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Payday 2

Payday 2

Endlich mal Abwechslung von Friede, Freude, Eierkuchen und der nie enden wollenden Weltenrettung in Videospielen. In Payday 2 spielen wir einen echten Fiesling.

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Ich habe ein ernsthaftes Problem. Mit Gangstersachen habe ich wenig am Hut. Es ist nicht mal so, dass ich sie uninteressant und uninspiriert finde. Vielmehr empfinde ich die Handlung als bedenklich und moralisch verwerflich. Seitdem ich nun Payday 2 spiele, rasen meine Gedanken fast ausschließlich um die Durchführung dieses einen, ganz besonderen Coups; des perfekten!

Wie viele Wachen gibt es, wo sind sie? Ich brauche die Schlüsselkarte für die geheimen Zugangsräume. Und wo stelle ich den Thermalbohrer am sinnvollsten auf? Kam das Ätznatron vor der Salzsäure? Schaffe ich das C4 zu entschärfen? Viele unbeantwortete Fragen kreisen in meinem Kopf. Und je öfter ich diesen Text lese, desto schlechter fühle ich mich für diese Gedanken. Oh, meine Gewissensbisse bringen mich noch um. Klar, man darf nicht stehlen und keine Menschen töten. Aber gottverdammt, wenn das alles so reibungslos klappt, gerate ich sofort in diesen Flow - den Tunnelblick, wie es die Rennfahrer nennen. Dann ist nichts mehr bedeutend. Die Skrupel sind wie weggefegt und das Ziel klar vor Augen: die ganz große Beute.

Im Actionshooter Payday 2 spielen wir einen von vier Ganoven aus der Egoperspektive. Entweder heißt der Chains, Wolf, Dallas oder Hoxton. Alle sollen irgendeine Hintergrundgeschichte haben, was nirgends erklärt wird und auch nicht so wichtig ist. Wichtig ist, dass wir Kumpels sind, die Seite an Seite gefährliche Raubzüge durchführen. Ob Banktresore knacken, Juweliere bestehlen oder Chrystal Meth kochen. Die Möglichkeiten sind irre, abgefahren und besorgniserregend realistisch. Aber letztlich dienen diese zweifelhaften Hintergrundthemen nur einem einzigen Ziel. Die Antwort darauf zu finden, wie uns das perfekte Verbrechen gelingt. Genau hier entsteht der unheimliche Suchtfaktor. Der Drang, etwas schneller, besser und fehlerfreier zu machen, ist wahnsinnig stark und prägend zugleich. Jede Aktion muss klappen und die verschiedenen Elemente noch besser ineinander greifen.

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Der Drang, etwas schneller, besser und fehlerfreier zu machen, ist wahnsinnig stark und prägend zugleich.

Über das Crime.net loggen wir uns in die Welt des organisierten Verbrechens ein. So erhalten wir Informationen über aktuelle Coups, denen noch Mitstreiter fehlen und neue Jobaufträge. Praktischerweise steht neben jeder "Stellenbeschreibung" eine Schwierigkeitsbewertung in Form von Sternen. Besonders interessant aber ist eigentlich nur die Anzahl von gelben Totenköpfen neben der Statistik. Diese zeigt nämlich an, dass die ausgewählte Mission mit erhöhter Präsenz der Polizei aufwartet. Je höher der Risikofaktor, desto härtere und stärkere Gegnerwellen kommen - natürlich im Austausch für eine erhöhte Beutefundrate sowie erheblich mehr Erfahrungspunkte.

Gerade deshalb sollten sich ungeübte Spieler besonders vor den Overkill-Missionen hüten, so verlockend sie auch sind. Nicht zuletzt auch deshalb, weil der Erfolg einer Truppe immer auf den Schultern aller Spieler lastet, denn Payday ist ein Koop-Spiel für vier. Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass die Community ungeübte, niedrigstufige Spieler fast ständig aus Spielsitzungen wirft. Verständlich, aber unfair und frustrierend.

Sobald wir einen passenden Auftrag gefunden haben, beginnt das Spiel. Der Host hat noch die Chance, kleine Veränderungen für die nächste Runde anzupassen. Sobald die Partie beginnt, starten die Spieler im unauffälligen Modus. Hier sind wir nun Fußgänger mit einem niederträchtigen Ziel. Die Spieler laufen durch die Gegend und können die Karte ausspähen. Sollten sie sich jedoch zu auffällig verhalten, zum Beispiel Bereiche betreten, in denen der Zutritt für Unbefugte verboten ist, werden sie entlarvt und der Raubzug beginnt. Alternativ dürfen wir auch einfach die Maske aufsetzen und der Spaß kann sofort beginnen.

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Der Erfolg einer Truppe lastet immer auf den Schultern aller Spieler, denn Payday ist ein Koop-Spiel für vier.

Denn erst mit dem Maskieren beginnt das Spiel richtig. Dann dürfen wir herumliegendes Geld klauen, Türen knacken, Zivilisten fesseln und Bomben legen - nur für den Fall, das was schief geht. Vor allem die Geiseln haben eine interessante Rolle. Einerseits lenken sie die Aufmerksamkeit feindlicher Rettungskräfte auf sich, anderseits darf man sie gegen gefangen genommene Kameraden tauschen. Jedenfalls dann, wenn sie noch an Ort und Stelle liegen und nicht schon längst befreit worden sind.

Was? Man kann auch gefangen genommen werden? Ja, natürlich. Menschen lassen sich halt nicht gerne ausrauben und abknallen - nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Jedenfalls könnt ihr euch sicher sein, dass Aufmerksamkeit erregende Aktionen Ärger bedeuten. Die Cops werden alarmiert und hetzen nun unabdinglich heran, um uns böse Schurken an den Taten zu hindern. Wellenartig greifen sie mit allem an, was dem FBI zur Verfügung steht voran: Streifenwagen, Gruppentransporter, Helikopter. Spätestens, wenn die Bulls heraneilen, wird es brenzlig. Diese Mistviecher haben etwas von den Huntern aus der Halo-Reihe. Sie sind schwer bezwingbare Bastarde, die gerne in Zweierpärchen auftauchen und mächtig Schaden verursachen.

Sollte der Feindeswiderstand zu stark sein und wir zu viel Schaden einstecken, sinkt unser Bankräuber bald zu Boden. Im Anschluss beginnt dann das letzte Gefecht und wir dürfen Rache am Peiniger üben. Läuft die Zeit schließlich ab, wird man eingebuchtet. Allerdings ist diese Option nicht in jeder Mission aktiviert. Auch die Möglichkeit des Respawns gibt es - oder ganz simpel die des permanenten Todes. Zumindest aus der letzten Situation gibt es kein Herauskommen. Als Zuschauer haben wir nur noch die Chance, mit brauchbaren Tipps den verbleibenden Teammitgliedern zu helfen. Jedenfalls, wenn man ohne Controller spielt. Denn aktuell wird der Ingame-Chat bei Steam deaktiviert, solange Controller angeschlossen sind. Und das bei solch einem Spiel...

Payday 2
Die über mehrere Etappen angesetzten Missionen verlaufen immer anders, sind dadurch stets spannend und absolut flexibel.

Ist eine Mission erfolgreich beendet worden, kommt es zum Payday. Es wird abgerechnet. Wir dürfen die Scheinchen zählen und unseren Ruhm ernten. Dann wird der Gewinn geteilt und wir bekommen unseren Anteil. Dieses Geld kann in Charakterfähigkeiten und Ausrüstung investiert werden. Nette Idee, die noch stärker anspornt und motiviert. Zusätzlich ermittelt ein Offshore-Konto die Summe aller begangenen Straftaten, was als Vergleichswert mit anderen Spielern dient und quasi die Statistik anführt.

Interessanter ist jedoch die Tatsache, dass Missionen immer anders verlaufen. Unweigerlich zu Orten marschieren, bei denen normalerweise wichtige Objekte herumliegen, führt nicht selten ins Leere - ganz sprichwörtlich. So sind vor allem die über mehrere Etappen angesetzten Missionen immer spannend und absolut flexibel. Das merkt man sofort in der Spielmentalität. Lustig ist die Tatsache, dass trotzdem alle Spieler hoffen, der nächste Übergabeort sei direkt hinter der eigenen Position.
Aber wenn dem wieder nicht so ist, gibt man nicht einfach auf. Einen ruhigen Kopf bewahren und bloß nichts überstürzen! Nachdenken schadet nie. Ebenso wie alte Bretter zum Verbarrikadieren von Fenstern und anderen offenen Stellen in der Gegend.

Das alles macht den Charme von Payday 2 aus. Die eigenen Spielfertigkeiten an jeweilige Situationen anzupassen ist nicht schwer. Aber punktgenau und präzise reagieren zu können, das teilt die Spreu vom Weizen. Schließlich ist es dieses Element, was einen trotz negativ konnotiertem Grundthema unweigerlich so sehr zieht. Daran kann selbst die mittelmäßige Inszenierung in Bild und Ton nichts ändern. Payday 2 lebt vom Wir-Gefühl. Einzelgänge sind da nicht drin.

Aber ein Grundproblem bleibt. Wir verkörpern einen schlechten Charakter. Wir sind ein dreckiger Gangster, ein Räuber, ein Mörder und schlimmeres. Und das Spielziel ist die Perfektionierung einer Straftat. Dieser Gedanke ist einfach gefährlich. Vor allem bei solch realitätsnahen Szenarien. Verständlicherweise ist es angenehm, seine dunkle Seite nach außen tragen zu können - mal Abwechslung von Friede, Freude, Eierkuchen und der nie enden wollenden Weltenrettung in Videospielen. Aber im Endeffekt ist Payday 2 eben das, was es ist. Nämlich ein Spiel. Eines, das ungemein unterhält und fesselt.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
hochansteckender Suchtfaktor, Bösewicht spielen dürfen, realitätsnahe Szenarien, viele Interaktionsmöglichkeiten, individuelle Charaktergestaltung, variabler Spielablauf, Drang zum Perfektionismus
-
mittelmäßige Grafik- und Soundqualität, kaum merklicher Treffer des Gegners, kein Blut, Payday- Community ist gemein :(
overall score
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