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BLAST

In einem hohen schmalen Raum sitzt ein unfassbar unförmiger Mann. Auf dem schwabbeligen halslosen Körper klebt ein kugelrunder kahler Kopf aus dem eine grotesk geformte dunkel gefärbte Nase ragt. Sie ähnelt mehr einer Wurzel als einer Nase. Es könnte auch eine Knolle sein oder das Geschlechtsteil eines Tieres, das keinen Namen hat, weil es niemand benennen wollte - weil es so abgrundtief hässlich ist.

BLAST

Der fette Mann sitzt, wie wir erfahren, in einer Zelle. Von außerhalb der Zelle wird er von zwei Flics argwöhnisch belauert. Ihrem Gespräch und den folgenden mit ihrem Vorgesetzten meint man zu entnehmen, dass dieser schrecklich fette Mann ein entsetzliches Verbrechen begangen hat. Es geht um das, „was er Carole angetan hat". Sie wollen ihn „verstehen", „alles" soll herauskommen. Der fette Mann hat damit kein Problem. Bereitwillig erzählt er seine Lebensgeschichte. Und vom „Blast".

Blättert man die ersten Seiten von Manu Larcenets „Blast" um, beschleicht einen dieses dumpfe unbestimmte Gefühl, einen Weg zu betreten, den man nicht gehen will. So muss sich Special Agent Clarice Starling gefühlt haben, als sie sich blind in die nachtschwarze Finsternis des Kellergewölbes von Buffalo Bill hinein tastete, ahnend, dass nicht nur diese kaltherzige Bestie auf sie lauert, sondern noch etwas viel schlimmeres, etwas unvorstellbar grauenhaftes, auf sie wartet.

Der fette Mann erzählt eine Geschichte der Verwahrlosung - oder der Befreiung - je nachdem aus welchem Blickwinkel man seine Geschichte des Herausschälens aus dem gesellschaftlichen Kontext und seiner Normen betrachten will. Er berichtet bereitwillig, dass er nach dem Tod seiner Frau alles aufgegeben und sich anschließend in die Wildnis begeben hat.

Dort erlebt er den „Blast", eine Art orgiastischer Super-Kick. Danach erwacht er jedes Mal mit einem Gedächtnisverlust. Was ist passiert? Man erfährt es nicht, denn er weiß es selbst nicht. Und da wir die Geschichte aus seinem Munde erleben, bekommen wir darüber keine Erkenntnis, sondern müssen darauf warten, dass er seine Geschichte weitererzählt.

Marcenet ist bei der Darstellung des Superrausches einen sehr ungewöhnlichen Weg gegangen. Besticht der Stil von „Blast" durch einen verwaschenen Tuschestrich in Schwarzweiß, stellt er den Blast selbst durch Kinderzeichnungen dar, die mit ihrer buntnaiven Fröhlichkeit wie Blitze in ein tristes Meer aus depressivem Grau einschlagen.

Blast hat eine monumentale Wucht und eine Gewagtheit, die seinesgleichen sucht. In Abwandlung eines Brecht-Zitates könnten man die These formulieren: „Jede Zeit bekommt die Kunst, die sie verdient." Insofern passt dieses grandiose Meisterwerk in unsere Zeit des soziokulturellen Verfalls und der Verrohung des Einzelnen.

Im April 2013 wird „Blast 2 - Die Apokalypse des heiligen Jacky" bei www.reprodukt.com erscheinen. Das Gesamtwerk ist auf 4 Bände angelegt.

Manu Larcenet
BLAST 1 - Masse
208 Seiten, schwarzweiss & farbig, Hardcover
€ 29,00
ISBN 978-3-943143-12-6
www.reprodukt.com

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Graphic Novel „Packeis"

Egal, ob man Comic-Fan ist oder noch nie einen Comic aufgeschlagen hat: DIESE Graphic Novel - „Packeis" - von Simon Schwartz muss man gelesen haben. Vorausgesetzt natürlich man liebt gute Geschichten und hat einen Sinn für Ästhetik. Denn Packeis ist beides: Ein großer mitreißender Roman und überwältigend schöne Illustration.

Graphic Novel „Packeis"

„Wer war Matthew Henson?" fragt der Klappentext und der Autor und Zeichner Simon Schwartz geht der Frage auf 150 (!) Seiten nach. Der Afroamerikaner Matthew Henson war Assistent und Reisebegleiter - sozusagen der Tenzing Norgay - von Robert Peary und wahrscheinlich der erste Mensch am Nordpol und nicht Robert Peary, der dieses für sich reklamierte (was bis heute bezweifelt wird).

Der Grund, dass Matthew Henson nahezu vergessen ist, liegt nicht nur im krankhaften Ehrgeiz Pearys begründet, der mit allen Bandagen um den Ruhm kämpfte, als Erster den Nordpol erreicht zu haben, sondern auch darin, dass Henson zu seiner Zeit nicht die „richtige" Hautfarbe hatte, um als Entdecker gefeiert zu werden.

„Packeis" ist vieles zugleich: Abenteuerroman, Geschichte des Rassismus, Sittengemälde und Psychogramm einer imperialistischen Gesellschaft. Das Erstaunliche dabei ist, dass es Simon Schwartz nicht nur gelingt, diese Themenfelder miteinander zu verknüpfen, sondern gerade und trotz der reduzierten Form der Grafik eine emotional tief bewegende Geschichte erzählt. Seine Bildsprache ist so präzise, dass er manchmal seitenlang ohne Text auskommt.

Nach seinem Erstlingswerk „drüben!"zeigt Schwartz hier erneut sein großes Talent. „Packeis" wurde verdient mit dem renommierten „Max-und-Moritz-Preis" („Bester deutschsprachiger Comic 2012") ausgezeichnet.

Simon Schwartz
Packeis
176 Seiten, Softcover
€ 19,95
ISBN 978-3-939080-52-7

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Paralleluniversum - genannt „Star Wars"

Weihnachten ist vorüber und niemand aus deiner Familie oder dem Freundeskreis hat dir, einem beinharten Star Wars-Geek, einen Star Wars-Fanartikel geschenkt? Weil alle annahmen, dass du sowieso alles schon von Star Wars besitzt?

Dann ist es an der Zeit, sich selbst zu beschenken! Und was könnte da passender sein bei dem fiesen Schmuddelwetter, als ein dicker Star Wars-Schmöker? Wetten, dass selbst du, der seine Zeitgenossen mit Star Wars-Anekdoten zu langweil ... ähm ... zu unterhalten weiß, interessantes, amüsantes und neues in „Star Wars - Die offizielle Geschichte von 1977 bis heute" finden wird?

Paralleluniversum - genannt „Star Wars"

Auf 328 großformatigen Seiten breiten die drei Autoren die komplette Exegese des Star Wars-Universums aus. Eingebettet in das multimediale Zeitgeschehen zeigen sie die vielfältigen Einflüsse auf und machen so das Phänomen als Teil der Popkultur begreifbar.
Denn, auch wenn 1977 für Star Wars-Fans das Jahr 0 neuer Zeitrechnung ist, so ist es zugleich von Hippietum, Punkbewegung und last but noch least durch den Disco-Trend geprägt. Und ein Jahr zuvor, wird tatsächlich Zukunft zur Gegenwart durch den ersten Apple-Computer.

Das Behind The Szenes-Material von den Drehorten oder den Modellbauern im Studio, die an den Raumschiffen herumtüfteln, ist natürlich ein Fest für den Fan, ebenso die prächtigen doppelseitigen Bilder des Konzeptkünstlers Ralph McQuarrie (der Erfinder des Star Wars-Looks) oder erste Rohskizzen von Tie-Fighter, X-Wing und Todesstern, die George Lucas für Ralph McQuarrie zur Anschauung anfertigte.

Zum Schluss ein Tipp: Fang dieses Jahr rechtzeitig vor Weihnachten im Kreis deiner Lieben an, dein Leid zu klagen, dass dir niemand mehr etwas aus dem reichhaltigen Star Wars-Merchandisingangebot schenkt, weil alle denken, du hättest alles schon. Dabei würden dir noch ... fehlen und ... und sogar ...!

Ryder Windham, Dan Wallace, Pablo Hidalgo
Star Wars™ Die offizielle Geschichte von 1977 bis heute
328 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag & Hologrammfolie
rund 1.000 Farbfotografien & Illustrationen
ISBN 978-3-8310-2205-2
€ 24,95 (D) / € 25,70 (A) / sFr 35,50
www.dorlingkindersley.de

Der Hobbit - Hin und zurück auf Papier

Morgen startet der 1. Teil, der von Tolkien- und Fantasy-Fans sehnlichst erwarteten Verfilmung von „Der Hobbit", die Mittelerde-Heerführer Peter Jackson letztlich dann doch höchstpersönlich umsetzte.

Als ich im Frühjahr diesen Jahres durch Halle 2 (Kinder- und Jugendbuch) der Leipziger Buchmesse schlenderte, fielen mir auf dem Klett Cotta-Stand, der sich strategisch günstig mit seiner Hobbit Presse vor der Fantasy Leseinsel positioniert hatte, gleich zwei neue Ausgaben von „Der Hobbit" auf - eine davon eine Neuedition speziell für Kinder. In Erwartung des Filmgroßereignisses vor Weihnachten Grund genug, die Kinderausgabe in Augenschein zu nehmen.

Der Hobbit - Hin und zurück auf Papier

Bereits beim ersten Satz stutzte ich: „In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit." Den kannte ich anders. Ich hatte den „Hobbit" in meiner Jugend gelesen, und da hieß es: „In einer Höhle in der Erde, da lebte ein Hobbit." War das Buch neu übersetzt worden?

Mitnichten. Schon seit den Siebzigern existieren zwei Übersetzungen von Tolkiens „The Hobbit or There and Back Again" parallel nebeneinander: „Der Hobbit", übersetzt von Wolfgang Krege, erscheint nach wie vor bei Klett Cotta. Von dtv junior wiederum wird eine Ausgabe von Tolkiens Kinderbuch in der Übersetzung von Walter Scherf publiziert, zur Abgrenzung unsinnigerweise tautologisch „Der kleine Hobbit" genannt.

Welche Übersetzung ist nun „besser", werkgerechter? An dem Umstand, dass Tolkien selber die Wohnhöhle von Bilbo Beutlin im ersten Satz ungenau und irreführend beschreibt, können beide Übersetzer nichts. Denn Bilbo Beutlins Behausung liegt weder „in der Erde" noch „im Boden". Vielmehr ist sie in einen sanften Hügel hinein gebaut, mit Tür und Fenstern, was man nach Tolkiens ersten Worten nicht vermutet. (Als ich damals den ersten Satz las, hätte ich das Buch fast beiseite gelegt.) Aber die Wohnung ist auf jeden Fall eher eine „Höhle" und kein „Loch".

Auch, wenn Übersetzungen immer auch Geschmackssache sind: Die Scherf-Übersetzung passt einfach besser zum Stoff. Er befleißigt sich eines altmodischen Sprachgebrauchs, wie er zu einem großen Fantasy-Stoff passt. Zwar führt seine Übersetzung auch mal zur Verwirrung, zum Beiospiel, wenn es um „Nadel" geht, Bilbos Elbendolch, den er „Stich" nennt. Und mal ist „Nadel/Stich" bei Scherf ein „Messer", dann wieder ein „Dolch" und dann sogar „Kurzschwert".

Für den kindgroßen Hobbit Bilbo Beutlin ist nun mal das, was ein Dolch für einen Elben ist, in der Proportion für ihn so lang wie ein römisches Kurzschwert. Was Herrn Scherf wohl nicht so klar war. Aus dem Gesamtzusammenhang wäre es schon zu erschließen gewesen, aber um ihn und auch Herrn Krege in Schutz zu nehmen, was nun bei der Lektüre der Krege-Ausgabe (und bei erneuter Durchsicht der alten Scherf-Ausgabe aus den 80ern) auffiel: Tolkien beschreibt recht wenig, wie die Dinge, die er erfunden hat, gestaltet sind.

Tolkien verliert zum Beispiel kein Wort darüber, wie Gollum eigentlich aussieht! Auch nicht darüber, was man eigentlich unter einem Ork zu verstehen hat - weder Physiognomie, noch Kleidung würdigt er eines Satzes. Aber auch an der Dramaturgie hapert es (Achtung! Im nächsten Absatz wird etwas verraten, also diesen Absatz überspringen, falls gewünscht!).

Der Drache Smaug, der als Schreckensgestalt das Buch über aufgebaut wird, und den Tolkien wirklich wunderbar als selbstgefälliges soziopathisches Monster wie einen Mobster-Paten agieren lässt, bekommt zwar einen guten - aber nur einen einzigen (!) - Dialog. Das war´s! Unglaublich!

Dann lässt Tolkien seine Helden zwar in jede Menge haarsträubende Abenteuer stolpern, die eine gehöriges Potential an Slapstick-Humor in sich tragen oder jede Art von Action bieten in Form von Verfolgungen oder Kämpfen. Aber: Die Ideen werden einfach nicht ausgearbeitet. Ich will nicht sagen, er hetzt durch seinen Roman, aber jedes Kapitel hätte drei-, ja viermal so lang sein können - ohne an Substanz zu verlieren.

Insofern sollte man - das sage ich nun, bevor ich die Verfilmung gesehen habe - Peter Jackson und den Produzenten nicht den Vorwurf machen, dass sie knappe 300 Taschenbuchseiten zu drei Dreistundenfilmen aufgebläht haben. Im Gegenteil. Dankbar sollten die Fans sein, dass er den Stoff die Präsenz gibt, der er verdient. Ganz abgesehen davon, dass Tolkien die historischen Zusammenhänge zwischen den Geschehnissen im „Hobbit" und der Zeit bis zu den großen Kriegen in „Der Herr der Ringe", die eine ausführlichere Schilderung in Buchform verdient hätten (jeder Verleger würde sich heute dafür die Finger lecken ...), im Anhang von „Der Herr der Ringe" geradezu versteckte.

In der Verfilmung werden sie nun zu ihrer Geltung kommen. Ansonsten würden die Fans viele liebgewonnene Gestalten aus „Der Herr der Ringe", wie Galadriel, Sarumann, Frodo, Elrond und Legolas auf der Leinwand nicht wiedersehen - weil sie keine Erwähnung in „The Hobbit or There and Back Again" finden - egal in welcher Übersetzung.

Aber kommen wir zurück zur Neu-Editierung. Taugt sie was? Um es mit einem Wort zu sagen: Sie ist verblüffend. Denn die Kinderausgabe hat zwar eine kindgerechte große Schrift und eine (!) Illustration, die sich immer wiederholt, aber es gibt keine Karte von Mittelerde.

Die Ausgabe aus dem Frühjahr 2012 für Erwachsene (bereits durch eine neue ersetzt), enthielt zwei Karten. Und ausgerechnet die Kinderausgabe hat keine Karte? Das ist sehr, sehr eigenartig und nicht nachzuvollziehen. Und ärgerlich ist es auch.
Fazit: Vielen Dank J.R.R. Tolkien für dieses wunderbare Buch (Auch, wenn es viel, viel dicker hätte sein können.).

Die neue Klett-Cotta-Edition von „Der Hobbit" in der Übersetzung von Wolfgang Krege sieht gut aus, ansonsten aber wundert man sich über eine Editierung für Kinder ohne Mittelerde-Karte(n).

Der Hobbit: Kinder- und Jugendbuchausgabe

gebundene Ausgabe, 462 Seiten
Klett-Cotta; Auflage: 1., Aufl. (15. März 2012)
ISBN-13: 978-3608938647

Wo Käpt´n Blaubär Blaubeerkuchen isst

Es war längst überfällig - ein Lexikon zu Zamonien, den Kontinent der Magie und Wunder, der Schrecksen, der Leidener Männlein, der Wolpertinger und Kratzen und vielen anderen wunderlichen Gestalten, die im Laufe von sechs Zamonien-Romanen den Labyrinth artigen verschlungenen Gehirnwindungen eines Walter Moers entsprungen sind.

Wo Käpt´n Blaubär Blaubeerkuchen isst

Zwar liefen sich Moers Helden, wie Käpt´n Blaubär, Rumo, Hildegunst von Mythenmetz in Zamonien nie über den Weg, aber sie eint eben eines: Sie alle leben in dieser fiktiven Welt. Nun können die Fans der Walter Moers Zamonien-Romane noch einmal die Orte besuchen, wie die Süße Wüste, den Malmstrom, die Finsterberge oder Sledwaya, die ungesundeste Stadt Zamoniens - Stätten, die einst beim Lesen wohlige Schauer des Entsetzens auslösten.

In Zusammenarbeit mit der Illustratorin Anja Dollinger ist ein nettes Kompendium entstanden. Ihre witzig gestalteten Grafiken lockern das Lexikon auf, bereichern und erweitern die textliche Informationsflut.

Zamonien / Entdeckungsreise durch einen phantastischen Kontinent - Von A wie Anagrom Ataf bis Z wie Zamomin

312 Seiten
zahlreiche Illustrationen
ISBN: 978-3-8135-0530-6
€ 22,99