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Gran Turismo 5

Gran Turismo 5

Was für eine lange Wartezeit war das eigentlich? Fünf Jahre und acht Monate sind vergangen, seit der Rennsport-verrückte Kazunori Yamauchi, Boss von Polyphony Digital, im Mittelpunkt der Sony-Pressekonferenz in Los Angeles stand und über das ehrgeizigste Projekt der Gran Turismo-Serie aller Zeiten sprach. Aber das Leben ging weiter.

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Gran Turismo HD wurde eine Demo: grau, blass, langweilig, trotz der schönen Grafik. Ein weiteres Jahr verging und wir bekamen Gran Turismo 5: Prologue. Eine Handvoll Autos und ein paar Level zu einem günstigen Preis - das fühlte sich viel besser an als Gran Turismo HD. Es fühlte sich an, als ob es seinen Preis wert war - und es war sauber produziert. Gran Turismo 5 sollte ein paar Monate später kommen. Aber die Zeit verging. Kein Gran Turismo 5 kam. Bis jetzt.

Während ich kein großer Fan von Gran Turismo 4 war und bin, da es einen riesigen Unterschied zwischen den ehrgeizigen Visionen von Yamauchi und dem realen Ergebnis gab, waren meine Erwartungen für Gran Turismo 5 sehr hoch. Nach mehr als 30 Stunden Spielzeit mit ihm bin ich jetzt vor allem eines: enttäuscht. Es ist kein schlechtes Spiel, aber gleichzeitig nicht annähernd so gut wie ich gehofft hatte.

Wenn Gran Turismo 5 gut ist, dann ist es großartig. Es glitzert wie ein sorgfältig geschliffener Diamant - mit fantastischer Grafik und ausgewogener Fahrphysik. Wenn Gran Turismo 5 schlecht ist, dann ist es wirklich schlecht. Flapsige Grafik, stotternde Framerate, hoffnungslos repetitiv und schwach in der Präsentation. Es dauert nicht lange, bevor es offensichtlich wird, dass die Entwicklung des fünften Spiels der Serie nicht nur sehr teuer war, sie war auch sehr problematisch. Das Spiel fühlt sich widersprüchlich und inkonsistent an, allgemein sehr fragmentiert. So oder so, Gran Turismo 5 verkörpert natürlich hohe Qualität, solange man die schlimmen Ecken gekonnt umfährt.

Gran Turismo 5
Das Spiel verkörpert hohe Qualität, solange man die schlimmen Ecken gekonnt umfährt.
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Polyphony Digital haben mehr als fünf Jahren gebraucht, um die Entwicklung von Gran Turismo 5 zu beenden. Es hat sie Abermillionen Dollar gekostet. Das ist eine Menge Zeit und Geld für ein Spiel, dessen Schadensmodell oder Onlinemodus nicht mit Rennsport-Giganten wie Forza Motorsport 3 oder Need for Speed: Shift konkurrieren können. Stattdessen ist es die schiere Menge an Autos und Strecken im Karriere-Modus, die die Grundlage der Gran Turismo 5-Erfahrung sind. Hier haben sie bei Polyphony die meiste Energie verbraucht. 1031 verschiedene Autos und mehr als 60 Strecken sind ein ziemlich solides Fundament. Und es wäre noch solider, wenn sie nicht einige Teile stark vernachlässigt hätten, während andere mit größter Sorgfalt bedacht wurden.

Um den Realismus zu fühlen, muss man aber einen hohen Preis zahlen. Man kann die kleinen Unterschiede einfach nicht mit einem regulären Dual-Shock-3-Controller erspüren. Ich sitze in einem Fanatec-Rennsport-Cockpit mit einem G27-Lenkrad von Logitech in meinen Händen und dem Gasfuß auf einem Calsonic Nissan GT-R-Pedal. Dann ist Gran Turismo 5 fantastisch.

Die Fahrphysik in der Serie war mir schon immer ein wenig zu steif, zu mechanisch, zu schwer. In Gran Turismo 4 dominierte öfter das Gefühl, in einem 12.000 Kilogramm schweren Klumpen aus Stahl zu fahren - und nicht in einem 1200 Kilogramm leichten GT-Monster. In Gran Turismo 5 haben sie hart an der Physik der Reifen gearbeitet und wie das Gewicht verteilt wird, was man wirklich fühlt. Es hat nun eine andere Art von Dynamik, wie die Reifen reagieren, wenn man enge Kurve nimmt. Es ist präziser als je zuvor, mit einem zusätzlichen Gefühl von Geschwindigkeit und Kraft. Mit meinem Lieblinsgauto auf meiner Lieblingsstrecke und ohne irgendwelche dummen Computeridioten im Weg liebe ich das Verbessern von Rundenzeiten.

Gran Turismo 5
Im Cockpit sieht's super aus - nur leider fehlt diese Perspektive bei den rund 800 Wagen der Standard-Klasse.
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In diesen Momenten glänzt Gran Turismo 5, nur wegen seiner reinen Qualität. Mit dem G27 ist eben alles anders. Das Polyphony dieses Mal den Luftdruck in den Reifen und ihre Temperatur bis zu 180 Mal pro Minute simulieren, merkt man tatsächlich. Ich bekomme eine detailliertere Art von Feedback von meinen Lenkrad und ich fühle mich schneller als je zuvor in Laguna Seca in einem Gran Turismo-Wagen.

Ein paar Stunden später, in Sebastien Loebs WRC-Auto, ist der Kontrast überwältigend. Der Unterschied zwischen dem brillanten Gefühl präziser Reifenphysik und hoffnungslos rutschiger, schlechter Fahrphysik ist eine ziemliche Parodie. Das gleiche gilt für die Kart-Rennen, die wie die WRC-Events besser hätten nicht integriert werden sollen. Die Karts sind schnell und steuern extrem direkt, genau wie in Wirklichkeit. Aber gleichzeitig fühlen sie sich an wie billige Arcade-Karts mit ihrer seidenweichen Stabilität. Und die Probleme enden hier leider nicht.

Die Gesamtpräsentation von Gran Turismo 5 ist mehr oder weniger wertlos. Mehrere verschiedene grafische Stile bilden ein großes Durcheinander aus mieser Typografie und schlecht gestalteten Menüs. Man muss im Karriere-Modus wie ein Irrer durch die Menüs klicken und alles ist von schlimmen Aufzug-Jazz untermalt. Die Menüs sollen irgendwie exklusive Computerprogramme imitieren, aber es gelingt ihnen nur einen zu nerven. Ein Beispiel: Die Tatsache, dass man genau neunmal klicken muss, um die Autos auszuwählen und Probe zu fahren, die man gerade in einem Rennen gewonnen hat, ist eine der seltsamsten Design-Entscheidungen in diesem Jahr.

Gran Turismo 5
Die Standard-Fahrzeuge fußen teilweise auf einem überalterten Polygon-Modelle in PS2-Qualität.

Während man die Karriere spielt, braucht man ein bestimmtes Auto für mehr oder weniger jedes Rennen, wie schon immer in der GT-Serie. Doch anstatt einfach ein passendes Auto aus der Garage automatisch auszuwählen wie etwa in Forza Motorsport 3, muss man zurück ins Start-Menü, viermal nach links klicken, eine Garage auswählen und dann drei weitere Mal klicken, um überhaupt in den Raum zu gelangen, wo die Autos geparkt sind.

Die GT Auto- und Create-A-Track-Modi sind eine große Enttäuschung, besonders weil das Tuning und das optische Modifizieren der Wagen furchtbar begrenzt sind. Weitere Verwirrung entsteht durch den Unterschied zwischen verschiedenen Autos und Strecken. Knapp 200 der 1031 Wagen sind so genannte Premium Cars, die analog zur vollen Hardware-Kapazität der PS3 modelliert wurden. Die anderen knapp 800 Autos sind Standard Cars - und so sehen sie auch aus: Viel schlimmer, keine Cockpit-Ansicht und ihre Fahrphysik ist nicht so weit fortgeschritten oder so fein abgestimmt wie bei den Premium-Rennern.

Polyphony verspricht zwar, der Unterschied solle wirklich klein sein, aber wer genau schaut erkennt, dass die Standard-Fahrzeuge zumindest teilweise auf dem Polygon-Modell von Gran Turismo 4 auf der Playstation 2 basieren. Diese Wagen werden übrigens nicht beschädigt, wenn man einen Gegner rammt oder crasht. Sie sind in der Regel billige Budget-Versionen jener schicken Modelle, die man eigentlich erwartet. Im Ergebnis hab‘ ich im Karrieremodus einfach alle gewonnenen Standard-Karren sofort verkauft und dafür gesorgt, niemals ein solches Modell zu kaufen.

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Licht und Schatten, nah beieinander: Manche der Strecken sind jenseits des Asphalt lieblos und öde...

Ähnlich große Unterschiede sind bei den Strecken sichtbar. In der einen Sekunde fährt man auf einer optisch ansprechenden Strecke (Nürburgring, Rom, London), während man sich kurze Zeit später von schlecht aufgelösten Texturen umringt in schlechtes, flaches Licht gerückt sieht (Laguna Seca, Monza). Manchmal ist der Unterschied nur minimal, manchmal gigantisch. Genau wie der Rest des Spiels hinterlassen diese Momente einen ziemlich schizophrenen Eindruck.

Die grafische Qualität im Allgemeinen leidet an einem schweren Fall multipler Persönlichkeitsstörung. Die in Echtzeit gerenderten Wiederholungen sind unglaublich gut gemacht, während einige Texturen aussehen wie Relikte aus der PS2-Ära. Die Wetter-Effekte sind zu keiner Zeit besonders realistisch und gehen häufig zu Lasten der Framerate. Die Premium-Autos dagegen sind unglaublich gut modelliert, bedeckt von hoch aufgelösten Texturen und getaucht in herrliche Echtzeit-Beleuchtung. Die Standard-Auswahl biegt nur erschreckend unterdurchschnittlich um die Ecke.

Das Echtzeit-Schadensmodell sieht auch nicht an allen Wagen gut aus. Manche Autos werden kaum beschädigt, unabhängig davon, mit welchem Tempo sie in irgend etwas krachen. Es sieht aus, als ob alles im voraus aufgezeichnet wurde, da alle Autos in der gleichen Art und Weise verformt werden. Im Vergleich zu Forza Motorsport 3 oder Need for Speed: Shift fühlt sich Gran Turismo 5 in dieser Angelegenheit an wie ein fünf Jahre altes Produkt.

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.. wohingegen die Stadtkurse etwa in Rom oder London ausgesprochen hübsch geworden sind.

Auch der Sound beeindruckt nicht. Der Motorenklang der Premium-Wagen und der Surround-Mix sind im Allgemeinen gut. Aber eine Menge wichtiger Sound-Effekte wirken völlig zufällig ausgewählt. Der Sound zum Beispiel, wenn man ungebremst in ein anderes Auto rast, hat schon für viel Gelächter bei Gamereactor gesorgt. Hier bröckelt kein Stahl, hier splittert kein Glas - es klingt wie wenn jemand eine leere Wasserflasche gegen ein Geländer schlägt. Ähnliches gilt für quietschende Reifen, die eher klingen wie eine kreischende alte Lady.

Wenn Gran Turismo 5 zum ersten Mal startet, fragt es, ob man 6,92 Gigabyte auf der Festplatte installieren oder sein Glück ohne Installation versuchen will. Dummerweise habe ich meine Karriere als Fahrer ohne Umweg über die Installation gestartet, was ich teuer bezahlt habe. Wenn man die 55 Minuten für die Installation der Vollversion ausschlägt, wird das Spiel kleine Stücke während des Spielens im Hintergrund installieren. Strecken brauchen dadurch bisweilen einige Minuten, bis sie vollständig geladen sind. Leider sind die Ladezeiten nach der Installation nicht bedeutend kürzer. Natürlich ist das Erlebnis viel flüssiger, aber das Spiel lädt immer noch ein bisschen zu viel angesichts der großen Menge an Daten auf der Festplatte.

Meine ersten Eindrücke vom Onlinemodus sind hingegen gut. Der sieht aus wie ein gut gemachter und unterhaltsamer Onlinemodus. Leider habe ich nur etwas mehr als zehn Rennen online absolvieren können und ich will nicht wirklich etwas sagen, bevor ich das Game online ausgiebig an ein paar fröhlichen Rennwochenende getestet habe. Aber wenigstens möchte ich sagen, dass der erste Eindruck sehr gut ist.

Also: Wirklich gut ist mit wirklich schlecht vermischt, viel mit wenig, die ganze Zeit. Und so kommt Gran Turismo 5 am Ende rüber. Es ist ein furchtbar uneinheitliches Rennspiel, bei dem es offenbar eine große Unsicherheit während der Entwicklung gab. Sie haben bei Polyphony zu viel auf einmal gemacht, anstatt ein paar Dinge wirklich, wirklich gut abzuliefern. Zwischen dem langsamen und eintönigen Karriere-Modus, der nicht ausbalancierten Grafik und der schwindelerregenden Präsentation finden sich eine bessere und dynamischere Fahrphysik, ein viel versprechender Online-Modus und diese unglaublich bezaubernden Premium-Wagen. Aber das ist nicht genug, um Forza Motorsport 3 zu schlagen...

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
Ultraschicke Premium-Wagen, zahlreiche und vielfältige Strecken, verbesserte Fahrphysik, das sauschnelle Nascar-Event
-
Schwache Standard-Wagen, schwankende Qualität, noch mehr völlig bedeutungslose Spielmodi, lausige Präsentation, lange Ladezeiten
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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