Deutsch
Gamereactor
Kritiken
Spec Ops: The Line

Spec Ops: The Line

Das Gesicht der Frau und ihres Kindes ist in meine Erinnerung eingebrannt. Sie sitzen dort, zusammengekauert. Die Frau hält ihre Hände schützend vor die Augen des Kindes. Es hat nichts genützt. Sie sind beide völlig verkohlt. Verbrannt nach einem Mörser-Angriff, den offenkundig ich selbst ausgelöst habe, als Captain Martin Walker. Während das Bild zwei-dreimal gezeigt wird im Wechsel mit dem fassungslosen US-Soldaten, breitet sich langsam aber mächtig die eigene Fassungslosigkeit im Gehirn aus. Und die unweigerliche Frage: Muss man das zeigen in einem Videospiel?

HQ

Wobei die Frage eigentlich anders herum formuliert werden muss. Warum darf man es nicht zeigen? Zivile Opfer gehören zum Krieg, egal ob der nun der Befreiung, Verteidigung oder dem Angriff dient. Krieg ist und bleibt Krieg. Menschen sterben dort, nicht nur Soldaten. Wenn man ein Kriegsspiel macht, ist es zynisch, diese Momente wegzulassen. Es ist nur unangenehm und auch unbequem, dass man damit so unmittelbar konfrontiert wird. Aber dadurch wird Spec Ops: The Line zu einem Spiel, das uns zum Nachdenken zwingt. Immer und immer wieder im Verlauf der 14 Kapitel langen, knapp zehnstündigen Reise durch ein fast völlig vom Sand zurückerobertes Dubai.

Das Spiel des Berliner Entwicklers Yager, an dem sie nun fast fünf Jahre gearbeitet haben, erzählt die Geschichte von Walker und seinen beiden Kameraden Lugo und Adams. Die drei glauben, einen Kriegshelden namens John Konrad in Dubai zu retten. Der ist mit dem 33. Bataillon in der Wüstenmetropole verschollen - und neben Walker die Hauptfigur einer verworrenen Geschichte. Es ist kaum möglich, Freund und Feind zu trennen, weder optisch noch inhaltlich. Immer wieder stehen wir vor Entscheidungen, die kein gutes Ende haben.

Es sind Entscheidungen irgendwo zwischen schlimm und schlimmer. Will ich die Zivilisten schützen, die selbst Menschen getötet haben? Muss ich vermeintlich desertierte Soldaten erschießen oder spätestens hier die Befehlskette sprengen? Es ist die Moral des Krieges, die Yager hier eindrücklich vermittelt. Ob einem das gefällt oder nicht. Das Erlebnis wird immer wieder mit schlimmen Zwischensequenzen garniert, in denen Walker zu verstehen beginnt, zu welchen Taten er gezwungen wurde. Es ist das bitterböse Grauen des Krieges. Ungeschönt. Hart. Direkt. Es tut weh. Aber gerade die Geschichte und wie sie erzählt wird ist die absolute Stärke des Spiels.

HQ
Werbung:
Spec Ops: The LineSpec Ops: The Line
Das Gameplay des Third-Person-Shooters ist konventionell, aber dafür ausgereift.

Das Gameplay des Third-Person-Shooters hingegen ist konventionell, aber dafür ausgereift. Die Steuerung funktioniert ohne Tadel, ist gut durchdacht. Das schlichte Deckungssystem lässt unseren überzeugend animierten Soldaten über Barrieren springen - und sollte dahinter jemand hocken, wird der gleich weggetreten. Lässig pendelt die zweite ausgerüstete Waffen auf dem Rücken, inklusive authentischer Wüstenmodifikation der Spezialeinheiten. Der Klang der Waffen ist gut, das Spielgefühl mit ihnen ebenso. Von der Desert Eagle bis zur lasergestützten P90 haben sie ihre spürbaren typischen Vor- und Nachteile.

Optisch ist Spec Ops: The Line sehr interessant. Die Grafik wirkt zwar bisweilen etwas rückständig und kann nicht mithalten mit Battlefield 3 oder dem aktuellen Call of Duty. Aber sie gleicht diese technischen Unterschiede durch geschickte Inszenierungen aus. Die Sandstürme zum Beispiel, die uns in Schlüsselszenen einige Male überraschen. In diesen Momenten wechselt das Gameplay nahtlos von Schießereien über lange Distanzen zu intensiven Nahkämpfen. Und zwar innerhalb relativ kurzer Zeit.

So werden sie zum optischen und inhaltlichen Schlüsselelement. Sie wechseln zwischen warmem Rot, dunklem Beige und intensivem Orange. Man sieht nichts, ballert auf Phantome, auf Silhouetten und muss nebenbei seine Buddies verarzten. Freund und Feind verschwimmen, wieder einmal, im Nebel aus Staub und Blut. Das ist perfekt inszenierte Hektik. Danach dann immer wieder Weitblick über ein völlig versandetes Dubai, mehr als beeindruckend, insbesondere dann, wenn man die Stadt schon einmal real erlebt hat. Richtig negativ fallen nur gelegentliche Probleme mit dem Nachladen von Texturen auf.

Werbung:
Spec Ops: The Line
Als eigenständiges Gameplay-Element wird das Spiel mit dem Sand angepriesen.

Die Gegner im Spiel werden von einer gefühlt eher schwachen Künstlichen Intelligenz gesteuert und die stark gescriptete Kampagne gewinnt dadurch nicht gerade hinzu. Immer wieder zeigen die Typen in diversen Durchgängen ähnliche oder identische Angriffsmuster. Immer wieder werden uns auch heftige, gepanzerte Gegner entgegen geschickt, was jedes Mal zu Duellen bis auf den letzten Meter führt. Auf den hohen Schwierigkeitsgraden bleibt das Gesamterlebnis trotzdem eine ziemlich Herausforderung und hat gerade gen Ende warten einige ziemlich happige Passagen. Und natürlich bringt das Ziels des Entwicklers, eine starke Geschichte erzählen zu wollen, auch das Problem mit, dass man die KI ein bisschen mehr kontrollieren muss.

Als eigenständiges Gameplay-Element wird das Spiel mit dem Sand angepriesen. Fenster einschießen, um Gegner unter Sand zu begraben. Glasdächer einschießen, um Gegner mit einer Sanddusche zu ersticken. Diese besonderen Momente sind nicht so häufig im Spiel zu finden, wie man zunächst vermutet. Dafür sind sie detailliert inszeniert, um sie wirklich zu besonderen Ereignissen zu machen. Manchmal haben sie eher den den Charakter einer Quicktime-Actionsequenz, auf jeden Fall sind sie kein dauerhaft nutzbares Spielelement. Von der Umgebung ist insgesamt leider nur wenig verlässlich zerstörbar, lediglich potenzielle Deckungselemente leiden unter dem Dauerfeuer aller Beteiligten.

Wer schnell und leise tötet, ist in Spec Ops: The Line an nicht wenigen Stellen im Vorteil, weil weniger Gegner alarmiert werden. Wird es doch einmal arg eng, können die beiden Begleiter auf Knopfdruck das Eisen mit einem Stun-Kommando aus dem Feuer holen. Dann fliegt eine Blendgranate und schafft etwas Luft. Auch im normalen Gefecht können wir für Lugo und Adams Ziele zum Angreifen markieren.

Wir arbeiten uns in der Kampagne durch eher linear konzipierte Umgebungen einem Ziel entgegen, das bis zum Ende nicht fassbar bleibt. Das Spiel ändert sein Tempo immer wieder geschickt, lässt Raum zur Reflexion und macht anschließend wieder Radau. Parker rutscht von einem Hochhaus, fällt in die Tiefe und rettet sich wie Tom „Ethan" Cruise. Kracht danach in ein Kellerloch, in dem es daraufhin zu einer famosen Verteidigungsszene kommt. Auf engstem Raum müssen wir gegen immer mehr Gegner überleben. Hier ist die Action herrlich direkt und nur mit einer Mischung aus Nahkampf und Waffengebrauch hat man überhaupt eine Chance zu überleben. Hier packt Walker auch immer wieder seine fiesen Exekutions-Moves im Nahkampf aus. Wirklich fiese Aktionen. 40 verschiedene Kill-Animationen gibt es, die zum Ende hin härter und rücksichtsloser werden. Weil sich Walker verändert. Das gilt auch für die Beziehung der drei Kameraden. Befehle werden in Frage gestellt, Grenzen ausgelotet. Ein schmaler Grat ist das alles.

Spec Ops: The Line

Auch sonst erspart uns das Spiel eher keine visuelle Folter. Wenn man durch einen Keller voller vergammelter Leichen schleicht, untermalt von einer monotonen Wüstengitarre, bleibt einem der Spielspaß echt im Hals stecken. Aber das ist wohl durchaus gewollt und auch gut so. Das hier ist ohnehin ein Antikriegsspiel. Herausragend gut ist die musikalische Untermalung. Nur gelegentlich ist da dieser dezente, aber absolut passende Prog-Rock, der die düstere, sandige, hoffnungslose Stimmung des Spiels unterstreicht. Ganz selten mal ein zynischer, immer gut gewählter Popsong. Sonst nur Windgeräusche...

Unterbrochen wird das Third-Person-Erlebnis durch wenige, aber wohl unvermeidlich-übliche Actionsequenzen auf Schienen. Das Muster: Fette festmontierte Waffe am Helikopter und dann Humvees oder Helis abballern. Gehört dazu, ist aber gerade bei den Szenen im Helikopter als Bordschütze umgemein spannend choreografiert.

Wie soll ich nur dieses Erlebnis zusammenfassen? "Ich tat, was notwendig war", sagt sich Walker kurz vor dem Ende selbst auf. Da sieht er schon absolut fertig aus, verkrustet und verbrannt, was einem eigenartigerweise erst jetzt so richtig auffällt. Ich habe mit ihm gelitten, getötet, verschont und gerettet. Jetzt muss eine letzte Entscheidung her. Mal schauen, ob es die richtige ist. Wenn es die überhaupt gibt...

Spec Ops: The Line
In den Sandstürmen wechselt das Gameplay nahtlos von Schießereien über lange Distanzen zu intensiven Nahkämpfen.

Einen Multiplayer hat das Spiel - natürlich - auch. Allerdings wird der angepappt an das Spiel wie die folgenden drei Passagen an diesen Text hier. Er verstört einen tatsächlich etwas. Weil es irgendwie komplett komisch wirkt, im Multiplayer nach dieser Story nun plötzlich auf irgendwelche Soldaten ballern zu sollen. Ich jedenfalls hätte das Spiel ohne Multiplayer nicht besser oder schlechter gefunden.

Einige nette Features haben sie dennoch eingebaut: Die Sandstürme zum Beispiel, die in den Spielrunden zufällig auftauchen können. Sie schränken massiv die Bewegungsfreiheit ein, stören die Signale des Radars und nur wer eine ruhige Ecke findet, kriegt Sicht und Signale auch im Sturm wieder. Und kann wieder zwischen Freund und Feind unterscheiden. Auch die Ziplines sind integriert, um schnell von oben nach unten zu kommen. Wer das erste Mal einen Gegner am Ende des Drahtseils ins Jenseits gekickt hat, freut sich über ihre Existenz. Leider ist ballern nicht möglich, während man das Seil entlang rutscht. Trotzdem wird so prima die tolle Vertikalität der durchweg interessanten und ziemlich komplexen Karten sichtbar. Auch festinstallierte MG-Stellungen sind dabei, so aufgebaut, dass Duelle machbar sind.

Die Modi sind Standard, aber ehrlicherweise ist es hier auch schwierig, die Welt neu zu erfinden. Insgesamt ist der Multiplayer nett, hat natürlich auch ein Erfahrungspunktesystem, Loadouts und nach und nach verfügbare Verbesserungen. Aber er hat das Problem, das alle Multiplayer von Shootern haben, die nicht gerade Battlefield oder Call of Duty Irgendwas heißen. Er wird es schwer haben, sich seine Spielzeit zu erobern. Ganz im Gegensatz zur tollen Soloerfahrung.

08 Gamereactor Deutschland
8 / 10
+
Großartige Story, intensiv erzählt, heftige Momente
-
durchschnittliche Grafik, Probleme beim Nachladen der Texturen
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

Ähnliche Texte

2
Spec Ops: The LineScore

Spec Ops: The Line

KRITIK. Von Christian Gaca

Dieses Antikriegsspiel konfrontiert uns auf knallharte Art und Weise mit den Wahrheiten des Krieges. Und mit viel viel Wüstensand.



Lädt nächsten Inhalt