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The Order: 1886

The Order: 1886

Endlich kommt mal wieder ein Exklusivtitel für die PS4. Optisch ist das Actionspiel extrem gut gelungen, aber mit anderen Aspekten hat der Titel so seine Probleme.

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Es ist wirklich schwierig mit The Order: 1886. Was soll man nur machen mit dem Gesamtkunstwerk? Oder besser: Was soll ich nur damit machen? Es ist eines dieser Spiele, über das sich die Videospielexpertenjournalisten kloppen werden. Hardcorezocker dürften mit großer Sicherheit ihre kollektive Häme über Ready at Dawn und Sony ausgießen. Es wird schlechte Wertungen regnen, aus gewissen Ecken. Andere werden es vielleicht sogar richtig lieben. Mit mir und The Order: 1886 ist es derweil schwierig...

Ein Videospiel muss nicht ewig lang sein, um wirklich richtig gut zu sein. Das beweisen zahlreiche Spiele, immer wieder auf ihre Art. Journey zum Beispiel, auch wenn das Sony-Meisterwerk eine ganz andere Art von Spiel ist. The Order: 1886 ist nun wahrhaftig kein langes Spiel. Wer es eilig hat und durchschnittlich gut spielt, wird auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad in sechs bis sieben Stunden durchhuschen. Wer auf Erkundungstour geht, den bremst schnell die Realität des Spiels aus - und wesentlich länger wird das Erlebnis dann auch nicht. Der reine Anteil dessen, was man aktiv spielen kann, macht gefühlt nur etwa die Hälfte des Spiels aus. Der Rest sind entweder reine Zwischensequenzen oder Sequenzen, in denen man den Controller bewegt, um die Episode zu ihrem Ende zu bewegen.

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The Order: 1886The Order: 1886
The Order: 1886 ist ein optisch wunderschönes Spiel. Die Ketzer werden es einen Grafikblender schimpfen, garantiert. So weit mag ich nicht gehen, aber schicker, interaktiver Hollywoodfilm, das denke ich schon immer wieder während des Spielens.
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The Order: 1886 ist ein optisch wunderschönes Spiel, extrem linear, aber dabei sehr stilsicher inszeniert. Die Optik des alten London ist authentisch, erstaunlich und immer wieder berauschend schön. Schauspiel, Bewegungen und Mimik der Charaktere sind auf einem sehr hohen Niveau, alles sieht sehr echt, sehr real aus. Tatsächlich wie in einem Film, es ist wirklich eines der derzeit schönsten Spiele auf der PS4. Es liegt für mich an kleinen Details wie perfekt gestalteten Kerzen, die im Hintergrund flackern. An liebevollst texturierten Kleidungsstücken oder Fußböden. Nie sah ein hundert Jahre alter Holzboden in einem Videospiel so sehr aus wie ein echter Holzboden. Nie haben Uniform und geschulterte Waffe an einem Videospielhelden realer gewirkt. Die Ketzer werden es einen Grafikblender schimpfen, garantiert. So weit mag ich nicht gehen, aber schicker, interaktiver Hollywoodfilm, das denke ich schon immer wieder während des Spielens.

Denn all die Schönheit gibt es nur auf Kosten der Freiheit. Streckenweise ist man minutenlang nur damit beschäftigt, passiv zuzuschauen und zwischendrin immer wieder mal den Stick zum gehen zu bewegen, ein paar Sachen zu bestätigen, um dann weiter zuzuschauen. The Order: 1886 wirkt an diesen Stellen eher wie ein sauschickes Point'n'Click-Adventure. In drei der sechzehn Kapitel macht man tatsächlich eigentlich nichts anderes, außer die Story weiterzuklicken. Wobei man die Zwischensequenzen selbst nie aktiv wegklicken darf, wäre bei dem Konzept allerdings auch Unfug. Die Geschichte ist handwerklich gut und klar erzählt, unterhält aber trotzdem mit überraschenden Wendepunkten. Es geht um Verrat, um dunkle Zeiten, mächtige Männer und Frauen. Die Protagonisten rund um den von uns gespielten Tafelrundensteampunkritter Sir Galahad decken ein breites Spektrum ab, aber es fehlt bei aller Tragik der Ereignisse im Spiel dieser Moment, in dem ich so richtig mitfühle. The Order: 1886 bewegt mich emotional einfach nicht.

Seine besten spielerischen Momente findet das Game in den Actionpassagen. Die Waffen sind toll umgesetzt, fühlen sich genau richtig an. Nicola Tesla, der im Spiel den erfinderischen Steampunk-Q gibt, hat sich ein paar tolle Sachen ausgedacht. Seine Bogenlanze grillt Gegner mit Wireless-Strom. Tesla hat eine Thermit-Wumme entwickelt, die ein Gemisch aus Aluminiumgrieß und Eisenoxidpulver auf Gegner feuert, das sich in der Luft entflammen lässt. Und selbst klassische Revolver oder sehr, sehr breit streuende Shotguns sind ein Heidenspaß. Dazu gesellt sich ein sauber gemachtes Deckungssystem wie in Gears of War, das aber auch Freestyle und Brechstange ermöglicht. Die Steuerung ist immer völlig okay. Für alle Waffen werden im Spielverlauf Gelegenheiten geschaffen, einzig die linear von vorne anstürmenden Feinde nerven auf Dauer. Überrascht wird man von ihnen nicht, flankieren haben sie einfach nicht gelernt. Lieber verharren sie in der Deckung, bis ihnen der wendige Stromstoß aus der Bogenlanze ihre Arme wegreißt oder den Kopf effektvoll zerplatzen lässt.

The Order: 1886
Der Himmel ist ein perfektes Beispiel dafür, wie zahllose Kleinigkeiten wie Windphysik und herrliche Lichteffekte zu einer realistischen Gesamtwahrnehmung beitragen.
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Die zweite Säule der Interaktion sind Quicktime-Events. Die nerven mich, immer schon. Sind handwerklich einfach keine schöne Lösung. In The Order: 1886 muss man manchmal einfach nur einen Knopf drücken, um etwas zu tun, das man auch einfach so aus dem Spiel heraus machen könnte, Leitern heruntersteigen zum Beispiel. Unerträglich sind QTEs, wenn man zwanzig Mal schnell hintereinander X drücken muss, um eine Aktion auszulösen, für die drei Sequenzen vorher noch genau ein Knopfdruck gereicht hatte. Die komplexeren QTEs können ganz okay sein, da sie gut in die Action eingebettet sind. Mit dem Analogstick muss man manchmal in einer Actionszene ein Ziel anvisieren und innerhalb eines Zeitfensters eine Aktion bestätigen. Allerdings: Wenn man an diesen Stellen versagt, bleibt das fast immer quasi ohne Konsequenzen. Man darf fast immer sofort an dieser Stelle wieder einsteigen und es neu versuchen.

Action und QTEs werden immer wieder durch lange Ruhepassagen unterbrochen, was prinzipiell eine gute Idee ist. Tempowechsel und so. Aber in den Ruhepassagen passiert leider wenig interessantes, wenn nicht gerade die Story erzählt wird. Es gibt langweilige Geschicklichkeitsspiele wie Schlösserknacken oder Stromkreise lahmlegen, die man auch einfach (oder sogar besser) per Knopfdruck hätte regeln können. So bleibt das Gefühl, hier wollte jemand die Nettospielzeit verlängern. Dieses Gefühl wird auch an anderen Stellen sichtbar. Manchmal verharrt man die entscheidenden 14 Sekunden zu lange an Übergängen. Wird zum Warten verdonnert, wo es nicht sein müsste.

Die Erzählung ist dadurch streckenweise langatmig. Vielleicht müssen sie nur das Spiel nachladen in diesen Momenten - und die Grafikpracht fordert sicherlich ihren Tribut, was auf an der komischen Auflösung und den schwarzen Balken oben und unten sichtbar ist. Anderseits wirken mehrfach solche Passagen, in denen man lange Strecken in unsinnig langsamen Schritten zurücklegen muss, einfach fürchterlich hilflos und deplatziert.

The Order: 1886
Die Minispiele wie das Türenknacken per Tesla-Spielzeug sind eher langweilige Verlängerungen eines Prozesses, für den auch ein Knopfdruck gereicht hätte.

Dazu gesellen sich so einige Kleinigkeiten, die nerven und handwerklich unschön sind. Man kann die Audioaufnahmen der zu sammelnden Phonograf-Zylinder nicht "live" in der Spielwelt anhören, sondern muss im Textwüstenbildschirm ausharren. Wobei es doch so nett gewesen wäre, nebenbei die Welt etwas zu erkunden und während des Zuhörens die Sammelgegenstände zu suchen und Zeitungen und Fotos anzuschauen. Dafür klappt es im Spiel selbst mit dem Zuhören immer wieder mal nicht. Man kann an vielen Stellen den Gesprächen der anderen Figuren lauschen. Leider laufen die im Loop ab und fangen nach einer knappen Minute Pause einfach wieder an.

Dazu gibt es immer wieder Inkonsistenzen. Man kann sich nicht selbst im Spiegel sehen, der dafür aber beeindruckend aussieht. Oder nicht durch jene Holztür schießen, durch die gerade noch von der anderen Seite Kugeln knallten und die Holzverschalung zersplitterten. Ätzend ist auch, dass die eigentlich böse-bedrohlichen Lykaner, diese Steampunk-Werwölfe, sich mit schlichtesten Strategie (in der Ecke stehen bleiben, draufballern, dann abstechen) töten lassen. Und ich habe tatsächlich eine Sackboy-Puppe gefunden und das Foto einer Hure, deren Name Zelda war. Was soll das?! Und dann ist da noch das Finale. Als Outro ein Keller voller Narren und dann dieses Quicktime-Ende. Das... ach egal... man hat eh keine Wahl.

Im krassen Gegensatz dazu steht der wunderschöne Soundtrack. Er liefert wirklich eine erstklassige, immer passende und toll orchestrierte Untermalung. Die Musik ist so traurig und düster wie die Geschichte des Spiels, man merkt wirklich, dass Studiomitgründer Andrea Pessino der Sound eine absolute Herzensangelegenheit ist. Sicherlich gilt das auch für das gesamte Spiel, aber so leid mir das tut, weil ich mich aufrichtig drauf gefreut habe: So richtig gelungen ist Ready at Dawn das Gesamtkunstwerk nicht. Es ist ein lineares Spiel, daraus haben sie nie einen Hehl gemacht. Es ist sauschick anzusehen, aber leider auch an so einigen Stellen seelenlos. Ich habe mich streckenweise gelangweilt, wurde nie hart gefordert, trotzdem mehrfach bestens unterhalten. Es ist eines dieser Spiele, denen ich am liebsten keine Wertung in einer nackten Zahl geben würde. Weil es ein Spiel ist, das für eine Zielgruppe von Spielern gemacht ist, die kaum Interesse an Wertungen haben, wenig Zeit haben und trotzdem gerne mal das Ende eines Spiels sehen wollen. Es ist ein Casualspiel für Erwachsene, irgendwie.

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
Extrem schicke Grafik, überzeugend gestaltete Spielfiguren, gradlinige Action, wundervoller Soundtrack
-
Spiel wirkt gestreckt, Tempoprobleme, Inkonsistenzen im Detail (auf das sie an manchen Stellen viel Wert legen, an anderen gar nicht), schöne Welt lässt sich kaum erkunden
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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