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Bravo Team

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Der Aim-Controller ist wieder da - doch statt einer mächtigen Waffe verwandelt sich das Plastikgerät diesmal in einen virtuellen Rohrkrepierer.

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Erwartungshaltung ist schon ein faszinierendes psychologisches Phänomen. Schaut man endlich einen Film, der einem von tausend Freunden und Kollegen empfohlen wurde, bis es schon fast genervt hat, kann man sehr leicht enttäuscht werden - ebenso beim Nachfolger eines persönlichen Lieblingsfilmes oder -Spieles. Weiß man im Vorfeld jedoch gar nichts über ein Werk, nimmt man es oft wohlwollender auf oder hat sogar das Gefühl, einen echten Geheimtipp entdeckt zu haben.

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Bravo Team ist spielbar mit dem Aim-Controller, sowie mit Playstation Move oder dem Dualshock-Controller.

Bei Bravo Team ist Letzteres leider nicht der Fall, denn die Ausgangslage lässt auf wirklich großes hoffen: Es geht um den Aim-Controller, der exklusiv bei PSVR-Spielen die haptische Erfahrung eines Gewehres simuliert und dies in Far Point, mit dem er zusammen auf den Markt kam, auch höchst erfolgreich, fast schon wegweisend umsetzte. Die nächsten Vorschusslorbeeren bringt der Entwickler Supermassive Games mit sich, die mit Until Dawn einen kleinen Meilenstein des „interaktiven Filmes" geschaffen haben und mit dem daran angelehnten Spin-Off Rush of Blood eine fast schon fehlerfrei unterhaltsame VR-Schießbude abgeliefert haben. Zu guter Letzt sorgt das Thema von Bravo Team bei martialischen Gamern für Aufmerksamkeit, versprechen doch die Trailer ein waschechtes Taktik-Shooter-Erlebnis im Stile von Tom Clancys Rainbow Six. Doch im Endeffekt kann sich keine dieser hervorragenden Anlagen im fertigen Spiel durchsetzen.

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Dabei beginnt das Ganze noch recht vielversprechend. Neben dem Aim-Controller können auch Playstation Move oder einfach ein Dualshock-Controller für die Steuerung eingesetzt werden, sodass eigentlich für jeden etwas dabei ist. Das Spiel kann sowohl im Singleplayer mit einem KI-Partner, mit einem Freund oder als für jeden offene Koop-Session gestartet werden. Dann beginnt das Spiel mit einer Cutscene, die sich wie gewohnt in VR erleben lässt und die sofort wieder das spannende Gefühl bietet, sich durch das Aufsetzen des Headsets an einen fremden Ort zu beamen - in diesem Fall ein Militärfahrzeug, das die Eskorte für die Präsidentin eines fiktiven osteuropäischen Landes darstellt. Hier flackert noch ein Hauch des erzählerischen Talents von Supermassive Games auf, doch diese Idylle währt nur kurz: Nach einem brutalen Angriff sind der Spieler und der einzig überlebende Kamerad auf sich alleine gestellt - abgesehen von der unvermeidlichen „Stimme im Ohr", die über Sprechfunk Anweisungen gibt - und so müssen sich die Beiden durch endlose Wellen feindlicher Soldaten kämpfen.

Wobei „Kämpfen" hier doppelsinnig ist, denn allein das Spielen von Bravo Team kann sich in schlechteren Momenten wie ein Kampf anfühlen; beizeiten muss man sich wirklich „durchquälen", und das, obwohl die Spielzeit mit drei bis vier Stunden alles andere als lang ist. Das liegt in erster Linie daran, dass die große Gelegenheit, die VR bietet, nämlich das Gefühl, wirklich selbst vor Ort zu sein, durch eine einzige Designentscheidung im Keim erstickt wird. Das Spiel bietet nämlich keinerlei dynamische Bewegung, man kann nur bestimmte Deckungen anwählen, zu der die Spielfigur dann selbsttätig rennt. Und in diesen Szenen sehen wir die Spielfigur dann in der dritten Person, also von außen. Dies ist einerseits ein nachvollziehbarer Schritt, um Motion Sickness zu verhindern, gleichzeitig aber ein absoluter Immersionskiller.

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Selbst die knapp vier Stunden Spielzeit können sich im neuen Spiel von Supermassive Games echt zäh anfühlen.
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Es fühlt sich alles andere als realistisch an, ständig den eigenen Körper zu verlassen und wenige Sekunden später in ihn zurückzukehren. Dazu kommt, dass man nach der Rückkehr noch nicht mal unbedingt in die Richtung guckt, die man erwartet. Und um das Erlebnis vollends zu ruinieren, gibt es eine Mechanik, bei der sich die Spielfigur mittels Tastendruck aufrichtet, um aus der Deckung hervorzuspringen. Dies erinnert an den Spielhallenklassiker Time Crisis, doch in einem VR-Spiel macht es wenig Sinn, wo man doch viel natürlicher mit dem eigenen Körper agieren könnte, indem man sich wirklich duckt und um Ecken lugt, wie es bei Far Point auch gut funktioniert. Bravo Team kann sich hingegen nicht entscheiden, ob die Deckung nun eine Mechanik ist, sprich gedeckte Positionen bedeutet automatisch, dass man nicht verwundbar ist, oder ob es physikalisch funktioniert, also indem ein direktes Schussfeld eben auch einen Treffer zulässt.

So ist es irgendwie beides und gleichzeitig nichts davon, denn so manche vermeintliche Deckung bietet überhaupt keinen Schutz, selbst wenn man sich schon fast auf den Boden legt. Ebenso kommt es zu Situationen in denen wir an Feinden vorbeirennen und die uns überhaupt nicht angreifen, obwohl sie den ungeschützten Körper der Spielfigur genau vor sich haben. Dazu gesellen sich völlig deplatziert wirkende Stealth-Kills, die ebenfalls in der dritten Person ausgeführt werden und das merkwürdige Gefühl der Pistole, die am ehesten zum Einsatz kommt, wenn die Munition für das Gewehr alle ist - und beim Spielen mit dem Aim-Controller trotzdem gehalten werden muss, wie eine Langwaffe, was wiederum überhaupt nicht zu dem passt, was einem die eigenen Augen sagen. Das Ergebnis ist ein frustrierendes Erlebnis, bei dem man nicht das Gefühl hat, Herr des eigenen Körpers zu sein - alles fühlt sich merkwürdig abgesetzt und indirekt an, ein Gefühl, was bei einem VR-Spiel wirklich schwer zu erreichen ist.

Abgesehen von allen taktischen Überlegungen könnte Bravo Team natürlich trotzdem eine Menge Spaß machen, wenn es eben eine kurzweilige Schießbude wie Time Crisis oder Virtua Cop wäre. Allerdings will auch das nicht so recht gelingen. Das Gefühl, virtuell ein dickes Sturmgewehr in der Hand zu haben, ist im ersten Moment schon faszinierend. Besonders reizvoll ist, dass man durch einen Schlitz im Magazin jederzeit sehen kann, wie viele Patronen man noch hat und dass man den Schalter für die Schussrate sieht (auch wenn sich dieser nicht wie angegeben mit dem Steuerkreuz beeinflussen ließ) und man, wie bei Far Point, hervorragend anlegen und zielen kann. Die Voraussetzungen für zünftigen Ballerspaß sind also zumindest grundsätzlich gegeben, die grauenhaften Gegner verhindern das aber komplett. Die agieren absolut hirnlos, sehen alle gleich aus und erscheinen quasi sofort neu, sobald man einen von ihnen ausgeschaltet hat. Das Trefferfeedback ist dazu noch schwer nachvollziehbar und lasch, ebenso wie der Sound und unterm Strich das gesamte Erlebnis des Schießens, da nicht einmal Holzbretter sich durch die eigenen Kugeln zerstören lassen.

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Zwischen Deckungen zu wechseln reißt uns aus dem Spielfluss heraus. Gleichzeitig fühlt sich das Ballern nicht stark genug an.

Am meisten Spaß macht Bravo Team von daher wie so oft im Koop, sicherlich ist das auch der Modus, den die Entwickler im Sinn hatten. Eine launige Runde zu zweit geht immer, auch wenn sich dann die Gespräche vielleicht um ganz andere Themen als das Spiel drehen, oder man sich über dieses eher lustig macht - denn dafür bieten die hampeligen Animationen und das merkwürdige Gegnerverhalten von Bravo Team eine Menge Futter. Ansonsten ist auf der positiven Seite zu nennen, dass die Umgebungen durchaus schick sein können - auch wenn das Erlebnis unter dem Headset nicht viel mit den hochaufgelösten Promotionsfotos zu tun hat - und dass später andere Waffen wie ein Scharfschützengewehr den Spielverlauf etwas auflockern. Kurz gesagt, das positivste Erlebnis mit Bravo Team hat man sicherlich, wenn man sich auf ein Trash-Feuerwerk erster Güte einstellt, statt wie ich mit sehr hohen Erwartungen an die Sache heranzugehen.

04 Gamereactor Deutschland
4 / 10
+
Stellenweise netter Ballerspaß; ansprechende Grafik und Level-Design.
-
Ständig unterbrochene Immersion; hampeliger Spielablauf; nervige Endlosgegner aus der Retorte.
overall score
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