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Tokyo Jungle

Tokyo Jungle

Tokyo Jungle ist mir immer noch ein kleines Rätsel. Was genau das Downloadspiel für die PS3 sein will, lässt sich nicht so einfach ergründen. Vermutlich ist es schlicht das, was es auf den ersten Blick zu sein scheint: eine eher simple Simulation des Lebenskreislaufes - allerdings fast ohne Menschen.

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Tokyo Jungle hat auf jeden Fall eines bewirkt. Innerlich summe ich seit Tagen schon immer wieder diesen kackpeinlichen Hit von Elton John.

In the circle of life, it's the wheel of fortune,
it's the leap of faith, it's the band of hope,
to we find our place, on the path unwinding,
in the circle, in the circle of life

Es ist schlimm, ich weiß es. Aber so vieles in diesem Spiel erinnert mich daran: an den Kreislauf des Lebens. An das Fressen und Gefressenwerden. An das Vermehren. An das Sterben. In gewisser Weise macht Tokyo Jungle einen immer wieder sehr traurig. Weil man andauernd versagt beim großen Darwin-Glücksrad. Wieder den Kürzeren zieht, nach einem nervenaufreibenden Streifzug.

Wir beginnen das Spiel, ganz am Anfang, wahlweise als Zwergspitz, Katze oder Sikahirsch. Zwei Fleischfresser, ein Pflanzenfresser. Der den Videospielen unterstellte Drang nach Action ist selbst hier spürbar, weitab der Egoshooter und Prügelspiele. Aber klar: Wer will schon durch die Gegend rennen und Gräser kauen - in einem Videospiel? Anderseits: Es könnte die deutlich erfolgreichere Strategie sein, genau das zu tun in einer brutalen Welt. Wegducken und ruhig machen. Außerdem wird Tokyo Jungle so zum Metal Gear Solid mit Tieren. Nicht nur wegen der Kisten, in denen wir wie Snake an Gegnern vorbeischleichen können.

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Um den Sterben zu entkommen, bleibt nur der Weg nach vorne. Man muss fressen und trinken, alles was sich anbietet.

Die einzelnen Spielrunden dauern theoretisch lange. Vielleicht ewig - wer weiß das schon. Ich jedenfalls sterbe für meinen Geschmack immer zu schnell. Die Ungeduld ist mein Henker. Und die 1001 Gefahren da draußen, im japanischen Großstadtdschungel. Starkregen verringert die Sicht. Smog erhöht die Giftigkeit. Oder die ausschweifend großen Welten mit wenig Nahrung werden einem zum Verhängnis. Wer nicht verhungert, scheitert an riesigen Krokodilen, auf die man ungewollt trifft. Manchmal kann man denen gerade noch ausweichen, um dann hinter der nächsten Ecke vom hungrigen Dinosaurier als Snack verspeist zu werden. Über 50 Tierarten sind insgesamt unterwegs.

Um dem Sterben zu entkommen, bleibt nur der Weg nach vorne. Man muss fressen und trinken, alles was sich anbietet. So reißen Hund und Katze kleinen Küken, Schweine und riesige Hirsche, töten Schimpansen, Wölfe und Raben und mit ausreichend Skills und Kraft auch erhabene Jäger wie Löwen oder gar Elefanten. Die Welten sind dabei immer wieder neu und zufallsgeneriert. So lassen sich keine Muster erlernen, lediglich die immer besser werdende Orientierung wird zum großen Vorteil.

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Ein weiteres Mittel im Überlebenskampf gegen Hunger, sinkende Ausdauer und versiegende Lebensenergie ist die Fortpflanzung. Wer sich im Strohhaufen oder im Zelt paart, der vererbt positive Eigenschaften an die kommende Generation weiter. Vor allem aber ist man nach einem Generationswechsel im Rudel unterwegs - und damit mächtiger. Das ist beim Angreifen praktisch, außerdem ist es eine Art Continue, da man im Falle des Todes in den Körper des nächsten Rudelmitglieds geschubst wird. Ein bisschen unrealistisch und passt nicht so gut zum Spiel, denn es nimmt etwas die Härte, das man wirklich nur einen einzigen Versuch pro Überlebensrunde hat. Genau das finde ich persönlich sehr schade.

Wobei reiner Realismus eben auch nicht die Sache von Tokyo Jungle ist. Wir können Geschenke finden, in denen sich lustige Verkleidungsgegenstände finden, die mit Stats versehen sind und etwa den Angriff oder die Ausdauer stärken. Antennen auf dem Kopf, lustige Hüte, Nieten-Halsbänder, Lumpenjacken oder Turnschuhe - da sieht ein Hirsch schnell aus wie ein Depp. Die Gegenstände nutzen sich mit der Zeit ab, sind aber solange für jeden Neuversuch verfügbar. Ebenso finden sich immer wieder nützliche Gegenstände wie Dörrfleisch oder Wasserflaschen.

Um uns bei Laune zu halten, gibt es stetig schwieriger werdende Aufgaben wie soundsoviel Tiere jagen oder eine bestimmte Menge Kalorien verspeisen. Dafür gibt es weitere Stats-Boni, die dabei helfen, die danach immer schwieriger werdenden Aufgaben zu schaffen. So ganz nach dem Muster "Karotte vor der Nase" - billig aber wirksam. In bestimmten Abschnitten liegen zufällig auch Story-Karten verteilt, die wir einsammeln können, um alternativ zum Überleben-Modus eine Story durchzuspielen. Die ist irgendwie belanglos und hat mehr den Charakter diverser Mini-Tutorials.

Tokyo Jungle
Die Grafik ist so gerade okay, aber weder stylish noch besonders hübsch.

Nach jeder Spielrunde gibt es Credits, mit denen wir uns neue Tiere zum Starten freischalten können oder alternative Fellmuster. Es wirkt ein bisschen doof, dass man im Playstation Store mächtige Tiere wie Säbelzahntiger oder Bären einfach so kaufen kann, statt sie zu erspielen. Das nimmt klar den Reiz, immer wieder eine neue Runde zu starten, mit einem stärkeren Tier, einem besseren Gen-Pool, um länger zu überleben.

Die Optik nutzt im wesentlichen ein seitliche, manchmal leicht isometrischen Perspektive. Man kann manchmal in den Hintergrund laufen, um versteckte Pfade und Abkürzungen zu nehmen. Das Gameplay selbst ist schlicht: Man kann springen, mit manchen Tieren doppelt, außerdem schleichen und zubeißen. Die anderen Tiere lassen sich anvisieren, um einen Tarnangriff auszuführen. Und es gibt sogar einen tödlichen Konter. Mit dem lassen sich selbst erhabene Löwen mit einem Biss erledigen, aber das dafür nötige Ausweichen ist ein Spiel mit dem Tod.

Die Grafik ist so gerade okay, aber weder stylish noch besonders hübsch. Sie ist zurückgenommen und man wünscht sich, alles würde etwas wilder, verruchter, epischer aussehen. Das Spielkonzept ist nämlich ziemlich toll, leidet aber unter der etwas generisch wirkenden Optik. Die komische Trance-Techno-Mucke im Hintergrund findet man mal total top, mal geht sie einem echt auf den Keks.

Wie gesagt, Tokyo Jungle ist mir immer noch ein Rätsel. Es macht einen wundersam süchtig, ist aber eigentlich eher simpel gestrickt. Aber gerade dieser spröde Charme, der ein im Kern doch ziemlich komplexes Universum tarnt, hat mich ziemlich um den Finger gewickelt.

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
hübsches Spielkonzept, macht seltsam süchtig
-
schwache Grafik, streckenweise langatmig
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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