Im Kern bleibt tatsächlich alles wie gehabt. Wir legen Anker und bauen zunächst eine kleine Siedlung um unser Dorfzentrum herum. Um zu wachsen und unsere Siedler in bessere Klassen aufsteigen zu lassen, brauchen sie Spezialgebäude und bestimmte Waren in ausreichender Stückzahl, die wir über komplexer werdende Wirtschaftskreisläufe erst einmal herstellen müssen. Geblieben ist auch das klassische Inselprinzip, von denen wir mehrere besiedeln müssen, um den steigenden Bedürfnissen unser Bürger gerecht zu werden. Es bleibt der Handel mit anderen und natürlich der Kampf um die wichtigsten Ressourcen. Das was die Serie ausmacht, bleibt auch weiterhin ihr Zentrum.
Doch Related Design hat diesmal einen ganz elementaren Teil verändert. Es gibt zwei Hauptfraktionen, Ecos und Tycoons. Die beiden werden ausführlich in der Kampagne vorgestellt und ihre unterschiedlichen Ansätze und Strategien verdeutlicht. Die Ecos sind auf Nachhaltigkeit bedacht, sie nutzen die Natur für ihre Industrien. Die Tycoons wiederum setzen auf energieintensive und besonders schwere Industrie. Optisch wie inhaltlich stehen sich hier mehr oder weniger müslifressende Ökos mit filzigen Haaren und glattgegelte Wirtschaftsbosse mit adretter Kleidung gegenüber. Weil sie so überspitzt sind, wirken sie in der Kampagne jedenfalls beide unsympathisch.
Uns wird in der Kampagne aber auch beigebracht, wie wir beide miteinander kombinieren können, um dadurch beste Ergebnisse zu erzielen. Denn auch wenn wir uns für eine Richtung entscheiden, sind grundsätzlich alle gleichzeitig spielbar. Nur die Rolle des Spielers wird dann eine deutlich angstrengendere, denn statt nur einem Typ von Menschen befriedigen zu müssen, treffen dann die verschiedenen Modelle aufeinander - auch wenn sie nur zum Teil auf gleichen Rohstoffen basieren.
Obendrauf gibt es noch eine dritte Fraktion, die beim Spielen aber nicht wirklich eigenständig ist und über keine solch ausgeprägte Philosophie wie Ecos und Tyoons verfügt. Die Techs stehen für die Forschung und lassen sich nicht so wirklich einordnen. Es handelt es sich eher eine universelle Gruppierung, die wir ergänzend nutzen und die uns über ihre Technologie gewisse Annehmlichkeiten ermöglichen. Wir können beispielsweise Rohstoffquellen entdecken und Böden fruchtbar machen. Und die Techs verfügen über Technologie zur Besiedlung von Plateaus unter Wasser. Auf den Unterwasserinseln gibt es beispielweise Öl als wichtige Ressource. Da aber unser obligatorischer Kontor auf dem Meeresgrund eine Verbindung zur Wasseroberfläche hat, den normale Schiffe ansteuern können, bleibt die Auswirkung auf die Spielmechanik ohne große Folgen.
Außerdem könnnen sie mit ihrem Nerd-Faktor bei den Zockern punkten. Sympathie gibt es zum Beispiel, wenn der Kommentar aus dem Off ertönt: "Ich hab das Geheimnis von Glück entdeckt - jetzt brauche ich nur noch eine Frau, mit der ich es teilen kann!" Ansonsten aber haben auch die Techs ganz eigene Erwartungen und Bedürfnisse, die wie jene der Ecos oder Tycoons erfüllt werden wollen. Und sie müssen genauso entwickelt werden.
Alle drei Fraktionen auf einer Karte voll auszubauen ist daher ziemlich schwierig, weil jeder Aufstieg unserer Siedler dafür sorgt, dass die Häuser größer werden. Die Bevölkerungsdichte nimmt also zu und damit auch der Bedarf. Ganz davon abgesehen, dass wir für den Aufstieg jedes Mal weitere Bedürfnisse befriedigen müssen und man irgendwann nur deswegen weitere Inseln besiedelt, damit der Hunger nach immer exotischeren Gütern gestillt wird. Allerdings ist die Herausforderung natürlich auch besonders sympathisch, was in einer deutlich umfangreichen Spielerfahrung mündet.
Die Ansiedlung des Spiels in einer neue Epoche in der Zukunft bringt ein paar neue Spielmechaniken mit sich, die sich im Grunde nahtlos in das bisherige Konzept einfügen. Neben neuen Wirtschaftskreisläufen müssen wir jetzt zwei weitere Elemente im Auge haben - die Energie und unsere Ökobilanz. So benötigen nun einige Gebäude Strom, damit sie funktionieren und verbrauchen dafür festgelegte Einheiten an Energie. Stromgewinnung kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen und muss wie das Errichten von Lagerhäusern fest bei Ausbau der Insel berückstigt werden, sonst droht Stillstand.
Die Ökobilanz wiederum verdeutlicht, wie gut es um die jeweilige Insel aus ökologischer Sicht bestellt ist. Sie hat etwa Einfluss auf die Fruchtbarkeit bestimmt Rohstoffe und wirkt sich auf das Auftreten von Katastrophen aus. Da die Stärke der Ecos die Ökologie ist, verfügen sie über die Technologie hier einzugreifen. Es gibt Gebäude, welche diesen Wert besonders ins Minus reißen, aber auch Gebäude, mit denen der Wert positiv beeinflusst werden kann. Allerdings reagiert diese Fraktion auch besonders empfindlich auf eine negative Bilanz. Die Tycoons wiederum stört das weniger, aber sie müssen sich von den Folgen eventueller Katastrophen in Acht nehmen. Und sie haben in der Regel weniger Energieprobleme.
Gefechte wiederum spielen sich auch etwas anders. Schiffe sind noch immer dafür vorgesehen, aber durch die Technologie der Techs ist es nicht nur möglich, ebenfalls unter Wasser zu agieren und zu kämpfen, sondern auch in der Luft. Dafür fallen die Bodentruppen weg, was den Kampfeinsatz wieder überschaubarer macht. Zudem sind Gefechte auch nicht immer notwendig, da über Diplomatie und das Erledigen von Aufträgen für gute Stimmung gesorgt werden kann, um sich mehr auf den Ausbau der eigenen Zivilisation zu konzentrieren.
Die wahrscheinlich angenehmste Neuerung von Anno 2070 ist der neue Rumpf, mit dem wir ins große Abenteuer starten. Wir können in die Kampagne, in spezielle Missionen oder in das Endlosspiel starten, aber auch - zumindest wenn wir online sind - globale Statistiken betrachten, an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen, um eine Veränderung für alle Spielwelten zu erzeugen und Bonusmissionen annehmen. Für das erfolgreiche Absolvieren dieser Aufgaben gibt es dann Boni und je mehr Spieler das weltweit machen, desto höher fallen die Boni aus. Diese Exras sind eine nette Möglichkeit der Partizipation und es entsteht dadurch ein schönes Gefühl, nicht allein zu sein. Wer darauf verzichten mag, muss übrigens nicht online sein - die Spielergemeinde wird es Ubisoft danken.
Die Zukunft wird komplizierter, als zunächst angenommen. Related Design haben mit Anno 2070 eine komplexe Erfahrung abgeliefert, die mit ihren vielen Details den ein oder anderen überfordern wird. Trotzdem bleibt, wie bereits erwähnt, Anno eben Anno. Was zum Glück auch nicht abhanden gekommen ist und als bester Indikator für einen sehr guten Genre-Verteter gilt, ist der obligatorische "Huch, geht etwa schon wieder die Sonne auf?"-Effekt. Und natürlich hätte der Entwickler auch einfach auf Schiffe verzichten und stattdessen Transportrouten in die Luft verlegen können. Aber so ganz ohne Schiffe, das war ihnen dann offenbar doch zu unheimlich. Weil wir aber wissen, dass es sich nur um ein Spiel handelt, hinterfragen wir diese Entscheidung nicht, sondern genießen eine erstaunlich frische und facettenreiche Spielerfahrung in einer wunderschönen Spielwelt.