Es ist unmöglich, über Square Enix' neues Rollenspiel zu sprechen, ohne an Final Fantasy erinnert zu werden. Denn im neuen Franchise der Entwickler finden sich dessen typischen Aspekte wieder: ein rundenbasiertes Kampfsystem sowie eine eindringliche Musik samt kitschiger Geschichte und klischeehaften Charakteren. Unter anderem begegnen wir einem Jungen, der alles verloren hat. Dazu einem Aufreißer, der an Gedächtnisverlust leidet, einer heißblütigen Dame, die mit dem Aufreißer aneinander gerät und - natürlich - dem Teammitglied, dessen magische Kräfte das Schicksal der Welt bestimmen werden.
Square Enix hat sein neues Abenteuer Bravely Default außerdem in ein Final Fantasy sehr ähnliches Setting verpackt. Neben Rittern und weißen Magiern bekommen wir es mit Mönchen, Dieben und Händlern zu tun. Das sind allerdings nur einige der vielen Klassen, die uns für unser vierköpfiges Team zur Verfügung stehen. Für wen wir uns entscheiden, spielt für den Verlauf der Ereignisse keine Rolle, denn die Aufgabe bleibt die gleiche: Wir müssen die Welt retten.
Inspiration holten sich die Macher übrigens unter anderem bei Mega Man. Nachdem wir einen Gegner besiegt haben, übernehmen wir deshalb eine seiner Fähigkeiten. Anfangs steht uns nur die neutrale Klasse zur Auswahl. Mit der Zeit schalten wir aber immer mehr Kombinationen für unser kleines Team frei. Wem wir schließlich welche Klasse zuteilen, bleibt ganz uns überlassen.
Bravely Default überrascht mit einer Besonderheit, die so clever ist, dass ich sie bei meiner Rückkehr zu anderen Genre-Vertretern schmerzlich vermissen werde. Das Kampfsystem erlaubt uns, Züge im Voraus zu bestimmen oder für später zu speichern. Wenn wir darauf spekulieren, einen Gegner mit allen Angriffen nacheinander umzunieten, können wir das versuchen. Die Kehrseite: Wenn er danach noch steht, bekommen wir mit vier gegnerischen Attacken die volle Breitseite ab - und können nur zusehen. Meist endet das mit unserem brutalen wie auch schmachvollen Tod.
Sparen wir uns unsere Züge hingegen auf, wappnen sich unsere kleinen Kämpfer und stecken weniger Schaden ein, wenn sie angegriffen werden. Am Ende können wir so all unsere 16 Züge, also vier pro Charakter, im Vorhinein festlegen.
Das System funktioniert großartig und macht Bravely Default zu einem unverwechselbaren, eigenständigen Titel. Das 3DS-Rollenspiel fühlt sich frisch an, obwohl der Rest recht altbacken ist. Kleinere Gefechte erfordern aber doch recht viel Zeit - in der Vorbereitung. Begegnen wir etwa einem einsamen Tiger, legen wir einfach unsere Züge für 16 Runden fest, töten das Biest in 15 Sekunden und ziehen dann mit unseren verdienten Erfahrungspunkten von dannen.
Die Dialoge sind gut geschrieben und der Großteil der Synchronsprecher liefert gute Arbeit ab. Manche wie der stotternde Magier sind so schlecht inszeniert, dass man den Ton am liebsten sofort abdrehen möchte. Geschrieben wurde das Geschehen als Verbeugung von der SNES-Ära. Humor und Blödsinn wurden mit Ernsthaftigkeit und düsteren Elementen gemischt. Jeder kleine Aspekt wurde ins Extreme verzogen, ganz so, wie man es eben nur japanische Rollenspiele verzeiht.
Die Story ist erwartungsgemäß episch, obwohl es eine Weile dauert, bis wir mit den Charakteren und ihrem Schicksal richtig warm werden. Wir verziehen kaum eine Miene, als wir das Dorf des Hauptcharakters Tiz gleich zu Beginn der Geschichte vom Erdboden verschluckt wird. Doch es dauert nur ein paar Stunden und wir stellen fest, dass uns die Schicksale der kleinen Figuren nicht mehr egal sind.
Der Wiederaufbau des Dorfes eröffnet uns Zugang zu einem Minispiel abseits der Hauptquest. Dieses bindet das Streetpass-System ziemlich klug ein. Indem wir auf ein demoliertes Haus klicken, wird einer von Tizs Arbeitern angewiesen, es zu reparieren. Anfangs steht uns nur ein Helfer zur Seite. Das Treffen anderer Leute via Streetpass fügt jedes Mal eine neue helfende Hand hinzu. Das Wiederherstellen der Gebäude hilft uns dabei, nützliche Items wie Waffen oder Tränke zu erschaffen.
Streetpass hilft uns auch im Kampf. Wir kreieren etwa eine personalisierte Attacke, die mit anderen Spielern dann geteilt und in Kämpfen eingesetzt werden kann. Andersrum funktioniert das natürlich auch. Allerdings lässt sich pro Tag nur ein von den Mitspielern generierter Angriff ausführen. Das macht Spaß, ist mal was anderes und hat definitiv Potenzial. Es ist komplex, gleichzeitig aber auch sehr nützlich.
Komplizierter wird es mit dem SP-Feature, mit dem wir die Kämpfe jederzeit pausieren und - so lange wir genug SP haben - einen Gegner sofort töten. SP verdienen wir uns, indem wir unseren 3DS für acht Stunden im Sleep-Modus ablegen oder durch einen Griff ins ganz reale Portemonnaie. Für meine Kritik hatte ich leider noch nicht die Gelegenheit, das Feature auszuprobieren. Ich kann also nicht sagen, wie viel die SP kosten, doch das macht ehrlich gesagt auch keinen Unterschied. Denn am Ende ist es ein Mogel-System, bei dem man bezahlt, um zu gewinnen. Und das in der Einzelspielerkampagne! Die Spielerfahrung ist wesentlich befriedigender, wenn man dieses Feature komplett missachtet.
Gäbe es dieses System nicht, würde Bravely Default schon an der 9/10 kratzen. So wie es ist, bleibt es aber eine schwache 8/10. Es gibt eine Menge toller Spielmechaniken und coole Elemente wie die Kämpfe, das Design, die Musik, die Charaktere und deren Entwicklung sowie das von Mega Man inspirierte Klassensystem. Der gebotene Inhalt ist extrem umfangreich, aber ich hasse das SP-System. Während die Streetpass-Implementierungen in der Theorie interessant sind, ist es nervig, dass wir viele Inhalte verpassen bzw. keinen Zugang zu ihnen erhalten, wenn wir nicht regelmäßig Inhalte mit anderen 3DS-Besitzern teilen.
Ich rate trotzdem jedem, der nur ein Fünkchen Liebe für japanische Rollenspiele in sich trägt, Bravely Default zu kaufen. Und es dann als das zu genießen, was es ist. Die Mikrotransaktionen muss man aber ignorieren, die SP-Mogelei ebenso, und dann hat man eines der schönsten Rollenspiele für den 3DS seit Fire Emblem: Awakening in der Hand.