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Lost Planet 2

Lost Planet 2

Lost Planet 2 erhebt epische Bosskämpfe zur neuen Kunstform. Mindestens. Leider ist der Weg zu diesen krassen Kämpfen nicht immer einfach und zudem gespickt mit einigen Stolperfallen.

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Die Explosionswelle pfeift an mir vorbei wie ein heiserer Kolibri mit Übergewicht. Sie ist deutlich spürbar, wegen der imposanten Soundeffekte. Und deutlich sichtbar, wegen ihrer ebenso imposanten Darstellung. Eine sauber platzierte Klebegranate hatte dem fetten, glänzenden Insekt vor mir den Rest gegeben. Nur ein relativ kleiner Akride zwar, so heißen die Mutanteninsekten in Lost Planet 2, der sich aber in einer gleißenden Explosion verabschiedet und nur noch ein gelben Fleck zurück lässt. Einen Fleck T-ENG. Leckere Energie ist das, um zu regenerieren, sie einem der drei Mitspieler zur Heilung einzupfeifen oder um Container mit dicken Waffen drin zu knacken.

Eine Szene direkt vom Anfang übrigens - und der Anfang von Lost Planet 2 ist sehr vielversprechend. Action der allerbesten Art, mit überdimensionalen, mannshohen Waffen, denen nicht sofort die Munition ausgeht. Ein riesiges Maschinengewehr, abgeschraubt von einem kaputten Mech. Eine Schrotflinte so groß wie ein XXL-Sarg. Das Grinsen im Gesicht ob dieser total überdrehten Herangehensweise an Shooterwaffen macht sich breit. Sehr breit.

Leider gibt keinen festen Helden mehr in Lost Planet 2, sondern man spielt mehrere Handlungsstränge aus Sicht einer von fünf Fraktionen - aber dafür stets mit drei Teamgefährten, entweder sind das KI- oder Netzwerkmitspieler. Und stets meint: immer, denn Lost Planet 2 ist ein Multiplayergame. Und zwar komplett! Das ist die gute und die schlechte Nachricht für das Game. Denn wenn man sich mit drei Freunden bis zu den Bosskämpfen vorarbeitet, dann ist das vorbildlich gelöster Koop-Multiplayer. Jeder kann ballern wie er will, trotzdem wird durch einen gemeinsamen Lebensenergiebalken das Teamplay aktiv gefördert. Der Balken ist allerdings auch nicht immer ein Geschenk, denn er verliert mit jedem Tod eines Spielers an Kraft - und ist der Balken runter, dann heißt es: Game Over! Und häufig wieder ganz von vorne anfangen, denn die Nummer mit den Speicherpunkten hat Capcom einfach mal versaut.

Lost Planet 2
Die Bosskämpfe gegen die riesigen Akriden sind immer wieder absolute Höhepunkte.
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Die Kampagne ist in Episoden und Kapitel eingeteilt, die nun ihrerseits in diverse Gebiete unterteilt sind. Am Ende eines Gebietes ist die Mission abgeschlossen, was durch ein fett angezeigtes MISSION ABGESCHLOSSEN gekennzeichnet wird. Danach gibt es ein Rating der geleisteten Arbeit. Wer jetzt denkt, er könne pausieren, speichern und später weiterspielen, der hat verloren. Denn er wird nach dem Ausschalten des Spiels wieder an den Anfang der Episode geschickt, weil das mit dem Speichern nur bei einem vollständig abgeschlossenen Kapitel klappt. Und das besteht eben aus mehreren erfolgreich absolvierten Gebieten. Warum so kompliziert, Capcom? Benutzerfreundlich geht wirklich anders, zumal MISSION ABGESCHLOSSEN landläufig heißt, dass danach auch automatisch gespeichert wird. Das klein angezeigte "Kapitel abgeschlossen" dagegen sieht man nicht einmal richtig.

Das Ganze wird insbesondere zum Problem, wenn man bedenkt, dass Lost Planet 2 eben als Onlinegame konzipiert ist. Online kommt es immer wieder zu Verbindungsabbrüchen - und man muss damit unter Umständen komplett ungewollt wieder ganz von vorne anfangen, wenn man im vierten Gebiet eines Kapitels nach 40 Minuten und nochmal 15 Minuten Rauferei mit dem Endboss aus Versehen vom Internet abgeklemmt wird. Als Alice DSL-Kunde ist das leider keine Seltenheit - und wird im Kontext Lost Planet 2 somit zum großen Ärgernis.

Lost Planet 2
Das Aktivieren von Datenstationen gehört zum leidigen Alltag während der Kampagne - und beginnt schnell zu nerven.

Nicht wirklich einfacher wird es dadurch, dass die Missionen in den optisch überzeugenden und üppig ausgestatteten Gebieten immer die gleichen sind. Es sind Matrizen bekannter Multiplayeraufgaben - Punkte verteidigen, Punkte einnehmen, mal Datenstationen einnehmen, mal Sensoren einnehmen und verteidigen. Eigentlich ballert man sich die ganze Zeit ein wenig widerwillig bis zum nächsten Bosskampf vor, der einen aber jedes Mal pompös für diese Mühen entlohnt.

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Immerhin gestaltet der Greifhaken die Reise zum Endgegner abwechslungsreich, weil man alle Höhenebenen eines Levels erkunden kann. Das klappt völlig reibungslos, weil die Steuerung insgesamt erstklassig ist - wenn auch ein bisschen überfrachtet mit Optionen. Irgendwie komisch, dass der Zoom der Waffen so passiv auf dem Digitalpad liegt und sich Sprints nicht ohne große Fingerübungen absolvieren lassen. Auch das Drehen der Kamera in 90 Grad-Schritten mit den beiden Bumper-Tasten ist gewöhnungsbedürftig, klappt aber spitze, so bald man es einmal raus hat.

Das beste an Lost Planet 2 sind die Kämpfe gegen die mächtigen Akriden, diese verdammten Insekten, die einem das Leben zur Vorhölle machen. Ein optischer und spielerischer Leckerbissen (sorry dafür, aber hier ist das keine Floskel und passt wirklich mal!). Die riesigen Biester verlangen einem alles ab. Besonders große Exemplare der Kategorie G lassen sich sogar von innen zerlegen - das ist super! Zumal ein Teil der Vierer-Gang draußen ballern kann, während sich die anderen derweil auf den Weg die Speiseröhre runter machen und sozusagen von vorne nach hinten durcharbeiten. Große Videospielmomente, wirklich. Toll ist auch, dass Mechs zur Verfügung stehen, die sogar mit allen vier Spielern gleichzeitig besetzt werden können, so dass einer steuert und drei ballern. Jungsträume, die wahr werden.

Lost Planet 2
Der Zoom ist auch dem Digipad versteckt und lässt sich nicht so richtig toll aktivieren, sonst ist die Steuerung aber gut gelungen.

Leider schwankt die Qualität der Grafik etwas. Während die Bosskämpfe wundervoll sind, sowohl bei den Animationen als auch in der Inszenierung, ist die Grafik zwischendrin gerne mal generisch durchschnittlich und macht in den Filmsequenzen durch das mitunter üble Clipping dann gar keine gute Figur mehr. Das schlechteste an Lost Planet 2 ist allerdings das Verhalten der CPU-gesteuerten Spieler. Als Mitspieler (die man zwingend benötigt, wenn keine Onlinemitspieler verfügbar sind) agiert die KI wie ein dummer Kieselstein. Zum Glück weiß Capcom das offenbar, so dass ein eigentlich auf mich sensibel reagierendes Sicherheitssystem die wild und sinnlos vorpreschenden Typen absichtlich ignoriert. Aber trotzdem reiten die drei CPU-Gefährten einen immer wieder tief in die Scheiße, was angesichts des gemeinsamen Lebensenergiebalkens ärgerlich ist. Wer Resident Evil 5 mit der KI-Sheva zur Seite spielen musste, der weiß, wie nervig schlecht agierende Partner aus dem Hause Capcom sein können.

Als Gegner verhält sich die KI streckenweise unterirdisch schlecht, wirklich. Die Typen stehen teilweise direkt neben einem rum und machen: nichts. Sie scheinen einen nicht einmal zu bemerken: Lost in Lost Planet, welch' fiese Ironie. Wenn sie einen dann doch entdeckt haben, bleiben sie stoisch stehen und ballern stumpf dorthin, wo wir uns verschanzen. Das gilt aber nur für die humanoiden Gegner. Die Akriden agieren schlauer, vielleicht hat man aber auch nur mehr Respekt vor ihnen.

Jenseits all dieser Kritikpunkte bleibt Lost Planet 2 aber ein schönes, bisweilen richtig tolles Spiel. Der Onlinepart überzeugt in sich betrachtet voll und ganz und bietet Entfaltungspotenzial für viele, viele Tage. Die Kampagne bleibt durch die Ratings für die einzelnen Kapitel spannend, wo man immer wieder doch noch mal absolvierte Passagen abklopft, weil noch eine Nebenaufgabe oder Goldmedaille fehlt. Der Multiplayer bietet sechs klassische Modi und den Faktionsmatch-Modus, wo sich einer der fünf Fraktion anschließt, die man auch während der Kampagne spielt. Online allerdings mutiert das Ganze schnell zum Mech-Duell.

Außerdem können wir online die Stufe verbessern und einen Haufen Stuff freischalten wie zusätzliche Waffen, Kostüme, Fähigkeiten und sogar Spitznamen und Verhöhnungsgesten. Da passen sich so lustige kleine Ideen wie der Einarmige Bandit perfekt ein, mit dem wir nach dem Glück- und Zufallsprinzip Individualisierungsoptionen freischalten können. Die Credits dafür müssen aber im Spiel hart erkämpft werden, ebenso hart wie jeder der so großartigen Bosskämpfe, die Lost Planet 2 zu einem besonderen Spiel machen, dass auch nur wegen dieser Fights noch gerade eine 8/10 bekommt.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Epische Bosskämpfe, intensive Action, toller Onlinepart
-
Schlimme KI, mieses Speicherpunktesystem, eintönige Missionen in der Kampagne
overall score
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