Der polnische Entwickler Techland schickt nach dem eher mauen Erstling Call of Juarez und dem dreckig-bösen Call of Juarez: Bound in Blood den dritten Teil ins Rennen. Für den haben sie eine interessante Vision entwickelt: Der Wilde Westen trifft auf moderne Zeiten und drei Geschichten werden gleichzeitig, aber doch unabhängig voneinander erzählt. Was genau es damit auf sich hat, haben uns Techland-Koordinator Blazej Krakowiak sowie Ubisoft-Producer Samuel Jacques und PR-Manager Aymeric Evennou im Ubisoft-Headquarter in Düsseldorf ausführlich erklärt.
Aymeric Evennou startet die Präsentation mit der Erkenntnis: "Der Wilde Westen lebt weiter, auch in modernen Zeiten". Das moderne Setting sei gerade für Serienfans vielleicht ein Schock, aber man bleibe dem Franchise verbunden. In den Augen von Ubisoft steht der Wilde Westen für die Idee einer Location, für eine gesetzlose Welt, wo Gut und Böse kämpfen, wo echte Männer einem Gefühl der Freiheit salutieren - und zwar mit Humor der eher dunklen Sorte. Das alles gelte heute noch genauso, in der modernen Welt. Und der Transfer der Western-Idee in die Jetztzeit habe große Vorteile: "Mehr Waffen, mehr Feuerkraft, es gibt viele Fahrzeuge und generell mehr Abwechslung durch andere Locations als nur Wüste und Steppe", sagt Aymeric Evennou. Einen Multiplayer soll's auch geben, Infos darüber sind keinem der drei zu entlocken.
Die zweite, große Neuerung ist die Art, wie die Story erzählt wird. Das Spiel ist als Drei-Spieler-Koop-Erfahrung konzipiert, wo jeder jederzeit ins Spiel ein- und wieder aussteigen kann. Alle Charaktere sind gleich wichtig im Spiel und haben eine eigene, kleine Story innerhalb der für alle identischen Hauptgeschichte.
Eddie Guerra ist Geheimagent und eher der Show-Off-Typ, ein Spielernatur mit Schulden. Ben McCall ist Cop im LAPD, zitiert die Bibel beim Töten, weil sein Vater Pastor und er ein Nachfahre von Ray McCall ist. Ben ist hart, brutal, zynisch und sinnt auf Rache. Kim Evans ist FBI-Agentin, eine aus dem Bilderbuch: strebsam, anständig, ein Alpha-Karrieretier. Aber sie hatte eine schlimme Kindheit und ist die Schwester eines ziemlich üblen Gangsters. Alle zusammen sind sie ein Team, das neben dem Gesetz agiert. Sie alle sollen die Aktivitäten eines mexikanischen Kartells aufklären - und jeder ist von eigenen Interessen getrieben.
Vor ihnen liegt "ein höllischer Road-Trip, eine Achterbahnfahrt von L.A. nach Juarez", wie Samuel Jacques sagt. 15 Missionen sind geplant, tief und eng verwoben zu einer dunklen Geschichte. Das Spiel ist eine klassische Egoshooter-Erfahrung - ohne Third-Person-Option. Selbst jene Passagen, wo wir im Auto fahren, sind auf die Innenansicht im Fahrzeug beschränkt. Hat man das Spiel mit einem der drei Charaktere begonnen, muss man es mit diesem beenden. Zwei weiteren Durchläufe mit den anderen Helden ermöglichen "eine substanziell andere Erfahrung der gleichen Hauptgeschichte", behauptet Aymeric Evennou.
Die beiden Entwickler packen sich nun ihre Xbox 360-Controller und spielen los. Auf zwei Bildschirmen sehen wir, wie sich Eddie und Ben gemeinsam auf den Weg machen. Jeweils aus ihrer Perspektive. Gemeinsam fahren sie mit Kim in einem Geländewagen durch die Vorstadt von Los Angeles. Das Ziel ist der Drogendealer Jesus. Das Los Angeles im Hintergrund dieser Zwischensequenz sieht beeindruckend realistisch aus. Die Optik hat etwas von Ghost Recon: Advanced Warfighter, ist eingetaucht in ein Ubisoft-typisches Mexiko-Braun, verschmiert mit coolen Graffitis und wird befeuert von der hauseigenen Chrome Engine 5.
Überzeugende Gesichter erzählen sich im Auto eine kleine Räuberpistole - und der Look verändert sich kaum, als alle an der 24th Street aus dem Auto steigen. Sofort erinnert das wieder an Ghost Recon. Der nächste Wegpunkt wird mit einer kleinen Raute angezeigt. Dort müssen immer erst alle drei Spieler ankommen, damit es weiter geht. Am Eingang kriegt Eddie einen Anruf - dessen Inhalt dann natürlich nur der Spieler kennt, der mit Eddie spielt und den Anruf annimmt - ein Beispiel für die alternativen Story-Wege. Die Zwischensequenzen indes verlaufen für alle Spieler gleich.
Zu dritt stehen wir vor der Tür des Typen, der der Schlüssel zu Jesus ist. Flako liegt mit einer Gespielin im Bett - das hält weder Ben noch Eddie davon ab, ihn ein bisschen zu interviewen und davon zu überzeugen, ein Treffen mit Jesus zu organisieren. Der ist einsichtig und telefoniert. Mit dem Auto geht's weiter. Einer fährt, einer guckt. Schicke Prügeleien am Straßenrand und einige wenige nicht so schicke Pop-ins von Texturen auf den Gebäuden. Dann der Halt an einer schmalen Gasse zwischen zwei Hochhäusern. Dort warten in der Zwischensequenz auf zwei Türsteher-Typen, die uns nicht durchlassen. Ben diskutiert nicht lange, übernimmt die Initiative und schlägt mächtig zu. Sofort geht das Spiel weiter und wir stecken mitten in einer Egoperspektiven-Prügelei. Blut spritzt, die Fäuste sitzen eng vor dem Gesicht. Das ist noch der Stil eines billigen Boxspiels und soll noch deutlich verbessert werden.
Durch den Hintereingang geht's ins Gebäude, hinein in die moderne Version eines Western-Saloons, nämlich in eine vollgepackte Underground-Disco. Durch die wogende Menge hindurch geht es zu den Separees. Die kaum bekleidete Tanzmaus an der Stange gewährt im Vorbeigehen tiefe, tiefe Einblicke. Ich mache mir keine Gedanken über ihren ziemlich blanken Hintern, sondern eher über die optische Qualität der drei Hauptcharaktere. Kim Evans sieht nämlich deutlich schlechter aus als Ben McCall, obwohl sie ja faktisch viel hübscher sein müsste. Die Charaktere haben insgesamt ein bisschen zu sehr etwas von den Avataren aus Second Life, sie wirken irgendwie zu comicmäßig. Steif und staksig agierende Charaktere waren bereits in Call of Juarez: Bound in Blood ein Problem, so richtig gelöst haben sie das noch nicht.
Dann eine Action-Szene an einer Schwingtür. Um die zu durchbrechen, müssen zwei Spieler in eine Silhouette links und rechts neben der Tür hinein, der dritte wartet direkt vor der Tür mit der Waffe im Anschlag. Ein Knopfdruck, ein Tritt und schon ist man für einige Sekunden in Superzeitlupe unterwegs. Der Kolben der Pistole schiebt sich wunderbar geschmeidig zurück. Gezielte Schüsse erledigen in der wilden Discomenge die Schergen von Jesus. Zivile Opfer, erklärt Blazej Krakowiak, seien Teil des Spielkonzepts, aber zu viele dürften nicht sterben. Das Stürmen der Discotanzfläche ist - ob nun mit oder ohne das Abschießen von Partygängern, krass und optisch überzeugend.
Nach Abschluss eines Levels wird es eine Abrechnung der Performance geben. Wer gut spielt, kriegt bessere Waffen im nächsten Level. Vor dem Start wartet eine 3D-Lobby, wo man je nach eigenem Status die Waffen auswählen kann. Ein bisschen ist das wie bei Left 4 Dead, nur das hochgelevelte Spieler eben andere Boxen öffnen dürfen als Einsteiger. Samuel Jacobs betont aber, dass man kein Rollenspiel machen wird: "Es gibt kein Aufleveln im klassischen Sinne. Das sind eher Belohnungen für bestimmte Dinge im Spiel." Wie genau und wofür man diese Belohnungen bekommt, mag er indes nicht verraten.
Das Gameplay ist insgesamt ziemlich linear und gescriptet. "Eine Achterbahnfahrt mit Höhepunkten und Ruhephasen, ohne die ganze Zeit immer wahnsinniger zu werden", nennt Blazej Krakowiak das. Die Künstliche Intelligenz wirkt derweil noch ziemlich roh und nicht so schlau. Die Gegner laufen irgendwie verpeilt durch die Gegend, vielleicht haben sie auch nur zu viele ihrer eigenen Drogen konsumiert. Wie schon im Vorgänger lassen sich zu jeder Zeit Zeitlupenevents aktivieren, indem der Konzentrationsmodus angeworfen wird. Wenn die anderen Spieler in der Nähe sind, profitieren sie automatisch mit von diesem Effekt.
Als wir Jesus im Club stellen wollen, hat der natürlich andere Pläne, was in einer wilden Verfolgungsjagd auf dem L.A. Freeway resultiert. Einer steuert den Wagen und rast durch den dichten Verkehr und muss immer wieder ausweichen, die anderen beiden hängen aus dem Fenster und ballern, ballern, ballern. Ein bisschen komisch: Sobald man aus dem Fenster gelehnt ist, sieht alles aus wie ein normaler Egoshooter. Trotzdem ist das toll inszeniert: Autos fliegen an einem vorbei, gegnerische Raktenwerferattacken werden durch rote Laserzielvisiere angezeigt.
Nach der Verfolgung wird noch kurz ein zweiter Level gezeigt, ein eher klassisches Wild-West-Szenario. Mit einem Scharfschützengewehr liegen wir auf der Lauer und schauen in einen beeindruckend gestalteten Canyon hinein. Unsere Ziele werden wieder durch die Rauten angezeigt, leider auch auf zwei Kilometer Entfernung. Das nimmt ein wenig die Spannung. Dann plötzlich ein Hinterhalt. Beide Spieler müssen von ihrer Scharfschützenstellung flüchten, um zu Ben zu gelangen, der unten gefangen gehalten wird.
Auf dem Weg den Hügel hinunter rennen beide durch Kakteen, Sträucher, Büsche - ein sehr lebendiger Look, irgendwie. Schnell gesellen sich zur Fauna einige menschliche Leichen, denen mit teils doch ein bisschen übertriebenen Blutspritzerorgien das Lebenslicht ausgelöscht wurde.
Die Story wird mehrere Enden haben, vorangetrieben wird sie durch kleine Entscheidungen im Spiel. Alle drei Charaktere haben unterschiedliche Erfahrungen, und dennoch gibt es für jeden Spieler nur einen Pfad. Eine offene Spielwelt ist das hier nicht. Freiheit ist, wenn überhaupt, nur in kleinerem Rahmen möglich - etwa in der Wüste, die offener konzipiert ist. Die urbanen Umgebungen sind dagegen eher eng und linear. "Nur ein Pfad, aber der soll durchgehend aufregend sein", verspricht Blazej Krakowiak. Wir sollen aber nicht nur mit Explosionen beschmissen werden, sondern es soll einen echten Flow geben. "Das ist für gute Unterhaltung wichtiger als größtmögliche Freiheit".
Call of Juarez: The Cartel ist kein Taktik-Shooter. Wenn wir statt mit echten Freunden mit K.I.-Mitspieler unterwegs sind, müssen wir denen keine Anweisungen geben. Man kann keine Helikopter zur Unterstützung anfordern oder irgendwelche Hilfsgegenstände aktivieren. Das hier ist ein Action-Shooter, gerade heraus.