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Spiritfarer

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In diesem neuen Spiel von Thunder Lotus lernen wir Abschied zu nehmen. Denn jedes Leben muss irgendwann ein Ende finden.

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Auf dieser fabelhaften Reise werden wir viele mystische Kreaturen treffen.

Das kanadische Team von Thunder Lotus hat eigenen Aussagen zufolge mehr als 20 Spiele veröffentlicht, aber ich assoziiere im Grunde nur drei Projekte mit dem Indie-Studio. Nach Jotun und Sundered versucht sich die Mannschaft an einem narrativen Abenteuer namens Spiritfarer, das im Wesentlichen eine Aufbausimulation mit Story-Schwerpunkt ist. Das Paket kommt im bekannten Zeichenstil der Entwickler, der visuell nahe an die ausgefallenen Projekte von Supergiant Games heranreicht. Trotz all dieser guten Anzeichen und obwohl mich die Prämisse wahnsinnig fasziniert, hat ihr aktueller Titel mit mir leider nicht so stark resoniert.

In Spiritfarer begleiten wir ruhelose Seelen als sprichwörtliche Fährfrau auf ihrem letzten Weg. Die Sterbebegleitung wird für unsere Heldin Stella eine immense Herausforderung darstellen, auch wenn wir das ihrem meistes fröhlichen Gesicht nicht unbedingt ablesen können. Das Entwicklerstudio Thunder Lotus stellt uns eine stumme Protagonistin zur Verfügung, was angesichts dieses zerknirschenden Themas sicherlich eine gute Entscheidung gewesen sein dürfte. Völlig verschiedene Personen unterschiedlicher Couleur werden von uns verabschiedet und Stella behandelt jeden mit der gleichen, liebevollen Fürsorge. Ihr steht es nicht zu über das Vermächtnis eines anderen zu urteilen, hier geht es um Respekt vor dem Leben selbst.

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Wie intensiv euch solche Abschiede treffen werden, das müsst ihr individuell bewerten, doch die Entwickler finden viele positive Lichtblicke, dank denen die Stimmung nie zu depressiv wird. Der Weg zur Akzeptanz ist allerdings eine lange und anstrengende Erfahrung und deshalb solltet ihr euch auf eine traurige Reise einstellen, die mit vielen schönen, bittersüßen Erinnerungen, sowie mit schmerzhaften und aufwühlenden Einblicken angereichert ist. Denn noch ehe wir jemanden verabschieden, begrüßen wir sie oder ihn erst einmal für einige Zeit als Gast auf unserem Boot. Mit diesem im Spielverlauf anwachsenden Kreuzfahrtschiff bereisen wir die Weltmeere, finden weitere Begleiter und erleben dabei kleinere Abenteuer.

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Ein Tag-Nacht-Rhythmus wirkt sich auf die anschaulichen Kulissen aus.

Spiritfarer ist eine Art Aufbausimulation, bei der wir uns in erster Linie um das Wohlbefinden unserer Gäste kümmern. Jede Figur hat eigene Ansprüche, das reicht vom Zubereiten des Lieblingsessens bis hin zur Ausstattung ihres eigenen Raumes. Manchmal gehen sich unsere Passagiere gegenseitig auf die Nerven oder motivieren einander, auch das gehört zum Leben schließlich dazu. Im Zweifelsfall nimmt Stella sie in den Arm (was die Geister übrigens auch ablehnen können) oder leiht ihnen ein Ohr, falls ihnen etwas auf der Seele liegt. Unsere Unterstützung endet damit aber nicht, denn jede Persönlichkeit muss vor dem Eintritt ins Totenreich noch einige Dinge aufarbeiten.

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Um diese Ereignisse hervorzurufen, müssen wir irgendwie die dazugehörigen Erinnerungen erzwingen und das ist leider gar nicht so leicht. Manchmal bedarf es nur einer bestimmten Mahlzeit, die einen vergrabenen Gedanken aus der Vergangenheit zum Vorschein bringt, doch wenn man die richtigen Zutaten nicht bereits dabei hat (oder das Rezept noch nicht kennt), kann bereits der Einkaufsbummel zu einem wahren Spießrutenlauf werden. Spiritfarer scheitert nämlich daran, den Spielern entsprechende Hilfestellungen mit auf den Weg zu geben. Wir können bei einem Problem zwar nachfragen und dadurch häufig wertvolle Informationen bekommen, gleichzeitig ist es bis zur Lösung eines Problems meiner Erfahrung nach ein weiter Weg.

Spielfortschritt ist in Spiritfarer prinzipiell an zwei Dinge gebunden: Fähigkeiten und Ressourcen. Stella muss verschiedenen Leuten auf weit verteilten Inseln helfen, um im Wesentlichen Fertigkeitspunkte zu erhalten, mit denen sie schließlich spezielle Plattforming-Passagen bewältigen kann. Der zweite, wesentlich schwierigere Teil ist die Suche nach einem passenden Objekt. Wir müssen in der Kombüse ein bestimmtes Gericht hervorzaubern, jemandem eine einzigartige Kleinigkeit zukommen lassen und regelmäßig unser Schiff aufrüsten, um auf neue Kartenbereiche oder Gebäude zuzugreifen. Obwohl sich zu einem beliebigen Zeitpunkt nur wenige Aufgaben in unserem Quest-Log aktiv bearbeiten lassen, sind dort nach wenigen Stunden viele Missionsziele zu finden und es wird schwer, den Überblick zu behalten.

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Die regelmäßigen Minispiele nehmen wahnsinnig viel Zeit ein, deshalb ist es klasse, wenn ihr dabei Unterstützung von einem zweiten Spieler erhaltet.

Das ist aufgrund der Spielstruktur ein großes Problem, denn es gibt viel zu tun und ich war ständig im (selbstverursachten) Zeitdruck. Unser Schiff fährt zum Beispiel nur solange die Sonne am Himmel steht und einmal am Tag wollen unsere Gäste etwas essen. Die Zubereitung verschlingt ein bisschen Zeit und die dafür benötigten Lebensmittel müssen wir wiederum in Feldern, auf Plantagen oder sonst wo anbauen, einkaufen oder auf anderem Wege herstellen. Ich bin viele Tage nicht ins Bett gekommen, weil ich Zutaten zerkleinert, Holz geschnitten, Erze eingeschmolzen oder Stoff gewebt habe - während meine Gäste genüsslich geschnarcht haben. Und das wäre natürlich okay, wenn das alles ein Ende hätte.

Dass ständig Benachrichtigungen auf dem Bildschirm erscheinen, hat den Nachteil, dass weniger Zeit für unsere Kernaufgabe bleibt. Zwischen dem Jäten der eigenen Gärten, dem Füttern der Hühner und dem Abschließen von regionalen Minispiel-Events will jemand etwas zum Essen haben oder einen anderen Gedanken loswerden (meist wird man an laufende Aufträge erinnert). Das geht nach einer Weile in einem Ohr rein und im anderen wieder raus, deshalb habe ich mich bald dabei erwischt, Gespräche zu überspringen, um meinen aktuellen Gedanken nicht zu verlieren.

Es gibt jedoch noch ein zweites Problem an diesen vielen Aufgaben. Spiritfarer ist ein Spiel, das locker 40 Stunden beschäftigt und der Hauptteil der Erfahrung entfällt auf das repetitive Wiederholen von Minispielen und täglichen Aufgaben. Sicherlich war ich zu effizient bei meinem Spieldurchlauf, gleichzeitig hätte ich noch deutlich mehr machen können und die letzten Ausbaustufen meines Schiffs konnte ich mir am Ende auch nicht direkt leisten. Die meisten Tätigkeiten werden furchtbar niedlich animiert und visualisiert, aber das täuscht nach 20 Stunden nicht darüber hinweg, dass man das alles schon etliche Hundert Male gesehen hat und seit Stunden planlos über das Meer schippert, weil man mit einer Quest nicht weiterkommt.

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Die charmante Präsentation täuscht sehr gut darüber hinweg, dass wir hier an einem heftigen Thema zu knabbern haben.

Ansonsten habe ich an Spiritfarer wenig mehr zu meckern. Vom technischen Gesichtspunkt her läuft das Game solide und dank der simplen Anforderungen konnte ich es sogar auf meinem Arbeits-Notebook spielen. Hier und da kommt es zwar zu kleinen Einbußen in der Performance, und auch zu Anzeigefehlern, aber das Spiel läuft ziemlich rund. In der sehr direkten deutschen Übersetzung sind mir zwei, drei Kleinigkeiten aufgefallen, die nicht korrekt übersetzt wurden - aber das lässt sich ja nachtragen. In puncto Musik hätte es etwas mehr Abwechslung geben dürfen. Spätestens wenn man nachts nur noch bis zur nächsten Bushaltestelle kommt und das Schnellreisesystem nutzt, dann geht ihr freiwillig schlafen, um den Jingle nicht die ganze Nacht ertragen zu müssen...

Insgesamt bin ich also durchaus zufrieden mit Spiritfarer, obwohl ich mir ehrlich gesagt etwas mehr erhofft hatte. Es gelingt dem Spiel sehr gut, eine Fallhöhe beim Verabschieden von Vertrauten zu erzeugen, doch das Writing empfand ich nicht an allen Stellen gleichermaßen passend und zeitgemäß. Besonders niedlich ist, dass man den Titel zu zweit auf einem System spielen kann, denn Stella ist nicht allein - ihre Katze Daffodil begleitet sie. Vieles an diesem Game ist sehr charmant, doch am Ende muss wieder einmal festgestellt werden, dass dieses Studio vor allem mit seinem visuellen Stil überzeugt. Spiritfarer hat aber auf jeden Fall das Potential, deutlich mehr unter die Haut zu gehen, wenn ihr euch für die Charaktere und das Spiel die nötige Zeit nehmt. Das dürfte vielen Spielern aber deutlich leichter fallen, wenn Thunder Lotus viele notwendige Quality-of-Life-Verbesserungen einführt und die investierte Spielzeit stärker respektiert.

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07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
lehrt uns Respekt vor dem Leben anderer zu haben, liebevolle Aufmachung und charmante Präsentation weichen das Thema Sterbebegleitung auf, lokaler Zwei-Spieler-Modus.
-
Animationen und Minispiele werden sehr häufig wiederholt, Lösungen für Probleme sind nicht immer klar.
overall score
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