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The Town of Light

The Town of Light: Besuch der Volterra Lunatic-Nervenheilanstalt

Wir haben eine Nervenheilanstalt in Italien besucht, wo tausende Menschen mit mentalen Problemen behandelt wurden, um das Vorbild von The Town of Light zu entdecken.

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The Town of Light ist ein wirklich ambitioniertes Projekt eines achtköpfigen Teams, das einen rührenden Einblick in das Leben in einem psychiatrischen Institut im 20. Jahrhundert bietet. Es dokumentiert das Ringen einer jungen Frau mit psychischen Störungen, versucht das Stigma zu lüften und damit Aufmerksamkeit für psychische Erkrankungen zu erzeugen. The Town of Light behandelt das Thema elegant, versucht sich von den Vorurteilen zu lösen und die Geschichte neu zu erzählen. Wir durften noch vor dem Konsolenstart im Volterra Lunatic Asylum in Italien - dem Institut, das auch im Spiel eine Rolle spielt - einen Blick auf das interaktive Abenteuer werfen und mit Art Director und Screenwriter Luca Dalo sprechen.

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Nach einem Spaziergang durch die Hallen der abgelegenen Klinik war es wirklich berührend, sich vorzustellen, wie an diesem Ort früher tausende von Patienten um ihr geistiges Wohlergehen gekämpft haben. Die verfallenen Mauern der Nervenanstalt sind heute voller Graffiti, die die Emotionen jener zeigen, die diesen Ort besucht haben. Den größten Eindruck hinterließ bei mir ein Besuch auf dem Friedhof der Patienten. Bei Ankunft in der Klinik wurden sie ihrer Identität beraubt, die Gräber zeigen lediglich die Nummern der Verstorbenen.

Im Spiel selbst beeindruckt die Darstellungen der Architektur und des Verfalls. Einstürzende Abschnitte, abblätternde Farbschichten und die Graffitis sind für immer im digitalen Format konserviert. Es fühlt sich sehr surreal an, den gleichen Ort mit den Augen von Renèe zu erkunden. Nach der Tour hatte ich die Gelegenheit, das Museum des Instituts zu besuchen, das früher als Anmeldung für die Patienten diente. Hier durften wir die erste Stunde des Spiels erleben, Kunstwerke der Patienten bewundern und bekamen einen Live-Action-Trailer gezeigt. In einem Nebenraum gab es staubige, alte medizinische Ausrüstung zu sehen.

Die Anlage wurde 1978 geschlossen, nach dem in Italien schärfere Gesetze für psychiatrische Anstalten beschlossen und eine neue Ära für Volterra eingeläutet wurde. Die Schließung wurde vor allem durch den intensiven Einsatz von Elektroschock-Therapie ausgelöst, die dem Institut den Namen „Ort ohne Wiederkehr" eingebracht hat. Die Dichtmachung der Anstalt sorgte in der Region für hohe Arbeitslosigkeit, da das Krankenhaus viele der 11.000 Einwohner des Ortes mit Arbeit versorgt hatte. Statt Renovierungsarbeiten oder einem Abriss, entschied man sich dazu, die Anlage in ihrem Zustand zu belassen, da sie fest mit der Identität des Ortes verknüpft ist.

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The Town of Light ist ein emotionales, psychologisches Drama. Wir Spieler übernehmen die Rolle der jungen Renèe und helfen ihr dabei, ihre eigene Geschichte zu erkunden. Je mehr sie sich ihrer schwierigen Vergangenheit stellt, desto weiter öffnet sich uns die Anstalt. The Town of Light ist eine gut erzählte, emotionale Erfahrung, aber das Spiel hatte auf dem PC einige technische Probleme. Die Konsolen-Version scheint ein paar dieser Schwierigkeiten ausgebügelt zu haben, auch wenn die Framerate manchmal einbricht.

Art Director Luca Dalco erzählt, das Spiel sei von seiner eigenen Erfahrung mit psychischer Krankheit inspiriert und er hätte diesen Ort bei seinen Forschungen entdeckt. The Town of Light soll einen akkuraten Schnappschuss dieser Ära zeigen und vielleicht einen Dialog über geistige Gesundheit öffnen, um die Aufmerksamkeit und Akzeptanz an das Thema zu steigern. Auch wenn man sich durch die Geschichte mit Protagonistin Renèe verbunden fühlt, wollte Lucas Team die Fakten authentisch präsentieren, damit man sich selbst ein Urteil bilden kann.

Luca hat auch über die ethnischen Probleme gesprochen, auf die er gestoßen ist, als er darüber nachdachte, die Person von Renèe zu erschaffen. Die Frage, ob er von der Authentizität abrücken oder jemandes wahre Geschichte erzählen soll, beschäftigte ihn lang. Bei der Entwicklung der Figur erschuf er ein Storyboard mit ungefähr 200 Seiten Umfang, in dem ihr Leben von Geburt bis zum Tod erzählt wurde. Die Geschichte war inspiriert von seinen Forschungen, dem Lesen von Büchern, durch Interviews mit Beteiligten und dem Erkunden der Umgebung. Er sagt, dass nur etwa 15 Prozent davon tatsächlich im Spiel auftauchen, aber um es glaubwürdig zu machen, brauchte es einer kompletten Geschichte. Diese minutiöse Planung zeigt sich im Spiel, in dem man eine echte Verbindung zu Renèe aufbaut und emphatisch ihre düstersten Momente miterlebt.

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Der reale Horror von The Town of Light ist die Verbindung der Geschichte mit der Realität - die Erfahrungen von tausenden von Menschen mit eigener Haut nach zu erleben. Durch den Teenager-Protagonisten Renèe wird der Atem der Wirklichkeit auf eindringliche Art und Weise mit Authentizität gefühlt, da sie Zeuge der primitiven Behandlungsmethoden des Instituts, der schwerwiegenden Überfüllung und der schrecklichen Momente des Missbrauchs wird. Während wir viele andere Horror-Titel als Werke der Fiktion nennen können, sind die Themen von The Town of Light besonders tiefgreifend, da sie in der Realität verwurzelt sind und Themen anpacken, die wahrscheinlich einen Einfluss auf uns alle haben würden.

Das Spiel erscheint bald auf den Konsolen und wird noch mehr Sammlerstücke für die Geschichte, sowie ein verbessertes Voice-Action beinhalten. Mit Blick auf die Zukunft hofft Lucas Team darauf, Videospiele weiterhin als Medium zu verwenden, um ähnliche Geschichten zu erzählen. Uns wurde gesagt, dass in der Konsolenversion einige Easter Eggs versteckt wurden, die darauf hindeuten. Nachdem wir den Grad der Leidenschaft und die Hingabe, mit der das Team die Echtheit ihres Spiels ablichtet, gesehen haben, freuen wir uns sehr darauf, zu sehen, welche Geschichten sie als nächstes erforschen. The Town of Light mag vielleicht kein perfektes Videospiel sein, aber es ist ein Titel, der um eine wichtige Sache aufgebaut ist und das mit einem Thema punktet, das nur wenige Spiele überhaut zu erwähnen wagen.

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