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Holz

Holz hält die Welt zusammen, davon ist Reinhard Osteroth überzeugt. Auch, wenn es nicht zu den vier Elementen der alten griechischen Philosophen zählt - Erde, Feuer, Wasser und Luft - und der moderne Mensch mittlerweile weiß, dass das Universum in seinem Innersten aus Quarks & Co. besteht, so ist Holz für den Technik-Historiker Osteroth mehr als ein Werkstoff.

Holz

In seinem Jugendsachbuch „Holz. Was unsere Welt zusammenhält", das im MÄRZ den LUCHS-Preis für Kinder- und Jugendbuchliteratur gewann, nähert sich Osteroth dem Thema Holz wie in einem Werklabor von allen Seiten und mit verschiedenen Techniken. So würdigt er Holz als ältesten Werkstoff der Menschheit, der in seinen vielfältigen Formen als Baumaterial für Schiffe, Festungen und Mühlen bis heute (Musikinstrumente) nicht aus der Geschichte der Menschheit wegzudenken wäre.

Und gerade heute gewinnt Holz angesichts der Klimaveränderung als nachwachsender und CO² bindender Rohstoff eine neue Aktualität (z.B. im Gebrauch von Holzpellets zur Energiegewinnung).

Ob die Rahmengeschichte - wie er als Jugendlicher unter Anleitung seines Vaters eine Kommode restaurierte - wirklich eine jüngere Zielgruppen zu fesseln vermag, sei dahingestellt, im Prinzip handelt es sich bei „Holz" auch eher um ein verjüngtes Erwachsenensachbuch als um ein astreines Jugendsachbuch.

Dafür ist bei allem Bemühen des Historikers für eine jüngere Zielgruppe schreiben zu wollen, der Ton doch ein bisserl zu lehrerhaft und die Aufmachung des Buches mutet trotz seiner Anstrengungen, jung zu wirken (z.B. durch den Einsatz von verschiedene Typogrößen, Mix von Bildern und Illustrationen) eher wie ein Heimatkundebuch, woran die die schwarz-weißen Fotos sowie die braunen Illustrationen und Schriften sicherlich nicht unschuldig sind.

Dennoch: Inhaltlich ist es unbestritten ein sachkundiges und lehrreiches Werk. Sagen wir mal ein: Fan-Buch für Holz-Fans. Und davon darf es ruhig etwas mehr geben. In allen Altersklassen.

Holz. Was unsere Welt zusammenhält
Reinhard Osteroth
ISBN: 978 382 705 449 4
€ 16,90
www.bloomsbury-verlag.de

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Autismus ohne Kiefer Sutherland

Jans Mutter hält es nicht mehr aus. Jan hat deswegen Angst, seine Mutter könnte weglaufen. „Quatsch!", meint sein Papagei Malcolm, Mütter würden nicht weglaufen. Jans Mutter will auch nicht wegen Jan weglaufen, sondern wegen Lisa. Lisa ist Jans ältere autistische Schwester, die nur rote Dinge isst, die nie spricht und die, wenn sie etwas nicht will, lauter schreit als irgendjemand.

Autismus ohne Kiefer Sutherland

Dabei, da ist sich Jan sicher, könnte es auch anders sein. Dann, wenn die Eltern verstehen würden, was Lisa wirklich will. Jan weiß es, denn er kann Lisas Gedanken hören. Sie sind ganz leise, viel leiser als die Gedanken Malcolms, seines Feuerwehrautos, seiner Actionfigur und sines Teddys, die ihm alle immer mit Rat und Trost zur Seite stehen.

Weil seine Mutter es nicht mehr aushält, überlegt man, Lisa in ein Heim zu geben, natürlich keines „dieser schrecklichen Kinderheime wie aus alten Büchern", sondern eines „für besondere Kinder, die im normalen Leben nicht zurechtkommen", erklärt die Mutter Jan, das seien „schöne, freundliche Häuser, in denen sich Leute um die Kinder kümmern". Aber Jan findet das falsch und schrecklich. Was, wenn es Lisa dort nicht gefällt? Und außerdem will Lisa einen Hund, davon ist Jan überzeugt. Aber seine Eltern hören einfach nicht zu.

Aber dann, als Jan ein paar Tage bei seinen Großeltern am Meer verbringt, lernt er Clara kennen und deren Bruder Nils, der ebenfalls autistisch ist. Und Nils Mutter will augenscheinlich nicht weglaufen und auch nicht Nils in ein Heim stecken. Es muss also doch auch anders gehen, sagt sich Jan.
„Streichholzburgen" von Bettina Obrecht ist ein wirklich bemerkenswertes Buch. Selten ist die Gedanken- und Gefühlswelt eines Kindes - die Geschichte wird aus der Sicht von Jan erzählt - so einfühlsam, treffend und witzig in Szene gesetzt worden - was besonders zählt angesichts des Sujets.

Streichholzburgen
Bettina Obrecht
120 Seiten, fester Einband
978-3-8270-5507-1
€ 12,90
www.bloomsbury-verlag.de

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Was von der Evolution übrig blieb

Dass ein Buch über ausgestorbene Tiere äußerst vergnüglich und unterhaltsam sein kann - das ist eine Überraschung. Der großformatige Bildband „Unglaubliche Geschichten von ausgestorbenen Tieren" von Hélène Rajcak und Damien Laverdunt aus dem Verlagshaus Jacoby & Stuart ist es tatsächlich und dazu noch prächtig illustriert.

Was von der Evolution übrig blieb

Vielleicht ist es der einzig gangbare Weg, mit Witz, Ironie und einer gewissen Prise Sarkasmus dem Phänomen zu begegnen, dass der Mensch durch Dummheit, Skrupellosigkeit und entschlossenen Egoismus es immer wieder schafft, eine Spezies dieses Planeten komplett auszulöschen. Entweder in dem er die Lebensgrundlagen dieser Spezies zerstört oder in dem er sie direkt schlicht und einfach bis zum letzten Exemplar aufisst.

Kein schöner Blick auf uns selbst, umso schöner der Bildband, der mit prächtigen Illustrationen aufwartet, die vom Stil her irgendwo zwischen dem der dokumentarischen der Naturforscher des 18. und 19. Jahrhunderts und der Ligne claire des belgischen Comics angesiedelt ist.

Das Buch folgt einem stringenten layouterischen Konzept: Jedem ausgestorbenen Tier gehört eine Doppelseite - auf der Linken geht ein Comic mit teilweise schon absurd-skurrilem Witz an die Frage heran, warum das jeweilige Tier - zum Beispiel das „Tretretretre" oder der „Riesenalk" ausgestorben ist.

Die rechte Seite ziert ein großes Portrait der Spezies. Hier werden allerhand Fragen beantwortet: Wann lebte beispielsweise der Dodo? Was waren die wahren Gründe für sein Aussterben? Biologische Daten und kulturhistorische Hintergrundfakten runden das Ganze ab.

Ein All-Ages-Bildband, geeignet ab 10 Jahren.

Unglaubliche Geschichten von ausgestorbenen Tieren
Hélène Rajcak und Damien Laverdunt
80 Seiten, gebunden, durchgehend farbig
978-3-941787-64-3
€ 18,95
www.jacobystuart.de

Annie, die Riesen und der Tod

Irgendwann stellen Kinder die Fragen, vor denen sich die Erwachsenen immer gefürchtet haben: „Wohin gehen wir, wenn wir tot sind?" „Gibt es einen Gott? Und falls ja, wie sieht er aus und wie ist der eigentlich so drauf?" Oder noch schwieriger: „Warum bringen Menschen sich ums Leben?"

Kitty Crowther, ihres Zeichens Kinderbuch-Autorin, hat keine Angst vor diesen Fragen. Im Gegenteil: Sie hat sie beantwortet. Letztere mit dem Bilderbuch „Annie", das im Februar den LUCHS-Preis für Kinder- und Jugendliteratur gewann. Der LUCHS wird jeden Monat von der ZEIT und Radio Bremen vergeben. Aus den zwölf Monatssiegern wird im November der Jahres-LUCHS gewählt.

Annie, die Riesen und der Tod

Annie lebt an einem See. Wir erfahren, dass sie nicht hübsch und nicht hässlich ist, dass ihre Mutter gestorben ist, und dass Annie immer allein ist. Weswegen sie sehr unglücklich ist. Annie hat so „etwas Schwarzes in ihr", schreibt Kitty Crowther und der Wald um den See herum ist auch schwarz. Annies Kleid ist schwarz, ihre Stiefel, ihr Bett und ihre Truhe sind ebenfalls schwarz. Und die Tapete in ihrem Haus ist mit blassen Kriechgewächsen, wie Morcheln, Pilzen und allerlei Unkraut gemustert, dass tief im Unterholz oder in einem See weit unten und weit weg von wärmenden Sonnenstrahlen vor sich hinvegetiert.

Eines Nachts mag Annie nicht mehr und sie rudert hinaus auf den See zu den drei unheimlichen Inseln, wo sie über Bord springt. Als sie ohnmächtig wird, hebt eine mächtige Hand sie sanft aus dem Wasser. Sie gehört zu einem von drei Riesen. Und die haben ein Problem. Die Riesenfrauen leben nämlich im Meer. Aber der See, früher mit dem Meer unterirdisch verbunden, ist jetzt abgeschnitten von ihm und die Riesen wissen den Weg über Land nicht. Ob Annie ihnen helfen kann? Sie kann.

Wie es dann weitergeht, müsst ihr selber nachlesen.

Der Illustrationsstil von Kitty Crowther ist, wie die gewählte Thematik, einfach nur mutig zu nennen, denn für ein Kinderbilderbuch atypisch duster. Man fühlt sich an die übermächtig drückende Atmosphäre in Otfried Preußlers „Krabat" erinnert. Auf den ersten Blick muten die Illustrationen fast ungelenk an. Annies Gesicht und die der Riesen sind einfach und flächig angelegt, wirken eher wie nicht weiter ausgeführte Skizzen. Dagegen kontrastieren die fein schraffierten Landschaften.

Wenn aber dann die Riesen mit Annie durch die dunklen Wälder gen Meer schreiten, sind sie es, die von innen her in der Dunkelheit leuchten. Sie symbolisieren die Hoffnung auf eine Veränderung in einer von Negativität geprägten Welt - und den Willen und die Kraft diese umzusetzen. So harmonieren die scheinbaren Gegensätze - das düster-schwere des versuchten Suizides und das kindlich-naive des Märchens geben der Geschichte eine schwebende Balance.

Schon einmal beschäftigte sich Kitty Crowther mit dem Tod: Für das Kinderbilderbuch „Der Besuch vom kleinen Tod" wurde sie mit dem Astrid Lindgren Memorial Award ausgezeichnet. Besucht wird vom Tod das kleine Mädchen Elisewin.

Wie in „Annie" versteht Kitty Crowther es auch hier meisterhaft dieses schwere Thema mit einer geradezu entrückenden Leichtigkeit anzugehen. So dass, wenn man das Buch zuklappt, ein friedvolles Lächeln die Reaktion ist. Und der Gedanke: „Ist doch gar nicht so schlimm." Was will man mit einem Buch mehr erreichen?

P.S. Keine Panik! Ihr glaubt doch nicht, dass ich euch mit der Frage der Fragen alleine lasse. Ja, die: Ob es einen Gott gibt und falls ja, wie er aussieht, verrät euch Kitty Crowther in ihrem jüngst bei Carlsen erschienenen - natürlich wunderbaren - Werk „Der kleine Mann und Gott". Was ich vorab schon mal verraten kann: Die Antwort lautet nicht „42".

Kitty Crowther
Der kleine Mann und Gott
ISBN: 978-3-551-51770-8
€ 12,90
Carlsen Verlag

Kitty Crowther
Annie
ISBN: 978-3-551-51768-5
€ 12,90
Carlsen Verlag

Kitty Crowther
Der Besuch vom kleinen Tod
ISBN: 978-3-551-51758-6
€ 12,90
Carlsen Verlag

Mouse Guard - Von Schwertern und Äxten

Wir schreiben das Jahr 1154. Im June Alley Inn hat sich wie an jedem Abend eine bunte Mischungvon Dorfbewohnern, Farmern, fahrenden Händlern - jungem, wie altem Volk eingefunden. Es ist die einzige Kneipe in Barkstone - aber deswegen kommen die Mäuse nicht. Sie genießen die herzliche Gastfreundschaft von June, die dafür in den gesamten Maus-Territorien gerühmt wird.

Aber eines Abends platzt der gutmütigen Gastwirtin dann doch der Kragen: Denn allesamt wie sie da sitzen, trinken und plaudern, stehen bei ihr in der Kreide. Ihre Ansage: Entweder zahlen oder eine Geschichte erzählen. Der beste Geschichtenerzähler bekommt die Zeche erlassen, der Rest zahlt innerhalb von sieben Sonnenuntergängen.

„Mouse Guard - Legenden der Wächter" ist eine Anthologie mit Geschichten aus dem Mouse Guard-Universum von David Petersen. Es ist der dritte Band seiner Mouse Guard-Reihe. 2008 debüttierte Petersen mit „Mouse Guard - Herbst 1152" und gewann mit seinem All Ages-Comic gleich den Eisner Award in der Kategorie „Beste Publikation für Kinder".

Mouse Guard - Von Schwertern und Äxten

Die Mouse Guard-Saga ist aber beileibe kein Kuschelmäuse-Kinderbuch, sondern eine, wenn es auch zunächst widersprüchlich klingen mag, grausam-reale mittelalterliche Fantasy-Welt, in der die Mäuse, am unteren Ende der Fresskette und damit auf dem Speiseplan aller größeren fleischfressenden Spezies stehend, einen tapfer-verzweifelten Kampf ums Überleben führen.

Zwischen den Wurzeln knorriger Bäume und den Klüften klammer Bergkämme haben die Mäuse ihre Wohnstätten und Festungen angelegt, sorgsam vor den Augen ihrer schlimmsten Feinde - den Wieseln und Dachsen, den Füchsen und Habichten verborgen.

Die Mouse Guard - die Mauswacht - eine Wehr Freiwilliger, die keinem der lokalen Mäuse-Lords untersteht, sorgt für Schutz und Sicherheit in den Maus Territorien von Dawnrock im Norden bis Willowroot im Süden und von Pebblebrook im Westen bis zur Grenze am Wild Country im Osten.

Die Idee, das Mouse Guard-Universum nicht als quietsch bunte Parallelwelt à la Bernard und Bianca anzulegen, sondern es gleichsam in eine reale mittelalterliche Welt zu implementieren, setzt David Petersen konsequent in Strich und Kolorierung um.

So nimmt er die die Gegebenheiten der natürlichen Lebensumgebung von Mäusen in Feld, Wald und Wiese - Erde, Felsen, Laub, Unterholz - und die jeweiligen Jahreszeiten als Palette für seine Illustrationen. So herrschen in „Mouse Guard - Herbst 1152" die erdig-warmen Farbtöne des Herbstes vor: alle denkbaren Mischvarianten von Braun, Rotbraun, Beige, Gelb, Grün, Grau, Ocker und Schwarz, was die Mäuse mit ihrer Umgebung nahezu verschwimmen lässt.

Die Handlung des zweiten Bandes „Mouse Guard - Winter 1152" spielt wiederum in einer komplett eingeschneiten Landschaft. Die Dunkelheit des Nachthimmels und der das Mondlicht reflektierende Schnee geben starke Kontraste vor, sodass hier klare Konturen und „kalte Farben" - blau und weiß, schwarz und violett - dominieren.

Bereits zum viel beachteten Start von Mouse Guard steuerten Zeichnerfreunde und -kollegen von David Petersen „Pinups" der Mäusehelden bei, die im Anhang der sehr schön ausgestatteten Comics präsentiert werden. Die Idee reifte, sie ebenfalls Geschichten der Mauswacht erzählen zu lassen. Aber wie diese in die jahreszeitliche Chronologie einbetten? So entstand die Anthologie „Mouse Guard - Legenden der Wächter". Ein mutiges Konzept, denn nicht jeder Kreative gibt gerne sein „Baby" in die Obhut anderer.

Das Ergebnis ist mehr als überzeugend. Zwölf fesselnde Geschichten umfasst die Anthologie, die vom selbstlosen Einsatz der Mauswacht und ihrer Gründer in der Altvorderenzeit erzählen. Petersen verbindet die einzelnen Stories mit Brückenszenen aus dem June Alley Inn - bis schließlich June den Sieger verkündet. Wie immer bei kreativen Wettbewerben, bleibt es eine subjektive Entscheidung, welche Geschichte letztendlich die beste ist.

Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie das Mouse Guard-Universum mit packenden Geschichten bereichern und, dass trotz der beeindruckenden Bandbreite der dargebotenen individuellen Stile Mouse Guard von allen Comic-Künstlern kongenial interpretiert wurde.

All Ages-Comics, die man guten Gewissens älteren Kindern empfehlen kann und dennoch für Erwachsene kein Kinderkram sind, gibt es leider nur sehr wenige - Mouse Guard gehört dazu.

Mouse Guard - Legenden der Wächter
ISBN: 978-3-942649-68-1
Hardcover, vierfarbig, 144 Seiten

Mouse Guard - Winter 1152
ISBN: 978-3-941248-26-7
Hardcover, vierfarbig, 196 Seiten

Mouse Guard - Herbst 1152
ISBN: 978-3-936480-55-9
Hardcover, vierfarbig, 192 Seiten

Empfohlen: Ab 8 Jahre
je € 24,90
Cross Cult