Videospiel-Erzählungen haben in den letzten Jahren einen beeindruckenden Sprung hingelegt und das liegt zu einem großen Teil an Titeln, die nicht unbedingt die Grenzen des Mediums verschieben. Diese Spiele werden wohl am besten als Narrative Exploration Game bezeichnet, obwohl viele Leute sie abfällig als Walking-Simulator handhaben. Der Term passt zugegebenermaßen auch, da er zumindest hinreichend genau beschreibt, was wir in diesem Genre tun und worin die Herausforderung besteht.
Fullbright hat sich mit Gone Home einen Namen gemacht. Das Spiel hat damals maßgeblich beeinflusst, wie umweltbedingtes Storytelling heutzutage in Spielen stattfindet und sich trotz seines einfachen Spielprinzips in die Herzen vieler Spieler gebrannt. Der nächste Titel des Studios heißt Tacoma und auch mit diesem Erlebnis versuchen Fullbright, neues Terrain zu erschließen. Diesmal geht es um künstliche Intelligenz, Rechte von Arbeitern, Beziehungen und wie Leute mit Stress und Druck umgehen. Als Szenario wurde deshalb die klassische Sci-Fi-Weltraumstation mit engen Räumen, der allgegenwärtigen KI und dem Potential für einen ordentlichen Schlamassel gewählt.
Wir (Amy) erscheinen auf der Raumstation Tacoma nachdem die Crew aufgrund eines katastrophalen Ereignis ihren Arbeitsplatz verlassen hat. Wir wissen von all dem nichts, doch unsere Mission besteht darin, die KI-Daten der Station zu bergen. Während wir diese Daten extrahieren, durchsuchen wir die Quartiere der Mannschaft und sehen aufgenommene Szenen der verschwundenen Crew-Mitglieder in Form von Hologrammen. Denen können wir durch die Gänge folgen, ihren Gesprächen lauschen und dabei die Umgebung erkunden. In persönlichen Computern der Arbeiter erfahren wir teils intime Details über die Situation der Angestellten auf der Station, ansonsten warten einige Katzen darauf, gefunden zu werden und es gibt Easter-Eggs, doch das Gameplay beschränkt sich größtenteils darauf, umherzulaufen. Die Erfahrung ist sehr linear und limitiert, damit die Erzählung im Mittelpunkt stehen kann.
Während wir durch die Station laufen, Daten sammeln, Hologramme beobachten (die sich übrigens jederzeit stoppen, vor- oder zurückspulen lassen) und unsere Umgebung kennen lernen, entfaltet sich die Geschichte. Das mag vielleicht ein bisschen fragmentiert klingen, doch die Kernerzählung ist sehr prägnant und wird effektiv präsentiert. Wir erleben Ereignisse, die sich nur wenige Tage oder Stunden vor unserer Ankunft abgespielt haben. Das alles ist interessant geschrieben, wirkt am Ende aber doch arg konstruiert und unsere eigene Position wirkt vom Geschehen sehr getrennt. Die Auflösung all dessen geschieht auch erst sehr spät, wie wir das von einem Fullbright-Spiel gewohnt sind. Die Wendungen finden erst zum Ende hin statt.
Tacoma ist eines der Spiele, die wir viel länger spielen werden, als die eigentliche Spieldauer von etwa zwei Stunden. Wer will nimmt sich die Zeit und erkundet die Raumstation oder rennt von einem Ereignis zum Nächsten. Besonders gut eingefangen sind die lebendig wirkenden Räume der sechs Crew-Mitglieder, die dort gelebt haben. Visuell ist Tacoma sehr solide. Die kunterbunten Hologramme grenzen sich wundervoll von der Umgebung ab und wir können ihnen aufgrund ihres auffälligen Designs leicht folgen. Während wir an Bord sind, gibt es viele Szenen, die uns kurz zum Verweilen einladen. Auch die Synchronisation ist sehr anständig ausgefallen und die Qualität der Performance lässt die leblosen Hologramme wie fast echte Menschen wirken.
Das übergeordnete Thema von Tacoma orientiert sich an Big Brother und persönlicher Integrität. Die Crew-Mitglieder werden konstant überwacht und aufgezeichnet, doch mittlerweile haben sie ihren Frieden damit geschlossen. Es ist ein Teil ihres Jobs und ein Teil ihres derzeitigen Lebens. Trotzdem bekommen wir während des Spielens das Gefühl, das wir ungefragt den privaten Raum dieser Personen betreten, ihre E-Mails und Chat-Verläufe lesen und uns ihre Sachen ansehen. Dadurch erleben wir ungefilterte Emotionen, empfindliche Momente (es gibt ein Pärchen im Team), Augenblicke der Verzweiflung und auch alltägliche Angelegenheiten. Und dass wir die gesamte Zeit über nicht genau wissen, was mit der Crew geschehen ist, macht die ganze Angelegenheit sogar noch angespannter.
Die Bipolarität zwischen dem unerlaubten Betreten einer fremden Gedankenwelt und der Trennung vom eigentlichen Geschehen und den entsprechenden Ereignissen des Spiels, sorgt für eine Beeinträchtigung das Levels der Immersion. Das ist unserer Meinung nach ein faires Geschäft für die Übermittlung der wertvollen Nachricht, die am Ende steht. Tacoma ist also ein Spiel, das vor allem die Gedanken anspricht und anregt. Das gelingt dem Titel zwar nicht auf der Höhe von Gone Home oder Giant Sparrows What Remains of Edith Finch, doch falls ihr ein Fan des Genre seid, lohnt sich ein Spieldurchlauf allemal. Der Teufel sitzt bekanntermaßen im Detail, doch das ist ganz offensichtlich das Areal, in dem Tacoma am meisten glänzt.