Wie viele Kugeln passen wohl auf einen Bildschirm? Ich bin mir fast sicher, dass es diese Frage war, die Joe Mirabello, den Mann hinter Terrible Posture Games, beschäftigt hat, als er an Tower of Guns arbeitete. Ich stelle mir einen Frühstückstisch vor, an dem er mit einer Tasse Kaffee sitzt und seinen Gedanken über die größten Mysterien des Lebens freien Lauf lässt. Warum sind wir hier? Was ist der Sinn des Lebens? Und wie schwer darf ein Videospiel sein, um trotzdem noch Spaß zu machen?
Tower of Guns wird die eigene Geduld, innere Kraft und die Old-School-Reflexe auf eine harte Probe stellen. Es ist ein Arcadespiel mit einem unendlichen Nachschub an Feinden. Das einzige Ziel: Erreiche die Spitze des Turms. Die Spielerfahrung ist extrem konzentriert. Glaubt man den Entwicklern, dauert es lediglich ein bis zwei Stunden, um das Ende zu erreichen. Natürlich nur, wenn man die nötigen Skills mitbringt. Denn Tower of Guns ist schwierig und damit meine ich nicht das gewöhnliche "Schwierig" bekannter AAA-Titel. Ich spreche hier von einer altmodischem Schwierigkeit wie in Mega Man oder Quake. Deshalb gleich die Warnung: Tower of Guns ist kein Spiel für jedermann.
Wer irgendeine Art von Fortschritt im Verlaufe des Spiels erwartet, wird enttäuscht. Die ersten fünf bis sechs Spielstunden in Tower of Guns werden die meisten mit ziemlicher Sicherheit in den ersten beiden Leveln verbringen - den einfachen. Man wird wieder und wieder sterben und neue Waffen gibt es wenige und auch nur sehr selten. Selbst, wenn es einem gelingt, etwas Neues im Spiel freizuschalten, heißt das nicht, dass es dann einfacher wird. Ha! Um voran zu kommen, muss man die Zähne zusammen beißen und allen verfügbaren Mumm aufbringen.
Glücklicherweise wird das Spiel mit jedem Neustart anders aufgebaut. Man wird also nie wissen, welche Feinde, welche Räume oder welche Boss-Gegner in welchem Level des Turms warten. Tower of Guns belohnt schnelle Reflexe und die Fähigkeit, altbewährte Taktiken zu meistern, etwa Gegner zu umkreisen und dabei immer wieder zu treffen. Circle Strafing nennt man das. Doch selbst dann bedarf es nicht viel, um zu sterben. Und irgendwie braucht man eben auch das letzte Quäntchen Glück, um es bis nach ganz oben zu schaffen.
Fast alles im Spiel wurde von Joe Mirabello selbst programmiert, was Tower of Guns zu einem echten Indie-Titel macht. Der visuelle Stil, der sich irgendwo zwischen Borderlands und Ratchet & Clank einordnen lässt, ist herausragend. Die Musik trägt viel zur Stimmung des Spiels bei und hält das Tempo hoch. Das Leveldesign ist gradlinig mit viel Platz in den Räumen. So nutzen wir die Umgebung, um feindlichen Kugeln auszuweichen. Der Turm wurde in Räume aufgeteilt und jeder von ihnen beherbergt eine eigene Herausforderung. Die Momente zum Ausruhen sind kurz, Luftholen klappt nur selten. Und das beste: Die Türen öffnen sich, in dem wir auf sie schießen! Wie im echten Leben!
Es gibt wenig Informationen darüber, was in dem Tower of Guns eigentlich vor sich geht. Bei jedem Neustart aber, erfahren wir eine neue Wendung in der Geschichte. Jedes Mal beauftragt uns eine Art Erzähler damit, alles in Sichtweite bis zur Spitze des Turms kurz und klein zu schießen. Es ist schwer zu erklären, aber diese Anfänge machen eine Menge vom Spielspaß aus.
Abgesehen von Spaß und Herausforderung birgt Tower of Guns auch ein immenses Frustpotenzial. Mich stört es nicht, wenn sich Spielinhalte wiederholen oder ich dazu gezwungen werde, einen Titel mehrere Male zu spielen, um ein bestimmtes Feature freizuschalten. Was mich stört, ist das Fehlen der nach vorn treibenden Motivation im Spiel. Wir erfahren nie, wie hoch der Turm eigentlich ist oder wie viel Weg wir noch vor uns haben. Sterben wir, gibt's lediglich eine Statistik, die etwas darüber aussagt, wie viele Gegner wir beispielsweise getötet haben. Dann wird freundlicherweise noch die Anzahl der Gesamttode im Spiel präsentiert. Mich motiviert das ehrlich gesagt nicht, Tower of Guns noch zehn Mal zu spielen, um eine Fähigkeit oder eine Waffe frei zu spielen.
Ich ziehe meinen Hut vor Entwicklern, die große Studios hinter sich lassen, um ihr eigenes Ding zu machen. Die sich wirtschaftlichen Schwierigkeiten widersetzen, um das Spiel ihrer Träume zu veröffentlichen. Eben genau die Spiele, die sie selber spielen wollen und die die Industrie nicht realisieren will. Deshalb ziehe ich meinen Hut vor Joe Mirabello, der genau das mit Tower of Guns erreicht hat. Leider werde ich das in Zukunft wohl nicht all zu oft spielen. Wenn ich mich selbst foltern möchte mit Videospielen, die sich durch einen absurd hohen Schwierigkeitsgrad auszeichnen, greife ich lieber zu Quake.