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The Walking Dead

The Walking Dead

Die Skepsis war durchaus berechtigt, als das Videospiel zum beliebten Endzeit-Comic angekündigt wurde. Und dann auch noch von Telltale Games. Die können doch gar keine ordentlichen Spiele machen, oder? Doch. Sie können.

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Wie lange ist es her, dass wir wirklich gearbeitet haben, um etwas zu bekommen, was wir wollten? Wie lange ist es her, dass wir wirklich etwas brauchten, was wir wollten? Die Welt, die wir kannten, ist weg. Die Welt des Konsums und alberner Bedürfnisse ist einer Welt des Überlebens und der Verantwortung gewichen. In einer Welt, die von den Toten regiert wird, sind wir gezwungen, mit dem Leben zu beginnen. So steht es im Klappentext des ersten Sammelbandes des Comics The Walking Dead. Ein Schlag ins Gesicht für jeden, der die Endzeitgeschichte für geistlosen Splatterkram hält.

Der hier formulierte Leitgedanke ist im Comic auf beinahe jeder Seite zu finden. Besonders schwer wiegt ganz dort der Begriff der Verantwortung. In einer Welt ohne Regeln müssen die Überlebenden ihre eigenen Regeln aufstellen und sich für jede ihrer Entscheidungen verantworten. Wenn auch nur vor sich selbst. Auch wenn der Zusammenbruch des Systems und der Konsumgesellschaft im Spiel keine große Rolle spielt, unsere Entscheidungen tun es.

Wir spielen den verurteilten Verbrecher Lee, der mit seinem Gefangenentransport in einen Verkehrsunfall gerät. Als er aus der Ohnmacht erwacht, findet er sich und den völlig demolierten Polizeiwagen in einem idyllischen Waldstück wieder. Doch die Idylle hält nicht lange an, denn mit Lees Erwachen ist die ihm bekannte Welt verschwunden. Der zuvor noch menschliche Polizist geht zähnefletschend auf ihn los. Lee erschießt ihn in Notwehr und muss flüchten, denn die nächsten Angreifer sind ihm bereits auf dem Fersen. Nachdem er über einen Zaun geklettert ist, ist er erstmal in Sicherheit.

The Walking Dead
Die Geschichte findet abseits der Story der Vorlage statt. Wir spielen Lee, der sich mit der verwaisten Clementine zusammenschließt.
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Hier begegnen wir Clementine, von Lee meistens nur Clem genannt, die seit Beginn der Katastrophe verzweifelt auf die Rückkehr ihrer Eltern hofft. Lee erkennt erst hier allmählich, was da draußen vor sich geht und kommt zu dem Entschluss, dass es Clementines Eltern nicht zu ihr schaffen werden. Er beschließt, die Kleine mit sich zu nehmen. Von hier an sind beide ein unzertrennliches Team.

Bereits die ersten Minuten in The Walking Dead zeigen, dass das Spiel auf Dialoge und deren Verlauf großen Wert legt. Die kurzen Action-Sequenzen wirken hier eher wie eine Beilage. Bei vielen Antworten, die wir in Gesprächen geben, teilt uns das Spiel kurz mit, welche Konsequenzen das für uns hat. Mal merken sich die Gesprächspartner einfach Informationen über uns, mal merken sie sich, wie loyal oder vertrauensvoll wir uns ihnen gegenüber gezeigt haben.

Unsere Reaktionskraft ist immer dann gefragt, wenn es plötzlich hektisch wird. Oft geht es nur darum, einen plötzlich angreifenden Zombie niederzustrecken. An manchen Stellen aber müssen wir uns entscheiden, wessen Leben wir retten, was gleichzeitig den Tod des anderen bedeutet. Die anschließende Frage, ob wir eine bessere Entscheidung hätten treffen können oder wie die Geschichte sonst verlaufen wäre, ist quälend. Gerade in den etwas panischen Szenen wirkt die Steuerung leider etwas schwammig, zum Beispiel wenn wir mit dem Fadenkreuz auf einen Zombie oder auf einen interaktiven Gegenstand zielen.

The Walking Dead
Meistens geht es im Spiel recht ruhig zu. Doch immer wieder bricht plötzlich Panik aus und wir müssen reagieren. Oft entscheiden unsere Handlungen über Leben und Tod unserer Begleiter.
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Ab und an sehen wir uns kleinen Rätseln gegenüber. Beispielsweise wie wir eine Reihe von Zombies ausschalten, ohne dass diese etwas davon mitbekommen. Die Möglichkeit, es falsch zu machen, wird uns nicht gegeben. Den einzigen und richtigen Weg zu finden, das ist dafür aber nicht so einfach. Der Spielfluss von The Walking Dead ist ein wenig mit dem von Heavy Rain zu vergleichen. Phasenweise haben wir praktisch nichts zu tun, da die Geschichte ohne jegliche Interaktion vorangetrieben wird. Manchmal wirken diese passiven Phasen zu lang, da der Drang, am Geschehen teilzunehmen, einfach zu groß ist.

Die Optik des Spiels wird von dem sehr prägnanten Cel-Shading beherrscht, was bei einer Comic-Umsetzung nicht überrascht. Bis auf wenige kleine Grafikmacken wie die hässlich flackernden Schatten sieht The Walking Dead wirklich sehr gut aus. So gut sogar, dass wir nach einer Weile gänzlich vergessen, ein Videospiel vor uns zu haben. Die Mimiken der Charaktere wanken zwischen sehr überzeugend und völlig daneben hin und her. Größtenteils kommen die Emotionen aber sehr gut rüber.

Der fast schon kindliche Stil der Charaktere hat zudem einen sehr beeindruckenden Nebeneffekt. Obwohl in dem Spiel eine Menge Blut spritzt, viele Köpfe rollen und auch mal Gedärme herausgerissen werden, wirkt all das nicht im geringsten brutal. Wahrscheinlich hat es bisher noch kein ernstes Spiel geschafft, Gewalt in solchem Ausmaß zu verharmlosen.

Wie für Spiele von Telltale Games üblich, bekommen wir immer wieder Anspielungen und Bezüge zur Original-Story serviert. Bereits sehr früh in der Geschichte begegnen wir zum Beispiel dem Farmer Hershel Greene und dem Pizzaboten Glenn. Auch wenn sich Fans des Comics oder der TV-Serie über diese Bezüge freuen, sind sie in dieser Form doch nutzlos.

The Walking Dead
Im Spiel begegnen uns häufiger Charaktere aus dem Original. Hier ist zum Beispiel der wagemutige Pizzabote Glenn in Aktion zu sehen.

Während Glenn wie in der Vorlage die Rolle des furchtlosen Flitzers erfüllt, der die Gruppe mit Vorräten versorgt, bleibt Hershel reichlich blass. Im Comic und in der Serie stellt er noch den christlichen Fundamentalisten dar, der im Verlauf der Geschichte in Konflikt mit seinem Glauben gerät und an dessen Grenzen stößt. Dieser Aspekt wird hier vollkommen vernachlässigt, was wirklich schade ist, denn für die Geschichte erfüllt Hershel damit nicht den geringsten Sinn.

Die Dialoge sind zum größten Teil sehr gelungen und wirken nur in den seltensten Fällen aufgesetzt. Grund für die Authentizität der Gespräche ist vor allem das sehr überzeugende Voice Acting. Man merkt auch, dass die Sprecher sehr sorgfältig ihren Figuren zugeordnet wurden. Besonders Lee hört man mit seiner ruhigen, sehr basslastigen Stimme wirklich sehr gerne zu.

Wer Comic und Spiel miteinander vergleicht, wird zu dem Schluss kommen, dass es Telltale Games gelungen ist, die Atmosphäre des Originals einzufangen. Insbesondere die langen Phasen der Ruhe überzeugt, in denen die Anwesenheit der Zombies hingenommen wird. Unterbrochen wird das von kurzen Abschnitten, in denen die vermeintliche Sicherheit zusammenbricht und wir um unser Leben fürchten müssen.

Die größte Schwäche von The Walking Dead liegt in erster Linie in der etwas unglaubwürdigen Inszenierung. In Zwischensequenzen stolpert Lee unheimlich schnell oder rutscht aus und fällt dabei beinahe immer in Ohnmacht. Das passiert natürlich immer dann, wenn gerade ein Zombie in der Nähe ist und jemand in Lebensgefahr schwebt. Das wirkt dermaßen aufgesetzt, dass es die zwischenzeitlich aufgebaute atmosphärische Dichte zunichte macht.

Die Entscheidung der Entwickler für ihr Spiel neue Nebengeschichten aufzumachen, war absolut richtig. Das war auch der Hauptfaktor, der meine erste Skepsis dem Spiel gegenüber auflöste. Es ist eine angenehme Abwechslung, dass hier ein Stoff mal nicht mit der Brechstange zum Videospiel verwurstet wurde. Die Story funktioniert, was daran zu merken ist, dass wir auf jeden Fall wissen wollen, wie es weitergeht. Selten ist ein Spiel seiner Vorlage so gerecht geworden, auch wenn bei den Charakteren deutlich mehr Tiefgang wünschenswert gewesen wäre. Ohne den wäre das Original nämlich der geistlose Mist, für den ihn so viele halten.

07 Gamereactor Deutschland
7 / 10
+
Gelungene Umsetzung des Stoffs, schöne Optik, authentische Dialoge
-
Zu lange passive Phasen, etwas schwammige Steuerung, teils unglaubwürdige Inszenierung
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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