Als eine Art umgekehrtes Gears of War beginnt die Geschichte, indem wir aus einer Zeitkapsel schlüpfen, in der wir schlummerten seit der Planet von einem Asteroiden getroffen wurde. Unsere Aufgabe: Eine neue Zivilisation starten. Das Problem: Die Gesellschaft hat schon ein paar Jahre lang ohne uns weiter gemacht und das riesige Ödland wird nun von Mutanten und kleinen Einheiten verzweifelter Überlebender überrannt
In dieser Welt ist Handelsmacht die einzige Sprache, die jeder versteht. Deshalb ist die eigene Rolle sofort klar definiert. Wir müssen Waren ranschaffen, indem wir kleine Jobs für diverse Überlebende absolvieren. Die starten und enden im Regelfall im Kugelhagel. Es sind knallharte Feuergefechte in verwüsteten Städten und umgebauten Gebäuden. Sie sind nie zu lang und obwohl sie die gleichen grundlegenden Tricks wiederholen - schmale Gänge, offene Flächen mit Wellen von Feinden, Mini-Bosse - fühlen sie sich ausreichend unterschiedlich an. Man sieht zwar häufiger im Spiel die gleichen Areale, wird aber oft über verschiedene Routen und neue Abschnitte dorthin geschickt.
Wie sehr einen die Geschichte packt, das ist davon abhängig, ob man bereit ist, dem Entwickler ein gutes Stück entgegen zu kommen. Die Geschichte mag anfangs ein wenig steif wirken. Man darf lediglich entscheiden, ob man Nebenmissionen ignoriert oder Hauptmissionen verschiebt. Als unfreiwilliger Teilnehmer diverser Widerstandsbewegungen kann man schon mal genervt der offensichtlichen Geschichte entgegen sehen. Wer aber in Charaktere und bestimmte Situationen investiert, wird belohnt.
Dank der Technologie haben jede Siedlung, jede Nebenstraße, selbst der kleinste Charakter eine eigene Persönlichkeit. Das Charakter-Design ist wirklich ausnahmslos großartig und die realistische Körpersprache arbeitet echte Individuen heraus. Die Bevölkerung in jeder Siedlung ist zudem klein genug, dass man bald bekannte Gesichter wiedererkennt. Großartig dabei ist dieses Gefühl der realen Interaktion mit ihnen, so dass man am Ende mit ihnen spricht, weil man es will und nicht, weil man es müsste. Die Geschichte baut sich auf, Details werden aber erst durch diese kleinen Gespräche aufgedeckt.
Geschichte hin oder her: Kämpfen ist das Herz von Rage. Siedlungen, Bunker, Verstecke oder Gefängnisse der Behörden mögen vielleicht durch viele Kilometer staubiger Straßen verbunden sein, aber die langen Fahrten (Schnellreisen ist nicht möglich) treten nicht in den Vordergrund. Die Kämpfe allerdings schon. Man spürt, dass die Entwickler Enthusiasten in dieser Sache sind. Die Waffen sind typisch, trotz des Zukunftssettings sammeln wir Schrotflinten, Pistolen, Gewehre und Raketenwerfer innerhalb der ersten paar Stunden. Hat man alles schon einmal gesehen, aber bei den Waffen von id Software erinnert man sich an jede Kerbe, an ihre Farbe und die Kratzer.
Mit ihnen zu spielen, das ist nicht nur wegen ihrer Rohheit ein Spaß, sondern vor allem wegen der Spezialmunition. Es gibt Armbrustpfeile, die ihre Opfer zu willenlosen Zombies machen, deren Geist wir für einige Sekunden kontrollieren können. Das eröffnet neue Taktiken in Kämpfen, denn wir können die Typen nun in die Nähe ihrer Kumpanen schicken und dort explodieren lassen. Auch möglich: panzerbrechende Gewehrmunition entwickeln oder Wasser zur Waffe machen mit Elektropfeilen. Dazu gibt's ferngesteuerte Bombenautos, automatische Maschinengewehre und mit Miniguns bewaffnete Roboterspinnen - sie kämpfen an unserer Seite und erweitern die taktischen Möglichkeiten weiter. Das beste Stück ist ein dreiblättriger Bumerang mit Klingen daran, um einen leisen und fiesen Kill zu landen. Viele der Waffen lassen sich mit Schrott aus dem Wasteland umbauen, sobald wir die passenden Designs dafür haben.
Die Kämpfe haben Biss. Banditen, die Typen von der korrupten Behörde und die Mutanten haben spezifische Angriffsmuster und individuelle Stärken. Das liefert genügend Abwechslung, um den Druck aufrechtzuerhalten. Die Mutanten haben einen enormen Vorwärtsdrang, die anderen flankieren gerne und nutzen Energieschilde und Granaten, während Monster die Wände und Decken entlang kriechen. Die Animationen sind immer wunderschön. Leider scheint jede Gruppe von Banditen die fast exakt gleichen mit Miniguns bewaffneten Mini-Bosse hervorzubringen. Ab davon ist die Auswahl der Feinde aber unglaublich vielfältig.
Es ist nur möglich, per Fahrzeug durch die Welt von Rage zu reisen. Diese Erfahrung ist glücklicherweise am Ende lohnender, je mehr Zeit man hineinsteckt. Dieser Teil entfaltet erst nach und nach seine Persönlichkeit, wenn die Fahrzeuge aufgerüstet werden, sich ihre Lenkung verbessert und die Waffen-Optionen erweitern. Die Wege sind so kurz wie möglich gehalten. Man kann von Siedlung zu Siedlung rasen, ohne sich in eine Schlacht mit anderen Rennfahrer zu verstricken. Aber auf der Rennstrecke werden Upgrades verdient und auch wenn die Fahrpassagen nicht die Qualität eines reinen Arcade-Racers haben, bieten sie eine unterhaltsame Ablenkung von der Hauptmissionen.
Ablenkung vom eigentlichen Spiel ist ohnehin nicht Mangelware. Der Egoshooter ist vollgestopft mit Minispielen, die einem die Zeit rauben. Da sind spannende Brettspiele und Kartenspiele (der Magic: The Gathering-Klon Rage Frenzy könnte leicht ein eigenes Downloadgame sein), es gibt zeitbasierte Messerspielchen und sogar eine Anspielung an Guitar Hero. Das ist jedenfalls viel, um sich Spiel beim Herumspielen zu verlieren.
Rein optisch ist Rage einfach toll. Die Charaktere sind wie schon erwähnt erstaunlich gut gelungen. Aber auch kleine Tricks überzeugen: die unbarmherzige Hitze des Wastelands wird dafür genutzt, einige fantastische Sonneneffekte zu zaubern, wenn man sich aus dem Untergrund ans Tageslicht wagt. Allerdings - und das gilt nach der Installation des Spiels auf der Festplatte der Xbox 360 - gibt es so manches Mal Probleme mit nur teilweise geladenen Texturen. Ein oder zwei Sekunden Nachladezeit in neuen Bereichen sind ja quasi gewöhnlich. Aber an Orten wie Dead City vermatscht die Architektur in der Mitteldistanz doch arg. Es ist so, als wenn die Grafikengine nur die Texturen in der unmittelbaren Umgebung in hoher Auflösung ausspielt. Das zerstört leider die ansonsten tolle Illusion des Wastelands.
Die Musik dagegen muss ausdrücklich gelobt werden. Das Durchstreifen mutantenverseuchter Städte wird durch schimmernde Streicher untermauert, lässige Gitarren unterstreichen die entspannte Situationen in den kleinen Siedlungen. Große epische Stücke illustrieren dagegen unsere übermenschlichen Heldentaten. Der musikalische Soundtrack jedenfalls ist das perfekte Gegenstück zum Kanonendonner der Schießereien.
Ein Problem bringt der Titel mit sich. Sobald die Kampagne abgeschlossen ist, bietet Rage nicht mehr viel, was ein Wiederkommen rechtfertigt. Aber Rage ist ein recht langes Spiel. Wer durchprescht, braucht knapp zwölf Stunden. Wer sich Zeit lässt, muss mindestens 20 Stunden kalkulieren. Den Multiplayer haben wir für diese Kritik nicht hinreichend antesten können, aber es ist klar für uns, dass Rage eine der robustesten Soloerfahrungen in diesem Winter bietet. Das Spiel hat seine Fehler, aber es ist id Software gelungen, einen unvergesslichen Shooter in einem Setting zu bauen, das wir bereits unzählige Male gesehen haben in den vergangenen Jahren. Also, nehmt euch die Zeit und es gibt als Belohnung eine wahrhaft unvergessliche Kampagne.