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A New Beginning

A New Beginning

Wir haben ein Problem. Wir, also die gesamte Menschheit, leben über unsere Verhältnisse. Wir beuten diesen Planeten aus, betreiben Raubbau an der Natur und verschmutzen die Umwelt. Ein Teil der Folgen ist bereits zu spüren - das Ozonloch etwa oder Überschwemmungen und die Ausbreitung der Wüsten. Es wird auch nicht bezweifelt, dass es da einen Effekt gibt, der als Klimawandel bekannt ist. Uneinigkeit besteht jedoch darüber, wer dafür verantwortlich ist und wie dem begegnet werden soll.

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Es wird ständig davon gesprochen, dass die Nachhaltigkeit unseres Handelns im Vordergrund stehen muss, doch wir predigen weiter Wasser und trinken doch nur den Wein. Wir sitzen verlogen vor unserem 40-Zoll großen Fernseher, spielen Playstation mit separater Dolby-Surround-Anlage und lassen nebenbei den Laptop laufen, um mit Freunden zu chatten. Verlogen verweisen wir auf die Energiesparlampen, die währenddessen alle Räume der Wohnung beleuchten. Wir kaufen Bio-Lebensmittel, aber wollen dafür nicht viel ausgeben und lassen sie dafür auch aus Südamerika einfliegen. Wir fordern saubere Energie, aber kosten soll sie auch möglichst wenig.

Dass uns ein Spiel in Form des Adventures A New Beginning all das unter die Nase reibt, ist erstaunlich. Da heißt es tatsächlich: "Dieser ganze Materialismus ist das, was zum Untergang geführt hat!" Man stimmt gerne zu, findet, dass es manche wirklich übertreiben. Und doch kaufen wir jedes Jahr neue Handys und Ipods - die alten landen meist im Müll. Niemand ist gegen den Schutz unserer Umwelt, aber Opfer will auch keiner bringen. Lieber lassen wir zum Schutz der Umwelt noch funktionstüchtige Autos abwracken, um neue zu kaufen, die ein wenig umweltfreundlicher sind. Mit der Neuinvestition legitimiert sich plötzlich auch die Fahrt zum nahe gelegenen Supermarkt, das grüne Gewissen ist beruhigt.

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Eine wundervolle Zeichentrick-Optik mit grandiosem Soundtrack - wer drauf steht, wird sich verlieben.
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Die Geschichte von A New Beginning malt ein Szenario aus, dass uns die Unmöglichkeit, das eigene Verhalten grundsätzlich zu überdenken, irgendwann für die Füße fällt. In vierzig Jahren brechen Naturkatastrophen von unbekannten Ausmaßen über die Erde herein, in weniger als fünfhundert Jahren steht die Erde vor dem totalen Kollaps. Für die Menschen in der Zukunft ist es bereits zu spät, die Fehler der Vergangenheit können sie nicht rückgängig machen. Daher wird der Phoenix-Plan initiiert: "Wir brauchen eine Zeit, in welcher der Klimawandel schon begonnen hat, aber nicht so weit fortgeschritten ist, um die Leute überzeugen zu können."

Es scheint naiv, was man da in der Zukunft von uns erwartet. Es herrscht zu großen Teilen Resignation wie auch bei Bent, einem einsamen Wissenschaftler im Ruhestand. Vor seinem Häuschen am See hat sich Müll angesammelt. Früher hätte er ihn noch weggeräumt, heute schert er sich nicht mehr darum, weil es ohnehin bald wieder neuen Müll gibt. Er hat sein ganzes Leben der Suche nach einer ökologischen Energie-Quelle gewidmet und hat dabei selbst vergessen zu leben. Seine Frau Meta hat ihn dabei immer unterstützt - bis sie nicht mehr konnte.

Als plötzlich Fay, eine junge Frau aus der Zukunft auftaucht, um ihn davon zu überzeugen, seine Forschungen fortzusetzen, winkt er zunächst ab. Er ruft sich seine Ärztin in Erinnerung, die ihm regelmäßig wiederholen lässt: "Ich bin nicht für die ganze Welt verantwortlich." Doch für Fay ist er die einzige Chance, die Zukunft zu ändern und sie widerspricht energisch. "Du allein bist für die Rettung der ganzen Welt verantwortlich!" Aber sie kennt auch die Zukunft, sie vermisst die vielen Tiere und Menschen und hat eher eine Abneigung gegen die ganzen Maschinen, die sich nicht einmal bedanken, wenn man ihnen hilft. Und sie weiß, dass es eine umweltfreundliche, kostengünstige Energiequelle gibt, eine die Bent entdeckt hat: Blaualgen. Weit hergeholt ist das nicht. Auf dem Gebiet der Produktionsbiologie wird daran tatsächlich geforscht.

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In den Zwischensequenzen wird die Handlung in Comicform weitererzählt - alles mit deutscher Sprachausgabe.

Erzählt wird diese Geschichte in Form eines ganz klassischen Adventures. Voran kommt man mit den richtigen Dialogen und dem korrekten Einsatz beziehungsweise der Kombination von Gegenständen. Glücklicherweise werden wir nie auf falsche Fährten gelockt. Jeder Gegenstand hat seine Funktion und die Zahl der Schauplätze bleibt immer übersichtlich. Natürlich bleibt die eine oder andere Merkwürdigkeit nicht aus, aber im Vordergrund steht weniger das verzweifelte Suchen nach dem nächsten Anhaltspunkt, als das Erleben der spannenden Geschichte. Die ist nämlich trotz des etwas zähen Einstiegs und ihres mehr oder weniger vorhersehbaren Ablaufs wirklich gut.

Gleiches gilt für die Präsentation. Freunde der alten Schule werden sich über die wunderschöne Bilderbuch-Optik freuen. Statt ressourcenfressender Grafik bewegen sich animierte Zeichentrick-Charaktere durch selbstgezeichnete Hintergründe. Das Inventar-Menü kann ausblendet werden, auf blinkende Elemente, die eine mögliche Interaktion anzeigen, wurde verzichtet. Zwischensequenzen laufen nicht in aufwendigen gerenderten Videos ab, sondern werden in Form von Comics erzählt. Das wird sicherlich nicht jedem schmecken, zumal die Animationen flüssiger hätten sein können und Daedalic es fertig gebracht hat, dass nur eine Auflösung von 1024 x 768 Bildpunkten im 4:3-Format unterstützt wird. Bitter. Aber das, was man abgeliefert hat, ist stimmig. Das gilt insbesondere für die Kombination mit dem wirklich meisterhaften Soundtrack, welcher der Erstauflage des Spiels auch als CD beiliegt. Hier hat Daedalic ganze Arbeit geleistet.

Hinzu kommt, dass A New Beginning komplett mit deutscher Sprachausgabe ausgestattet ist. Ein paar der Nebencharaktere fallen etwas ab, aber Bent und Fay sind großartig. Der Inhalt der Dialoge ist übrigens bis auf wenige Ausnahmen ebenfalls gelungen und, wenn man sich in die Charaktere hineinversetzen kann, auch glaubwürdig und zuweilen sogar richtig lustig. Als der Energie-Kongress in Oslo verschoben wird, nennt der befreundete Reporter lakonisch den eigentlichen Grund: "Keine Lachshäppchen mehr, der Abend ist gelaufen." Die Menschen aus der Zukunft plagen sich wiederum mit einer Problematik, die auch uns geläufig sein dürfte: "Die Menschen müssen sich aus eigener Überzeugung ändern, wir können sie nicht zwingen." Sollte Gewalt im Kampf für eine gute Sache eine Rolle spielen oder nicht?

All diese Fragen versucht der Titel aufzugreifen. Antworten liefert er nicht für jedes Problem, manche sind auch einfach nicht ohne Weiteres zu beantworten. Aber zumindest wird zum Nachdenken angeregt. Je nach Spielweise ist man mit dem Spiel zehn bis zwanzig Stunden beschäftigt. Verlängert wird der Spaß auch durch den ein oder anderen Spielabsturz. Immerhin gibt es aber durch die automatische Speicherung gute Rücksetzpunkte und auch Dialoge lassen sich per Mausklick beschleunigen.

Zwischendrin lockert A New Beginning die üblichen Adventure-Knobeleien übrigens ein wenig mit Puzzle- oder Schalterrätseln auf. Wer darauf keine Lust hat, kann die aber auch einfach überspringen. Eine wahre Wonne ist der Titel aufgrund kleinerer Macken dann am Ende leider nicht. Aber der großartige Soundtrack und die nachdenkliche Geschichte reißen das wieder raus. Und natürlich muss einem das Genre liegen, um A New Beginning so richtig zu mögen. Dann aber wird man vielleicht abends im Bett liegen und noch einmal über das Spiel und diesen einen Dialog nachdenken: "Ein einzelner Mensch soll für die Zukunft der Menschheit verantwortlich sein?" Die Antwort: "Jeder einzelne und du besonders."

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
spannende Geschichte, logische Rätsel, Zeichentrick-Optik, komplett mit deutscher Sprachausgabe, großartiger Soundtrack
-
träger Einstieg, kaum Rätselhilfen, geringe Auflösung, keine Breitbildunterstützung, Animationen nicht immer flüssig, Spielabstürze
overall score
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KRITIK. Von Martin Eiser

Wir haben ein Problem. Wir, also die gesamte Menschheit, leben über unsere Verhältnisse. Wir beuten diesen Planeten aus, betreiben Raubbau an der Natur und verschmutzen die Umwelt. Ein Teil der Folgen ist bereits zu spüren - das Ozonloch etwa oder Überschwemmungen und die Ausbreitung der Wüsten. Es wird auch nicht bezweifelt, dass es da einen Effekt gibt, der als Klimawandel bekannt ist. Uneinigke...



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