
Seit der E3 aber wuchs das Interesse an dem Spiel jeden Tag ein bisschen. Vor einigen Wochen durfte das Potenzial mit meinen eigenen Augen bei einem Besuch von Junction Point Software sehen. Seither hab' ich sehnsüchtig auf Micky gewartet. Ich war sogar ein bisschen nervös, als ich die CD in meine Wii legte. Alle Fragmente sahen bisher so viel versprechend aus, aber ich wusste nicht, ob sie wegweisend sein würden für die gesamte Spielerfahrung. Die Zweifel verschwanden, als ich in einen entspannten Zustand kindlicher Freude abtauche. Disney Micky Epic schickt sich an, alle meine Erwartungen zu erfüllen.
Das Spiel spielt in Wasteland, einer magische Welt, erschaffen von dem Zauberer Yen Sid, um alle vergessenen Zeichentrickfiguren "aufzubewahren". Wasteland wird von dem Hasen Oswald regiert, der allerersten Zeichentrickfigur von Walt Disney überhaupt. Oswald hasst Micky Maus, denn er fühlt sich um Ruhm und Reichtum betrogen.
Als Herrscher von Wasteland versucht Oswald sicherzustellen, dass es ein angenehmer Ort für alle seine Einwohner ist. Klappt auch, bis Micky seinen Weg in Yen Sids Reich findet und dessen Werk aus Versehen verändert. Er erschafft eine mysteriöse Kreatur namens Shadow Blot und verschüttet auch noch Verdünner auf das Modell von Wasteland. Micky flieht, Wasteland liegt in Trümmern und Shadow Blot entkommt in das Land der vergessenen Comic-Figuren.
Die Zeit vergeht, als Micky plötzlich von Shadow-Blot gekidnappt wird. Der bringt ihn ins Wasteland und versucht, sein Herz zu stehlen. Micky entkommt nur knapp, ist aber im Wasteland gefangen. Um nach Hause zu kommen, muss er sich mit Oswald anfreunden, Shadow Blot besiegen und Wasteland retten. Eine große Mission...
Das zentrale Spielelement ist ein Pinsel, mit dem Micky Objekte zeichnen oder löschen kann. Wasteland ist eine Comic-Welt und mit ein bisschen Verdünner können sogar ganze Häuser einfach ausgelöscht werden. Oder sie lassen sich wieder zurück ins echte Leben malen. Denn Micky hatte Wasteland ja aus Versehen zerstört und findet nun überall Umrisse von Plattformen, Straßen und Gebäuden, die wieder zurück ins Leben wollen.
Der Pinsel ist aber auch Micky primäre Waffe. Kleckse, die Handlanger des Shadow Blot, können mit Verdünner gelöscht werden. Wer sie aber anmalt, macht sie zu Mitstreitern an der eigenen Seite. Es ist übrigens eine wahre Freude, durchs Wasteland zu stromern. Die meiste Zeit ist das Hauptziel einer Mission schnell erledigt, und wer sich nun Zeit zum Umsehen nimmt, wird nicht nur mit Nebenmissionen belohnt.
Der Pinsel als Spielelement ist reine Wonne für die Entwickler, da sie sich nicht allein auf die bewährte Plattformer-Spielmechanik verlassen mussten. Stattdessen haben sie die Welt mit versteckten Passagen, Räume und Plattformen gefüllt. Wo früher ein Boden nur ein Boden war oder eine Mauer nur eine Mauer, verstecken sich jetzt vielleicht Schätze oder Geheimnisse. Jedenfalls beginnt man schnell, reichlich Verdünner und Farbe zu benutzen, um die Welt freizulegen. Und egal, was man findet - ein Sammlerstück, ein bisschen Konzeptkunst oder ein Quest-Item - man hat das Gefühl, etwas Außergewöhnliches erreicht zu haben.
Viele Missionen haben mehrere Lösungswege. Man kann Türen selber öffnen oder Kreaturen finden, die das für einen machen. Die schnellste Lösung ist häufig auch die schwierigste. Und ganz ohne Entscheidungen geht's auch nicht. Helfe ich nun diesem oder jenem Typen? Befreie ich jemanden oder nicht? Und so weiter. Die Entwickler haben eine große Sache daraus gemacht, dass Disney Micky Epic nicht moralisieren will und es keine "richtigen" oder "guten" Entscheidungen gibt. Allerdings sind da Momente, in denen eine bestimmte Wahl viel vorteilhafter ist als eine andere. Und der kleine Helfer Gus, der uns durchs Spiel führt, zögert nicht, einem die Meinung zu geigen, wenn er glaubt, dass das gerade eine schlechte Wahl war.
Das Spiel verfolgt, wie viel Farbe und Verdünner man verwendet und die Beziehung mit den verschiedenen In-Game-Charakteren werden durch die eigenen Entscheidungen reflektiert. Dadurch hat man einen Anreiz für einen zweiten Durchlauf, ohne den man ohnehin nicht annähernd alles erlebt hat.
Es ist kein Geheimnis, dass die Wii nicht mit den HD-Konsolen konkurrieren kann, wenn es um Grafik geht. Aber Disney Micky Epic gelingt es trotzdem, schön und toll auszusehen. Es ist ein perfektes Beispiel für den seltenen Triumph von gutem Design und Art Direction über HD-Auflösung und Shader. Der Comic-Stil funktioniert perfekt auf der Wii, alle Bereiche der Welt haben diese lebendige Qualität. Die Animation von Freunden und Feinden ist ausgezeichnet und voller Ausdruck. Das alles ist auf einem Niveau mit klassischen Disney-Filmen und modernen Pixar-Meisterwerken und am Ende optisch sehr beeindruckend.
Der Sound ist ebenfalls ausgezeichnet. Die Sprachausgabe fehlt zwar, alle Dialoge laufen in Textboxen ab und es klingt nun vielleicht ziemlich old school, aber es funktioniert in diesem Fall hervorragend. Die Hintergrundmusik verändert sich mit der Stimmung der Geschichte und ist zeitweise sehr dramatisch. Es gibt viele große und denkwürdige Melodien und Themen, die ich tatsächlich auch jetzt noch vor mich hinsumme.
Disney Micky Epic liefert am Ende das komplette Paket: innovative Ideen, abwechslungsreiches und poliertes Gameplay, starke Optik und Sound, Humor, Herausforderungen und Wiederspielwert. Es ist ein Spiel ohne echte Nachteile, alles funktioniert gut. Im Kern ist dies ein Fest für Disney-Fans. Wer keine längst vergessenen Kindheitserinnerungen an Disney-Figuren hat oder Comics nicht mag, sollte derweil lieber etwas anderes spielen. Wer aber endlich mal wieder mit Micky Maus spielen wollte, für den führt nichts an Disney Micky Epic vorbei. Es ist derzeit wohl das beste Nicht-Nintendo-Spiel auf der Wii. Es macht Spaß, ist charmant, aufpoliert, unterhaltsam und ziemlich anspruchsvoll. Ich jedenfalls hab' jeden Moment mit Micky, Oswald, Peter, Jiminy Cricket, Animatronic Goofy und dem Rest der Bande genossen.