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Sniper: Ghost Warrior 2

Sniper: Ghost Warrior 2

Macht viel Spaß und sieht großartig aus, aber Hardcore-Sniper-Fans werden von der Achterbahnfahrt auf Schienen am Ende doch wieder enttäuscht sein.

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Der ahnungslose Wachposten ist im Visier unseres Präzisionsgewehrs. Nun langsam den Druckpunkt vom Abzug suchen, ein letzter tiefer Atemzug und der schallgedämpfte Schuss lässt den Namenlosen in gut einem Kilometer Entfernung leblos zusammensacken. Das Wort Sniper habe ich zum ersten Mal in dem legendären Bond-Spiel für Nintendos N64 gehört. Ich kann mich noch genau an die Faszination erinnern, die von dem Scharfschützengewehr ausging. An die tödliche Präzision, mit der man seine Opfer ausschaltet, nachdem man sie vorher minutenlang aus sicherer Entfernung bei ihrer langweiligen Routine beobachtet hat.

Ein letzter Zug an der Zigarette im eisigen russischen Winter und mit dem Stiefel den Juckreiz am Bein lindern. Dann zertrümmert unsere Kugel dem Speznas den Schädel, während wir auf dem Logenplatz sitzen. Mein Vergnügen am Snipen war mir immer auch irgendwie peinlich. Gewiefter Taktiker, tödlicher Jäger, aber eben auch Voyeur und Feigling.

Das dürfte auch der Grund für die häufig aufkochenden Emotionen in den Onlineshootern sein. Camper - das Schimpfwort für die feigen Scharfschützen, die sich nicht dem Kampf stellen wollen. Aber die meisten dürften doch beide Seiten kennen. Die hämische Freude, wenn man den ahnungslosen Gegner aus sicherer Distanz wegzieht und den aufwallenden Hass, wenn man gerade seinem taktischen Masterplan nachgeht und einen der Idiot auf dem Dach in den Spawn-Bildschirm schickt.

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Sniper: Ghost Warrior 2Sniper: Ghost Warrior 2
Als Scharfschütze einer Spezialeinheit machen wir auf der ganzen Welt Jagd auf einen gefährlichen Waffenhändler.

Sniper-Level gehören ähnlich wie Hubschrauber-Sequenzen am bemannten Maschinengewehr mittlerweile in jedem Shooter zum guten Ton. Hitman: Absolution hatte seine kurzweilige Sniper-Challenge als Bonus für Vorbesteller. Die Mutter aller Scharfschützen-Level dürfte aber Ghillies in the Mist aus Call of Duty 4: Modern Warfare sein. Die unglaubliche Spannung der stark gescripteten Schleicheinlagen und die intensiven Gefechte sind sicher auch Blaupause für Sniper: Ghost Warrior 2 gewesen.

Als Scharfschütze einer Spezialeinheit machen wir auf der ganzen Welt Jagd auf einen gefährlichen Waffenhändler, der im Besitz einer tödlichen Biowaffe ist. Eine Scharfschützen-Simulation ist Sniper: Ghost Warrior 2 nicht - schon gar nicht auf den ersten beiden der drei Schwierigkeitsgrade. Sprints erhöhen unseren Puls, geduckte oder liegende Positionen geben unserem Fadenkreuz mehr Ruhe und mit dem linken Trigger halten wir die Luft an und verlangsamen gleichzeitig ein wenig die Zeit, um unsere Ziele besser ins Visier nehmen zu können.

Das sind alles bekannte Spielmechaniken. Zusätzlich zeigen die Kugeln ein realistisches Verhalten und werden von Schwerkraft und Wind beeinflusst. Beim Zielen hilft hier aber eine kleine Anzeige im Fadenkreuz, die den genauen Einschlagspunkt der Kugel anzeigt. Die komplexe ballistische Einschätzung der Flugkurve muss nur im höchsten Schwierigkeitsgrad selbst übernommen werden.

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Sniper: Ghost Warrior 2
Hübsch ist es, aber manches nervt, so etwa die unterirdische Künstliche Intelligenz der Gegner, die blind auf uns zustürmen oder ewig in Deckung hocken bleiben, um ab und zu ihren Kopf zu präsentieren.

Sniper: Ghost Warrior 2 bleibt über die gesamte Kampagne seinem Thema treu. Es gibt keine Run'n'Gun-Passagen, zumindest solange alles glattgeht - und dafür sorgt unser Spotter. Der computergesteuerte Mitspieler sondiert die Lage, markiert die Gegner, gibt taktische Tipps und sucht unsere Ziele aus. Natürlich dürfen die Anweisungen auch ignoriert werden, aber an die Rolle als Befehlsempfänger gewöhnt man sich schnell. Der Erfolg macht das Einhalten der Rollenverteilung eigentlich sogar unwiderstehlich. Dabei werden die Szenarien um den Scharfschützen ständig leicht variiert.

Stark gescriptete, aber hochspannende Schleicheinlagen folgen Scharfschützen-Einsätzen aus stationärer Position. Aber es müssen auch gegnerische Lager völlig frei erobert werden. Vom tropischen Dschungel auf den Philippinen über den Häuserkampf im Sarajevo der neunziger Jahre bis zu tibetanischen Tempelanlagen hoch im Himalaya ist alles dabei - die Schauplätze von Sniper: Ghost Warrior 2 sind mit der Cry Engine 3 wirklich spektakulär in Szene gesetzt und sehen fantastisch aus.

Die linearen Level mit den vielen gescripteten Szenen sorgen für eine konstante Spannung. Sie haben trotz des vielen Schleichens und Flüsterns ein angenehmes Tempo. Wer artig seinen Anweisungen folgt, braucht wenig Geduld und wird mit einem Erfolgserlebnis nach dem anderen belohnt. Kaum einer der Gegner muss lange beobachtet werden oder gar in Bewegung erledigt werden. Selbst in den Missionen ohne Spotter steht uns Satellitenaufklärung zur Verfügung und wir bekommen ständig Hilfe durch Funksprüche. Das Fernglas zum Markieren der Gegner ist nahezu überflüssig.

Sniper: Ghost Warrior 2
Die linearen Level mit den vielen gescripteten Szenen sorgen für eine konstante Spannung.

Im höchsten Schwierigkeitsgrad ändert sich das alles schlagartig. Ohne die zusätzliche Zielhilfe gehen die Schüsse schnell daneben. Wenn die Wachen alarmiert sind, wird schnell die unübersehbarste Schwäche offenbart: Die unterirdische Künstliche Intelligenz der Gegner, die blind auf uns zustürmen oder ewig in Deckung hocken bleiben, um ab und zu ihren Kopf zu präsentieren. Unsere extreme Verwundbarkeit und die Schwäche im Nahkampf kaschiert das zunächst noch, aber diese Probleme lassen sich mit einem Ortswechsel schnell lösen.

Das sehr lineare Gameplay sorgt auf der einen Seite für unglaubliche Spannung und trotz der Stealth-Elemente für ein schönes Tempo. Wer sich aber nicht an die Vorgaben hält und es wagt, die Schienen zu verlassen, auf denen Sniper: Ghost Warrior 2 rollt, wird bitter enttäuscht.

Zusätzlich ist die Kampagne mit acht Stunden auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad relativ kurz geraten. Die acht Stunden sind sehr kurzweilig, aber die Schwächen der K.I. gerade auf der höchsten Stufe motivieren kaum zu einem zweiten Durchgang. Der Mehrspielermodus muss vermutlich auch eher als kleines Extra betrachtet werden. Der ließ sich noch nicht wirklich ausgiebig anspielen, aber ein Team Deathmatch-Modus und zwei Karten sprechen eigentlich Bände. Wenn die Kämpfe von zwölf Spielern ein wenig den Hochhausduellen mit Sniper und Counter-Sniper aus dem Sarajevo-Level ähneln, könnte man hier aber sicher ein paar Stunden Spielspaß auf der Uhr dazu rechnen.

Sniper: Ghost Warrior 2

Die Story von Sniper: Ghost Warrior 2 um Biowaffen, Verrat und Intrige ist sicher nicht schlechter als bei der Konkurrenz. Und wer spielt schon Shooter wegen der Geschichte? Aber die abstruse Art und Weise, mit der hier die Ereignisse vorgetragen werden, sucht sicher ihresgleichen. Das Spiel startet ohne irgendeine Videosequenz. Wir landen gleich in der üblichen Powerpoint-Präsentation aus animierten Satellitenbildern und Intel-Photos - da ganze unterlegt mit Gelaber von Typen, die wir nicht kennen. Eben so, wie sich alle scheinbar ein Agenten-Briefing vorstellen.

Für welche Organisation wir im Einsatz sind? Ich weiß es nicht. Auch zwei Stunden später ist noch unklar, wer ich eigentlich bin oder wie ich aussehe. Ich war aber trotzdem schon soweit, dass es mir eigentlich ganz gut gefällt, nicht groß mit einer schwachsinnigen Story behelligt zu werden. Die Tatsache, dass die Bösen eine Biowaffe haben, hat eigentlich gereicht. Aber dann kommen doch plötzlich Zwischensequenzen zum Einsatz. Da ist man aber inhaltlich schon längst in der inneren Kündigung und will von dem ganzen Quatsch um Verrat nichts mehr wissen. Erst am Ende wird mir klar, dass ich nicht zwei verschiedene Sniper gespielt habe, sondern das einer mein Vorname und der andere mein Nachname war. Egal, die Bösen haben ein rotes Dreieck über dem Kopf.

Sniper: Ghost Warrior 2 macht trotzdem viel Spaß und sieht großartig aus. Hardcore-Sniper-Fans allerdings werden von der Achterbahnfahrt auf Schienen am Ende doch wieder enttäuscht sein.

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
tolle Grafik, schöne große und abwechslungsreiche Level, konstante Spannung
-
kurze Kampagne, extrem lineares Gameplay, miese K.I., merkwürdige Präsentation der Story
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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