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L.A. Noire

L.A. Noire

20 Stunden hoch spannenden Krimi habe ich gerade in einem modernen Rockstar-Abenteuer in Los Angeles genossen. Erste Erkenntnis: L.A. Noire ist ein Spiel für Erwachsene und zeigt einige wirklich interessante Designlösungen.

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Die Morgensonne dringt durch die Jalousien vom Hauptrevier des Los Angeles Police Department. Kriegsveteran Cole Phelps fixiert seinen Holster, nimmt den Polizeihut und setzt den Fuß vor die Tür hinein in eine Spielwelt, di unglaublich ambitioniert gestaltet ist. Im Radio swingt Billy Holidays samtige Stimme über gebrochene Herzen. Auf der anderen Straßenseite steigt eine gut gekleidete Dame in High Heels in ein Taxi. Willkommen in Los Angeles des Jahres 1947.

L.A. Noire wurde über fünf Jahre lang entwickelt. Team Bondi hat allein drei Jahre lang gemeinsam mit drei der größten Teams bei Rockstar gearbeitet, um eine Zeitmaschine zu bauen in Richtung einer verzauberten Ära. Ihr Ziel ist eine Stadt, die kurz davor steht, ihre eigene Identität zu definieren. Los Angeles im Jahr 1947 ist geprägt von Korruption, Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus. Die Polizei kontrolliert die Stadt und Politiker schrecken vor nichts zurück, um ihre Entscheidungen durchzusetzen. In Hollywood boomt das Geschäft und amerikanische Filme sind eine heiße Exportware.

Cole, die Hauptfigur in L.A. Noire, ist ein gradliniger Mann mit großen Ambitionen. Er will die Welt zu einem besseren Ort machen. Seine hohen Moralvorstellungen und der kompromisslose Ansatz, eine ordnungsgemäße Beamtenethik zu verfolgen, treibt seine Kollegen in den Wahnsinn. Cole nimmt keine Abkürzungen und bricht keine Regeln. Er ist eine gequälte Seele mit einer Geschichte, die sich immer wieder bemerkbar macht. In vielerlei Hinsicht erinnert er an den klassischen Raymond Chandler-Detektiv Philip Marlowe. In dann aber sofort auch wieder überhaupt nicht.

L.A. Noire
Eine klassische Polizeigeschichte im sonnenverwöhnten Hollywood, gleichzeitig aber eine rußige, tiefschwarze Erzählung über bitterböse Korruption.
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Dafür, dass Cole die Hauptfigur in einer dunklen Story sein will, wirkt er unerwartet makellos und edel, mit Trinkgewohnheiten und Zigarettensucht, die kaum richtig ins Bild passt. L.A. Noire vermeidet aber trotzdem vor allem eines: die schlimmsten Klischees des Genres zu bedienen - und das gelingt durch intelligente Skripte und großartiges Schauspiel. Los Angeles ist von schweren Schatten und Straftaten durchdrungen, oft im Zusammenhang mit Sex und Drogen. L.A. Noire bietet dazu eine klassische Polizeigeschichte im sonnenverwöhnten Hollywood, gleichzeitig aber eine rußige, tiefschwarze Erzählung über bitterböse Korruption.

Das Abenteuer ist in fünf Kapitel unterteilt. Jeder Teil erzählt unterschiedliche Verbrechen, während Cole die Karriereleiter hochklettert im Polizeidienst. Nach den ersten Stunden verdichten sich die Anhaltspunkte aus einer Serie brutaler Morde und es dauert nicht lange, bevor Cole zu ahnen beginnt, dass die Stadt einen Serienmörder am Hals hat. Der Polizeichef bezweifelt die These und auch Coles arbeitsscheuer Partner trägt dazu bei, gleich mehrere Spuren fallen zu lassen. Der übereifrige Beamte soll sich auf schnellere Verurteilungen und Geständnisse konzentrieren, um die Strippenzieher der Stadt glücklich und zufrieden zu halten.

Team Bondi hat die eher linearen Untersuchungen an den Tatorten innerhalb der Missionen mit einem süchtig machenden Gefühl von Freiheit verknüpft, wenn sich Los Angeles in seiner Gesamtheit öffnet und einen zum Erkunden einlädt. Das Fahren und die Nebenmissionen innerhalb der Stadtgrenzen erinnern an Mafia II und in Symbiose mit Adventure-Elementen wie Spurensuche am Tatort, verschiedenen Verhörmethoden und so einigen raffinierten Puzzle-Elementen bildet dies eine wunderbare Kombination von mehreren, sehr erfolgreichen Videospielkonzepten.

L.A. Noire
Ein Adventure mit Sandkastenambiente, das effektiv Strukturen aus den alten Klassikern mit neumodischen Adventure-Elementen verbindet.
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Der Anfang erzählt von Coles Zeit als einfacher Streifenpolizist und seinen Bemühungen in der Abteilung für Verkehrsstraftaten. Ein seichter Einstieg, um dann kurze Zeit später im Spiel in tieferes Wasser zu waten und schließlich auf eine gewaltige Verschwörung zu stoßen, die die ganze Stadt auf den Kopf stellen könnte.

L.A. Noire ist ein Adventure mit Sandkastenambiente, das effektiv Strukturen aus den alten Klassikern wie Police Quest mit neumodischen Adventure-Elementen eines Heavy Rain verbindet. Die Missionen beginnen alle auf die gleiche Art und Weise, im Polizeirevier, wo Cole und seine Kollegen über die aktuellen Verbrechen informiert werden. Nachdem die Mission vergeben wurde, steht uns der Weg frei. Wir können entweder durch Los Angeles laufen, um den Tatort zu erreichen. Wir können fahren oder den Kollegen fahren lassen, um ein paar Minuten die Umgebung zu genießen. Oder die Reise einfach skippen, natürlich.

Am Tatort angekommen müssen wir Hinweise untersuchen, die von emsigen Beamten bereits vorbereitet wurden und nach solchen suchen, die sie übersehen haben. Das kann alles mögliche sein von der gut versteckten Blutspur bis hin zur verlorenen Streichholzschachtel. Es ist wichtig, jeden Tatort sorgfältig zu durchkämmen und die Erkenntnisse miteinander zu verknüpfen. Wenn alle Hinweise gefunden und alle Leichen untersucht wurden, beginnt der Spaß erst richtig. Cole entscheidet, welchem Hinweis er zuerst nachgeht - das sind die Momente, wo L.A. Noire wirklich Freiraum zeigt.

L.A. Noire
Das Spiel schenkt uns immer wieder das wunderbar klug inszenierte Gefühl, tatsächlich einen Polizist in den USA der 1940er Jahre zu spielen.

Oft gibt es eine ganze Reihe von Indizien, die geprüft werden müssen. Eine Serviette des Mordopfers mit einer Telefonnummer darauf. Eine Streichholzschachtel mit dem Namen einer Bar. Der Kopf des Opfers, oder der Ehemann, vielleicht auch der Liebhaber. Cole muss priorisieren, jeden kleinen Verdacht untersuchen. Er wird Hunderte von Menschen verhören in den kommenden Stunden. Oft und vor allem gegen Ende des Abenteuers sind die Verbrechen ziemlich komplex und erfordern Stunden harter Arbeit, um einer möglichen Lösung näher zu kommen.

L.A. Noire schenkt uns immer wieder das wunderbar klug inszenierte Gefühl, tatsächlich einen Polizist in den USA der 1940er Jahre zu spielen. Team Bondi hat sich keine Abkürzungen erlaubt beim Feinschliff des Games. Auch deshalb dürfen wir als Spieler erleben was es heißt, damals Polizeiarbeit zu machen. Das ist manchmal langweilig, langsam und monoton. Aber es fühlt sich kein einziges Mal danach an, einen sinnlosen Job zu machen. Im Gegenteil.

Sobald alle Beweise gesichert und alle Personen befragt sind - Freunde, Verwandte und etwaige Zeugen - ist es Zeit für Cole, jene zu verhaften, die er für die Täter in einem Fall hält. Zurück auf der Polizeistation startet die Vernehmung dieser Person oder Personen - und genau jetzt schaltet das Game in den Overdrive und wird kompliziert wie nur Old-School-Adventures waren. Während des Verhörs kann man die Antworten des Angeklagten klassifizieren, ihm glauben, misstrauen oder ihn als Lügner enttarnen. Wer letzteres macht, sollte ein paar gute Anhaltspunkte oder besser noch einen Beweis haben. Ansonsten stehen die Chancen gut, dass das Verhör unterbrochen wird und auf dem Bildschirm ein fettes Game Over prangt.

L.A. Noire
Action-Parts sind eher spärlich über die gut 20 Stunden des Solo-Abenteuers verteilt.

Es ist wichtig, während der Verhöre genau zuzuhören und jedes Objekt zu überprüfen, das am Tatort gefunden wurde. Außerdem muss man den Verdächtigen präzise in die Augen starren, um in der Lage sein, die Wahrhaftigkeit der Behauptungen einschätzen zu können. Es ist eine schwierige Aufgabe und es gibt kein System, dem man folgen könnte, um in mehreren Anhörungen in Folge gleichermaßen erfolgreich zu sein. Die Motion-Scan-Technologie von Team Bondi zaubert unglaublich lebensechte Gesichter ins Spiel - und kleinste Nuancen in der Mimik machen einen großen Unterschied. Man fängt an, selbst die Ticks der Verdächtigen zu hinterfragen, während sie unsere Fragen beantworten. Oft sind diese Ticks subtil und fast unsichtbar, manchmal sehr deutlich ausgeprägt. Der Teil mit den Befragungen jedenfalls ist wirklich unglaublich spannend gemacht.

Auf halben Weg im Abenteuer gibt es eine Szene, in der Cole Phelps zwei junge Männer verhaftet, die beide unter Verdacht stehen, in eine größere Drogennummer involviert zu sein, die die Polizei seit mehreren Monaten aufzuklären versucht. Team Bondi mixt hier gekonnt den Malteser Falken mit dem Noir-Thriller L.A. Confidential, als Cole zwischen den Verhören hin und her springt auf seiner Jagd nach der Wahrheit. Dieser Teil von L.A. Noire zeigt vielleicht am deutlichsten, dass es nicht wirklich viele Hardcore-Action-Sequenzen braucht, um einen spannendes und intensives Spiel zu machen.

Die Action-Parts sind ohnehin eher spärlich über die gut 20 Stunden des Solo-Abenteuers verteilt. Eine Verfolgungsjagd im Auto hier, eine kurze Schießerei dort - und manchmal jagt Cole auch einen fliehenden Verdächtigen zu Fuß, einschließlich einer kleinen und abschließenden Schlägerei. Das hier ist und bleibt eben kein Action-Game. Man wird die Mehrheit der Spielzeit damit verbringen, Bilderrahmen umzudrehen und Spuren im Kies rund um nackte, blutüberströmte Frauenleichen zu analysieren.

L.A. Noire
Die Spielwelt fühlt sich lebendig, dynamisch und aufregend an.

Die Atmosphäre von L.A. Noire ist einer der besten Aspekte des ganzen Spiels. Die Spielwelt fühlt sich lebendig, dynamisch und aufregend an. Wie in Grand Theft Auto IV bleibt der Eindruck, dass die Stadt voll funktionsfähig ist und unabhängig davon pulsiert, was man als Spieler nun macht oder auch nicht. Ein großes Gefühl der Empathie entsteht, fast instinktiv und unweigerlich. Es wird auch immer mehr zur Freude, das marineblaue Buick Town Car zwischen den verschiedenen Tatorten zu chauffieren.

Die Grafiker des Entwicklers haben mehrere Monate mit der detaillierten Untersuchung von alten Filmen, Fotografien, Zeichnungen und anderen Gegenstände aus der Zeit verbracht, um die präziseste Version des 40er-Jahre-L.A zu bauen, die nur irgend möglich ist. Amerikanische Historiker und Architekten haben bereits Interesse an dem Spiel gezeigt, weil Bondis Version von L.A. anno 1947 so schrecklich nah an der Realität sein soll. Keine Ahnung, ob das nun wahr ist oder nicht - aber ich lobe an dieser Stelle gerne noch einmal die wunderbare Atmosphäre. Von der Polizeistation in den Hollywood Hills den Hollywood Boulevard hinunter zu schauen und Hunderte Oldtimer zu sehen, das ist schon ein starkes Gefühl, besonders für einen Mad Men-Fanatiker und Frank Sinatra-Liebhaber wie mich.

Natürlich ist die atemberaubende Grafik zu einem großen Teil dafür verantwortlich, warum sich L.A. Noire anfühlt wie einer erstaunlichen Zeitmaschine entsprungen. Technisch gesehen ist das Spiel ein großer Triumph für Rockstar, die in den letzten Jahren ihre eigene Engine perfektioniert haben. In L.A. Noire sind hübsche Modelle mit Texturen in erstaunlich hoher Auflösung geschmückt und mit exzellenten Animationen garniert. Dazu gesellen sich eine unglaublich überzeugende Beleuchtung inklusive passendem Schattenwurf und eine zeitgemäße Präsentation, die überhaupt nichts zu wünschen übrig lässt.

L.A. Noire
Adventure-Elemente wie Spurensuche am Tatort und raffinierte Puzzle-Elemente bilden eine wunderbare Kombination.

Im Gegensatz zu den meisten anderen Spielen dieser Machart mit einer offenen Spielwelt finden sich in L.A. Noire keine Pop-ups durch nachladende Grafik. Nicht einmal während der gesamten Spielzeit kam die Grafik irgendwie ins Stocken. Ein Kunststück, dem man natürlich applaudieren muss, enthält das Spiel doch mehr Details, mehr Animationen und eine schönere Beleuchtung als zum Beispiel Mafia II. Diese technische Brillanz setzt sich beim Sound fort. Der verzaubert uns nicht nur mit großartigen Schauspielern und schöner, zeitgenössischer Musik, auch die reine Tonqualität stimmt. Ich kann an meiner rechten Hand abzählen, wie oft ich beeindruckt war von einem Soundtrack eines Spiels, was natürlich bedeutet, dass es allein schon deshalb hierfür zehn Punkte gibt.

Mit der Motion-Scan-Technologie ist es Team Bondi gelungen, die besten Filmsequenzen zu erschaffen, die ich je in einem Spiel gesehen habe. Jeder Teil des Gesichts ist derart detailliert und authentisch, wie es bisher keinem anderen Entwickler geglückt ist. Die Münder bewegen sich exakt so, wie sie es im wirklichen Leben tun. Jedes Gesicht zeigt jeden noch so kleinen emotionalen Ausdruck. L.A. Noire zu spielen, das ist wirklich ein bisschen so wie einen langen und sehr gut gemachten Film anzuschauen. Der einzige Makel ist hier, dass die Charaktere oft ein bisschen zu schielen scheinen und ihre Münder viel aussagekräftiger sind als die Augen. Einige der Charaktere im Spiel erinnern mit ihren Augen jedenfalls tatsächlich ziemlich an einen guten, alten Zombie.

L.A. Noire ist ein echter Qualitäts-Thriller, der zu ruhig, fast verleugnend beginnt, um dann das ein bisschen eintönige Tempo zu beschleunigen und in eine packende, interessante, abwechslungsreiche und sehr spannende Geschichte abzubiegen, die einen immer und immer wieder reich belohnt. Die Präsentation ist fantastisch, die Grafik brillant und der Sound ist wunderbar. Dies ist in der Tat ein Abenteuer, das wirklich niemand verpassen sollte.

HQ
09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Brilliantes Storytelling, unglaublich gut geschnittene Szenen, fantastische Grafik, spannende Geschichte, tolle Atmosphäre, überzeugender Sound
-
ein bisschen eintönig
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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