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Der Fall John Yesterday

Der Fall John Yesterday

Sie haben ernst gemacht. Die Pendulo Studios haben mit Der Fall von John Yesterday eine Geschichte abgeliefert, die einen ernsthaften Hintergrund hat. Ganz ohne Humor kommt der Krimi aber auch nicht aus.

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John Yesterday hat sein Gedächtnis verloren. Der Spezialist für Sekten war gerade einer ganz heißen Geschichte auf der Spur, als er plötzlich versucht haben soll, sich mit Quecksilber umzubringen. Zum Glück war sein Freund da, der reiche Geschäftsmann Henry White, der ihn rettete und ihm weiter zur Seite steht. Was uns aber passiert ist, wir kriegen es nicht so richtig zusammen. Und Henry White, was bedeutet sein zweifelhafter Einsatz für Obdachlose? Irgendetwas ist sehr merkwürdig und ihm will einfach nicht einfallen, was es war. Nur nach und nach erinnern wir uns und setzen so ein großes Puzzle zusammen, das mehrere überraschende Wendungen bereit hält.

Der Moment, in dem es Klick macht und wir endlich über die mysteriösen Geheimnisse im Bilde sind, es ist meist der beste einer Geschichte. Und Der Fall von John Yesterday schafft es tatsächlich, uns ein wenig an der Nase herumzuführen. Lange werden wir im Unklaren darüber gelassen, wie alles miteinander zusammenhängt. Wir können nur planlos herumstochern. Die Spannungskurve wurde sauber gezeichnet und immer wieder gibt es ein paar Brocken, die weiter an den Bildschirm fesseln. Und sogar das Ende wurde weder gehetzt noch ist es unnötig in die Länge gezogen worden.

Die Geschichte ist spannend, vom Anfang bis zum Ende und ist grundsätzlich sehr logisch aufgebaut. Trotzdem gibt es Passagen, die merkwürdig aufgesetzt wirken. Sie erfüllen einen Zweck, aber scheinen überflüssig, weil sie so gar nicht zur Haupthandlung gehören und auch für die Charakterentwicklung keinen wesentlichen Beitrag leisten. Da wäre ein Ausflug in die Vergangenheit interessanter oder eine eingeschobene Passage, die einen nur verkürzt dargestellten Handlungsstrang ausführlicher behandelt.

Der Fall John Yesterday
John Yesterday hat sein Gedächtnis verloren und versucht sich zu erinnern, was damals passierte.
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Wenig überraschend ist übrigens, dass man sich bei aller Ernsthaftigkeit trotzdem auch humorvollen Elementen gewidmet hat. Die Witze sind munter im gesamten Spiel eingestreut und manche davon wirklich große Lacher. Wir begegnen dem Humor aber eben auch nur, wenn wir nachbohren und den skurillen Figuren den Platz geben, sich auszutoben. In der Haupthandlung bleibt die Absurdität dagegen auf einem angenehmen Niveau.

Aber das passt auch ganz gut zur Präsentation, die weiterhin auf einen Comic-Look setzt wie schon die Runaway-Serie und The Next Big Thing. Selbst wenn dunklere Farben verwendet werden, färbt sich die Stimmung nie düster ein und selbst die widerlichsten Momente werden mit der Pendulo-Ästhetik erträglich. Und weil sie die Technik bereits gut beherrschen, schaffen sie eine überzeugende Gestik und Mimik für die Charaktere, die sogar dem recht farblosen angelegten John Yesterday noch ein paar interessante Facetten lässt.

Der besondere Wurf aber bezieht sich am Ende weder auf Handlung, Charaktere noch auf technische Aspekte der Präsentation. Der Fall John Yesterday verfügt über eine neue, stark vereinfachte Eingabemaske, die für das Genre wegweisend sein könnte. Der spanische Entwickler hat bewährte Konzepte genommen, sie überdacht und neu arrangiert. Ganz konkret wurden sämtliche Funktionen auf eine ausfahrbare Leiste zusammengestaucht.

Hier befinden sich das Inventar und links daneben lediglich sechs Funktionstasten. Ein Knopf mit einem symbolisierten Fadenkreuz offenbart uns bei Aktivierung die Elemente, mit denen wir interagieren können. Die Glühbirne links daneben gibt Tipps, wenn wir nicht weiterkommen. Ein Stern lässt uns zwischen den bereits gespielten Kapiteln hin- und herspringen und ein Lautsprecher lässt uns die Lautstärke ändern. Die beiden verbliebenen Köpfe sind zum Verlassen des Spiels und zum Festsetzen der Leiste - normalerweise würde die sich nämlich nur heraustrauen, wenn wir mit der Maus an den unteren Bildschirmrand kommen.

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Wir speichern nicht mehr selbst, drücken keine Tasten auf der Tastatur oder öffnen irgendwelche anderen versteckten Kästen, die uns aus der Geschichte reißen. Und selbst das Verwenden von Gegenständen wurde glattgebügelt. Die klicken wir an und sie ziehen sie aus der Leiste, wenn wir sie mit anderen Dingen kombinieren wollen. Und die tolle Idee, dass wir Wege abkürzen, indem wir doppelt auf etwas entferntes klicken? Die Pendulo Studios haben das automatisiert. Wir warten einfach gar nicht mehr, sondern werden sowieso auf kurzem Wege zum gewünschten Punkt gebracht.

Die Dialoge und Interaktionen finden in Boxen statt, die denen von Comics ähneln. Sie fokussieren einen Ausschnitt und geben uns genau zwei Möglichkeiten zur Interaktion. Entweder wir schauen uns einen Gegenstand beziehungsweise eine Person genauer an oder wir interagieren. Auch hier sind es nur Symbole, die uns die Pendulo Studios zur Verfügung stellen. Alles ist einfach und reduziert. Und es sind viele kleine clevere Entscheidungen, die sich zunächst furchtbar ungewohnt anfühlen. Der Fall John Yesterday mutet mit seinem Interface zunächst merkwürdig an, aber ziemlich schnell will man eigentlich gar nichts anderes mehr haben.

Der Fall John Yesterday
Besonders beeindruckend ist die schlanke, aber sehr übersichtliche Eingabemaske.

Überarbeitet wurde zudem das Hilfe-System. Wir hatten uns schon daran gewöhnt, uns einfach alles anzeigen zu lassen, was irgendwie zur Interaktion bereit war. Ein Tastendruck und die Stellen wurden markiert. Die neue Funktion bei Der Fall John Yesterday allerdings macht das etwas anders. Klicken wir darauf, leuchten sehr schnell die verschiedenen Punkte nacheinander auf. Unser Auge wird gerade in großen Räumen nicht so schnell alles konkret erfassen können und irgendwann finden wir uns damit ab und suchen immer öfter wieder selbst alles mit der Maus ab.

Stecken wir fest, können wir uns Hinweise geben lassen, die allerdings nicht die Lösung verraten, sondern wirklich nur einen Tipp geben. Haben wir das einmal gemacht, müssen wir erst eine bestimmte Zahl von Aktionen durchführen, bevor wir den nächsten Tipp in Anspruch nehmen können. Auch das ist wieder so eine Erziehungsfrage. Mancher hat vorher vielleicht zu schnell zu oft eine solche Funktion genutzt. Jetzt soll sie wirklich nur in schwierigen Situationen aushelfen und keine Dauerlösung sein.

Bei aller Freude über die vielen gelungenen Aspekte an Der Fall John Yesterday, bleibt aber ein großes Ärgernis: Die Geschichte ist zu schnell vorbei. Weil alles so ineinander greift, sind wir in Windeseile bis zum Ende gesegelt. Die Geschichte, so interessant sie ist, hätte mit Sicherheit auch hier und da ein kleines bisschen gestreckt werden können. Wenn es den Pendulo Studios gelungen ist, überflüssige Szenen zu integrieren, dann hätte auch inhaltliches Interessantes die Spieldauer aufwerten können.

Das Adventure war eines der vielversprechendsten Projekte für die erste Jahreshälfte. Das Ergebnis ist zwar immer noch gut, aber leider etwas ernüchternd. Für den wirklich großen Wurf hätte man entweder mehr Umfang bieten oder das Spielerlebnis ganzheitlicher gestalten müssen.

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08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
interessante Geschichte, gelungenes Interface, hübsche Präsentation
-
zu kurz, Teile der Handlung wirken unpassend
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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Man könnte meinen, es gibt einen neuen Trend zu ernsthafteren Adventures - und da macht auch das tolle John Yesterday mit.



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