Call of Juarez war ein großer Western. Nicht so sehr wegen seines Gameplays, sondern dank einer wunderbaren Geschichte über den rasend wütenden Reverend Ray und den zu Unrecht angeklagten Billy, die gemeinsam die Südstaaten bereisen. Nichts und niemand war sicher vor dem Geistlichen, der mit Revolver und Bibel auftauchte, gerne eine letzte Predigt verlas und ein Loch im Koch hinterließ.
Die Story war wirklich gut erzählt, aber Call of Juarez hatte viele Fehler. Das Leveldesign war irgendwie in der letzten Generation gefangen, dem Gameplay fehlte der Flow. Gut, dass Entwickler Techland sich dies zu Herzen genommen hat. In der Fortsetzung Call of Juarez: Bound in Blood gibt es größere Gebiete zu erforschen und weit mehr taktische Optionen. Und eine unsichtbare Hand leitet uns gekonnt durch die anscheinend vollkommen offene Landschaft. Die ist natürlich nur ein Trugbild. Aber eines, an das wir gerne glauben.
Call of Juarez hinterließ damals keinen bleibenden Eindruck. Vielleicht wollte Techland deshalb das Franchise neu starten. Call of Juarez: Bound in Blood ist dabei mehr eine Art Prolog, in dem der schwächliche Billy durch einen echten Macho ersetzt wurde: Thomas McCall, Bruder von Reverend Ray.
Im Gegensatz zum Vorgänger, wo wir einen der beiden Charaktere für das gesamte Spiel wählen mussten, gibt es nun in jedem Level eine neue Wahlmöglichkeit. So kann endlich ein Level mit einem favorisierten Style kombiniert werden. Nun aber zur Beantwortung der wichtigsten Frage: Wie gut ist Call of Juarez: Bound in Blood wirklich? Ganz einfach: Es ist großartig. Die Story beginnt am Ende des Bürgerkriegs, als der Süden immer stärker zurückgedrängt wird. Wir stehen auf der Seite der Verlierer. Tragen die graue Uniform. Versuchen den Angriff der Nordstaaten zu widerstehen. Eine netter Perspektivenwechsel.
Die frische Story will so gar nicht ins typische Bild eines Heldenepos passen. Ein paar Farmboys, die um ihr Leben kämpfen gegen eine viel größere Macht, die plündert, stiehlt, vergewaltigt und beliebig zerstört. Als die beiden McCall-Brüder begreifen, dass alles verloren und der Norden nicht aufzuhalten ist, werden sie zu Fahnenflüchtigen.
Die Aufgabe, das verwüstete Land der Familie wieder aufzubauen und den Familiennamen zurück auf die Landkarte zu bringen, ist spannend und raubt einem immer wieder den Atem. Mag sein, dass es komisch klingt über die Authentizität eines Western zu schwärmen. Aber es ist genau dieses Gefühl, das wichtig ist. Und obwohl das Game nicht mit Klischees und Vorteilen geizt, überschreitet es nie die unsichtbare Grenze und wird zur Parodie.
Leider ist nichts getan worden, um die bisweilen etwas steife Steuerung des ersten Teils zu verbessern. Manchmal fühlt es sich an, als ob zwei Revolver tragende Hände auf einen Panzer montiert wurden anstatt Teil eines menschlichen Körpers zu sein. Zudem hinterlässt das Herumlaufen mit Armen wie denen der McCall-Brüder ein primitives Gefühl. Und man wundert sich, woraus wohl ihre Handgelenke bestehen (etwas Haltbares vermutlich)? Lebensechtere Animationen hätten sicher nicht geschadet, und das gilt insbesondere auch für die Passagen mit Pferden.
Abseits der Animationen leistet die neuste Version von Techlands Chrome Engine Beeindruckendes. Insbesondere dicht bewaldete Areale sehen sehr real aus. Die Wüsten sind detailliert und riesig groß, die sengende Hitze brennt gnadenlos und man ist stets motiviert, Wasser gegen den Durst zu finden. Dörfer und Siedlungen sind ebenso erstklassig - am Ende verhindern nur die glanzlosen Animationen eine wirklich hohe Grafikwertung.
Ich kann mit nur schwer vorstellen, dass Call of Juarez: Bound in Blood je zum Mehrspielerphänomen wie Halo oder Call Of Duty 4: Modern Warfare wird. Es ist eine weithin bekannte Tatsache, dass diese Beiden jede Woche Horden von Spielern versammeln. Anständige Konkurrenz ist anderswo kaum in Sicht. Womöglich kann Call of Juarez: Bound in Blood aber doch punkten. Es hat viele frische Ideen und einen großartigen Mehrspielermodus, der eine beständige Fangemeinde aufbauen könnte.
Besonders hervor stechen die 13 verschiedenen Klassen. Wir dürfen alles spielen, vom Pistoliero über den Minenarbeiter bis hin zum Waffenschmied und Indianer. Jede Klasse hat ihre Vor- und Nachteile sowie einzigartige Waffen und darf nach dem Gewinn eines Matches einem Upgrade unterzogen werden. Ich persönlich genieße regelmäßige Deathmatch-Sessions in jedem Mehrspielermodus am meisten, und bin schnell verärgert, wenn die Welt dort zu kompliziert ist. In Call of Juarez: Bound in Blood heißen die Deathmatches Shoot-Out. Bei den Schießereien bekommt man eine Art Fahndungslevel verpasst, der sich erhöht, wenn man erfolgreich Gegner aus dem Weg schafft. Ein höheres Fahndungslevel hat mehr allgemeine Aufmerksamkeit zur Folge, was dazu führt, dass man die Taktik permanent der Situation anpassen muss. Ein nettes System, dass automatisch für Fairness und Aufregung sorgt.
Wer herummeckern will, ärgert sich über lediglich acht verschiedene Mehrspielerkarten, deutlich weniger als im Durchschnitt anderer Spiele. Aber so sind die Zeiten heute, und wir können wahrscheinlich auf weitere Karten als zusätzliche Inhalte zum Herunterladen zählen. Es gibt zudem nur fünf Spielmodi, wobei Deathmatch (sorry, Shoot-Out) und Wild West Legende am unterhaltsamsten sind. Bei letzterem dürfen wir entweder eine Bank ausrauben oder sie schützen.
Call of Juarez: Bound in Blood ist nicht das vollkommene Westernspiel. Aber es ist ein ungewöhnlich dreckiges, brutales Actionspiel, das aber eher von der schön erzählten Geschichte als der blutigen Grafik lebt. Allein die Tatsache, dass wir Grundbesitzer sind und Sklaven halten, aber irgendwie doch zum Helden werden, regt zum Nachdenken an. Die Steuerung lässt, trotz Verbesserungen, noch immer zu wünschen übrig. Aber erstklassiges Leveldesign, variantenreiche Umgebungen und detaillierte Grafik machen Call of Juarez: Bound in Blood zu einem überraschenden Sommer-Hit.