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Call of the Sea

Call of the Sea

In den 1930er Jahren macht sich eine kranke Frau auf die Suche nach ihrem verschollenen Ehemann.

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The Witness ist eines der besseren Gaming-Erlebnisse, das ich seit langer Zeit hatte. Ich liebe die Rätsel dieses Titels sehr, doch was diesem Spiel fehlte, war eine zeitgemäße, bewegende und emotionale Geschichte. Raw Fury sind diesen Schritt mit Call of the Sea gegangen, denn obwohl ihr neues Abenteuer nicht mit der gleichen Rätseldichte überzeugen kann, bietet es immerhin eine großartige Handlung.

Unsere Hauptfigur Norah ist krank, sehr krank. Die seltene Krankheit, die sie sich zugezogen hat, manifestiert sich in auffälligen Stellen an ihren Armen. Sie verbringt ihre Tage häufig im Bett und man kann mit Sicherheit sagen, dass ihre Tage bereits beinahe gezählt sind. Eine Heilung für ihre merkwürdigen Symptome ist in den 1930er Jahren noch in Sicht, doch Norahs mutiger und abenteuerlustiger Ehemann Harry gibt die Hoffnung nicht auf. Er verlässt uns frohen Mutes und reist auf der Suche nach einem Heilmittel um die Welt.

Wochen, Monate vergehen, bis Harrys Briefe ausbleiben. Stattdessen erreicht uns eines Tages ein Paket und der Inhalt ermöglicht es Norah, trotz ihrer chronischen Erkrankung, zu einer sagenumwobenen Insel außerhalb von Tahiti zu reisen. Dort beginnt ihre ganz persönliche Suche nach ihrem Mann Harry und nach einem Heilmittel für die Krankheit, an der die Gute leidet.

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Sich an einem schlauen Rätsel den Kopf zu zerbrechen, ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen. In mir ruft das Erinnerungen an alte Point&Click-Adventure hervor, die ich in meiner Kindheit sehr geliebt habe.

Auf dieser sehr exotischen Insel tritt Norah sofort in die Fußstapfen von Harry und dessen Gefährten, denn es dreht sich natürlich alles darum, dem großen Geheimnis, das diesen Ort umgibt, auf den Grund zu gehen. Bis uns die Lösung präsentiert wird, müssen wir eine Vielzahl von Rätseln lösen. Zunächst sind diese Hürden noch relativ einfach, zum Beispiel wenn wir die Teile eines zerrissenen Fotos zusammenfügen oder die Natur als Schablone zur Entschlüsselung von Codes nutzen sollen.

Währenddessen bekommt Norah in ihrem inneren Monolog die Gelegenheit, über ihre Beziehung mit Harry zu erzählen - wie wunderbar alles war, wie sehr sie vermisst ihn. In diese kitschige Liebesgeschichte wurde ich sehr stark hineingezogen, denn ich kenne diese Gefühle und grinse über die schönen Erinnerungen der gemeinsamen Vergangenheit. Die Geschichte ist natürlich nicht sehr tiefgreifend, aber dank der Sprachausgabe von Cissy Jones, die wir unter anderem von Firewatch kennen, funktionieren diese Momente hervorragend.

Call of the Sea ist spielerisch ein Walking-Simulator, aber meiner Meinung nach auch ein verdammt schönes Beispiel für das unbeliebte Genre. Dass sich Norah derart langsam durch die Kulisse bewegt, kann einem nach einer Weile auf die Nerven fallen, doch es trägt gleichzeitig zur Stimmung bei, denn es passt zur Atmosphäre. Die Gestaltung dieses Ortes ist farbenfroh, verspielt und detailliert. Es ist mein erster Rezensionstitel auf einer Xbox Series X und ich war verdammt zufrieden mit der Präsentation. Nach einem langen Wochenende mit Cyberpunk 2077 fühlte es sich für meine Augen und für meine Ohren sehr gut an, von diesem harmonischen Stil aufgefangen zu werden, der uns mit sanften Pinselstrichen und einer ruhigen Atmosphäre begrüßt.

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Der harmonische Zeichenstil ist wahrer Balsam für die Seele, der mich nach einer langen Woche wunderbar auffängt.

Mit den Rätseln war ich eigentlich nicht allzu lang beschäftigt, weshalb die Geschichte für mich in einem ordentlichen Tempo voranschritt. Der Schwierigkeitsgrad steigt natürlich ständig an und als ich plötzlich vor der Aufgabe stand, eine Orgel zu stimmen und fremde Symbole zu neuen Wörtern zu kombinieren, habe ich mich sofort wieder an meinen mentalen Nervenzusammenbruch erinnert, den ich beim Spielen von The Witness erlitt.

Doch nachdem ich abgeschaltet und in Ruhe über das Problem nachgedacht hatte, konnte ich das fiese Rätsel am nächsten Tag mit der zündenden Idee innerhalb von wenigen Minuten lösen - was ein wunderbares Gefühl ist. Mich ärgert nur ein bisschen, dass die Hauptherausforderungen von Call of the Sea so strukturiert sind, dass wir sehr langsam (!) zwischen verschiedenen Hinweisen hin- und hergehen müssen, bis uns die Lösung förmlich ins Auge springt. Aber wie gesagt: Normalerweise sind die Rätsel von Call of the Sea sehr unterhaltsam und nur in einigen Fällen schwierig.

Nach ungefähr acht Stunden (ein großer Anteil dieser Spielzeit entfällt auf die beiden oben erwähnten Rätsel) gelang es mir dann schließlich, Norahs Geschichte zu einem wirklich schönen und emotional gepackten Ende zu bringen. Die Texte von H.P. Lovecraft waren laut den Entwicklern eine wichtige Inspirationsquelle, allerdings nicht der düstere und angsteinflößende Teil. Raw Fury hat eine fröhlichere Interpretation vorgenommen, die sehr schön den Bogen zum Mysterium unserer Hauptfigur spannt.

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Call of the Sea ist vom Genre her ein Walking-Simulator. Eure Interaktionsmöglichkeiten sind begrenzt, denn euch erwartet eine primär narrative Erfahrung.

Merkwürdig empfand ich neben der Laufgeschwindigkeit nur die Briefwechsel zwischen den Mitgliedern der Expedition, deren Spuren Norah folgt. Wir finden überall ihre Schreiben und können dadurch ihre Gespräche nachlesen - das ist manchmal ein bisschen viel zu Guten. Außerdem fängt die Sprachausgabe nicht immer die Verzweiflung, Angst und Unsicherheit ein, unter der Norah in ihrer Situation zweifelsohne leidet.

Das hat mich immer wieder aus der Erfahrung gerissen, aber deshalb ist Call of the Sea noch längst kein schlechtes Spiel. Meine Neugier und der Wunsch, mehr über diese Geschichte zu erfahren, haben dafür gesorgt, dass ich fast jeden Tag von meiner Arbeit nach Hause gerannt bin, um dieses Spiel weiter zu spielen. Ich wollte unbedingt herausfinden, wonach Harry an diesem Ort gesucht haben könnte und die habe ich am Ende auch bekommen.

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08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Emotionale Geschichte mit einem schönen Ende, fordernden Rätseln, wunderschönem Design und insgesamt guter Sprachausgabe.
-
die Gehgeschwindigkeit ist zu langsam, die Tonalität der Sprachausgabe passt nicht immer zur Situation.
overall score
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