dabei haben, könnt ihr viele der Puzzle nicht mehr lösen, außer ihr gewinnt zufällig im Lotto.
Weitere Charaktere bekommt ihr nämlich nur aus Beutekisten, als zufällige Belohnungen mit teils schwindelerregend geringer Drop-Wahrscheinlichkeit. Man kann so eine Lootbox mit sehr viel Arbeit zwar auch durch das Spielen freischalten, allerdings liegt das nicht unbedingt im Interesse der Entwickler. Das beweisen zum Beispiel die Tutorial-Missionen und Dungeons, die nur darauf abgestimmt sind, das Fähigkeitenrepertoire eines bestimmten Charakters zur Schau zu stellen. Uns Spielern sollen solche Aktivitäten zeigen, was wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus unserer nächsten Truhe ziehen werden (aber vielleicht ja schon aus der Nächsten oder der danach?).
Ein weiteres Problem ist der Spielfortschritt, denn selbst wenn ihr einen der seltenen Charakter aus der Glücksspielfalle ziehen solltet, braucht es noch viele weitere Dinge, bis ihr richtig stark seid. Die Spielfiguren leveln individuell auf und wer alles maximieren will, muss die seltensten Charaktere mehrmals bekommen, um durch Duplikate passive Talente freizuschalten. Jedes einzelne Teammitglied benötigt aber auch eigene Artefakte und Waffen und die müssen natürlich ebenfalls etwas taugen. Deshalb braucht ihr Unmengen an Rohstoffen und seltenen Verbrauchsgegenständen, die es zwar überall gibt - der Krempel fällt aber auch aus den Lootkisten.
Das ist in der Anfangsphase noch kein großes Problem, es wird aber in den späteren Abschnitten, wenn man sich dem grindigen End-Game nähert, zu einem. Zum "Abschluss" des Spiels bedarf es nicht unbedingt eines seltenen Charakters oder toller Ausrüstung, aber es macht mehr Spaß. Und obwohl das Erkunden der Welt auch so eine Freude ist, lohnt es sich eigentlich nicht, denn auf diese Weise werden wir nicht das bekommen, was wir eigentlich haben wollen. Stattdessen steht das Farmen von wichtigen Materialien an der Tagesordnung, denn wer ein potentes Arsenal aufweisen möchte, muss unglaublich viel Arbeit in das Spiel stecken. Das wäre an sich natürlich okay, wenn das Gesamtkonstrukt von Genshin Impact mehr wäre, als eine hübsch verpackte Open-World-Slot-Maschine. Das ist es momentan aber leider nicht.
Seit knapp drei Wochen ist Genshin Impact nun schon erhältlich und dass ich erst jetzt ein Urteil ausspreche, das hat seinen Grund - das Spiel stößt mich an vielen Stellen schlicht und ergreifend ab. Abgesehen von der Lootbox-Spirale gibt es nämlich noch weitere Auswüchse der zeitfressenden Live-Service-Spielen, die einzig und allein darauf abzielen, den Spieler möglichst lange eine Karotte vor die Nase zu binden. Bei Spielbeginn begrüßen uns zum Beispiel tägliche Quests vom Fließband (es gibt jedoch positive Ausnahmen), Premium-Mitgliedschaften mit höheren Login-Boni und mittlerweile sogar einen Season Pass. Ihr könnt das Game sogar auf mobilen Geräten spielen und es gibt natürlich Crossplay, denn eure Freunde sollen euch ja ebenfalls zum Kauf anstiften.
Dass solche Features schon zum Start auf drei Plattformen (PC, PS4 und iOS/Android) bereitstehen, wäre in vielen Fällen zu begrüßen, wenn dieser Fokus nicht den Abschluss der Geschichte oder das Quest-Design überschatten würde. MiHoYo ist nicht die erste Firma, die das famose The Legend of Zelda: Breath of the Wild zu kopieren versucht, und sie werden auch nicht die Letzten sein. Stellenweise gelingt das Übertragen der Formel sogar, denn die Welt und der Kampf bilden zwei solide Standbeine. Das völlig unfaire Fortschrittssystem erzeugt in Kombination mit den gefährlichen Monetarisierungsfallen jedoch ein unwirklich dystopisches Abbild einer völlig zerstörten Realität. Man kann nur vom Glück reden, dass diese Spiele (noch) nicht gut genug sind, um noch mehr Menschen in ihre Falle zu locken.