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Gylt (Google Stadia)

Die Stadia hat nur einen einzigen exklusiven Launch-Titel am Start. Kann das Game die Erwartungen an die neue Technik schultern?

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Die Stadia ist heute mit 22 Starttiteln in Deutschland erschienen. Obwohl das Line-Up in letzter Sekunde noch einmal aufgestockt wurde, kennen wir den größten Teil des Angebots bereits aus den letzten Monaten und Jahren. Google wird in Zukunft Exklusivspiele produzieren lassen, doch bislang steht nur ein einziger Titel vom spanischen Entwickler Tequila Works (Rime und Deadlight) bereit. Gylt heißt dieses Abenteuer, das es aktuell ausschließlich auf dem Rechenzentrum von Google gibt. Der Druck liegt ganz bei Tequila Works, denn das Game soll Käufer zur Stadia locken. Doch taugt es denn überhaupt etwas?

Nun ja, wie bei vielen Dingen ist die Antwort kompliziert. Gylt zeigt seine Inspiration sehr deutlich: Genau wie sich Rime das Gefühl der Isolation von Team Ico ausgeborgt hat, scheint diesmal das Silent-Hill-Universum Pate gestanden zu haben. Das ist keine Kritik, sondern soll wohl eine Art Ehrerbietung sein. Wir schlüpfen in die Rolle von Sally, die in den isolierten Bergen von Bethelwood lebt. Der Großteil der Bewohner arbeitet in einer nahen Fabrik, als die verschlafene Gemeinde eines Tages durch das Verschwinden von Sallys Cousine Emily Kauffman wachgerüttelt wird. Das junge Mädchen macht sich auf die Suche nach ihrer Freundin und endet in einer alptraumhaften Version ihrer Heimatstadt. Emily scheint an diesem Ort gefangen zu sein, also müssen wir sie retten, während wir dem Horror dieser Welt aus dem Weg gehen und gleichzeitig für unsere Handlungen geradestehen.

Bereits im Titel wird diese große Metapher deutlich. Im Spiel laufen wir durch die Schule und weichen Monstern aus, genau wie unsere Cousine den Bullies aus dem Weg gehen musste. Sally lernt mit der Angst umzugehen und beginnt zurückzuschlagen. Die Story taucht nur oberflächlich in das Hauptthema ein, lässt uns durch kluge Umgebungshinweise aber immerhin an der Geschichte teilhaben. Viele der Klassenzimmer und Tafeln enthalten Nachrichten und Hinweise, die uns die sozialen Schwierigkeiten der Gemeinschaft aufzeigen. Das hat Einfluss auf die beiden Mädchen, allerdings auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Fast das komplette Spiel wird alleine bestritten - Sally hat also niemandem, mit dem sie über die Geschichte sprechen kann. Trotzdem wirken Sally und Emily wie echte Kinder: Sally ist fast ein Teenager und Emily noch ein echtes Kind - sie wirken dreidimensional und vielschichtig und auch wenn die Story schlicht bleibt, gehört sie doch zu den tollsten Aspekten des Spiels.

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Gylt zeigt seine Inspiration sehr deutlich, denn das Silent-Hill-Universum scheint hier Pate gestanden zu haben.

Gylt scheitert jedoch bei seiner Spielweise. Wir erkunden hauptsächlich die Schule oder zumindest die alptraumhafte Spiegelung dieses Areals, in dem es lauter comicartiger Lovecraft-Monster gibt. Die Welt wirkt zunächst offen - es gibt eine Karte und viele Erkundungsmöglichkeiten, um mehr über die Geschehnisse zu erfahren und zusätzliche Ressourcen zu sammeln -, doch bleibt am Ende sehr gradlinig. Das Abenteuer ist größtenteils ein Schleichspiel und es lohnt sich, dem Ärger aus dem Weg zu gehen. Mit B können wir uns ducken und so bewegen wir uns eigentlich das ganze Spiel über fort. Wir suchen nach Inhalatoren, um unsere Gesundheit wiederherzustellen und nach Batterien für die Taschenlampe. Unterwegs finden wir Bücher und Bilder, die die Story weiter ausbreiten. Später kommen neue Werkzeug dazu, aber Gylt bleibt bei der altbekannten Blaupause und weicht in den sechs bis sieben Stunden Spielzeit kaum vom seinem eingeschlagenen Pfad ab.

Das alles funktioniert und es gibt Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Wir lernen Monster mit dem Lichtkegel unserer Taschenlampe anzulocken, um leichter an den Patrouillen vorbei zu schleichen. Es gibt einen Indikator, der anzeigt ob wir entdeckt wurden, und viele unterschiedliche Gegner (über die wir hier nicht zu viel verraten wollen), die eigene Taktiken erfordern. Die meiste Zeit ist es aber ziemlich offensichtlich, wohin die Reise als Nächstes gehen soll und welche Gegner erledigt werden müssen. In den Räumen weisen uns Schutt, umgekippte Tische und gestapelte Kisten deutlich den Weg. Gylt erlaubt uns nie, uns frei umzusehen. Alles ist arrangiert und das ist auch okay so, aber auch nicht wirklich furchteinflößend oder besonders erfindungsreich.

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Nach dem ersten Drittel werden Kämpfe eingeführt. Mit dem konzentrierten Strahl unserer Taschenlampe drücken wir quasi die Partikel auf den Monstern aus. Wer versucht uns zu stürmen wird angeleuchtet und wenn wir das lange genug tun, verschwinden die Kreaturen endlich. Die Kämpfe untergraben die kaum vorhandene Spannung und verlieren das Gefühl, verwundbar zu sein. Mehr kann man dazu leider auch nicht sagen.

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Sally ist fast ein Teenager und Emily noch ein echtes Kind, beide wirken dreidimensional und vielschichtig.

Das bringt uns schon zu unserem Hauptkritikpunkt, denn das Spiel ist von Anfang bis Ende inkonsistent. Die Vorlage war Silent Hill, die Optik erinnert an Guillermo del Toros Filme und das Drama im Mittelpunkt wirkt wie aus Stranger Things. Leider widmet sich Tequila Works keinem dieser Aspekte wirklich. Es ist eindeutig kein Spiel für Kinder, trotzdem spricht Sally mit uns, wie mit Gleichaltrigen. Die Monster sind fantasievoll, aber nie fruchteinflößend. Es gibt keine Splatter-Effekte oder Schockmomente, die zeigen würden, dass Sally in echter Gefahr schwebt. Unsere Protagonistin ist die meiste Zeit über eher perplex, als eingeschüchtert. Insgesamt bleibt einfach unklar, ob uns die Welt von Gylt Angst einjagen soll oder ob eigentlich die Metaphern um das Drama der beiden Hauptfiguren im Mittelpunkt stehen. In diesem Fall hätte ein wenig Interaktivität der Story sicher gut getan...

So verwirrend es auch sein mag - Gylt sieht gut aus und klingt auch so. Tequila Works können atemberaubende Welten erschaffen und obwohl es nicht die Größe von Rime erreicht, sorgt die comichafte, optische Identität für interessante Szenerien. Grade die Klassenräume sind voll mit Kleinigkeiten, die die Geschichte vorantragen und uns ermöglichen, schnell in die Welt einzutauchen und neugierig zu bleiben. Die Sprachausgabe ist in Ordnung, denn Sally wird mit viel Tiefe zum Leben erweckt. Trotzdem wird eigentlich kaum gesprochen und wir verbringen die meiste Zeit in Stille.

Gylt ist kein schlechtes Spiel. Es sieht toll aus, ist simpel und zufriedenstellend zu spielen und die Inspirationsquellen werden offensichtlich, ohne dreist kopiert zu werden. Doch wie so oft liegt die Magie zwischen diesen Dingen und Gylt fehlt einfach der Klebstoff, der alle Teile zusammenhält. Manchmal treffen die Spanier nicht die richtigen Töne, ein paar unglückliche Design-Entscheidungen gibt es ebenfalls und eine Welt, die weder linear noch offen ist, lässt uns letztlich etwas verwirrt zurück. Man kann nicht wirklich behaupten, dass Gylt die Last, der einzige Launch-Exklusivtitel auf der Google Stadia zu sein, schultern kann.

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Die meiste Zeit ist es ziemlich offensichtlich, wohin die Reise als Nächstes gehen soll.
06 Gamereactor Deutschland
6 / 10
+
interessante Geschichte, einige liebevolle Umgebungen.
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Tequila trifft nicht immer den richtigen Ton, Mechaniken sind selten tiefgreifend.
overall score
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