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Dirt Rally

Dirt Rally

Unser Rally-Experte Petter Hegevall hat sich die PC-Version von Dirt Rally vorgenommen und kurzerhand zu einem seiner beiden Lieblingsrennspiele des Jahres erklärt.

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Ich lebe gerne nostalgisch in etwas, das ich als die goldene Zeiten des WRC-Zirkus bezeichne. Als konservativer, alter Knacker halte ich es eher mit der aggressiven, wilden Bambule von Carlos Sainz, Colin McRae, Richard Burns und Marcus Grönholm in den frühen 2000ern als mit der Sébastien Loeb-Ära. Der geduldig kühle Franzose hat den Sport mit seinem sicheren, straffen und vor allem kalkulierten Fahrstil komplett dominiert. Ich indes mag das weite Schlittern, liebe es viel Gas zu geben und mag einfach die unvorhersehbare Wahnsinnseinstellung, für die Sainz und McRae bekannt wurden.

Ich mag die Risiken, das Ergreifen von Chancen und die besondere Rennsportmentalität, für die Colin gelebt hat. Ich habe den schottischen WRC-Champion einmal vor der Veröffentlichung von Colin McRae Rally 2.0 getroffen und erinnere mich an seine Worte, während ich eine Vorabversion des Spiels testete, die seinen Namen trug. Colin dachte, dass ich beim Spielen viel zu zögerlich fuhr. Er war ausgesprochen freundlich, bescheiden, ruhig und nicht anmaßend. Aber er war auch ein bisschen genervt von der Tatsache, dass ich zu langsam fuhr. Seiner Meinung nach. "Wenn du Zweifel hast, drück das Pedal durch", drängte er mich. Immer. Ich lachte herzlich über seinen etwas verrückten Ratschlag und habe seitdem versucht, genau so zu fahren. Exakt genau so. Und das jedes Mal, wenn ich mit einem Rally-Wagen in einem der WRC-Spiele der letzten Jahre herumgeschlittert bin.

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Eins haben die aktuellen Simulatoren wie Rfactor, iRacing und Assetto Corsa gemeinsam - die Grafik ist ziemlich mittelmäßig.
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Seit Codemasters Toca 2 veröffentlicht hat, habe ich mich nach weiteren, echten Rennsimulationen des talentierten britischen Studios gesehnt. Aber ich musste mehr als 20 Jahre vergeblich darauf warten. Codemasters hat über die Jahre nie so getan, als würde man nicht versuchen, ein Spiel zu entwickeln, das der breiten Masse gefällt. Es endete immer irgendwo an der Grenze zwischen Simulation und purem Arcade-Racer mit Spielen wie Dirt, Colin McRae Rally, Grid und der F1-Reihe. Es ist natürlich eine schwierige Gratwanderung. Zu versuchen, einerseits alle Hardcore-Rennsport-Verrücken zufriedenzustellen, die sich immer nach purer Simulation sehnen, während man sich andererseits darauf konzentriert, Spieler mit einzubeziehen, die noch niemals in einem echten Rennauto gesessen haben und auch nie die Ambition hatten, dies zu machen, ist eine sicherlich sehr schwere Aufgabe.

Als Codemaster angekündigt hat, dass sie seit über einem Jahr an einem echten Rally-Simulator arbeiten, musste ich vor Freude fast heulen. Als sie mir erzählten, sie hätten einige bekannte Simulationsentwickler angeheuert, die vorher an iRacing und Richard Burns Rally gearbeitet haben, um ein komplett neues System für die Reifenphysik des Spiels zu programmieren, fing Herr Hegevall an zu schwitzen. Dirt Rally wurde quasi aus dem Nichts via Steam Early Access veröffentlicht und ich habe mich zittrig sofort auf das Projekt gestürzt.

Eins haben die aktuellen Simulatoren wie Rfactor, iRacing und Assetto Corsa gemeinsam - die Grafik ist ziemlich mittelmäßig. Dirt Rally reiht sich ein, ist zwar nicht hässlich, aber genau wie die Konkurrenz hat Codemaster sich bei der Simulation von Reibung, Momentum und Schwerkraft so große Mühe gegeben, dass sie nicht mit dem grafischen Firlefanz ihrer eigenen und anderer Arcade-Titel mithalten können. Vom technischen Standpunkt aus, wirkt Dirt Rally optisch fast alt, aber mir gefällt das Design und die Auswahl der Farben. Die Lichteffekte sorgen neben den Modellen und den Texturen dafür, dass es wie ein sehr hübsches Xbox 360-Spiel aussieht. Hübsch, aber eben immer noch alt.

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Codemaster hat diesmal keine Abkürzungen genommen, um das Spiel für jede Art von Spieler zugänglich zu machen. Im Gegenteil.

Das Gute an der eher schlichten Grafik ist allerdings, dass Dirt Rally auch auf etwas älteren Rechnern läuft. Ich habe es auf Laptop und PC getestet, es läuft problemlos mit 60 FPS, was natürlich bei Rennsimulationen mit guter Fahrzeugphysik extrem wichtig ist. Und hier vermag das Spiel richtig zu glänzen. Wie schon erwähnt, hat Codemaster diesmal keine Abkürzungen genommen, um das Spiel für jede Art von Spieler zugänglich zu machen. Im Gegenteil. Dirt Rally ist das realistischste Rallyspiel aller Zeiten (Richard Burns Rally eingeschlossen) und die Reifenphysik ist absolute Weltklasse. Während der Early-Access-Phase haben die Entwickler genau zugehört und sind mit den Fans in einen interessanten und fruchtbaren Dialog getreten. Der hat für kleine Veränderungen gesorgt, die das beinahe perfekte Renngefühl kreieren.

Als Sainz/McRae-Fanatiker bevorzuge ich wie gesagt ausholend zu fahren, auch wenn die Route das eigentlich nicht zulässt (Hallo, Finnland!...). Ich mag es, die Front meines Wagens früh Richtung Scheitelpunkt zu steuern, ein wenig zu bremsen und dabei die Handbremse nur so viel wie nötig zu benutzen, um das Heck zu kontrollieren und dann die Karre mit dem Gaspedal durch die Mitte der Kurve zu steuern. Das ist in der Realität schon schwer, aber in Dirt Rally ist es noch schwerer. Um in diesem Spiel gut zu werden, braucht es Stunden - und das gefällt mir sehr.

Scheitern wird schnell zur Normalität. Man schrottet seine Karren häufiger, als man es zählen kann. Und auch wenn der Schwierigkeitsgrad gnadenlos ist und nichts verzeiht, ist Dirt Rally (wie iRacing und Assetto Corsa) sehr gut darin mir zu zeigen, dass jeder Fehler nur aus meinem eigenen Unvermögen resultiert. Was mich noch beeindruckt hat ist das Menü (auch wenn es hässlich ist), kurze Ladezeiten und phänomenaler Sound. Die Wagen hören sich genauso an wie sie sollten, obwohl Codemaster schon angekündigt hat, dass sie die Soundeffekte in naher Zukunft noch verbessern wollen. Ein Minuspunkt ist das etwas zu großzügige Blickfeld und der ausdruckslose Multiplayer, auch wenn klar ist, dass die Menge an Inhalten sich jeden Monat noch erhöhen wird. Damit wird Dirt Rally, das jetzt schon an der Spitzenposition steht, noch zu etwas viel größerem wachsen.

Codemaster Rückkehr zur hundertprozentigen Simulation von Motorsport im Allgemeinen und explizit Rallysport formt nicht nur ein brillantes Rennspiel, sondern auch eine schöne und fordernde Demonstration, wie relativ einfache die richtigen Entscheidungen Dinge zu einem extrem süchtig-machenden Spiel führen können. Ohne Zweifel sind Project CARS und Dirt Rally am PC die Rennspielhighlights des Jahres.

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09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
Fantastische Fahrphysik, viel Realismus, wundervolle Atmosphäre, wahnsinniger Sound großartige Strecken, herrlich schwierig
-
veraltete Grafik und Präsentation, so einige Bugs
overall score
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