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Street Fighter V

Street Fighter V

Ein Liebhaber von Capcoms Kampfspielreihe hat sich das neue Street Fighter reingezogen - und ist leider ein bisschen enttäuscht.

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Wenn man mich nach der Videospiel-Reihe fragt, die ich am häufigsten gespielt habe in all den Jahren, die Antwort ist wohl Street Fighter. Mehr oder weniger nonstop habe ich seit der Europapremiere von Street Fighter II Ende 1992 immer irgendeinen Teil der Serie gespielt. Und immer noch lodert sie, die Liebe. Ich kann die Tastenkombinationen für Guiles Sonic Booms im Schlaf abspulen. Chun-Li brüllt „yata", jedes Mal, wenn ich eine Nachricht auf meinem Handy bekomme. Und es ist das einzige Spiel, für das ich fröhlich über 300 Euro für einen Arcade-Joystick ausgegeben habe - für jede Konsolengeneration und ohne mit der Wimper zu zucken. Street Fighter ist für mich reine Leidenschaft. Reine Liebe. Es ist einer der wichtigsten Gründe, warum ich Videospiele überhaupt so liebe, wie ich es tue.

Im Vorfeld von Street Fighter V bewegten mich ein wenig beunruhigende Gefühle. Nichts, was im Vorfeld gezeigt worden ist oder was ich gespielt hatte, fühlte sich wirklich so an wie etwas, das ich wollte. Die Sache ist die: Jedes neue Street Fighter in der regulären Serie und Alpha waren allesamt Meilenstein. Capcom hat immer zugehört, fein abgestimmt und Kleinigkeiten hinzugefügt - und nach einer Reihe von Fortsetzungen ist eine unbestreitbarer Meisterstück eine Tatsache gewesen.

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Story? Jeder Kämpfer hat ein Minigeschichte, deren Durchspielen kaum fünf Minuten dauert und die mit sehr fraglicher Sprachausgabe und Unsinn gefüllt ist.
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Street Fighter II hat im Wesentlichen die modernen Kampfspiele erfunden. In Alpha haben wir echte Combos bekommen und die Fähigkeit, in der Luft zu blocken. Mit Street Fighter III starteten die Konter, die alles veränderten. Und Street Fighter IV war jenes Spiel, das schließlich eine funktionierende 3D-Formel für Street Fighter gefunden hat und die Serie ins 21. Jahrhundert trug. Street Fighter V sieht nun aus wie eine etwas übersichtlichere Version von Street Fighter IV. Revolutionäre Gameplay-Elemente habe ich jedenfalls keine finden können.

Der erste Eindruck der finalen Version war tatsächlich nicht sehr vielversprechend. Nach einer Einführung des Spielsystems schaue ich ein bisschen zur Solokampagne rüber. Die Betonung liegt hier auf „ein bisschen". Jeder Kämpfer hat ein Minigeschichte, deren Durchspielen kaum fünf Minuten dauert und die mit sehr fraglicher Sprachausgabe und Unsinn gefüllt ist. Alles ist buchstäblich vorbei, bevor es angefangen hat. Nur diejenigen, die wirklich viel über das Street Fighter-Universum wissen und die es kümmert, welcher Charakter mit wem eine Fehde hat, werden etwas von diesem Erlebnis haben.

Nun ist der Einzelspielermodus bei einem Prügelspiel eher sekundär wichtig. Aber mit Mortal Kombat X hat Netherrealm gezeigt, wie man das alles auch sehr unterhaltsam und gehaltvoll gestalten kann. Für mich persönlich bleibt die untergeordnete Rolle des Kampagnenmodus bestehen. Es sollte zudem erwähnt werden, dass Capcom angedeutet hat, dass dass es im Laufe des Jahres neue Einzelspieler-Inhalte gibt. Aber das muss man ausklammern an dieser Stelle, weil unbekannt ist, was genau im Detail dahintersteckt.

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Die Hintergründe sind mit schlecht animierten Figuren bestückt, die als jubelnde Polygone in den schwachen Kulissen herumstehen.

Prügelspiele zockt man sowieso am besten gegeneinander. Aber wenn ich den Versus-Modus im Menü auswähle, trifft mich das nächste Problem mit einem linken Schwinger: Ich kann nicht gegen die CPU spielen. Das mag für viele keine große Katastrophe sein, aber es führt dazu, dass ich nicht entspannt auf der Couch in der höchsten Schwierigkeitsstufe gegen meine Lieblingsgegner antreten kann, um eine lockere Trainingseinheit oder neue Ideen zu bekommen, wie ich sie am besten besiegen kann. Oder einfach nur, um Spezialangriffe am „lebendigen" Objekt „in Ruhe" zu testen. Selbst die Menüs sind ein Rückschlag für Street Fighter V. Es gibt viele kleine Unstimmigkeiten. Wenn man etwa die Tasten auf dem Controller nach eigenem Geschmack ändern will, wird das zur komplizierten Tagesaufgabe. Street Fighter V ist voll von solchen Kleinigkeiten, die undurchdacht wirken. Ein anderes Beispiel: Wenn die Kämpfe vorbei sind, kann nur Spieler eins wählen, ob es ein Rückkampf geben soll oder man neue Figuren auswählt. Allein das hat zu unzähligen und ungeplanten Rückkehraktionen ins Menü geführt.

Zwischendurch fühlt sich alles fast wie ein spärliches Free-to-Play-Titel an. Die schlecht durchdachten Menüs tragen ihren Teil dazu bei. Zudem ist Street Fighter V grafisch sehr primitiv, so auf rein technischer Ebene. Das wesentlich ältere Mortal Kombat X sieht besser aus und hat zudem deutlich kürzeren Ladezeiten. Die Hintergründe sind mit schlecht animierten Figuren bestückt, die als jubelnde Polygone in den schwachen Kulissen herumstehen, die wiederum auch aus Street Fighter IV stammen könnten, das an dieser Stelle nun nicht gerade technisch beeindruckend war.

Puh! Ich musste das alles aus dem System kriegen. Street Fighter V geniert sich wirklich gewaltig und es wirkt auf mich fast so, als ob es versucht, mich aktiv davon abzuhalten, es zu genießen. Aber alles, was ich erwähnt habe, sind natürlich am Ende nur Kleinigkeiten. Worauf alles ankommt, das ist die Güte des Offline-Versus-Modus, sonst nichts. Ich für meinen Teil möchte nicht einmal die Onlinekämpfe in diesem Genre erleben, da ich einfach jegliche Verzögerungen bei der Umsetzung meiner Tasteneingaben hasse. Und bei Street Fighter entscheiden mikroskopische Details und verrücktes Timing über Sieg oder Niederlage, nichts anderes.

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Nur 16 Kämpferinnen und Kämpfer zum Start sind wenig, per DLC sollen weitere hinzukommen im Laufe des Jahres.

Bei den Kämpfen zeigt Street Fighter V schließlich und endlich seine Schönheit. Es ist etwas spärlich besetzt mit nur 16 Kämpfern. Weitere Kämpfer per DLC sind bestätigt und irgendwie ist Street Fighter II ja auch fast 25 Jahre lang bestens mit zwölf Spielfiguren ausgekommen. Darüber hinaus hat Capcom das Ensemble gründlich erschüttert. Wer Blanka oder Guile wählen und den Kampf beginnen will, hat Probleme: Keiner von beiden ist nämlich von Anfang an dabei. Nicht einmal heilige Figuren wie Ken blieben unberührt. Capcom wollte den Kontrast zwischen ihm und Ryu erhöhen.

Der Fokus-Angriff aus Street Fighter IV wurde von Capcom zugunsten des V-Meter aufgegeben. Jeder Kämpfer hat dadurch individuelle Superangriffe, die Idee ist es, dass sie einfach sein soll, damit auch Laien sie aktivieren und zu ihrem Vorteil nutzen können. Das Ex-Meter bleibt unangetastet und funktioniert quasi wie im letzten Spiel. Wir verwenden es, um Angriffe zu verstärken oder verrückte Auto-Kombos auszulösen, die an die Röntgen-Angriffe in Mortal Kombat X erinnern. Weniger blutig natürlich, aber es sind lange und automatisch ablaufende Moves, die sehr einfach durchzuführen sind und aus bestem Winkel gefilmt, so dass sich jeder Spieler cool fühlt. Spontan betrachtet bringt dieses System viel mehr Spaß als das Fokus-System. Ich spiele gemeinsam mit Freunden und schon nach fünf Runden ist das V-Meter eine natürliche Sache für uns, obwohl einige der Freunde seit fast zehn Jahren keine Fokus-Attacke hingekriegt haben.

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Bei den Kämpfen zeigt Street Fighter V schließlich und endlich seine Schönheit.

Im Vorfeld hatte ich gedacht, dass Nash so etwas wie ein Favorit für mich werden würde, eine Art Guile-Ersatz eben. Nun, ich mag Nash (meine Standardwahl in Alpha) immer noch, aber er wurde drastisch verändert. Seine klassischen Auflade-Angriffe wurden mit den üblichen Viertel- und Halbkreis-Moves ersetzt - eine Schande, wie ich finde. Sicher macht dieser Schritt das Gesamterlebnis etwas homogener, aber die Aufladeangriffe der Vereinfachung zu opfern, es fühlt sich einfach nicht richtig an. Vega wurde auch hart modifiziert, um Distanz zum klassischen Aufladeangriff herzustellen. Nur M. Bison wirkt immer noch so wie immer. Ich habe kein Problem mit Veränderung, aber Capcom hätte das tun und gleichzeitig die Aufladeangriffe erhalten können. Immerhin wurde Ken ja auch dramatisch verändert, aber führt seine Attacken weiter auf die gleiche Art und Weise aus.

Nach etwa hundert Matches wurde es für mich mehr und mehr klar, dass Necalli mein neuer Liebling werden würde. Sowohl hinsichtlich der Geschwindigkeit als auch des Looks ist er ein perfekter Ersatz für Blanka. Mit Necalli kann ich Gegner ziemlich leicht in die Ecken zwingen, wo die aggressiven Attacken dann fiesen Schaden verursachen. Wenn der Gegner zu viel blockt, kontere ich mit der Maske des Tlalli, einem harten Wurf mit brutaler Animation. Mit prall gefülltem Ex-Meter eröffnet sich die Möglichkeit einer anschließenden Wall-Kombo. Sehr böse - und dann ist da noch das V-Meter. Ist es voll und wird ausgelöst, beschwört das eine noch erschreckendere Necalli-Version herauf, unerträglich schnell und stark für den Gegner.

Da Street Fighter V noch so neu ist, ist ein größeres Ungleichgewicht auf dem Spielfeld noch kein Problem. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass Figuren wie Necalli selten ein Problem für bessere Spieler darstellen. Aber Necalli ist trotzdem zu 100 Prozent ein n00b-Killer, einfach weil er so aggressiv und relativ einfach zu spielen ist. Gegen eingerostete Freunde ist das eine böse Waffe.

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Street Fighter V ist von Grund auf renoviert und wurde überall im Detail verändert, neu verschraubt und fixiert.

Die anderen Neuzugänge fühlen sich auch gut an. Die brasilianische Laura mit ihrem Matsuda Jiu-Jitsu ist sehr unterhaltsam zu spielen. Ich glaube, sie hat großes Potenzial, eine beliebte Kämpferin zu werden. Ihre Techniken, die stark auf Griffe setzen, bedürfen jedoch einiges an Eingewöhnung. Rashid ist blitzschnell und unterhaltsam, er erinnert mich ein wenig an Guy in schnell und beweglich. Fang indes ist unglaublich makaber. Er ist ein Defensivkämpfer, von einigen schnell kritisiert als stumpfe SNK-Figur. Kann man drüber diskutieren, denn er klingt seltsam, verhält sich seltsam und hat das seltsamste und bemerkenswerteste Arsenal in der ganzen Reihe. Er wird seine Gegner so schnell es geht vergiften. Das zwingt einen Angreifer, extrem aggressiv zu handeln um zu gewinnen, bevor ihn das Gift tötet.

Street Fighter V ist von Grund auf renoviert und wurde überall im Detail verändert, neu verschraubt und fixiert. Wer fast nur mit harten Attacken gespielt hat, wird es nun ein wenig problematischer finden, genau zu tun, weil sie etwas langsamer starten. Auf diese Weise ist man als Spieler quasi aufgefordert, die schnellen, langsamen und mittleren Angriffe tatsächlich miteinander zu nutzen. Das Erlebnis mit meiner Lieblingsserie hinterlässt eine gemischte Emotionen. Street Fighter V fühlt sich ein wenig unfertig an und ich hätte mir gewünscht, zumindest ein paar Kämpfer mehr zu bekommen, einen brauchbaren Einzelspielermodus und aufwändigere Menüs. Es ist wirklich nicht der massive Sprung nach vorne, den ich mir erhofft hatte. Und sicherlich hätte es einfach optisch schöner sein können. Dennoch: Es ist kaum möglich, den Controller wegzulegen - und meine Freunde und ich haben mehrere Nächte rumgekloppt.

Niemand kann Capcom wegnehmen, dass sie eine sehr solide Basis geschaffen haben. Es fühlt sich an, als ob sie mit Street Fighter V etwas veröffentlicht haben, auf das in der Zukunft aufgebaut wird, anstatt jetzt ein perfektes Spiel anzubieten. Im Herbst, wenn das Ensemble und der Einzelspielermodus ordnungsgemäß erweitert wurde, die Patches angekommen sind und die Community wirklich lebendig ist - dann könnte sich das echte Potenzial zu etwas ganz Besonderem entwickelt haben. Aber so, wie es jetzt ist, fühlt sich Street Fighter V nicht an wie ein sofortiges Meisterwerk, das der Vorgänger Street Fighter IV war.

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