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Chaos auf Deponia

Chaos auf Deponia

Mit Deponia hat Daedalic im Frühjahr gut vorgelegt. Die Geschichte über den Schrottplaneten Deponia und den wohl liebenswürdigsten Chaoten unserer Zeit geht weiter und bietet wunderbare neue Spielelemente.

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Rufus ist wieder da. Oder besser gesagt, er ist immer noch da. Der selbsternannte Bastler suchte in Deponia einen Weg nach Elysium, einer Stadt im Himmel. Ein bisschen konnten wir das auch verstehen, denn Deponia ist ein Planet voller Schrott und bietet ein Leben im Mangel. Deswegen wohl auch hatten sich irgendwann einige der Menschen abgeseilt und zu ihrem Schutz den Organon geschaffen, der beide Welten voneinander trennt. Allerdings ist Rufus nicht irgendein Deponianer. Er ist chaotisch und neigt zur Selbstüberschätzung.

Ok, vielleicht war das untertrieben. Wenn wir ganz ehrlich sind, ist Rufus ein egoistischer, arroganter, fauler, tölpelhafter, frecher, anmaßender, skuriller, planloser, tollpatschiger, überheblicher, selbstbezogener, verstiegener, chaotischer, nichtsnutziger, eingebildeter, feiger, prahlerischer, rüpelhafter, einfältiger, naiver, selbstsüchtiger, hochmütiger, stümperhafter, weltfremder, unverschämter, schlampiger, unbeholfener, komischer, großspuriger und selbstverliebter Kautz. Außerdem ist er definitiv wahnsinnig. Und... naja... irgendwie mögen wir Rufus trotzdem. Denn im Grunde ist er natürlich ein herzensguter Mensch.

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Chaos auf DeponiaChaos auf Deponia
Deponia überzeugt noch immer durch seine wunderschönen und hübsche Schauplätze - ein Meisterwerk aus Schrott.
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Rufus ist nicht böse oder hinterlistig, sondern einfach nur ein Schelm, den man einfach lieben muss. Sein Leben ist einfach vom Pech gekennzeichnet und alles, was er anfasst, misslingt. Und wem so viel im Leben schief geht, der entwickelt vermutlich irgendwann ganz selbst eine sehr egozentrische Sicht auf die Dinge. Und tatsächlich erleben wir diesmal einen etwas anderen Rufus. Obwohl er natürlich noch immer ein Garant für bombastische Auftritte ist, bei dem keine Blechdose auf der anderen bleibt, ist da eine Spur mehr Weitsicht. Das Ich in Rufus tritt durchaus an den richtigen Stellen ein paar Zentimeter zurück. Und wer ihn kennt, der weiß, wie schwerfällig sein Ego eigentlich ist.

Das Abenteuer beginnt ähnlich wie schon das letzte in Deponia, denn Rufus sucht weiterhin einen Weg nach Elysium. Dafür hat er sich eine waghalsige Konstruktion gebaut, die eher einem tollkühnen Tötungswerkzeug gleicht als einem ausgeklügelten Fluchtweg. Und als sein Kreissägen-Katapult in die Luft aufsteigt, trifft es ausgerechnet die Kapsel, mit der Goal und Cletus gerade nach Elysium aufsteigen. Rufus bezeichnet Goal gern als seine Freundin. Die selbst sieht das ein bisschen anders. Sie hat den Chaoten bereits kennengelernt und weiß, dass es nicht gut ist, sich in seiner Gegenwart aufzuhalten.

Und recht hatte sie, denn mit der ungewollten Attacke auf die Kapsel wird Goals Datasette an ihrem Kopf beschädigt, auf der ihre gesamte Persönlichkeit gespeichert ist. Das bei der Aktivierung nicht noch etwas Schlimmeres passiert, ist wohl auch eher ein glücklicher Zufall. Denn was kaputt ist, kann repariert werden. Doch wieder ist es Rufus, der alles nur noch schlimmer macht. Eigentlich sollte er nämlich die hochwertigen Datasetten kaufen, weil die störungsfreier funktionieren als die billigen. Aber weil es zum Schnäppchen-Angebot auch noch einen Lolli gibt, greift er beherzt zu...

Chaos auf Deponia
Der tollpatschige, aber liebenswerte Rufus ist immer noch da, also eigentlich war er ja nie weg.
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Tatsächlich kommt es zu Komplikationen, in deren Folge Goals Persönlichkeit in drei Teile aufgespalten wird: die gewaltbereite Krawall-Goal, die vernünftige Lady Goal und die naive Baby-Goal. Um diese wieder vollständig zusammenzufügen, müssen alle drei Persönlichkeiten unabhängig von einander überzeugt werden. Keine leichte Aufgabe für Rufus, denn alle haben unterschiedliche Bedürfnisse, welche er zunächst erst einmal herausfinden muss. Eine Goal war im Grunde schon eine Nummer zu groß für ihn - nun soll er drei gewachsen sein.

Für den Humor bedeuten die drei Persönlichkeiten natürlich viele witzige Stellen und Möglichkeiten von Reaktionen. Vor allem die naive Baby-Goal sorgt für laute Lacher. Noch entscheidender aber ist der Einfluss dieses Missgeschicks auf die Spielmechaniken, denn wir verfügen über eine Fernbedienung, mit der wir zwischen den einzelnen Typen wählen können. An manchen Stellen brauchen wir einen bestimmten Charakter, der uns hilft, im Spiel voranzukommen und das macht Chaos auf Deponia deutlich spannender als den Vorgänger.

Außerdem öffnet sich die Spielwelt langsam. Wir entdecken nach und nach einen neuen Teil von Deponia und können später sogar mit einem Kutter Inseln bereisen. Natürlich trickst Daedalic dabei ein bisschen, denn die Zahl der Schauplätze bleibt auch beim Herumschippern überschaubar. Aber genau das ist ja die Kunst beim Entwickeln von Spielen. Uns Freiheit vorgaukeln, obwohl wir uns nur auf den vorgegebenen Bahnen des Entwicklers bewegen - zu viele Schauplätze könnten ein Spiel sonst einfach zu unübersichtlich machen.

Chaos auf Deponia setzt die Geschichte des Vorgängers sauber fort und bastelt einen eleganten Einstieg, der auch jene mitnimmt, die den Erstling ausgelassen haben. Gerade weil die Geschichte für sich genommen abgeschlossen ist, reicht es zu Beginn mit kurzen Einschüben in Dialogen das Wesentliche zu erklären. In erster Linie geht es dabei natürlich um die Erklärung der Personen und ihrer unterschiedlichen Motivationen. Und obwohl auch dieses Abenteuer eigentlich nur ein Zwischenschritt zum großen Finale ist, gibt es einen ebenso gelungenen Abschluss und dazu ein paar pfiffige Ideen, um den Spielspaß zu steigern.

Chaos auf Deponia
Goals Persönlichkeit wurde in drei Teile gespalten und Rufus muss sie wieder zusammenbringen.

Dazu müssen wir wissen, dass Daedalic noch ein recht junges Studio ist. Erst 2007 gründete sich der Entwickler in Hamburg, der alle seine Spiele selbst herausbringt. Und obwohl Jan Müller-Michaelis mit viel Talent an den Start ging, um dem Adventure-Genre neues Leben einzuhauchen, lernt auch er ständig dazu. Seine Spiele von Daedalic sind keine Revolution, sondern digitalisierte Liebe. Und wer beispielsweise Deponia gespielt hat, weiß um die hervoragende Unterhaltung, die gute Erzählstruktur und den ganz besonderen Humor.

Und so betrachtet ist Chaos auf Deponia für den kleinen Entwicklern einfach ein ganz großer Schritt nach vorn. Es ist gelungen, die klassischen Inventar-Rätsel noch besser und logischer, ja zumeist sogar subtil einzusetzen. Dazu waren die inzwischen gängigen Minispiele selten so passend integriert. Zu meinen Lieblingen zählen die beiden Aufgaben, in denen wir mit Hilfe vone einem geheimen Klopfzeichen Zugang zu einer verschlossenen Tür beschaffen müssen. Beide sind ganz unterschiedlich, aber erfordern eine Menge Grips, bei dem wir ziemlich um die Ecke denken müssen.

Natürlich gibt es manchmal auch Momente, in denen wir etwas verloren sind. Manche Wege sind uns zunächst verschlossen, weil ein bestimmter Dialog noch nicht geführt wurde. Aber wer aufmerksam seine Umgebung beobachtet und Gespräche verfolgt, der sollte dieses Adventure relativ problemlos meistern können. Unfair ist Chaos auf Deponia trotz mancher Kopfnüsse nämlich nie.

Chaos auf Deponia
Was Torpedo-Delfine mit dem Chaos auf Deponia zu tun haben, muss jeder selbst herausfinden.

Ganz persönlich war ich anfangs ein wenig skeptisch, ob es eine gute Idee ist, aus dem Spiel wirklich eine Trilogie zu machen. Dreimal einen identischen Stil für ein Spiel zu benutzen, das kann auch schnell sehr öde werden. Daedalic aber hat bewiesen, dass sie trotz relativ kurzer Entwicklungszeit in der Lage sind, frische Ideen zu integrieren. Einzig bei der Grafik wäre natürlich ein kleiner Sprung wünschenswert gewesen. Das Spiel behält aber weiterhin seinen unverwechselbaren Charme.

Wer Adventures liebt, wird auch Chaos auf Deponia lieben. Aber diese Wendung gilt im Grunde für jedes Spiel von Daedalic. Besonders ist der Titel aber, weil er versucht, etwas Bewegung ins Genre zu bringen. Das gelingt dem Team von Jan Müller-Michaelis zum einen über Spielmechaniken, aber vor allem auch über die Geschichte und die dazugehörigen Charaktere. Die Figuren sind nicht flach, sondern besitzen Seele. Das macht Chaos auf Deponia zu einem der besten Abenteuer, in die wir derzeit stürzen können.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
sympathische Figuren, spannende Handlung, hübscher Stil, erstklassiger Soundtrack, logische Rätsel, hübsch integrierte und intelligente Minispiele
-
fehlende Lippensynchronität, das Warten auf das große Finale der Trilogie
overall score
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KRITIK. Von Martin Eiser

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