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Tenet

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Ist etwas schlechter, nur weil wir es schon kennen? Nolans neuer Film versucht es herauszufinden.

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Christopher Nolan verteidigt energisch die Haltung, dass Kinos der vorrangige Ort sind, um große, mutige Filme (wie seine eigenen) zu genießen und obwohl ihm genau diese Einstellung im Laufe der Jahre häufiger auf die Füße gefallen ist, ist es einfach unmöglich, seine Bedeutung als moderner Filmemacher zu leugnen. Er ist nicht nur ein Autor mit sofort erkennbaren filmischen Eigenschaften, sondern auch einer der wenigen Regisseure, die große Budgets für Filme zusammenkratzen, die weder eine Verbindung untereinander haben, noch auf Basis irgendeiner Comic- und Superheldenmarke fußen. Nolans Inspirationen sind offensichtlich, aber er bleibt ein Maßstab und durch die Batman-Trilogie, Inception, Interstellar und schlussendlich Dunkirk hat er einen unbestreitbar starken Katalog von Triumphen aufgebaut.

Die Frage ist deshalb: Kann Tenet diese Dynamik beibehalten? Zum Film war lange Zeit nicht viel bekannt - so will es Nolan -, aber die Unbestimmtheit, mit der der Film im Vorfeld der Premiere präsentiert wurde, erreicht neue Höhen. Kinobesucher wissen mit Ausnahme der Besetzung und dem Regisseur nur sehr wenig, das in ihnen so etwas wie Vorfreude auslösen dürfte. Tenet muss trotzdem liefern, schließlich haben die Menschen Erwartungen und dieser Film soll als erster, großer Blockbuster nach dem Startschuss der Corona-Schutzmaßnahmen wieder dafür sorgen, dass vorsichtige Verbraucher zurück in die Kinos kommen. Es ist der Startschuss, auf den die gesamte Branche wartet. Kann der Film das abliefern?

Obwohl Tenet in Mysterien gehüllt ist, werden erfahrene Nolan-Fans ziemlich genau wissen, worauf sie sich einlassen. Die Farbpalette ist unterdrückt und stumm, die Charaktere sind Zahnräder in einer größeren Erzählmaschine und keine facettierten Individuen. Die Action-Sequenzen wurden spektakulär konstruiert und ausgeführt, auch die Genre-Merkmale sind meisterhaft mit eigenständiger Originalität durchmischt. In kurz: das hier ist durch und durch ein Nolan-Werk.

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Vieles von dem preiszugeben, was auf der Leinwand vor sich geht, würde bedeuten, einen Teil der Energie, die Nolan und sein Team so hart erarbeitet haben, vorwegzunehmen. Wir werden also nur sagen, dass wir einem namenlosen CIA-Agenten folgen, der von John David Washington gespielt wird. Eine mysteriöse Organisation namens Tenet, die das Auftreten des Dritten Weltkrieges verhindern muss, rekrutiert ihn, um die Vor- und Nachteile der sogenannten "Zeitinversion" zu erlernen - eine Technik, bei der der Zeitfluss umgekehrt wird... in Echtzeit.

Inception hat damals einen Überfall-Spielfilm mit Traumlandschaften vermischt, während Tenet auf sehr ähnliche Weise internationale Spionage mit Zeitumkehr mixt. Das ist nicht das erste Mal, dass Nolan bestimmte Genre-Tropen nimmt und sie gekonnt mit Science-Fiction verbindet - Tenet ist aber immerhin auf bekannte Art und Weise erfolgreich. Die Besetzung arbeitet hervorragend, um die Erfahrung zu verankern und sie gibt uns ziemlich zuordnungsbare Berührungspunkte, was aufgrund des zügigen Tempos, der vielen Mysterien und der durcheinandergewürfelten Chronologie auch notwendig ist.

Insbesondere John David Washington, Robert Pattinson und Kenneth Branagh liefern hervorragende Leistungen. Wie bereits erwähnt, verwendet Nolan Charaktere häufiger für den Handlungsfortschritt, anstatt sie als, nun ja, als Menschen darzustellen. Die Tatsache, dass John David Washingtons Charakter den gesamten Film namenlos bleibt, spricht dabei für sich. Während einige diesen sehr handlungsorientierten Ansatz mögen, fühlt er sich für mich etwas weniger intuitiv an, als in Interstellar und Dunkirk, wo Nolan uns seine bisher emotionalsten und klinischsten Filme geboten hatte.

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Tenet funktioniert aber vor allem aufgrund seines Spektakels. Von Anfang bis Ende kann man erkennen, dass es sich hier um einen Meister seines Fachs handelt. Der Film bietet unglaubliche Action-Szenen, die überhaupt keine Spezialeffekte benötigen: Es handelt sich in erster Linie um Autounfälle und Bungee-Sprünge - nur eben zeitlich umgekehrt. Eine Kampfszene, in der John David Washington einen Feind abwehren muss, während der sich rückwärts bewegt, ist mir besonders atemberaubend in Erinnerung geblieben. Wie diese Szene gedreht und produziert wurde, zeigt mir, dass Filmmagie nicht nur in CG zum Leben erweckt werden kann - sie ist immer noch da draußen.

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Nolan hat einer völlig originellen, neuen Idee die nötige Zeit und das Budget gegeben, um zu gedeihen und zu sprießen. Trotzdem ist Tenet alles andere als perfekt. Zum einen wird deutlich, dass sich Nolan irgendwo in der Übersetzung seiner eigenen Geschichte verloren hat. Zumindest die Art und Weise, wie das Publikum die Mechanismen der Zeitumkehr verstehen soll, nicht immer deutlich. An einem Punkt sagt ein Charakter zu einer anderen Figur, dass man nicht versuchen sollte, das Prinzip vollständig zu erfassen, was auch für das Publikum eine Botschaft zu sein scheint.

Obwohl die Idee originell ist, führt die oben erwähnte Vertrautheit zu einer gewissen Missachtung. Nolan-Fans werden seinen charakteristischen Stil zu schätzen wissen, aber trotz des klassischen Spionagekinos kann man jedes Element leicht auf frühere Filme zurückführen - von Memento bis Batman Begins, über Dunkirk und (insbesondere) Inception. In der Tat könnten zynischere Kinobesucher Tenet mit Leichtigkeit als "Zeitmanipulation trifft Spionage" abtun und damit würden sie anderen Zuschauern ziemlich solide Erwartungen vermitteln.

Es scheint also so, als ob Nolan hier an einem Scheideweg steht. Es ist ziemlich offensichtlich, dass er beim nächsten Mal Wege finden muss, um innovativ sein kann - oder zumindest sein unverwechselbares Auge für beeindruckende Filmsequenzen zur Schau zu stellen -, um für frischen Wind zu sorgen. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass Tenet angenehm, aufregend, gut konstruiert und offensichtlich von einem Mann gemacht ist, der sich in der Materie auskennt. Nolan ist immer noch ein Autor, er ist immer noch eine Säule der Produktion moderner Actionfilme und er verdient dafür Respekt - denn Tenet setzt dieses Erbe fort. Hoffentlich serviert er beim nächsten Mal etwas... Seltsameres.

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07 Gamereactor Deutschland
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