Deutsch
LESERKRITIK

Resident Evil 6

Von: hb   20. März 2013

Eine der traditions- und einflußreichsten Reihen geht in die offiziell sechste Runde. Neben den unzähligen Ablegern und Auskopplungen, die durchaus gemischte bis miese Kritiken ernteten, stand also die Fortentwicklung der Kernreihe an.

Dazu muß gesagt sein, daß selbst diese eine bewegte Geschichte mit sich bringt. Anno 1996 erschien das Ur-Resident Evil und begründete quasi ein eigenes Genre. Nachdem der dritte Teil auf dem Markt war, nagte auch hier der Zahn der Zeit an der Spielmechanik und im Hause Capcom stellte man sich der Herausforderung. Das Ergebnis war dann Resident Evil 4, welches die Anhänger der Reihe in zwei Lager spaltete: Die Fraktion der Gruselfeunde wurde nicht warm mit dem Augenmerk auf mehr Schießerei und weniger Knobelkunst. Der andere Teil war verzückt angesichts des flüssigeren Spielablaufs.

Seltsamerweise gehöre ich weder zu der einen noch der anderen Gruppe. Bislang habe ich Resident Evil bis Resident Evil 6 durchgespielt und dabei einen großen Bogen um die erwähnten Ableger gemacht. Für mich zählt das Urspiel nach wie vor zu den beeindruckensten Spielerfahrungen, die ich je gemacht habe. Ob es daran liegt, daß ich seinerzeit als 15jähriger Halbstarker mir meinen Weg durch das Herrenhaus gebahnt habe? Durchaus möglich, denn viel Horror war mir noch nicht begegnet. Wie auch immer, diese Episode steht bei mir ganz oben. Die Atmosphäre ist einmalig, ich kenne nichts Vergleichbares. Allerdings muß man dieses Meisterwerk wohl zeitnah genossen haben, um es einordnen zu können. Denn retrospektiv würde man sich vor allem angesichts der Grafik und der Steuerung gruseln - obwohl es ja ein ansehnliches Remake gibt.

Also das Erstwerk steht bei mir auf einem Podest. Obwohl ich es etliche Jahre nicht mehr angerührt habe, kann ich es in meinem Kopf zu großen Teilen noch nachspielen. Das hat dann weder der von etlichen Leuten vergötterte zweite Teil geschafft, noch der dritte. So gesehen zähle ich eigentlich zur Gruselfraktion, die die gute alte Zeit nach wie vor herbeisehnt. Resident Evil 4 wiederum war später allerdings mein glasklares Spiel des Jahres. Glücklich angesichts des flotteren Spielablaufs hatte ich wenig zu bemängeln. Ein paar mehr Schockmomente hätte ich mir dann doch gewünscht.

Resident Evil 5 legte nochmals einen anderen Fokus und schob die von vielen bemängelte Entwicklung des vorherigen Teils gnadenlos voran. Es wurde noch weiter mit den Traditionen gebrochen. Im Prinzip mußt man den Fernseher schon ausstellen, um mal einen dunklen Raum zu betreten...
Doch ich muß zugeben, das ich auch mit dieser viel gescholtenen fünften Episode meinen Spaß hatte. Atmosphärisch allerhöchstens Durchschnitt, trotzdem ein sehr flüssiges Spielerlebnis, das mich zum mehrmaligen Durchlaufen der Levels ermutigte. Trotz unterschwelliger Enttäuschung konnte ich meinem Frieden mit diesem Abenteuer machen - im Gegensatz zu vielen anderen.

Was mich endlich zum aktuellen Teil bringt. Resident Evil 6. Ein Mammutprojekt. Aberhunderte von Entwicklern, verzweigte Kampagnen. Ich habe dann die Demo vor etlichen Monaten gespielt. Passenderweise zuerst mit Sherry und ihrem Partner Jake. Und ich war entsetzt. Das Probeabschnitt startet in einer winzigen Gasse, direkt vor einer patroullierenden Gegnerschaft. Noch ehe ich einige Schritte gemacht hatte, geschweige denn mich durch die Steuerungsoptionen gewühlt hatte, wurde ich unter permanenten Dauerstreß gesetzt. Hektik. Eine ungewohnte und sehr nahe Kamera - die man ja später optoinal nochmals anpassen durfte, nachdem die Entwickler auf das breite Echo der Spielerschaft gehört hatten. Ich wußte nicht wirklich, wie ich mich dieser Gegner angesichts der Hektik überhaupt erwehren sollte. Wohlgemerkt war das keine situationsweise wünschenswerte Panik, wenn man sich einer Übermacht an Feinden gegenübersieht, die einen an den Kragen wollen und zu nahe kommen. Nein stattdessen schießende (!) Feinde, plötzliche Mutationen, Verpuppungen in Kokons. Zuviel für den Einstieg. Setzen, sechs. Zur Information: Der Abschnitt aus der Demo stammt aus dem späten vierten Kapitel. Noch eleganter wäre es gewesen, in der Demo die Spieler direkt gegen den Endgegner antreten zu lassen.

Leons und Helenas Szenario hatte ich nach dem anfänglichen Schock trotzdem eine Chance gegeben und sah dann etwas Licht am Horizont für dieses Spiel. Doch mir blieben etliche Zweifel und ich wollte von Resident Evil 6 ersteinmal nichts wissen. Bis dann vor ein paar Wochen ein verlockendes Games-on-Demand-Angebot eintrudelte. Sprich das Spiel zum Download für umgerechnet 15 Euro. Mein Herz konnte da nicht mehr nein sagen.

Ich spielte dann zuerst Leons Kampagne durch mit gemischten Gefühlen. Insgesamt blieb trotzdem ein ziemlich guter Eindruck und viel Motivation, bestimmte Abschnitte abermals zu spielen. Es gibt neuerdings nützliche Fähgkeiten freizuschalten und dafür muß man so manchen Zombie über die Straße, äh, ins Jenseits geleiten.

Auf das Schlimmste gefaßt, machte ich mich dann an Sherrys Kampagne und war mehr als positiv überrascht. Die ersten Abschnitte sind hell, neu, aber meiner Meinung nach doch sehr gelungen. Speziell das Stöbern im Schnee hat bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Natürlich waren dort auch wieder sehr blöde Momente, doch dazu später mehr.

Chis' und Piers' Kampagne hat mich von vorne bis hinten genervt. Einzig der Anblick der osteuropäischen Stadt, die ich auszugsweise mit Sherry besucht hatte, konnte mich etwas milder stimmen. Und der Kampf gegen eine Riesenschlange, die verblüffend an jene aus dem Ur-Resident Evil erinnert.

Auf dem Stimmungstiefpunkt machte ich mich dann an Adas Szenario, das in einigen Kritiken als Lichtblick hervorgehoben wurde. Und tatsächlich, zumindest das zweite Kapitel auf dem Friedhof schaffte es mit wenig Gegnern und einer beinahe beklemmenden Stille direkt feinste Atmosphäre herzustellen. Leider entwickelte sich der Rest dann wieder in eine völlig andere Richtung, die das Spiel dominiert.

Resident Evil 6 verdient seinen Namen nicht wirklich. Statt dem namensgebenden anwohnenden Bösen, das einen in Schrecken versetzt und verängstigt um Ecken schleichen läßt, hätte man einen treffenderen Titel im Hause Capcom finden sollen: "Call of Evil". Denn unterm Strich ist genau das, was der Spieler serviert bekommt. Der bedingungslose Kniefall und die Verschreibung dem Massenmarkt gegenüber. Die Action ist gnadenlos. Gnadenlos schlecht! Man flüchtet vor einem Panzer, wird von einem aufpostierten Kampflugzeug in einer Halle unter Feuer genommen, fliegt einen Jet, fährt Jeep und Motorrad. Nicht, daß diese Abschnitte zwischendurch nicht etwas Kurzweil bewirken könnten. Aber keinesfalls in dieser Form. Sie kommt einem Autorennspiel mit mieser Steuerung und MG-Geschütz gleich. Unfaßbar, was man sich bei den Entwicklern gedacht haben muß. Der Ritt mit dem Motorrad, dem man schließlich dem Panzer entkommt, ist purer Trash. Man springt über Häuser, fährt durch Gebäude, schlittert unter einem Tanklaster hindurch und schlußendlich springt man mit dem Zweirad über einen Helicopter, der einen die ganze Zeit verfolgt. Es geht nicht überspitzter, unglaubwürdiger und schlechter. Nicht, daß ein Spiel wie dieses durch Glaubwürdigkeit auffallen sollte, nein. Aber es macht sich in diesen Momenten unglaublich lächerlich, während Generation Facebook Beifall klatscht. Eine minutenlange Abfolge von Scripts mit Quick Time Event-Hysterie.

Nicht nur, daß mit diesen Abschnitten sämtlich bedrohliche Atmosphäre, die vorher eventuell aufgebaut wurde, direkt den Ausguß runtergespült wird, nein es ist eine spielerische Mutation der eigenen Reihe. Und eine verdammt häßliche noch dazu, das muß gesagt sein. Einen Hubschrauber mit schnellem Köpfchendrücken durch Bürokomplexe stürzen lassen, danach einen fahrenden Zug streifen, sicher. Genau deshalb spiele ich Resident Evil. Um mir sinnfrei die Polygone um die Ohren hauen zu lassen.

Genauso schlimm sind eigentlich alle Kämpfe gegen Zwischen- und Endgegner. Hanebüchen, was einem dort serviert wird. Die einzige Freude sind noch reguläre stärkere Gegner, bei denen man etwas Abstand wahren sollte und bestimmte Schwachstellen bearbeiten muß. Einen taktischen Boßkampf gibt es im gesamten Spiel nicht. Dabei war das einst die Paradedisziplin der Reihe. Am nächsten kommt dem noch jener, den Ada im vierten Kapitel hinlegen muß, der Rest ist eine endlose Mutationskette mit QTE-Elementen, bis man Krämpfe davon kriegt. Insgesamt muß man minutenlang Seile oder Rampen hochklettern, indem man abwechselnd und nach bildlicher Aufforderung die Schultertasten drückt. Dazwischen kurz Pausen, daß die Kamera kurz drehen kann und man nicht mehr weiß, wo man ist oder was man zuletzt gedrückt hat. Wo früher (RE4) Quick Time Events wohldosiert eingesetzt wurden und schließlich etwas Belebung darstellten, wird nun exzessiver Gebrauch davon gemacht, bis man als leidender Spieler kotzt. Ich kann mir vorstellen, daß manchem derartiger Actionporno gefällt. Doch dafür gibt es andere und mehr als ausreichend Spiele am Markt. Wer Einfallslosigkeit abfeiern und sich von Knalleffekten blenden lassen will, bitteschön. Aber doch nicht in dieser prestigeträchtigen Reihe, die aus gänzlich anderen Kernelementen besteht. Oder besser gesagt bestand. Wer sich richtig das Hirn wundballern will, ist bei Resident Evil mittlerweile an der richtigen Adresse. Ich mag Shooter. Ich mag Action. Ich mag schnelle Shooter-Action. Aber das paßt so überhaupt nicht zu dieser Reihe. Trotz dem Bruch, den viele schon mit Episode vier gesehen haben.

Es gibt auch unglaublich frustriedende und absurd schlechte Verfolgungsszenen, in denen vor irgendwas entkommen muß. Mal ein Gegner, mal ein Fahrzeug, egal. Man muß den richtigen Weg finden, dabei rennen. Kann ja ein belebendes Element sein. Aber nicht, wenn dabei alle paar Sekunden die Kameraperspektive wechselt. Beispielsweise habe ich Rotz und Wasser geschimpft, als ich mit Chris abermals einem dicken Brocken entkommen mußte. Man läuft in einer Art riesigen Schacht auf einem Steg am Rand kreiswärts in Richtung Aufzug. Die Szene beginnt damit, daß man ein paar Schritte macht und eine Leiter raufklettern muß. Nur leider funktioniert hier die Tastenabfrage mieserabel - möglich ist aber auch, daß von dem ganzen zwischenzeitlichen Gedresche mittlerweile mein Controller den Geist aufgibt. Oben angekommen läuft man schräg links und muß einen kleinen Spalt überspringen. Das Spiel macht es dort eigentlich recht gut. Man bremst nicht automatisch ab und muß die Taste abermals drücken, sondern das Halten wird als Eingabe gewertet. Chris springt also, während ich die Taste noch gedrückt halte und den Stick in die Richtung ändere, in die ich danach laufen muß. Bloß habe ich die Rechnung ohne C-Virus-Wirt (die Kamera) gemacht. Diese zeigt den Restsprung aus einer anderen Perspektive, so daß ich erstmal gegen die Wand laufe. Stick wieder korrigiert und zickzack gegen die andere unsichtbare Begrenzung. Der Riesengegner lacht sich kaputt und ich bin tot. Dasselbe Spiel ein paarmal, bis ich merke, daß ich die Sprinten-Taste nach dem Kamerawechsel loslassen muß, mit dem Stick in die neue Richtung gehen beziehungsweise rennen muß, um dann wieder mit gehaltener Taste sprinten zu können. Das geht noch eine gefühlte Ewigkeit so weiter, daß im Rennen die Kamera anfängt zu rotieren, daß man die Continues direkt zum Fenster rauswirft, obwohl eigentlich nichts falsch macht. Derartige unpräzise und schwammige Passagen habe ich in dieser Generation eigentlich nicht erlebt. Ich kann es mir nur so erklären, daß diese Abschnitte ohne Testen ins Spiel gestopft wurden. Nicht auszudenken, wie lange es mit einem menschlichen Mitspieler dauert, der dieselben "Eingabefehler" macht.

Glücklicherweise ist der Koop-Partner weniger fehleranfällig, während er von der künstlichen Inteligenz gesteuert wird. Er macht zwar nichts, aber auch fast nichts falsch. Man muß sich im Spielverlauf herzlich wenig Gedanken um die KI-Gesundheit oder dergleichen machen. Das ist eine positive Errungenschaft. Trotzdem ist er irgendwo hängengeblieben, während ich Chris' Kampagne abermals für meine Achievement-Bewältigung absolvieren mußte. Diese Kampagne ist bis auf wenige Momente wie bereits erwähnt durchweg schlecht. Enge Schlauchlevel, die im asiatischen Stil gleich belanglos aussehen, so daß man zwangsläufig die Orientierung verliert. Fahrzeugsteuerung bis zum Abwinken. Peinlich.

Dabei ist die Steuerung mit der nachbearbeiteten und einstellbaren Schulterperspektive eigentlich sogar beinahe ideal. Man hat die volle Kontrolle und die Bewegung fühlt sich nicht hakelig an, wie es selbst bei Resident Evil 4 und 5 noch der Fall war. Ein nettes Element, daß man kurz vor dem Exitus noch auf dem Boden liegt und paar verzweifelte Schüße abgibt, während der Bildschirm sich dunkel einfärbt, in der Hoffnung, daß man nicht getroffen wird oder der Partner herbeieilt, damit man direkt wieder aufstehen kann. Ebenso kann man sich auf den Rücken werfen, rutschen, eine Sturmnahkampfattacke ausführen. Alles aus einem Guß und überraschend geschmeidig. Ein Lob an der Stelle dafür. Hingegen ist das Alibi-Deckungssystem mißraten. Man braucht es schlichtweg nicht und funktioniert mehr schlecht als recht. Will ich hervorluken und vor dem Schuß zielen, lande ich nicht selten wieder in der Deckung. Schwerfällige Bewegungen geben sich hier mit unbeabsichtigten Aktionen die Klinke in die Hand. Schlimm macht es allerdings in gewissen Situationen das automatische Begeben in die Deckung. Stehe ich knapp hinter einer Ecke oder schaue schräg aus einem Fenster, um keine Treffer zu kassieren, während ich ein Ziel anvisiere, begebe ich mitunter zu nahe an die Wand und hänge plötzlich an ihr. Also anstatt den Gegner abzuwehren, muß ich erstmal wieder zwei Schritte zurück machen, mein Ziel finden, das kostet Zeit.

Unterm Strich begrüße ich die generelle Shooter-Steuerung, sie geht gut von der Hand und läßt schnelle Reaktionen zu. Genau wie die ausgebauten Nahkampfattacken. Man kann sogar Klammergriffe direkt kontern, was mir reaktionsschwach zwar selten geliegt, dennoch in meinen Augen eine sinnige Neuerung ist. Denn so kann man einer Situation schadenfrei entkommen, in der man keine Zeit hat, die üblichen zwei, drei Schritte nach hinten zu machen. In RE4 beispielsweise lassen sich die von ihrer Angriffsbewegung her steifen Gegner noch quasi austanzen. Ähnlich früher in den klassischen Teilen. Nun kann man auf flinke Gegner in höchster Not reagieren, die einen mitunter direkt anspringen. Das schafft Dynamik und etwas Nervenkitzel. Zumindest in Leons Kampagne, wo die Zombies überwiegend nach einem grabschen.

Wohingegen das Feindvolk in den restlichen Szenarien überwiegend mit Schußwaffen rumläuft. Oh je... eine saublöde Idee. Denn damit man nicht ständig chancenlos im Kugelhagel stirbt, sind die Zielkünste der Gegner quasi nicht existent. Im Prinzip gibt jeder mutierte Kollege erstmal hundert Warnschüsse ab. So gesehen sind die bewaffneten fiesen Schergen vorrangig Witzfiguren. Ärgerlich sind dann die Querschläger, die einen dann doch ab und zu treffen. Das Spielkonzept verfällt in diesem Punkt wieder in die Steinzeit.

Genauso wie die Gegnerbezeichnung. J'avo heißen die Neuen. Aha. Viel serbische Etymologie an der Stelle, zumindest laut den freischaltbaren Akten im Spiel. Damit kann ich nichts anfangen, geschweige denn es mir merken. Ich will verständliche Gegner. Am besten Zombies. Es gibt Statistiken, wieviele man davon ins Jenseits befördert hat. Ausführliche Statistiken. Also wie viele Zombies mit Golfschläger, wie viele mit Hüftschaden, wieviele mit Gehirnprotese und so weiter. Nette Zahlendrescherei, die allerdings absurd wird, wenn man sein Spielkonto auf der Seite von Capcom (RE.net) mit einem weiteren Account verknüpft. Man bekommt zwar Bonuskostüme und andere Spielereien, trotzdem ein ziemlich sinnloses Unterfangen. Und wieder ein Fingerzeig darauf, wem man sich unterwirft. Der netzaffinen Ballerzielgruppe.

In Bezug auf die einzelnen Kampagnen läßt sich zusammenfassen, daß Chris' durchweg schlecht ist. Der Rest hat in den ersten drei Kapiteln mal mehr, mal weniger zu bieten, was danach kommt, verdrängt man besser wieder. Der Schauplatz China, in dem die Handlungsstränge zusammengeführt werden, gefällt mir rein gar nicht. Die Idee der Übereinkunft an Schnittstellen ist gut, früher wurde das mitunter auch praktiziert. Nur das Ambiente gibt mir rein gar nichts, zudem läuft der QTE-Exzess zu seiner Höchstform auf.

Dabei gibt es vorher sehr viele richtig gute Passagen und Reminiszenzen an frühere Teile. Speziell Leon läßt stellenweise das Nostalgikerherz höher schlagen. Die Einführung im Unigelände hat Herrenhauszüge, der Abschnitt in der Tiefgarage ist eine Anspielung auf das sagenumwobene Resident Evil 1.5. Dann schlägt man sich seinen Weg durch die Stadt und verschanzt sich im Waffenladen, der zweite Ableger läßt grüßen. Die Kathedrale entführte mich wieder kurzzeitig an mein Aufeinandertreffen mit Nemesis. Gemeint ist hier der Schauplatz. Das Forschungslabor weckte Erinnerungen an die Las Plagas. Dann bestimmte Gegnertypen wie die Schlange oder die gepanzerten Hunter, das wirkt doch vertraut, aber nicht einfach nur kopiert. Gut weiterentwickelt an der Stelle.

Das Problem an diesen Ansätzen: Sie wurden viel zu kurz gehalten. Ebenso die sehr gelungenen neuen Umgebungen wie der Campus. Was hätte man daraus machen können, wären die Abschnitte doch nur länger. In der Uni hätte ich mich am liebsten viele Stunden aufgehalten. Dort hätte man direkt Rätsel einstreuen können, bis man dann endlich irgendwann einen Ausweg findet. Und seien es nur profane Schalter und Schieberätsel. Denn wie eingangs beschrieben ist mir das Herrenhaus nach wie vor am liebsten. Der U-Bahn-Tunnel und die städtische Unterführung sind eine Augenweide. Dort stimmt einfach alles. Mir ist es unerklärlich, wie diese atmosphärischen Glanzlichter später unter dem Effektgewitter hergeschenkt werden.

Denn eins wird beim mehrmaligen Durchspielen deutlich: Resident Evil 6 ist überwiegend ein enger Action-Schlauch mit gnadenloser Script-Abfolge. Bestimmte Auslöser für Ereignisse, damit ein Gegner überraschend und viele generell eintreffen, sind unumgänglich. Ich mag beispielsweise keine Spawnpunkte in meinem Rücken in einem Bereich, den ich vorher feinsäuberlich gesichert habe. In solchen Situationen eine kurze Sequenz, um das Eintreffen zu erklären, wunderbar. Nur gibt es trotzdem Stellen im Spiel, wo die Gegnerschaft quasi aus dem Nichts auftaucht und das noch beinahe unendlich. Zumindest solange, bis wieder ein neues Ereignis ausgelöst wird. Das schafft keine Spannung sondern nur hirnlose Reaktionstests. Spielt man einen flotten Durchgang mit verbesserten Fähigkeiten kommt man nicht umher, ständig Sequenzen wegdrücken zu müssen, die man bereits auswendig kennt. Ärgerlich, wenn der Mitspieler das dann nicht tut. Unter dem Strich bleibt nämlich ziemlich wenig Spiel, dafür ausufernde Sequenzen und Ereignisse. Das Spielen auf Zeit ist mir dadurch vergangen. Beim gescholtenen Vorgänger empfand ich das noch als große Stärke.

Obwohl ich viel von der gewonnenen Dynamik durch die gelungene Steuerung und beispielsweise den fliegenden Waffenwechsel begrüße, hat sich leider der Großteil des Spiels in die vollkommen falsche Richtung entwickelt. Eine wirkliche Inventarverwaltung gibt es nicht mehr, Platzprobleme bekommt man nur, wenn man Unmengen an Munition für sämtliche Waffen, diverse Granaten und Heilungskräuter gleichzeitig mit sich schleppen will. Auch das Aufüsten der Waffen entfällt durch die Fähigkeiten. Ich hätte mir gewünscht, daß man sich auf ein paar Modelle beschränken müßte und diese dann gezielt verstärkt. Die Medaillen, die man Ende eines Kapitels bekommt, sind eine nette Idee für Mehrspieler, so daß man noch andere Kriterien neben Trefferquote und Zeit für sein Abschneiden hat. Es gibt ja bekannte Ranking, was aber ein Witz ist. Entscheidend ist letztendlich die Trefferquote. Zeit, zurückgedrängte Feinde und Ableben sind in späteren Durchläufen fast immer ein "A". Einzig Abschnitte mit Fluchsequenzen und und QTE verweigern einem dann das zusammenfassende "S", weil man gegen Eingabebehinderungen kämpft. Durch die Flut an Medaillen und ihre teils sinnlosen Vorgaben verkommt aber auch dieser Ansatz wieder zum Witz.

Der Schwierigkeitsgrad ist unausgegoren. Zwar gibt es fünf Stufen, dennoch unterscheiden sich die ersten vier kaum. Anfangs hat man es selbst auf dem leichtesten Schwierigkeitsgrad nicht einfach. Die Gegner teilen viel Schaden aus, dafür sollen die QTE automatisch ablaufen. Ergo braucht man hier schon eine Fähigkeit, die die Verteidigung stärkt beziehungsweise den erlittenen Schaden lindert. Hat man diese sich erspielt, ist man schon ein Stückchen unbesiegbar - leicht wird also wirklich leicht. Auf dem normalen Schwierigkeitsgrad kommt man trotzdem in Bedrängnis, falls ein schlurfender Gegner zupackt. Eine erhebliche Steigerung auf "Schwer" oder "Profi" gibt es nicht unbedingt. Auch dank der zahlreichen Checkpoints. Dort steigt man direkt wieder mit voller Energie ein. Was übrigens das Nutzen von Heilkräutern beinahe absurd macht. Man kann sie sich sparen und läßt sich lediglich einmal kurz zu Klump verarbeiten. Weiterhin gibt es noch seltener auftretende Speicherpunkte. Meist bei einem Wechsel zwischen Sektionen innerhalb eines Kapitels (beispielsweise zwischen 1-1 und 1-2). Den Thrill mit Schreibbändern und Schreibmaschinen gibt es zwar schon lange nicht mehr - in der vierten Episode konnte man bereits unendlich oft an den Maschinen speichern - dennoch ist auch damit ein Stück Tradition verloren gegangen. Es ist ein streitbarer Punkt.

Was hätte man aus diesem Spiel mit seiner stellenweise sehr guten Technik alles machen können. Es gibt viele Anspielungen auf vorherige Teile, die den Serienkenner freuen. Es gibt frische Ideen wie die Kokons, die nach einer Zeit schlüpfen, wenn man sie nicht vorher erledigt, oder den Schneesturmabschnitt. Serienuntypisch ist man unter freiem Himmel, sieht aber nur selten etwas. Diese Elemente sind eine Bereicherung. Wäre da nicht der Kniefall vor denen, die eh bereits genug Spiele der gleichen Gattung bekommen. Denn letztlich ist Resident Evil 6 weder Fisch noch Gammelfleisch. Für einen reinen Action-Titel eher mittelmäßig, für ein Biohazard dank der überbordenden Action und Hektik unwürdig. Im Hause Capcom sollte man sich besser fragen, wen man überhaupt zukünftig ansprechen will. Reine Ballerenthusiasten mit Faible für Hollywood-Bombast, während man den treuen Fans zwischendurch Häppchen hinwirft? Das wird schwer funktionieren, denn in dem Segment gibt es bessere Vertreter. Oder doch lieber Käufer anlocken mit packender Atmosphäre? Ein RE-boot wäre nach dieser stellenweise absolut verkorkstem Episode wohl angebracht, will man die Serie nicht in die Mittelmäßigkeit absaufen lassen.

Den besten Job bei dem Projekt haben wohl die Übersetzer für die deutschen Erfolge gemacht. Beispiel: An zehn Gegner von hinten ranschleichen und diese in einen Abgrund stoßen. Und schon ploppt ein Schild auf, das da heißt: "Ups - das tut mir aber leid". Oder treffenderweise und auch selbstironisch "Keiner mag die Neuen" dafür, daß man eine bestimmte Anzahl der J'avo beseitigt.

Durchschnittswertung: 6/10
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10