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The Tomorrow Children

The Tomorrow Children

Q-Games simuliert in einer klinischen Umgebung den Sozialismus und lädt uns ein, gemeinsam etwas zu bewirken. Leider scheitert der Entwickler dabei auf ganzer Linie.

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Ein Spiel wie The Tomorrow Children provoziert geradezu eine Grundsatzdebatte über den Kommunismus - und auch wenn ich darauf wirklich nicht weiter eingehen werde, finde ich Gefallen an einigen Aspekten dieser Utopie. Q-Games nutzt die kommunistischen Ideale sehr gelungen, um ein romantisches Bild zu kreieren. Alle Spieler sind junge Mädchen, die komplett gleich aussehen. Um etwas mit der Uniformität zu brechen, gibt es immerhin unterschiedliche Kostüme, aus denen wir wählen dürfen. Äpfel - der Inbegriff für gesunde und nachhaltige Ernährung - sind das einzige Nahrungsmittel. Strom erzeugen wir am effektivsten auf einem Laufband mit Aggregat.

In The Tomorrow Children sind wir ein Teil dieser Gesellschaftsform und geben als Projektionsklon unser Leben für die Sicherheit und das Fortbestehen der Allgemeinheit. Die Spielwelt hat sich nach einem mysteriösen Experiment in einen gefährlichen Ort verwandelt und ist nun als Void bekannt. Gewaltige Kreaturen durchstreifen diese weiten Ebenen und attackieren alles, was auf ihrem Weg liegt. Das Ziel von The Tomorrow Children ist die Resozialisierung von kleinen Gemeinden, um sie darauf vorzubereiten, auf eigenen Füßen zu stehen. Eine Stadt ist dann vollständig resozialisiert, wenn wir 500 Matroschka-Personen angezogen haben. In den Holzpuppen befinden sich die Seelen der Verstorbenen und mithilfe eines komplizierten Gerätes lassen sie sich wiederbeleben. Wir finden diese Figuren in den Tiefen des Voids, müssen beim Transport aber darauf achten, sie nicht zu zerbrechen.

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The Tomorrow ChildrenThe Tomorrow Children
Wenn das Sonnenlicht schwindet, ist der Titel unheimlich dunkel und durch die geringe Weitsicht, wirkt ab einer bestimmten Entfernung fast alles matschig.
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Um eine Stadt auszubauen, benötigen wir verschiedene Ressourcen und die finden wir natürlich nicht in der Nähe unserer Siedlung. Entfernte Inseln bieten einen natürlichen Rohstoffvorrat, doch abseits der Städte ist der Void instabil und fällt regelmäßig in sich zusammen. Das Gameplay von The Tomorrow Children besteht im Grunde daraus zu arbeiten. Das ist weniger als Zusammenfassung zu verstehen, denn als akribisch genaue Aufzählung all der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Mit dem Bus gelangen wir zum Eiland, wo der spannende Teil des Spiels stattfindet: Einige Spieler graben sich durch das Erdreich, andere tragen die Ressourcen zur dafür vorgesehenen Ladebucht.

Mit gerade einmal drei Inventarplätzen ist das Sammeln ein zeitfressendes Unterfangen und ob wir dabei einen kleinen Apfel oder ein großes Stück Holz in unsere Tasche packen, zählt gleich. Immerhin erfordert das Aufsammeln von herumliegenden Ressourcen nicht den Einsatz teurer Werkzeuge, denn die nutzen sich mit der Zeit ab und müssen dementsprechend erneuert werden. Die billigen Geräte haben frustrierend lange Durchlaufzeiten, "Genossinnen"-Werkzeuge sind hingegen teuer. Besonders effiziente Premium-Geräte sind nur für die Echtgeld-Währung Freiheitsdollar verfügbar. Nach einer Weile sind die Abbauarbeiten so weit vorangeschritten, dass die Landschaft gerodet und die Erzvorkommen erschöpft sind. Die Insel verschwindet dann wieder im Void und an anderer Stelle materialisiert sich eine Neue.

Für jede Tätigkeit erhalten wir Mühe, die Erfahrungspunkte des Spiels. Manche Arbeiten bringen etwas mehr davon, aber insgesamt ist die Verteilung ausgeglichen. Es ist möglich, sich für eine Arbeit zu spezialisieren, allerdings ist die Wirkung nur äußerst gering. Wer viel arbeitet, erhält am Arbeitsministerium weitere Rationscoupons, die spielinterne Währung. Damit kaufen wir bessere Werkzeuge, Outfits oder sogar Spielcodes für unsere Freunde, um ihnen kostenlosen Zugang zu The Tomorrow Children zu gewähren. Dringende Anfragen von der Regierung verschaffen uns Medaillen, die sich in spezielle Void Ka-Phiolen investieren lassen, um die allgemeine Effizienz unseres Projektionsklons zu verstärken.

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The Tomorrow ChildrenThe Tomorrow Children
Um Waffen, Fahrzeuge oder potentiell gefährdende Werkzeuge zu führen, müssen wir entsprechende Berechtigungen erwerben.

The Tomorrow Children ist ein Mehrspielerspiel und erfordert demnach eine dauerhafte Internetverbindung. Eigentlich spielen wir gar nicht wirklich mit den anderen Spielern zusammen, da jeder Klon selbstständig arbeitet. Wir können mit unseren Freunden zwar in die gleiche Stadt reisen und dort eingeschränkt mit ihnen interagieren, andere Projektionsklone tauchen jedoch immer nur für wenige Sekunden auf und lösen sich dann in Luft auf. Es gibt nur sehr wenige direkte Kooperationsmöglichkeiten, die Kommunikation läuft über eine Trillerpfeife und Gesten ab. Ich halte das für eine gravierende Fehlentscheidung, denn wie soll ich mich in einer Gemeinschaft heimisch fühlen und investieren wollen, wenn die anderen Bewohner fremd und weithin unbekannt sind?

Eine Stadt verbraucht Energie und Nahrung und wird darüber hinaus mit feindlichen Izverg-Angriffen konfrontiert. Das Spiel läuft auch dann weiter, wenn gerade kein Projektionsklon in der Nähe ist und deshalb werden zwangsläufig Spieler gebraucht, die Rohstoffe sammeln, Gebäude reparieren und Angriffe abwehren. Automatische Geschütze übernehmen die Verteidigung selbstständig, doch für Energie, Munition und Ressourcen müssen die Spieler sorgen. Wer den Ressourcenhaushalt der Stadt nicht unter Kontrolle behält, riskiert den Schwund von Matroschka-Personen und verliert somit Fortschritt. Für das Erfüllen bestimmter Communityziele wird einer Stadt ein entsprechendes Monument verliehen. Diese erhöhen die Mandatsgrenze des Ortes, also die Kapazitätsregulierung, die angibt, wie viele Einrichtungen gebaut werden dürfen. Wenn die Spieler genügend Matroschkas geborgen haben, steigt dieses Limit ebenfalls an. Außerdem entscheidet die Bevölkerungsanzahl darüber, welche Gegenstände in der Werkbank zum Bau zur Verfügung stehen. Wenn eine Stadt genügend Personen angezogen hat, verlassen wir sie und helfen anderen Siedlungen beim Aufbau.

Auch wenn der Kommunismus Gleichheit predigt, gibt es in The Tomorrow Children ein Klassensystem. Das Proletariat sind diejenigen Spieler, denen wir mithilfe von Rationscoupons einen Zugangscode für das Spiel beschert haben. Sie unterliegen vielen Beschränkungen und sind lediglich dafür da, uns bei der Arbeit zu helfen. Das Großbürgertum sind all diejenigen Spieler, die das Gründerpaket für 20 Euro kaufen und sich somit selbstständig Zugang zum Spiel ermöglicht haben. Sie müssen keine Beschränkungen fürchten, werden auf der Straße aber manchmal blöd von der Seite angemacht. Die Rezidenty sind Eigentumsbesitzer und haben einen Wohnsitz in der aktuellen Stadt. Sie dürfen sich zur Wahl des Bürgermeisters stellen und darüber entscheiden, wie die Stadt geregelt werden soll.

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Es gibt nur sehr wenige direkte Kooperationsmöglichkeiten, die Kommunikation läuft über eine Trillerpfeife und Gesten ab.

Um Waffen, Fahrzeuge oder potenziell gefährdende Werkzeuge zu führen, müssen wir entsprechende Berechtigungen erwerben. Diese Papiere erhalten nur die fleißigsten Bewohner und noch weniger auf legalem Wege. Korrupte Aufseher haben eine gigantische Schattenwirtschaft aufgebaut und verkaufen die wichtigen Scheine gegen Echtgeld-Währung. Ich kann leider nicht bestätigen, ob sich diese Scheine auch auf normalem Wege freischalten lassen. Im Schwarzmarkt dürfen die sogenannten Freiheitsdollar gegen Waren aus dem Ausland getauscht werden. Zusätzliche Inventarslots müssen zwingend mit der Echtgeld-Währung freigeschaltet werden, das ist fast eine Art Pflichtkauf. Eine sehr geringe, einstellige Anzahl der Freiheitsdollar finden wir manchmal auch zufällig auf dem Boden.

The Tomorrow Child hat einen sehr hübschen visuellen Stil, doch einige Filter machen das Spiel wirklich unansehnlich. Wenn das Sonnenlicht schwindet, ist der Titel unheimlich dunkel und durch die geringe Weitsicht wirkt ab einer bestimmten Entfernung fast alles matschig. Anfangs überraschen die ländlich anmutenden Inseln, die aus dem Void aufsteigen. Doch die bilden sich stets nach demselben Muster, weshalb wir nach einer Weile nicht mehr von interessanten Gebilden überrascht werden. Das bedeutet auch, dass viele Spieler nach einiger Zeit ganz genau wissen, wo sie nach Erzvorkommen graben müssen und wo sich versteckte Kristall-Vorkommen befinden. Zufällig generierte Orte hätten sich hier eher angeboten.

Abschließend muss ich leider sagen, dass mir The Tomorrow Children nur sehr wenig Spaß bereitet hat. Die verfügbaren Spielmöglichkeiten sind unfassbar gering und die wenigen interessanten Ansätze wurden zu oft unglücklich umgesetzt. Das Gameplay ist unendlich repetitiv, die gesamte Spielmotivation besteht darin, fleißig genug zu sein, um weiter arbeiten zu dürfen. Die Städte sind schon mit wenigen Gebäuden funktionstüchtig und sobald der Stadtkern steht, bringen zufällige Spieler die Stadt in der Regel selbst zu Ende. Die großen politischen Entscheidungen bleiben aus, die Stadtplanungskomponente ist zu dünn, um lange zu unterhalten und der Kampf gegen die Izverg belanglos. Anfangs war ich mit dem Spiel ziemlich überfordert, weil nicht klar genug kommuniziert wird, was das eigentliche Spielziel ist. Nach einer Weile legte sich diese Überforderung und wurde zu Langeweile.

06 Gamereactor Deutschland
6 / 10
+
Wer sich in seiner Freizeit nützlich machen will, findet hier Beschäftigung, niedliche Präsentation, Idiologie ist toll umgesetzt
-
Geringe Anzahl an spielerischen Möglichkeiten, Spielfluss flacht recht schnell ab, Kampfgeschehen ist lahm, Spiel unpoliert
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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KRITIK. Von Stefan Briesenick

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