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Saints Row: The Third

Saints Row: The Third

"In the real world, you‘re just a bitch with a keyboard". Schöner Satz, den ich dem Deckers-Boss entgegen schleudere. Matt Miller steht da gerade als riesiger Drache inmitten einer futuristischen Hochhauswelt vor mir, die so gar nicht nach Saints Row: The Third aussieht.

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Wie auch? Gerade noch war ich eine Kloschüssel, dann eine halb aufgeblasene Gummipuppe mit Laserpistole und nun bin ich auch ein Drache mit Riesenschwert. Wo nur ist der etwas fragwürdig gekleidete Gangster geblieben, den ich mir im lustigen Charaktereditor gebaut hatte und der immer genauso gekleidet in den Zwischensequenzen unterwegs ist? Was ist hier überhaupt los? Es ist, kurz gesagt, ein ganz normaler Arbeitstag in Saints Row: The Third.

Eigentlich ist das Action-Game mit seiner offenen Sandkastenspielwelt der dritte Teil einer Serie, die ursprünglich mal als dreister Grand Theft Auto-Klon mit mehr Gewalt gestartet ist. Und irgendwie ist vieles immer noch geklaut im Spiel, aber Entwickler Volition ist es gelungen, den Transfer zu schaffen. Sie haben Saints Row zu etwas Eigenständigem gemacht. Sie haben dem Spiel einen Stempel aufgedrückt. Es wimmelt hier nur so vor popkulturellen Referenzen aus der Welt der Videospiele. Es gibt einen Zwischensequenz, die selbstbewusst die Probleme von Assassin‘s Creed thematisiert. Es gibt ein Rennen, das wie direkt aus Tron kopiert aussieht. Alles wirkt immer eine kleine Spur neben der Spur und hat dafür einen bissigen, sarkastischen Unterton. Selbst ein leider recht kurzes Textadventure fehlt nicht. Das muss man sich so erst einmal trauen...

Rein oberflächlich betrachtet treiben wir in Saints Row: The Third die Geschichte der lilafarbenen Saints weiter. Denen geht leider ein kleiner Bankraub schief und im Zuge der anschließenden Ereignisse der Saints-Anführer Johnny Gat verloren. Gat taucht fortan nur noch als Marke im Spiel auf, als käufliche Maske oder auf diversen Merchandise-Gegenständen. Es geht soweit, dass selbst Autos mit riesigen Johnny Gat-Masken durch die Straßen von Steelport fahren, gesteuert von neonfarbenen Teddybären.

Saints Row: The Third
Eine bombastische Rikscha-Fahrt kriegen wir geliefert, nachdem wir einen Verbündeten aus einem SM-Club befreit haben.
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Ein Blick auf die Karte der neuen Stadt eröffnet eine mittelgroße, durchaus übersichtliche Metropole, in der tagsüber die Sonne scheint und nachts die Neonreklame blendet. Die Optik der Stadt wie auch des gesamten Spiels ist noch comichafter geworden. Die Grafik ist sicher nicht das Prunkstück, aber sie funktioniert für das Spiel. Gefühlt gibt es kaum an einer Stelle mal Ladezeiten, dafür nerven manchmal die dadurch fast unvermeidlichen, hereinpoppenden Texturen in der Distanz. Das war auch bei der Grand Theft Auto-Serie immer schon so - wenn es stört, den stört es. Dafür ist der Soundtrack der diversen Radiosender top und deckt alle Geschmacksrichtungen mit coolen Songs ab.

Rein inhaltlich wirkt der dritte Teil viel weniger ernst. Er ist mehr eine Mischung aus Monty Python's Flying Circus, Duke Nukem Forever, Burnout Crash und Sex Games. Das geht natürlich alles nicht zusammen, illustriert aber, wie hier ziemlich eigenartiger Humor, manchmal auch der kindischen Sorte, mit reichlich Videospielgeballer, Gangsatire und Zerstörungstrieb gemixt wird. Das ganze Spiel ist so oben drüber, man mag es manchmal nicht glauben, dass sich die Entwickler DAS gerade wirklich getraut haben.

Unvermeidlich in der Serie ist das Thema Gewalt. Die ist aber mittlerweile so deutlich sichtbar überzeichnet, dass die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle den Titel inklusive spritzendem Blut und im Mund von genmutierten Monsterbodybuildern explodierenden Handgranaten durchgewunken hat. Ganz ohne Schnitte kommt die deutsche Version aber nicht aus, wobei die Missionen unangetastet blieben. Bei Angriffen gegen Passanten schreiten Polizei und die Spezialeinheit STAG deutlich schneller ein. Das Belohnungssystem für getötete Zivilisten wurde abgestellt und Zivilisten können nicht als menschliches Schutzschild verwendet werden. Es sind Kleinigkeiten, bis auf den komplett fehlenden Whored-Modus. Der ist im Prinzip eine Horde-Gegnerwellen-Variante für zwei und wird in Deutschland unter Umständen als kostenloser Download nachgeliefert. Als Entschädigung hat THQ die kompletten Produkte von Professor Genki kostenlos eingebaut.

Saints Row: The Third
Den schicken Pixelpanzer gibt's als Belohnung für eine bestimmte Entscheidung - da macht in Schutt und Asche legen gleich doppelt viel Spaß.
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Professor Genki ist ein wahnsinniger Wissenschaftler. Er existiert nicht in einer Wahnsinnskategorie gemeinsam mit Dr. No oder Professor Moriarty - der Katzenkopf ist schlicht komplett irre. Er verkauft in Steelport eigenartige und effektive Gegenstände wie das Super Ballistic Manapult, einen Transporter, mit dem man als Held gemütlich im Vorbeifahren Passanten einsaugen kann, um sie dann als Munition durch die Luft zu schießen. Auch im Angebot: Professor Genki's Oktopus-Kanone, mit der man einen kleinen Oktopus abfeuern kann, der sich an einem Gegner festsetzt und dessen Handlungen beeinflusst. Außerdem führt der durchgedrehte Akademiker einen Underground-Schießstand, in der man gegen kostümierte Fantasiegestalten in einer Art Running Man-Gameshow antritt. Die Veranstaltung heißt Professor Genki‘s Super Ethical Reality Climax, ein Motto von vielen ist „Murder Time Fun Time". Der Arcade-Speedrun ist extrem lustig.

So richtig lustig wird das Spiel aber erst im Koop-Modus, wenn man den Wahnsinn verdoppelt und gemeinsam die Macht an sich reißt in den sechs Stadtteilen von Steelport, aufgeteilt unter den Gangs der Deckers, Luchadores und Morning Star. Johnny Gat ist zwar verschollen, aber Shaundi, Pierce und ein Haufen neuer Gefährten stehen uns zur Seite. Darunter ist der unglaubliche Zimbo mit seinem Kehlkopfverstärker (im Gehstock!), der uns in bestem Filter-Funk-Singsang die Mission erklärt. Zimbo ist es auch, den wir komplett nackt (die besten Teile sind grob verpixelt) mit einem überlangen Plastikdildo als Schlagwaffe aus einer SM-Sexparty befreien und der uns dann als Rikscha-Sklave bei der Flucht hilft. Haben sie mich das grad wirklich spielen lassen? Ja, haben sie...

Jede erfolgreich absolvierte Mission steigert den Respekt, der die Erfahrungspunktewährung in Steelport ist. Mehr Respekt schaltet neue Upgrades für bessere Waffen, für Autotunigteile, für die Ausrüstung der eigenen Gang oder den Nahkampf frei. Die Waffen sind teils konventionell, teils komplett irre. Es gibt Dronen, mit denen wir den Ärger regeln können. Mit dem RC-Possessor steuern wir fremde, aber normale Autos fern.

Saints Row: The Third
Das Spiel sieht nicht immer großartig aus, dafür spielt es sich von vorne bis hinten saulustig.

Das Spiel hat vor allem ein großartiges Tempo. Es wird nie langweilig, man kann sicher locker 15 Stunden allerbestens unterhalten lassen, ohne das man in Nebenmissionen ertrinkt oder die Story zu schnell erledigt. Das Saintsbook auf dem Ill-Wireless-Handy liefert zudem einen langen Strom an Aufträgen: Autos klauen, Auftragsmorde und einen Haufen Herausforderungen im Hintergrund wie Boote und Panzer zerstören, hässliche Maskottchen um die Ecke bringen, Geiseln nehmen und denen beim Autofahren Angst einflößen. Eigentlich hat fast alles, was man macht, Auswirkungen auf kleine Herausforderung im Hintergrund, die dann auch wieder ein bisschen Respekt generieren.

Zudem gibt es Aktivitäten ohne Ende. Im Panzer alles in Schutt und Asche legen. Prof. Genkis Spielshow mitmachen und in einem Speedrun möglichst viel Maskottchen abballern. Wir dürfen im Hubschrauber fliegen und unsere Unterstützer mit Raketenwerfer und Snipergewehr beschützen. Es gibt Quad-Rennen in Flammen, wo man einfach nur alles niedermähen muss. Wir dürfen im Panzer die Stadt komplett zerstören mit dem Ziel, den höchsten Schadensscore zu kriegen. Oder wir müssen einen Tiger im Cabrio durch die Stadt fahren, auf dem Beifahrersitz. Der knallt einem immer wieder die Tatze ins Gesicht, wenn ihm langweilig wird. Das Fahr- und Fluggefühl ist komplett auf Arcade ausgelegt und ist ziemlich direkt. Und wenn man keine Lust aufs Fahren hat, kann man sich auch immer noch zu Fuß zum Versicherungsbetrug aufmachen, indem man sich als Ragdoll auf Kreuzungen wirft und durch die Luft schleudern lässt.

Doch am Ende geht es bei Saints Row: The Third weder um den Sinngehalt der Story, noch um fette Highend-Grafik oder ein konsistentes Upgrade-System. Es geht darum, auf einem virtuellen Spielplatz den maximal möglichen Unfug zu produzieren und nebenbei eine Story zu erleben. Das Spiel will einem Spaß geben, diesen kindischen, ehrlichen, lauten Spaß. Es ist wie „Kackawurscht" schreien beim Abendessen. Eigentlich geht das nicht, aber ist es erst passiert, dann fühlt es sich unglaublich gut an. Lange gab es kein Videospiel, das dieses Credo so unverblümt und ehrlich heraus posaunt hat. Dafür muss man Saints Row: The Third einfach lieben.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Irres Gameplay, viel Freiheit, witziges Storywriting, großartiges Spieltempo
-
Kleinere Grafikprobleme
overall score
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