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Homefront

Homefront

In Egoshootern kommt es häufig vor, dass man auf Gegner feuert, ohne dafür einen wirklichen Grund zu kennen außer dem spielerischen Selbstzweck. Es fehlt eine wirkliche Geschichte, ein Anlass. Diesen "Fehler" machen die Kaos Studios bei Homefront nicht. Bereits im Prolog zum Game liefern die New Yorker zahlreiche Gründe, warum man den bösen Nordkoreanern guten Gewissens eine oder tausend Kugeln durch ihre virtuellen Körper jagen darf.

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Homefront spielt mit der nicht komplett unmöglichen Idee, dass Nordkorea eine Großmacht in Asien wird und dann im Jahr 2027 stark genug ist, Amerika zu überrennen. Die Resultate der Invasion dürfen wir als ehemaliger Militärpilot Robert Jacobs bereits während des Intros als Gefangener in einem Bus im Vorbeifahren erleben. Eine Fahrt vorbei an Unterdrückung - und eine Fahrt, die mit gängigen Angstklischees spielt. An einer Straßenecke werden die Eltern eines halbwüchsigen Kindes hingerichtet, vor dessen Augen. Der Junge schreit und weint bitterlich, wird nach den Schüssen einfach stehen gelassen. Das ist zu krass, irgendwie, bleibt aber keinesfalls die letzte ein bisschen gewollt kontroverse Szene. Homefront zeigt in der Sologeschichte ein Amerika am Rande des Erträglichen. Man ertappt sich trotzdem dabei zu denken: diese verdammten Penner, die sollen büßen...

Robert Jacobs durchlebt seinen unfreiwilligen Einsatz als Widerstandskämpfer in relativ kurzer Zeit, knapp sieben Stunden sind nicht die Welt, aber es sind sieben intensive Stunden. Als Pilot soll Jacobs dabei helfen, den Nord-Koreanern drei Tankwagen mit Kerosin abzuluchsen und nach San Francisco zu schmuggeln. Dort wollen die Kämpfer sie der US-Armee schenken, damit die einen Gegenangriff starten kann. Aus der überrannten Vorstadt Montrose in Colorado kämpfen wir uns über Utah nach Kalifornien durch - durch eine optisch überzeugend und liebevoll gestaltete Spielwelt. Das Gefühl des am Boden liegenden Amerikas wird überzeugend transportiert, leider ist die Optik an vielen Stellen nur eine extrem hochwertige Kulisse.

Ein Tastendruck steht symptomatisch für dieses Problem. Eine Taste zu drücken, um dann von Geisterhand gesteuert eine Leiter hochzuklettern - mal ehrlich, wer macht das heute noch? Solche dummen Details stören das Bild der sonst ziemlich hübsch und glaubhaft inszenierten Spielwelt gewaltig. Ebenso wie die Tatsache, dass man gemeinsam mit bis drei Teammitgliedern unterwegs ist, aber IMMER als letzter agieren MUSS. Keinen Schrank darf man alleine zur Seite schieben, das müssen immer die lahmen NPC-Typen machen. Außerdem ist die Welt wenig interaktiv. Keine willkürliche Zerstörung der Umgebung ist möglich, keine Glühbirne zersplittert.

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In den Vorstädten wird die gelungene Optik am deutlichsten - und hier spielt sich der Egoshooter auch am intensivsten.
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Dafür soll man 61 Zeitungen und Dokumente sammeln, die hell blinkend an jeder dritten Straßenecke im Weg liegen. Hebt man sie auf, wird das Spielen durch eine abschreckende Textwüste unterbrochen. Leute, so erzählt man keine Hintergrundgeschichte, so verhindert man die. Warum sollte ich mitten im Feuergefecht plötzlich in völliger Ruhe erstarren wollen, um über den Nobelpreis von Kim-Jong Il zu lesen?

Es ist so schade, dass diese offensichtlichen Fehler im Spiel sind, denn wie gesagt: die Optik, das Setting, der Style überzeugen wirklich. Zerstörten Vorstädte inklusive Phosphorregen über dem Parkplatz einer Mall, dicht besiedelte Slums und improvisierte Koreaner-Camps - das ist echt cool gemacht. Die Kaos Studios lassen uns hier klaustrophobische Kämpfe erleben. Leider gegen künstliche Gegner, die sich im Schnitt ziemlich dumm anstellen. Die Angreifer oder Verteidiger wählen die immer gleichen Routen und Strategien, der Schwierigkeitsgrad wird nur durch extremere Treffgenauigkeit und weniger Lebensenergie definiert. Überhaupt ist das Spiel stark gescripted, das geht so weit, dass man ganze Gegnermassen auch einfach hinter sich lassen kann, wenn der Checkpoint erreicht wird.

Auch jenseits der reinen Egoshooter-Action bietet Homefront im Solomodus ein paar tolle Ideen. Mit der fenrgesteuerten Kampfdrohne Goliath die Infanteire, Helikopter oder Fahrzeuge wegzuballern, das macht schon ziemlich viel Spaß. Eine überzeugende Sniper-Missionen fehlt ebenso wenig wie die Mitfahrgelegenheit an der Bordkanone eines Hummvee oder eine tolle Helikopter-Eskortiermission. Dort müssen wir die drei Tanklastzüge erst freischießen und dann aus der Luft kapern - vielleicht der Höhepunkt des Spiels. Zumindest der des Solomodus. Seine ekelhaft-düstersten Moment hat Homefront auch, etwa als sich der Held mit seinen beiden Begleitern in einem interaktiven Massengrab versteckt und die graue Hand einer Leiche ins Gesicht legt.

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Die Helikopter-Befreiungsmission ist ein optischer und emotionaler Höhepunkt der Solokampagne.
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Aber irgendwie kann man den Solomodus langfristig auch abhaken, denn im Herzen ist Homefront ein Multiplayer. Dort hat der Entwickler seine Wurzeln. Dort erkennt man deutlich, was sie bei den Kaos Studios wirklich richtig gut können. Klar, manches erinnert (zwangsläufig) an die letzten Vertreter der Call of Duty-Serie. Aber: ein Klon ist das hier auf keinen Fall.

Um dem Online-Krieg seine spezielle Note zu geben, haben sie bei Kaos ein Aufgaben-basiertes System aufgesetzt, in dessen Zentrum die Battle Points stehen. Die Punkte symbolisieren ein Belohnungssystem, das nach dem Save- oder Spend-Prinzip funktioniert. Entweder man investiert die erspielten Punkte in große Sachen wie Panzer und Helikopter oder gibt sie schnell für kleine Annehmlichkeiten aus, die das Soldaten-Leben erleichtern. Battle Points rasseln unter anderem für Kill-Assists, Kills und diverse kleine Aufgaben während der einzelnen Spielrunden aufs Konto.

Ein Beispiel dafür: Jeder Spieler startet die Runde mit einem festen Wert Battle Points. Für 50 Punkte kauft man sich mit einem schnellen Klick aufs D-Pad einen Raketenwerfer. Ballert mit dem dann einen gegnerischen Heli ab und kassiert dabei gleichzeitig einen Rache-Kill an dem Piloten. Für das erfolgreiche Befreien eines Teamkameraden im Rahmen dieser kleinen Aufgabe gibt‘s einen Batzen Battle Points als Belohnung. Kleinere Hilfsmittel wie der Raketenwerfer sind abhängig von der gewählten Klasse und dem damit verknüpften Loadout, der Ausrüstung.

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Online darf man sich seinen Kämpfer ziemlich frei zusammenbasteln - und mit dem Battle Points-System lässt sich das Spielerlebnis live verändern.

Die kann man sich für alle sechs Klassen im Prinzip frei zusammenstellen. Sogar jede einzelne Waffe ist mit individuellen Herausforderungen verknüpft, um sie dann aufzurüsten. Alle Standardwaffen wie Assault-Rifle lassen sich mit diversen Zielvorrichtungen verbessern. Dazu gesellen sich Granaten, Luft- und Bodendrohnen und auch Airstrikes. Die verschiedenen Waffen klingen sehr eigenständig, fett und schießen sich satt. Deutlich spürbar sind die Unterschiede ihres Drucks und ihrer Durchschlagskraft.

Durch die Kombination der Klassen mit den Battle Points für Ausrüstung oder dem Zugang zu Spawn-Punkten direkt hinein in die Fahrzeuge der bis zu 32 Mitspieler soll in Homefront im Laufe einer Spielrunde ein sich beständig weiterentwickelndes Schlachtfeld entstehen. Der Krieg startet mit vielen kleineren Infanterieduellen und schaukelt sich langsam zur epischen Materialschlacht hoch. Wie gut der nach einigen Spielstunden lohnenswerte und mit reichlich Langzeitpotenzial ausgerüstet anmutende Multiplayer am Ende wirklich ist, kann nur die Zeit zeigen.

Fest steht, dass die Kaos Studios mehr Zeit in den Onlinepart investiert haben als in die Story, die gegen Ende hin doch im Spannungsbogen und vor allem der Originalität ziemlich abflacht. Man hat das Gefühl, dass ihnen ein bisschen die Zeit ausgegangen oder die Lust vergangen ist. Homefront im Solomodus ist am Ende dann am besten, wenn es in oder über den dicht besiedelten Vorstädten spielt und das alles mit intensiver Action mischt. Genau von diesen Momenten gibt‘s am Anfang einfach mehr als am Ende. Im Multiplayer ist es von A bis Z gelungen. Mal schauen, ob das die Shooter-Fans honorieren werden.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Multiplayer, interessanstes Setting, cooler Waffensound
-
Kurze Kampagne, schwache K.I. der Gegner, rückständige Gameplay-Elemente, unnötig eklige Szenen
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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