Eines meiner Lieblingsspiele der vergangenen Jahre ist Bravely Default für den Nintendo 3DS. Für mich hatte dieses Spiel einfach alles und deshalb eine Platzierung in meiner eigenen Ruhmeshalle verdient. Entsprechend gespannt habe ich auf die EU-Ankündigung des zweiten Teils gewartet, der hierzulande unter dem Titel Bravely Second: End Layer verkauft wird. Schon der Name offenbart die Richtung, in die das Spiel geht, denn Bravely Second bedeutet so viel wie "den Mut finden, etwas noch einmal zu probieren". Das ist, wie ich finde, eine sehr wertvolle Botschaft, die uns Silicon Studio mit auf den Weg gibt.
Über die Geschichte des Spiels möchte ich so wenige Worte wie möglich verlieren, weil es einfach zu viele Wendungen und tolle Überraschungen gibt - und es einfach so viel Spaß macht, das alles selbst zu erleben. Nur so viel: Etwa zweieinhalb Jahre nach den Ereignissen von Bravely Default hat es die Kristallvasallin Agnès endlich geschafft, zwischen der Kristall-Orthodoxie und dem Herzogtum von Eternia einen Friedensvertrag auszuarbeiten. Allerdings werden diese Verhandlungen abrupt unterbrochen, als der geheimnisvolle Kaiser Oblivion mit seiner fliegenden Himmelsfestung anrückt und Agnès gefangennimmt. Grund genug für Schlüsselfigur Yew, die Fährte aufzunehmen und der Adeligen zur Hilfe zu eilen. Also: konventionelle Rollenspielkost.
Denn das ist Bravely Second: End Layer im Grunde genommen auch: ein klassisches japanisches Rollenspiel mit Rundendynamik und großem Individualisierungsfaktor. Auf der Weltkarte und in Dungeons werden unsere Abenteurer per Zufallsbegegnung mit Monstertruppen und fiesen Typen konfrontiert, die Erfahrungspunkte, Items und Gold abwerfen. Es gibt dreißig Klassen, die unsere vierköpfige Heldengruppe mit aktiven und passiven Fähigkeiten unterstützen. Viele dieser Berufe sind aus Bravely Default übernommen worden, Fans dürfen sich aber zumindest über zwölf mehr oder weniger neue Klassen freuen.
Ein besonderes Merkmal des Spiels ist die eigene Dynamik des Kampfsystems. Jede Figur darf in einem einzigen Zug bis zu vier Aktionen auf einmal ausüben. Allerdings muss sie sich anschließend entsprechend lange ausruhen, um wieder in Aktion zu treten. Durch diese Mechanik lassen sich verheerende Vernichtungsangriffe wirken, die einzelne Gegner gleich zu Beginn eines Kampfes auslöscht oder zumindest empfindlich schwächt. Doch in der Erholungsphase reagieren unsere Figuren nicht und stehen feindlichen Angriffen schutzlos gegenüber. Deshalb ist es häufig sinnvoll, sich Züge für Folgerunden aufzusparen.
Natürlich lebt so ein Spiel wie Bravely Second: End Layer von den zahlreichen Auseinandersetzungen und dem umfassenden Kampfsystem, doch der eigentliche Star des Spiels sind die traumhaften Charaktere und ihre liebevollen Aufmachung. Edea zum Beispiel kann sich so wunderschön freuen, dass es mir ganz unweigerlich ein breites Grinsen ins Gesicht treibt. "Agnès's Ba'al-Busting Avengers" - wie sich die kleinen Helden gern selbst nennen - sind mehr als glaubhaft inszeniert und insgesamt toll in Szene gesetzt. Schön ist aber auch, dass in Bravely Second: End Layer nicht nur die Titelhelden strahlen, auch die vielen Nebencharaktere legen nachvollziehbare Motive an den Tag. Erfahrungsgemäß erschließen sich einem diese jedoch erst im späteren Handlungsverlauf und in den Nebenmissionen.
Was jedem Spieler gleich ins Auge fallen wird, ist die technische Komponente des Spiels. Bravely Second: End Layer ist einer der hübschesten Titel auf dem 3DS. Die Hintergründe sind handgemalt und erzeugen einen sehr wirksamen 3D-Effekt. Im Vergleich zum Vorgänger hat sich im Grunde nichts geändert, aber der sah ja auch schon fantastisch aus. Außerdem setzt das Spiel auf die technischen Besonderheiten des 3DS, also den Gyrosensor und sogar die VR-Funktion. Auch musikalisch ist Bravely Second sehr gut aufgestellt. Die Musik fängt stets die aktuelle Stimmung ein und in den actiongeladenen Bosskämpfen rockt der Sound sogar. Ich hätte mir trotzdem etwas mehr Variation gewünscht, besonders beim Farmen sind die Schleifen deutlich hörbar.
Trotz all dieser zum Teil sehr tollen Elemente bildet sich während des Spielens ein sehr deutlicher Beigeschmack, der Bravely Second: End Layer bereits in der Vorschau begleitete. Etwa die Hälfte des Spiels ist alt, die andere Hälfte wurde auf der alten Grundlage errichtet. Grafik, Musik, viele Orte und noch mehr Charaktere sind identisch, zum Teil erzählen sie lediglich eine andere Variation der gleichen Geschichte von damals. Natürlich erweitern die vielen neuen Dinge das Universum von Bravely Default wunderschön, doch Bravely Second verkommt ein bisschen zu einer Erweiterung und stellt fast kein eigenes, neues Spiel dar. Ein Stück in mir weigert sich deshalb noch immer, Bravely Second: End Layer als zweiten Teil der Serie anzuerkennen.
Wahrscheinlich ist das hier nicht das beste Spiel für den Nintendo 3DS, aber es ist auf jeden Fall mein ganz persönlicher Favorit. Das Spiel hat mich mehr als nur einmal zum Nachdenken gebracht - und so etwas macht eine Spielerfahrung für mich in der Regel nur noch großartiger. Natürlich kann man dem Spiel die repetitive Ader anstreichen und die Charaktere als abgedroschen abtun, doch das verfehlt die Wahrheit. Bravely Second: End Layer ist ein wunderbares Spiel mit Sinn für Humor, großen Gefühlen und bewegenden Charakteren. Jeder, der sich darauf einlässt - der den Mut findet, es ein zweites Mal zu riskieren - der wird eine unvergessliche Reise erleben.