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Yakuza 6: The Song of Life

Yakuza 6: The Song of Life

Der sechste Teil des japanischen Mafia-Epos nutzt endlich die volle Power der aktuellen Konsolengeneration - mit durchschlagendem Erfolg.

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So manche aufstrebende Spieleserie schielt sicher neidisch auf die Zahl Sechs im Titel der demnächst erscheinenden westlichen Fassung des neuesten Teils von „Ryu ga Gotoku", wie die Reihe in ihrem Herkunftsland heißt. Entwickelt wurde der Erstling damals ganz spezifisch mit einem japanischen Zielpublikum im Hinterkopf, und das zu einer Zeit, wo der Wechsel Segas vom Konsolenhersteller zum reinen Softwarelieferanten erst ein paar Jahre her war. Entsprechend unsicher war man sich mit diesem Titel, der im Westen mit einjähriger Verspätung für die PS2 erschien. Der Aufwand der Lokalisierung schien sich nur bedingt zu lohnen, Teil 2 erschien deshalb auch überhaupt nicht mit englischer Tonspur und das Spin-Off „Kenzan", das in der Samurai-Zeit spielte, schaffte es gar nicht aus Japan heraus.

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Kazuma ist ein praktischer, unzerstörbar cooler Mafiakrieger und manchmal auch ein Nerd.

Doch der Support der Fans nahm immer mehr zu, sodass die Reihe florierte, und als 2015 das zehnjährige Jubiläum der Entstehung anstand, griff Sega absolut in die Vollen. Mit Yakuza 0 kam ein Prequel auf die PS4, das inhaltlich vermutlich den größten Umfang der Reihe bot, wenig später stand mit Yakuza Kiwami ein Remake des ersten Teils in den Startlöchern, das ebenfalls auf der Engine von 0 lief und das Original audiovisuell um ein Vielfaches übertraf. Doch trotzdem war diese Engine eher eine Art Hybrid mit Wurzeln in der letzten Generation, sodass die volle Hardwarepower von heute noch nicht genutzt wurde. Das ändert sich nun mit Yakuza 6: The Song of Life und wir haben fast das Gefühl, dass die Reihe erst jetzt ihr volles Potenzial zeigen kann.

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Gleichzeitig bietet sich auf der PS4 ein idealer Einstiegspunkt für alle Neulinge, die noch nie einen Yakuza-Titel angespielt haben. Yakuza 0 stellt die Basis für die Hauptfiguren und Handlungsstränge bereit, die dann in Kiwami vorangetragen werden, doch sogar ohne jegliches Vorwissen kann man direkt in Teil 6 einsteigen, denn im Startmenü finden wir kurze Abrisse der Storylines in Textform vor. Selbst ohne diese sind die Grundzüge der Geschichte problemlos zu verstehen: Kazuma Kiryu war einst ein ranghohes Mitglied der Yakuza, der japanischen Mafia, er hat als Mittvierziger nun aber genug von diesem Leben. Längst kümmert er sich in einem Waisenhaus um vom Schicksal benachteiligte Kinder und will nicht zuletzt zum Wohle seiner Ziehtochter Haruka, die Erfolge als Popsängerin feiert, seine Verbindungen zur Unterwelt ein für alle Male kappen. Das ist bei einer solch verwobenen und von einem strengen Ehrenkodex geprägten Organisation wie der Yakuza aber nicht so einfach, und so entscheidet sich Kazuma dafür, drei Jahre ins Gefängnis zu gehen, um anschließend als Zivilist in die Freiheit entlassen zu werden.

In der Zwischenzeit verschwindet Haruka allerdings und als Kazuma aus dem Gefängnis kommt, wird auch noch ein Anschlag auf sie verübt, der sie fast tötet und in ein Koma versetzt. Die größte Überraschung ist für Kazuma jedoch, dass sie inzwischen ein Kind hat - den knapp einjährigen Jungen Haruto - und nun liegt es an Kazuma, sich um den Kleinen zu kümmern und vor allem herauszufinden, wer der Vater ist, was in der Zwischenzeit sonst noch passiert ist und wie das Ganze mit einer immer vertrackter werdenden Verschwörung zusammenhängt.

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In Nebenmissionen lassen sich bekannte Charaktere aus den vergangenen Teilen blicken, aber meist endet das in einem züchtigen Handgemenge.
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Wie so oft beginnt das Abenteuer in Kamurocho, dem fiktiven Vergnügungsviertel Tokyos. Die vertraute Umgebung bietet direkt eine schöne Vergleichsmöglichkeit zu den beiden Vorgängertiteln auf der PS4. Die ohnehin schon recht starke Grafik ist noch ein wenig hübscher, das fällt schon auf, doch was noch mehr begeistert ist, dass das Spielgeschehen viel flüssiger läuft. Endlich ist jeder gesprochene Satz vertont, allerdings auch wieder nur auf Japanisch - das gehört ja inzwischen zum Charme der Serie. Aber die merkwürdigen, fliegenden Textboxen und die stummen Dialoge gehören der Vergangenheit an. Das tollste ist aber, dass Kazumas Bewegungen viel flüssiger sind - das ständige Hängenbleiben und Herumhampeln ist fast komplett beseitigt, zudem können viele Schauplätze, wie Supermärkte und andere Gebäude in fließendem Übergang betreten werden, was die Welt noch ein gutes Stück lebendiger und echter wirken lässt.

Auch die ersten Kämpfe, die neben den ausladenen Storysequenzen und umfassenden Minispielen eine der drei tragenden Säulen der Franchise sind, gehen gut von der Hand. Gleich vom Start weg kann Kazuma ausweichen und blocken, sodass Freunde aktueller Kampfspiele sich sofort zuhause fühlen. Auch hier wirken die Animationen noch etwas geschmeidiger und detaillierter, nicht zuletzt aber auch kraftvoller. Das Kampfsystem ist wie gewohnt komplex und geht in Richtung eines Beat-'em-Up-Rollenspiels, bei dem immer neue Moves dazugelernt werden. Die Schwierigkeit ist allerdings homogener als in den beiden Vorgängertiteln, auf „normal" sind auch die Bosskämpfe gut zu schaffen und haben keine unproportional schweren Ausreißer mehr.

Die Story hat natürlich wieder viele spannende Irrungen und Wirrungen zu bieten. Recht bald verschlägt es Kazuma in das idyllische Fischerdorf Onomichi in der Präfektur Hiroshima, wo die Grafikengine zu noch besserer Form aufläuft. Die Kleinstadt versprüht einen tollen Charme und bietet einen deutlichen Kontrast zu Kamurocho. Einzig das starke Kantenflimmern trübt den Eindruck etwas, sonst würde das Schlendern durch die schmalen Gassen fast an einen echten Japan-Besuch herankommen, nicht zuletzt dadurch, dass wir beim Erkunden nun auch dauerhaft die Ego-Perspektive nutzen dürfen. Onomichi lässt sich zu drei verschiedenen Tages- und Nachtzeiten erleben, was Auswirkungen auf die geöffneten Locations, die Tätigkeiten der Bewohner und damit die Verfügbarkeit der möglichen Nebenmissionen hat. Die Detailverliebtheit kommt dabei locker an den Sega-Klassiker „Shenmue 2" heran, nur dass die Interaktionsmöglichkeiten in der aktuellen Generation deutlich vielfältiger sind.

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Die Minispiel-Highlights sind Out Run, Space Harrier, Super Hang-On, Puyo Puyo und Virtua Fighter 5.

Yakuza 6: The Song of Life ist aber auch sonst natürlich mal wieder ein regelrechtes Fest für Fans von Japan und auch von Sega, die sich mit diesem Titel schon fast ein kleines Denkmal gesetzt haben. Natürlich kann man in den Spielhallen Kamurochos auch wieder originalgetreue Automaten zocken, vorhanden sind diesmal Out Run, Space Harrier, Super Hang-On, Fantasy Zone, Puyo Puyo und Virtua Fighter 5. Doch auch sonst strotzt das Spiel nur so vor kleinen und großen Andeutungen sowie diversen Referenzen, und natürlich gibt es auch so manches Wiedersehen mit Charakteren aus früheren Yakuza-Teilen, die besonders gerne in den vielen Nebenmissionen auftauchen. Nach Smalltalk und Herumgelaufe mündet das alles meistens - es hat in der Serie ja Tradition - in einer handfesten Schlägerei, doch auch abseits davon findet sich hier wieder ein unglaubliches Füllhorn an Minispielen. Darunter sind charmante Kleinigkeiten, wie durch wiegen des Controllers den schreienden Haruto zu beruhigen, aber natürlich gibt es auch wieder sehr umfangreiche Beschäftigungen. Heimliches Highlight ist dabei ein Unterwasser-Railshooter, der wiederum an Sega-Klassiker wie Virtua Cop erinnert, sowie ein RTS-artiger Bandenkrieg-Modus, in dem man aus der Vogelperspektive eine stetig wachsende Gang verschiedener Einheiten und Helden befehligen muss, um den rivalisierenden Truppen zu zeigen, wo der Hammer hängt.

Abgesehen davon gilt es neue Freunde in der Kneipe kennenzulernen, ein Baseball-Team zusammenzustellen und im Hostessen-Club Zeit mit jungen Frauen zu verbringen... und falls das einigen Spielern noch nicht halbseiden genug ist, gibt es auch noch den „Webcam-Chat". Ja, ernsthaft, in diesem Minispiel ermutigt man professionelle „Cam-Girls" sich ein wenig auszuziehen, und da dies mit real gefilmten Videosequenzen erzählt wird, sorgt dies sicherlich bei dem einen oder der anderen für rote Ohren. Aber keine Angst, es bleibt natürlich alles züchtig und der Charme der Serie entsteht ja auch nicht zuletzt dadurch, dass Kazuma auf der einen Seite ein fast unzerstörbar cooler Mafiakrieger ist, auf der anderen Seite aber auch manchmal ein ziemlich naiver Beinahe-Nerd sein kann, der gerne mal von einem Fettnapf in den anderen tritt. Von daher machen wir diese Eskapaden doch gerne mit und genießen die kulturellen Eigenarten Nippons, wie bei der herrlichen TV-Serie „Bier nach dem Bad am Mittag".

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Das idyllische Fischerdorf Onimichi versprüht einen tollen Charme und bietet einen deutlichen Kontrast zu Kamurocho.

TV-Serie ist übrigens ein gutes Stichwort, denn die insgesamt viele Stunden währenden Zwischensquenzen von Yakuza 6: The Song of Life fühlen sich manchmal schon nach Binge-Watching an. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Nationalheld Takeshi Kitano eine tragende Rolle in der Story übernimmt. Kids der 90er kennen ihn als Gastgeber von Takeshi's Castle, Samurai-Freaks als Zatoichi und PUBG-Anhänger hoffentlich aus Battle Royale. Und auch bei Yakuza 6: The Song of Life wertet der alte Haudegen jede Szene durch seine Präsenz auf, obwohl sein digitalisiertes Antlitz nicht ganz so schön faltig ist, wie das Original.

So schnürt Sega den Fans und allen, die es noch werden wollen, ein tolles Gesamtpaket aus einer computeranimierten Mafia-Serie, einem Beat-'em-Up-RPG, einigen grandios emulierten Arcade-Klassikern, Tonnen von Minispielen und sogar noch einem Hauch von Dating-Sim. Wer also auch nur das leiseste Interesse am Land der aufgehenden Sonne und/oder Beat-'em-Ups mit viel Story hat, bekommt hier ein hervorragendes Rundum-Glücklich-Paket. Ich für meinen Teil kann das nächste Spiel mit dieser Engine kaum abwarten und drücke derzeit die Daumen, dass das gerade in Japan erschienene „Hokuto ga Gotoku" auch seinen Weg zu uns findet.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Extremer Umfang; modernisierte Engine; flüssiges Gameplay; viele Stunden Spaß.
-
Man will trotzdem mehr von allem
overall score
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