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Sleeping Dogs

Sleeping Dogs

Wenn wir an Hongkong denken, dann sind wir wahrscheinlich in Gedanken bei den Hochhäusern, den bunten Gassen und manche auch bei organisiertem Verbrechen im Untergrund. Wir haben uns Sleeping Dogs, das Open World-Spiel von United Front Games, angeschaut - und sind dafür in diese beeindruckende Stadt eingetaucht.

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Unsere Vorstellungen von dieser Stadt sind stark geprägt von den Filmen, die hier spielen. Sofort sind die Namen im Kopf: Bruce Lee, Jackie Chan und Chow Yun Fat - großes Kino, das oft auch die chinesische Mafia thematisierte und weltweit erfolgreich war. Die Faszination für Hongkong kommt sehr wahrscheinlich auch von der spannenden Mischung, die dort herrscht. Die Metropole ist ein echter Schmelztiegel, deren Geschichte auch stark vom Westen beeinflusst wurde. Heute eine chinesische Sonderzone, gehörte Hongkong bis Juni 1997 zum britischen Commonwealth und grenzt an Südostasien. Auf engstem Raum treffen so viele Kulturen, so viele Biografien und so viele soziale Unterschiede aufeinander, dass es beinahe überrascht, dass eine solche Stadt heute zu den sichersten der ganzen Welt gehört.

Wahr ist aber auch, dass heute grob geschätzt noch immer 100.000 Menschen Triaden angehören. Die chinesische Mafia hat einen festen Platz mitten in der Gesellschaft, ihr gehören vom einfachen Mann bis zum Anwalt Menschen aus allen Schichten an. Sie gehört zur Normalität, zum Alltag - auch wenn die Polizei ein Interesse daran hat, ihre Strukturen aufzudecken und sie zu bekämpfen.

United Front Games wollen genau das beleuchten und erfahrbar machen. True Crime: Hong Kong hieß das ambitionierte Projekt, das sie seit über vier Jahren entwickeln. Ein spannender Titel, den aber Activision irgendwann trotzdem nicht mehr im Programm haben wollte und ihn im Frühjahr letzten Jahres mit der Begründung strich, dass die Qualität nicht ausreichen würde, um im Genre der Titel mit offenen Spielwelten konkurrieren zu können. Und das, obwohl der Titel im Grunde bereits fertig war.

Sleeping Dogs
Sleeping Dogs macht Hongkong zum Schauplatz für ein Action-Spiel mit offener Welt und es erzählt die Geschichte von Wei Shen, der als Spitzel für die Polizei die Triad infiltrieren soll.
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Doch der kanadische Entwickler hatte Glück, denn Square Enix streckte die Fühler nach Westen aus und kaufte nicht nur Eidos, sondern verstärkte darüber hinaus seine weiteren Aktivitäten. Der Publisher verliebte sich in True Crime: Hong Kong und nahm das Studio für die Fertigstellung unter Vertrag. Inzwischen heißt der Titel Sleeping Dogs, aber der Rest vom Spiel ist noch intakt. Ein Hongkong als große begehbare Welt mit Verfolgungsjagden, Prügeleien und Schießereien und natürlich mit vielen Missionen am Rande davon. Die Handlung über einen ruchlosen Typen, der sich trotz seiner Arbeit für die Polizei als Triaden-Spitzel nicht an Gesetze halten mag, klingt zunächst etwas abgegriffen, aber noch ist darüber einfach zu wenig bekannt, um sie von vornherein abzukanzeln.

Das letzte Jahr nutzte United Front Games vor allem, um das Spiel zu überarbeiten. Es wurde optisch auf Vordermann gebracht und die London Studios von Square Enix, die bereits ein Auge auf die Entwicklung von Batman: Arkham Asylum und Just Cause 2 geworfen haben, schauten auch hier über die Schulter. Die Spielmechaniken wurden aufgewertet und kräftig poliert. Wahrscheinlich war das alte Game wirklich ein wenig schwach auf der Brust, aber ein Titel mit offener Spielwelt ist auch ein Mammutprojekt. Und trotz des Talents - hier versammeln sich schließlich seit 2007 Spezialisten für Open World-Spiele von Black Box, Rockstar, Radical und Volition - bleibt United Front Games ein kleiner, unabhängiger Entwickler.

Die Stärken will man dennoch ausspielen, um mit der Konkurrenz mithalten zu können und die Grand Theft Auto-Serie hat da einfach Maßstäbe gesetzt, an denen man nicht so leicht vorbeikommt. Im letzten Jahr hat es THQ bereits mit Saints Row: The Third versucht, aber das Level an Absurdität so weit in die Höhe getrieben, dass ein Alleinstellungsmerkmal gesichert war. United Front Games hat einerseits den besonderen Schauplatz und den besonderen Hintergrund. Für ihre Geschichte gibt es bereits etliche, hervorragende Vorlagen wie zum Beispiel den von ihnen immer und immer wieder zitierte Film Infernal Affairs, der vor ein paar Jahren als Departed: Unter Feinden neu aufgelegt wurde. Punkten soll Sleeping Dogs aber auch durch die Spielmechaniken. Klar, Faustkämpfe, Schießereien und Straßenrennen lassen sich nicht neu erfinden, aber wie diese sich anfühlen, da will man einen Schritt nach vorn machen. Sie behauptet sogar, dass sie da die besten sind.

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Punkten will United Front Games bei den Spielmechaniken wie etwa den Autorennen - im Team hat man zahlreiche Spezialisten vereint wie etwa Mitarbeiter von Black Box.
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So weit würde ich mich noch nicht aus dem Fenster lehnen wollen. Wir haben ein paar Missionen angespielt und haben ein sehr passables Spiel gesehen, das auf den ersten Blick tatsächlich die typischen Fehler vermeidet. In der ersten für uns spielbaren Mission verfolgen wir in der Rolle von Wei Shen einen Typen quer über einen Markt in der Nacht - der Weg ist also vorgeschrieben, schließlich dürfen wir ihn nicht aus den Augen verlieren. Wir rempeln Leute an, Papier fliegt herum und am Obststand rollen nach unserem Sprung die Orangen über den Boden. Es ist eine hübsch inszenierte Situation mit ein paar Klettereinlagen, aber im Grunde spielt es fast keine Rolle, wie schnell wir sind. Verzichten wir auf das Sprinten, wird unser Gegner an bestimmten Punkten auf uns warten. Ja, man kann das Spiel kaputt machen, aber es ist auch nur der Anfang und zudem verpassen wir auf diese Weise eine ansonsten spannende Verfolgungsjagd über belebte Plätze und durch schmale Gassen voller Menschen.

Am Ende dieser Jagd warten unsere ersten Kämpfe, die ein wenig an jene aus Batman: Arkham Asylum erinnern. Und ja, United Front Games selbst geben an, dass ihnen dieser Titel wie auch Just Cause 2 sehr geholfen haben, um Sleeping Dogs voranzubringen. Die Kämpfe im Martial Arts-Stil wurden durch die Nutzung der Umgebung aufgewertet. Wir werfen unsere Kontrahenten in Mülltonnen, schleudern sie in Stromkästen, stecken ihre Köpfe in Ventilatoren oder gegen Kreissägen. Das charmanteste war da noch die Kühlschranktür, obwohl auch diese Technik sicherlich viele Schmerzen bereitet. Diese ziemlich brutalen Mechaniken erfolgen auf Knopfdruck an dafür vorgesehenen Punkten per Skript, aber sind trotzdem unterhaltsam. Ob dieses Konzept aber auf Dauer funktioniert, ist schwer zu sagen. Aber es ist zumindest die Inszenierung, die stimmig ist. Von außen sieht es aus wie ein spannender Action-Film.

Zudem wird die Brutalität von Sleeping Dogs an verschiedenen Stellen deutlich. Man ist nicht zimperlich im Umgang miteinander und der Versuch, auch hier die Ästethik und den Stil der typisch Honkong-Filme einzufangen, darf durchaus als gelungen bezeichnet werden. Für uns ist das besonders in einer Mission sichtbar, die ziemlich gegen Ende des Spiels angesiedelt ist. Um die Inszenierung überzeugender zu machen, erleben wir eine Art interaktiven Film. Nachdem wir übel zusammengeschlagen wurden, ist unser Sichtfeld massiv eingeschränkt und wir gefesselt. Wir versuchen uns über ein paar Quicktime-Evente aus unser misslichen Lage zu befreien. Eigentlich ganz hübsch gemacht, aber weil es wieder alles geskriptet ist, muss man sich sehr viel Mühe geben, nicht hinter die Fassade zu schauen.

Unsere Aufgabe im Spiel ist es übrigens, uns in die chinesische Mafia einzuschleusen. Deren Struktur ist uns nicht ganz neu und entsprechend geht es zunächst darum, herauszufinden, wer inzwischen die wichtigen Jungs sind und wer keine Rolle mehr spielt. Unsere Methoden sind aber offenbar sehr ungewöhnlich, unser Verhalten wird als extrem beschrieben. Der ganze Einsatz als Spitzel, um die Ermittlungen gegen die Triaden voranzubringen, ist intern nicht ganz unumstritten. Am Ende der eben beschriebenen Verfolgungsjagd jedenfalls werden die Beteiligten so übel zugerichtet, dass wir verstehen können, warum man seine Zweifel hat.

Und wer Leute an Bord hat, die bei einem Entwickler tätig waren, der zwischen 2002 und 2008 die Need for Speed-Reihe quasi allein verantwortet hat, der will auch beim Thema Rennspiele glänzen. Das Rennen durch die Stadt war wirklich gut gemacht und im Vergleich zu dem sonst üblichen Niveau im Genre fast schon herausragend. Eine lockere Arcade-Steuerung, mit der wir Kontrahenten sogar ordentlich Rammen konnten, um sie aus dem Verkehr zu ziehen - Burnout lässt grüßen! Einen schalen Beigeschmack liefert hier nur das unsichtbare Gummiband. Wer gut fährt, quält sich bis zum Schluss mit der Führungsverteidigung. Wenn man allerdings nur eine mittelmäßige Leistung abliefert, reicht am Ende, einfach ordentlich Gas zu geben. Wir hoffen, dass dies in späteren Missionen nicht mehr so stark zum Tragen kommt oder noch verbessert wird.

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Das Schießen mit Bullet-Time sorgt für hübsches Action-Kino, aber beim Deckungssystem wird hoffentlich nachgebessert.

Die offene Spielwelt selbst erinnert schon sehr an den Aufbau der GTA-Reihe und setzt an den gezeigten Orten nur wenig eigene Akzente. Aus vier Stadtteilen wird das Hongkong in Sleeping Dogs bestehen - wozu auch zentrale Gebiete der Innenstadt gehören. Zu Gesicht bekommen haben wir beim Herumfahren - und Vorsicht, in Hongkong herrscht Links-Verkehr - eher Randdistrikte. Zusammen mit dem Sonnenuntergang, welcher in diesem Moment hinter ein paar Lagerhäusern verschwand und der gespielten, aber furchtbar unpassenden Rap-Musik im Autoradio war den Sprung bis zu Grand Theft Auto: San Andreas sicherlich nicht weit. Aber es war eben nur ein mikroskopischer Ausschnitt.

Es gibt die üblichen Passanten und Fahrzeuge wie Autos und Motorräder. Die Straßen sind selten so überfüllt, wie wir es von Hongkong erwarten, aber schließlich haben wir ja auch keine Lust nachmittags im Berufsverkehr stecken zu bleiben. Überall sind außerdem verschiedene Shops angesiedelt, bei denen wir uns kleine Verbesserungen kaufen können, um uns etwa für begrenzte Zeit eine besser gegen Körperschaden zu schützen. Und über die kleine Übersichtskarte wählen wir aus, welche Mission wir aktuelle verfolgen wollen. Hilfreich und hübsch eingebunden sind für diesen Zweck dann auch deutlich sichtbare Pfeile, die uns freischwebend auf der Straße anzeigen, wann wir abbiegen müssen.

Wir prügeln uns nicht nur, sondern greifen auch zur Schusswaffe. Integriert man dafür ein nettes Deckungssystem. Springen wir aus der Deckung hervor, wird das Spiel verlangsamt, eine Art Bullet Time gestartet. Für jeden vernünftigen Treffer auf einen Gegner, kann diese dann auch noch verlängert werden. Nett aber war, dass offenbar auch einfache Objekte zerschossen werden können, um einem Gegner die Deckung zu klauen. Leider ist es mit dem aktuellen System noch nicht möglich, von einer Deckung zur nächsten zu springen - und so nett die Zeitraffer-Funktion ist, sie kann nicht über diesen eklatanten Mängel hinwegtäuschen.

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Technisch ist das Spiel sicher nicht herausragend. Die Charaktere, ihre Gestik und Mimik machen aber einen guten Eindruck

Wie es sich natürlich für das Genre gehört, können wir unseren Charakter individualisieren. Dies geschieht aber offensichtlich nicht nur über das Aussehen, sondern auch über das Erfahrungspunkte-System. Beim Abschluss der Mission wurden entsprechende Werte für drei gleich Kategorien vergeben: Für uns selbst, für die Rolle gegenüber der Polizei und die gegenüber den Triaden. Auf dieses Feature eingehen wollte man aber noch nicht.

Technisch ist Sleeping Dogs sicher nicht herausragend. Das Open-World-Thema bringt eine eher schwäche Optik mit sich, daran haben wir uns gewöhnt. Zumindest das derzeit noch heftige Tearing sollten sie in den Griff bekommen. Und es waren auch noch ein paar zu viele von den immer gleichen uniformierten Anzugträgern in den Kämpfen unterwegs. Erkennbar waren nur die etwas stärkeren Typen, die mehr Dresche ausgehalten haben. Aber die wichtigen Charaktere, ihre Gestik und Mimik, machen einen ziemlich guten und auch interessanten Eindruck. Und wenn die Geschichte von Sleeping Dogs jetzt aus dem Einheitsbrei aufsteigt in eine höhere Liga, dann würde sich niemand über ein paar schwachen Texturen oder sich wiederholende Gegner aufregen.

Meine größte Angst ist derzeit, dass man sich zu sehr an bereits bestehenden Konzepten abarbeitet und die Differenzierung zu Grand Theft Auto verloren geht. United Front Games scheut diesen Vergleich offensichtlich auch selbst, man sprach immer nur von großen Filmen, aber nie etwa von Spielen als Inspiration - abgesehen von den beiden Square Enix-Titeln. Und während Emanzipation natürlich nur begrüßt werden kann, muss sie gerechtfertigt sein. Schöne Rennen und spannende Kämpfe sind eine Möglichkeit - dann aber bitte sollen uns die auch fordern. Und wenn wir uns verlieben sollen, brauchen wir eine Geschichte, die uns fesselt. Sollte es United Front Games wirklich gelingen, das Kino aus Hongkong in eine Videospiel-Form zu gießen, dann hängen wir an den Lippen von Wei Shen - vom Anfang bis zum Ende.

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