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Homefront

Homefront

Der Blick aus dem 42. Stock des Millennium Hilton zeigt die hell erleuchtete Skyline von New York. In dem Loch einige Meter vor und viele Meter unter mir wurden am 11. September 2001 fast 3000 Menschen pulverisiert, als und nachdem zwei Flugzeuge in die Türme des World Trade Center gelenkt wurden. Jetzt rattern unten die Presslufthammer, auch nachts um Eins. Die Stadt schläft also wirklich nicht.

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Es ist ein ziemlich, ziemlich eigenartiges Gefühl, diese Kulisse zu bestaunen und sich noch vor wenigen Stunden die Präsentation zu einem Videospiel angeschaut zu haben, das Homefront heißt. Ein Game, das mit der nur noch stärker gewordenen Urangst der Amerikaner spielt, dass sie angegriffen und unterdrückt werden auf ihrem eigenen Boden. Homefront spielt im Jahr 2027. Der Gegner sind keine Terroristen, sondern die Nordkoreaner. Die haben sich in der sorgfältig ausbaldowerten Phantasie der Kaos Studios in die Position manövriert, es mit der ehemaligen Supermacht aufzunehmen.

Doch New York ist nicht jener Ort, wo wir die Heimatfront der Amerikaner zum ersten Mal betreten. Das passiert in Colorado, auf dem Land, in einer einst beschaulichen Vorstadtsiedlung, die nun nur noch davon zeugt, wie hart es die Amerikaner getroffen hat. Ein EMP-Schlag aus einem als Kommunikationsinstrument getarnten Satelliten hat 2025 das gesamte Strom- und Kommunikationsnetz der USA ausgeschaltet. Nichts funktionierte mehr - und die Koreaner starteten ihre Invasion. Die militärische und strategische Überlegenheit ist erdrückend. Und die USA sind am Boden, kaum noch in der Lage zur Gegenwehr. Als Krönung der Brutalität verseuchen die Koreaner den Mississippi radioaktiv und teilen das Land durch eine strahlende Todeszone.

Der Staub in der Luft flimmert surrealistisch wie tausend kleine Glühwürmchen in der Mittagshitze der zerbombten Vorstadtidylle. Die Kamera fährt durch eine verlassene Straße, wie es tausende gibt in den USA und bewegt sich langsam auf ein offenkundig verlassenes Einfamilienhaus zu. Doch im mit Tarnnetzen sorgfältig geschützten Hinterhof blüht plötzlich das Leben. Es wird Gemüse angebaut, mit einem Trimm-dich-Fahrrad Wasser aus dem Boden gepumpt und in die provisorischen Filtrationsanlagen geleitet. Draußen ist die gescheiterte Vorstadt zu sehen, im Hinterhof ist der sichere Hafen. Fröhliches Kindergeschrei und beschauliche Szenen von vor dem Kamin im Schlafsack ausruhender Kinder inklusive. Mit sehr langen Kameraschwenks auf die Kinder, was zwangsläufig diesen Aggressionsreflex des Schützen wollens auslöst. Oasis Vista ist die Trutzburg einer weniger Amerikaner, die gegen den übermächtigen Besatzer aus Nordkorea aufbegehren.

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Oasis Vista ist eine Idylle in der zerbomten Vorstadt und die Trutzburg der amerikanischen Rebellen.
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In Oasis Vista leben die Rebellen wie in der vorindustriellen Zeit. Sie versuchen, einen Rück- und Aufzugsort für sich und ihre Kinder zu schaffen. Es gibt sogar eine rudimentäre Schule - doch nicht nur das. Von der Oase aus wird auch der Widerstand organisiert. Vier Charaktere gibt es, die unseren Helden im Laufe der Kampagne begleiten werden. Der Südstaaten-Badass Boone, ein Führer im besten Alter. Der ungestüme Connor, der die Koreaner hasst. Hopper, ein Techniker und zudem Koreaner, weshalb ihn manche für einen Maulwurf und Verräter halten. Und die hübsche Rianna. Alle vier repräsentieren auf ihre Art einen durchschnittlichen US-Amerikaner, der sich mit seiner Urangst konfrontieren muss. Nicht mehr Chef sein auf eigenem Boden und ihn zurückerobern in einem Guerillakrieg.

Die Ereignisse, die zu dieser Situation geführt haben, beginnen 2012 mit dem Tod des nordkoreanischen Führers Kim Jong-il. Sein Sohn Kim Jung-un übernimmt das Steuer und will Korea friedlich vereinigen, was ihm 2015 auch gelingt. Die Wiedervereinigung spielt Südkoreas Technologie und Wirtschaftskraft (Samsung, LG, Hyundai) sowie reichlich militärisches Equipment aus den USA in die Hände des Führers. 2018 enthüllt Kim Jung-un dann seine üble Fratze, als er Japan annektiert und Zugriff auf Atomwaffen bekommt. Bis 2021 haben sich weitere südostasiatische Staaten Nordkorea angeschlossen, während die USA vor allem wegen wirtschaftlicher Problem durchsacken. Das Bruttoinlandsprodukt sinkt beständig und 800.000 verbliebene US-Soldaten sehen sich 25 Millionen Gegnern ausgesetzt. 2025 startet Nord-Korea seine Invasion in die USA.

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Der verlassene Baumarkt im Hintergrund, der hochgerüstete Kämpfer im Vordergrund.

Zurück ins Gameplay. Im nächsten und letzten Levelausriss, den es für uns zu sehen gibt, locken die wackeren Guerillakämpfer einen Haufen Koreaner in eine Falle. Sie nutzen einen Van als trojanisches Pferd, um nachts auf dem Parkplatz eines verlassenen Baumarkts die Koreaner zu überraschen. Sekunden später fliegen Phosphorbomben auf den Parkplatz und setzen ihn komplett unter Feuer. Great balls of fire trällert im Hintergrund... und die Rebellen sind mittendrin. So richtig mittendrin. Aus dem Feuer tauchen immer wieder hilflose, brennende Gegner auf, die man ignorieren oder erlösen kann. Heftige Momente. Dann ein Blick nach links. Ein brennendes Auto, das Millisekunden später mit einem dumpfen Knall explodiert und knapp über unseren Kopf hinweg fliegt. Es geht weiter im klassischen, schnellen Egoshooter-Style. Wir arbeiten uns zu einer Goliath-Drohne vor, die Schutz bietet und die wir gleichzeitig nahtlos integriert steuern können. Einmal kurz verharrt, ein paar schnelle Knopfmanöver - und schon ergießt sich ein Mörserregen über die Köpfe der Gegner. Und dann sofort wieder weiter mit der Knarre in der Hand.

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Es ist ein enormes Chaos hier auf dem Parkplatz. Schnell, unübersichtlich und intensiv nah dran. So muss sich unkoordinierter Guerillakrieg anfühlen. Der krasse Waffensound fällt auf. Matt Harwood, Audiopapst der Kaos Studios, hat hier seine Ohren im Spiel. 50 bis 60 Prozent des Spielgefühls würden über Audio transportiert, meint er. Der Grad der Überzeugung einer Waffe sei unterbewusst stark von der Qualität ihres Klangs abhängig. Im ganzen Spiel nutzen sie Dynamic Mixing, eine lautere Explosion überlagert also den Sound einer zuvor abgefeuerten Waffe. Alle Aufnahmen der Waffen werden aus allen erdenklichen Entfernungen gemacht und auch Ambient Inclusion haben sie nicht vergessen. Die Waffen klingen in geschlossenen Räumen anders als draußen. Der Präzisionswahn führte so weit, dass das Geräusch eines gerade überfahrenen Soldaten eigentlich der Hund von Matt Harwood beim Verspeisen von Eiswürfeln ist. Crunchy eben.

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In die Hocke und weggezogen - in vielen Passagen ist Homefront ein klassischer Egoshooter.

Conner und Rianna klettern auf eine Aussichtsplattform, um Schutz vor dem Kugelhagel zu suchen. Sie beratschlagen sich kurz, eine kleinen Ruhepause, die zum Weitertreiben der Story genutzt wird. Dann regnet es wieder Feuer. Die Plattform steckt einen Volltreffer ein und kollabiert mit uns. Mit dem Gesicht vorweg knallen wir auf den Asphalt. Ein gescriptetes Event. Auch klassisch. Während wir uns zum Eingang des Baumarkts vorkämpfen, müssen immer wieder kleine Aufgaben absolviert werden, so nach dem Motto: den EMP-Raketenwerfertypen auf dem Dach ausschalten, dessen Munition den Goliath lahmlegt. Als wir alle vor dem Laden stehen, greift ein Helikopter an, der uns nach dem erfolgreichen Abschuss mit dem Raketenwerfer bedrohlich entgegen trudelt und nur knapp hinter uns in einem Feuerball zerschellt.

Die Drama-Engine von Lead Level Designer Rex Dickson ist nicht verlegen darum, große Momente wie diesen zu liefern. Sie ist die Seele des Solomodus, denn sie kann immer wieder unterschiedliche Momente für eigentlich identische Spielsituationen abliefern. Rex Dickson erklärt das so: "Es gibt zwei Kategorien für die Engine. Sie kann einerseits komplett gescriptete Momente darstellen, die immer wieder identisch ablaufen. Oder ein Event verändert sich abhängig vom Winkel, in dem man die Sache angeht, dann spielt es sich komplett anders ab". Zwei Beispiele dafür sind in der Parkplatz-Passage die Szene, wo wir durch die Phosphorfeuersbrunst laufen und das explodierende Auto an uns vorbeifliegt. Das kann einen treffen oder eben nicht, oder man sieht es überhaupt erst gar nicht. Ähnliches gilt für den Helikopter am Ende. Den kann man abschießen oder einfach vorbeiziehen lassen.

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Incoming! Der Helikopter ist ein Drama-Engine-Event, das mehrere mögliche Enden hat...

Die Geschichte ist in ihrer Grundform stark von John Milius (Red Dawn, Apocalypse Now) inspiriert und wurde von dem Drehbuchautor und Regisseur mit ausgearbeitet. "Er hat den Ton des Spiels definiert", nennt das Dickson. Die Einzelspielererfahrung von Homefront wird bis auf das Intro und das Outro komplett im Spielfluss integriert erzählt. Klassische Zwischensequenzen gibt es keine, sondern stattdessen wie in Half-Life 2 immer wieder Passagen direkt im Spiel, in denen die Story erzählt wird. Etwa in einem geschlossenen Raum oder durch vorbei spazierende Charaktere. "Fighting, Fighting, Fighting und dann 30 Sekunden Storytelling", so sieht das Dickson. Auch die vier Charaktere im Spiel haben eine Geschichte miteinander, die sich immer wieder gegenseitig bedingt. Boone etwa will Amerika wieder aufbauen, aber dabei unbedingt auch die Zivilisten schützen. Conner dagegen will die ihm verhassten Koreaner killen, er ist im Krieg und nimmt keine Rücksicht auf etwaige zivile Opfer.

Rücksicht ist denn auch offenkundig nicht die Sache von Homefront. Das Spiel ist ein Egoshooter, aber einer, der nicht nur auf klassische Shooteraction setzt, sondern auch Fahrzeugmissionen integriert. Es wird Helikoptermissionen geben und wir dürfen mit fast allen Hightech-Teilen rumspielen, die wir von den Feinden einkassieren können. Bereits gezeigt wurde der Goliath, eine unbemannte Bodendrohne, die - so ist es geplant - mit diversen Waffenoptionen bestückt werden kann. Aber da soll noch einiges mehr kommen.

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Im Vordergrund: die Goliath-Bodendrohne, ein Dreiachser mit reichlich Feuerkraft.

Brian Burrell, der den schönen Titel Lead Skeletal Asset Artist trägt, baut die Waffen in Homefront. Auch das ganze Set der regulären Schusswaffen, die die Guerillas und Koreaner benutzen. Das ist im wesentlichen das bekannte Arsenal aus Sturmgewehren, Raketenwerfern, Shotguns, Scharfschützengewehren und Co. - mit einem kleinen optischen Detail. Die Waffen haben einen menschlichen Faktor, sie sind so verändert, wie sie heute auch von den Truppen verändert werden. Ein Tuch hier, etwas Duct-Tape dort. Brian Burell baut auch die Fahrzeuge, den Abrahams-Panzer zum Beispiel. Der hat eine Panzerung, die man nach und nach wegschießen kann. Diese Schwachpunkte sind am Fahrzeug, um den Spielern alternative Strategien anzubieten. Gleiches gilt auch für den Z10-Helikopter.

Der große Plan indes ist, etwas substanziell ziemlich anderes zu machen, als die krassen Shooter der Konkurrenz, die alle paar Sekunden fette Höhepunkte abliefern. Homefront will, zumindest im exklusiv präsentierten Solomodus, eine deutlich stärkere Geschichte bieten. Und trotzdem soll das Spiel am Ende irgendwo zwischen Half-Life 2 und Modern Warfare 2 ankommen. Keine schlechten Vorbilder, das ist klar. Danny Bilson, Executive Vice President Core Games von THQ, sagt denn auch ganz deutlich, dass man sich nicht im Mittelfeld tummeln dürfe, denn da werde kein Geld verdient. "Wir müssen top sein, alles andere zählt und bringt nichts. Man kann nicht als zweiter ankommen, wir müssen auf dem höchsten Niveau mitspielen." Der Geschäftsmann sortiert natürlich bereits mögliche Fortsetzungen von Homefront vor dem geistigen Auge und verspricht, dass es in Zukunft neue Szenarien geben soll, Homefront-Fortsetzungen in anderen Ländern zum Beispiel. Mit einem identischen Aufwand in Sachen Story, egal ob das nun Vollpreisspiele werden oder sie als Downloadcontent kommen.

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Great balls of fire: Phosphorregen für die fiese Falle auf dem Parkplatz...

Das Danny Bilson zufolge "größte Investment in Homefront" allerdings, den Multiplayer, vom dem gab es heute nichts zu sehen. Auf die Frage, ob es denn mehr als 16 Spieler sind, weil während der Präsentation jemand von Skirmish-Missionen sprach, antwortet Danny Bilson nur: "Klar, man muss ja auch bedenken, dass das Kernteam der Kaos Studios Multiplayer in den Genen hat. Da sind ihre Wurzeln." Das stimmt. Uneingeschränkt. Battlefield 1942: Desert Combat, Frontlines: Fuel of War - Herkunft verpflichtet.

Ich frage mich, ob Videospiele eine reale Zukunft voraussagen können? Im Falle von Homefront ist es auf jeden Fall so, dass die Komponente Realität größer ist als jemals zuvor. Als Europäer mag einem das fern vorkommen, aber die Ausführungen des Agenten Tae Kim lassen einem mit einem Kloß im Magen zurück. Die Story hat trotz des enormen Aufwandes der Extrapolation von Zukunft aber ihre Lücken. Die Russen bleiben außen vor, obwohl die vermutlich nicht tatenlos zusehen würden, wenn sich ihre asiatischen Nachbarn so aggressiv ausweiten. Auch China wird ausgeklammert mit dem Verweis darauf, dass sie wirtschaftlich zu stark in den USA investiert gewesen seien und dadurch viel Geld durch den Abschwung der US-Wirtschaft verloren hätten.

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... danach brennt alles lichterloh, auch die gegnerischen Soldaten, die wir von ihrem Leid erlösen können oder es bleiben lassen.

Was sie aber wirklich erstaunlich gut einfangen ist das Gefühl einer ausgelieferten Nation mit völlig zerstörten Lebenskonzepten und voller Angst und Wut. In Oasis Vista liegen die Kindern ängstlich in Schlafsäcken vor dem Kaminfeuer und eine Frau beruhigt ihr schreiendes Baby auf der nahe stehenden Couch. Solche Bilder drücken auf die Emotionsdrüse, aber es funktioniert. Man will losziehen und es den Angreifern zeigen. Will sich die Freiheit für seine Familie zurückerobern.

Tae Kim ist für diese Emotion mitverantwortlich. Der Amerikaner mit koreanischen Wurzeln ist ein ehemaliger Field Operations Officer der CIA und Berater für die Kaos Studios. Er hat das Szenario mit entworfen, auf dem die Story des Solomodus ruht. Und er stellt sich und uns die Frage, wie realistisch so ein Szenario ist. Und kommt zu dem Ergebnis, dass es passieren kann. "Es ist eine Aneinanderreihung von Plausibilitäten, und jedes Ereignis ist mindestens ein Münzwurf." (mehr dazu in unserem Interview mit Tae Kim).

In der real existieren Propaganda der Nordkoreaner werden die USA für alles verantwortlich gemacht, was schlecht ist. Sie werden gelehrt, die USA und die Amerikaner zu hassen. Tae Kim zeichnet dabei kein besonders freundliches Bild seiner Vorfahren. Menschliches Leben sei im System Nordkorea nicht viel wert. Persönliches Leben und Glück spielen keine wesentliche Rolle. Zivile Opfer werden billigend in Kauf genommen. Nord-Koreaner seien relativ brutal und die Propaganda sehr stark. Da bleibt nur zu hoffen, dass es bei dem fiktiven Szenario bleibt - denke ich so, während ich am Fenster stehe und in das dunkle Loch starre, wo einst zwei Türme als Wahrzeichen von New York standen. Ist halt alles ein Münzwurf, irgendwie...

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