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Watch Dogs

Watch Dogs

Ubisoft vernetzt Story und Multiplayer zu einem ganzheitlichen Spielerlebnis, das der Vorreiter einer neuen Generation von Videospielen ist.

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Manchmal sind es Probleme von außen, die einen innerlich zum Nachdenken bringen. So war das auch bei Watch Dogs. Das Spiel lebt von seiner Anbindung ans Internet. Es ist so ganz genau meins. Ich mag solche Games. Offene Spielwelt in der virtuellen Version einer realen US-Großstadt, die ich nach kurzem, gut gemachten Tutorial frei erkunden darf. Dazu alles, was man von einem amtlichen Actionspiel dieser Art erwartet: Ballern, Sneaken, Umkloppen, Autofahren, Minispiele, Strategie, Zerstreuung und eine Übersichtskarte vollgestopft mit Möglichkeiten. Für den Protagonisten Aiden Pearce wächst ein feiner Fähigkeitenbaum, es lassen sich Waffen und Fahrzeuge freischalten. Es gibt absurde Ausflüge wie Digital-Trips, in denen wir zum Beispiel als Roboterspinne Unfug treiben dürfen oder uns psychedelischen Flugreisen hingeben.

Eingebettet ist das alles in eine erwachsene, schwermütige, brutale und extrem aktuelle Story, in der wir erleben, was Verlust und Rachsucht anrichten können. Aiden Pearce ist im Besitz eines mächtigen Smartphones. Mit dessen Hilfe kann er die Bewohner von Chicago ausspionieren, ihre Bankkonten leerräumen oder ihnen dabei helfen, aus misslichen Lebenslagen mit einem blauen Auge herauszukommen. Chicago wird vom ctOS kontrolliert, einem riesigen vernetzten System, das nicht nur die Ampelschaltungen regelt, sondern auch die Bürger der Stadt überwacht. Watch Dogs glänzt bereits auf den ersten Blick vor allem auch durch sein sehr schickes, durchgängig cooles Design. Chicago wirkt sehr authentisch, das Hacker-Thema ist konsequent und stylish umgesetzt.

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Wer das Spiel ans Internet lässt, dem eröffnet sich noch einmal ein ganz neues Metauniversum.
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Wer das Spiel ans Internet lässt, dem eröffnet sich noch einmal ein ganz neues Metauniversum. Ist Watch Dogs online und mit dem Uplay-Konto verbunden, können andere Spieler unsere eigene Spielwelt entern - wenn wir sie lassen. Es gibt Invasionsmissionen wie Hacking und Beschattung, Rennen- und Entschlüsselungsaufträge, einen Modus für das Freie Onlinespiel (nicht für PS3 und Xbox 360) und ctOS-Mobil-Aufträge. Außerdem noch eine Tablet-App, mit der Spieler mit einem Top-Down-Strategiespielchen in das Next-Gen-Erlebnis eingreifen können, die nicht einmal das normale Spiel besitzen. Aber eben auch nur dann, wenn man online ist.

Ubisoft setzt wie nie zuvor bei einem Konsolenspiel auf jene Always-On-Idee, wegen der die Xbox One in die weltweite Kritik geriet und heute eine andere Konsole ist, als sie eigentlich sein wollte. Immer online zu sein für das bessere Spielerlebnis, es ist bei Watch Dogs einfach Pflicht. Und das ist, zu einem gewissen Grad, sicherlich auch ein Problem. Natürlich sind mittlerweile viele Konsolen am Netz, nicht wenige gar dauerhaft nach jedem Anschalten. Aber es gibt eben auch Spieler, bei denen das nicht so ist. Und die nehmen Watch Dogs unter Umständen deutlich anders und weniger aufregend wahr als jene, die allen Möglichkeiten auch eine Existenzberechtigung geben.

Es wird sich zudem zeigen müssen, wie viel Lust die Spieler darauf haben, sich während ihres Spielerlebnisses „stören lassen" zu wollen. Jeder Angriff aufs eigene Spiel ist eben auch ein Angriff und reißt einen aus der Privatheit eines Action-Adventures. Gerade das ungestörte Spielen ist ja für so einige das Argument, überhaupt zu spielen. Runterkommen, den Alltag vergessen und all die nervigen Typen da draußen. Und ich sehe schon die Trolle, die nur dafür existieren, um einem auf die Eier zu gehen. Auch die werden mit Watch Dogs ihren zweifelhaften Spaß haben. Für mich aber ist die Art und Weise, wie Ubisoft hier Solospielerlebnis und Multiplayer verweben, der eigentliche Höhepunkt von Watch Dogs.

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Der Onlinemultiplayer ist ein großes Katz-und-Maus-Spiel, ein Onlineversteckspiel im Großstadtdschungel an zufällig generierten Orten.
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Das gesamte Thema Onlinemultiplayer bekommt ein völlig neues Gesicht. Es ist einfach so saugut gelungen, wie die eher wenigen, aber durchweg suaber gemachten und auch über längere Zeit spannenden Modi integriert sind. Besser noch als in Grand Theft Auto V sogar, wobei Rockstar insgesamt den deutlich umfangreicheren Multiplayer bietet. Aber GTA V ist da auch sauweit vorne, muss man immer noch sagen. Trotzdem genieße ich es regelrecht, wenn jemand mein Spiel hackt und ich mich plötzlich auf dem Weg zu einer Mission auf diesen Angriff konzentrieren muss.

Es ist ein großes Katz-und-Maus-Spiel, ein Onlineversteckspiel im Großstadtdschungel an zufällig generierten Orten. Es passiert so beiläufig, dass man es binnen kurzer Zeit als normalen Teil des Spiels wahrnimmt. Für Watch Dogs WILL man immer online sein, dass ist der Trick. Man kann die Story spielen, aber so richtig gut ist das Spiel erst, wenn man sich auf den Online-Multiplayer einlässt. Ranglisten gibt es natürlich auch, für Solomissionen ebenso wie für den Multiplayer selbst.

Der ist übrigens auch deswegen so gut, weil die Einstiegsbarriere niedrig ist. Natürlich hat man durch Skills, bessere Fähigkeiten und Wissen über gute Verstecke immer bessere Chancen. Aber als Neuling steht man nicht wie bei GTA einigermaßen verloren in Los Santos und weiß gar nicht, was man jetzt eigentlich machen soll. Der Watch Dogs-Multiplayer ist in gewisser Hinsicht stärker an Casualspieler adressiert, was jetzt bitte, bitte nicht als negatives Urteil verstanden werden darf. Es soll lediglich illustrieren, dass man hier problemlos einsteigen kann, wenn nach knapp einer Stunde die dafür nötigen Storymission erledigt wurden. Dann stimmen auch die Basisfähigkeiten.

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Seine stärksten Momente hat Watch Dogs, wenn man einen Großteil der Fähigkeiten freigeschaltet hat und sich die Spielwelt unterwerfen kann.

Ob man nun mitmachen will oder nicht, dieser Idee der umfassenden Vernetzung eines Spieles mit sich selbst wohnt unglaublich viel Charme inne. Watch Dogs ist, ob nun gewollt oder zufällig, eine echt gelungene Sozialkritik auf die derzeitige Situation in der Welt. Das Spiel erscheint zu einer Zeit, in der globale Vernetzung und Angreifbarkeit von Privatpersonen, Konzernen und Regierungen vielleicht zu dem zentralen Sicherheitsthema der ersten Welt werden. Aiden Pearce könnte hervorragend mit Edward Snowden zusammenarbeiten und ihm dabei helfen, die Überwachungsidiotie der USA zu enttarnen. Gleichzeitig fordert Watch Dogs fast von uns, für das volle Spielerlebnis immer online zu sein. Und greift dieses Konzept dann zehn Minuten später in der Story wieder kritisch auf.

Wir dürfen zum Beispiel als Nebenmission in der Privatsphäre anderer Menschen schnüffeln. Dazu müssen wir uns auf Umwegen in ein Sicherheitssystem eines Hauses oder einer Wohnung hacken. Es gibt eine Szene, in der man den Telefonanruf eines Sohnes an seinen Vater mithört, der ihm auf den Anrufbeantworter quatscht. Nur dass der alleinstehende Rentner längst tot auf dem Boden liegt, einsam und länger nicht mehr besucht. Oder man darf zwei Frauen durch die Kamera eines Kinect-Sensors beobachten, während sie für ein Fitnessspiel vor dem TV herumhopsen. Das spielt mit der durchaus lustigen und zugleich beunruhigenden Idee, dass eine Kamera einen theoretisch aus immer beobachten könnte. Und je höher die globale Rechenleistung wird, umso machbarer ist auch, viele Menschen für eine tägliche Truman-Show zu beobachten.

Seine stärksten Momente hat Watch Dogs, wenn man einen Großteil der Fähigkeiten freigeschaltet hat und sich die Spielwelt unterwerfen kann. Ein Gang-Versteck hochzunehmen, indem man erst vorsichtig die Lage checkt, sich dann in die Kameras hackt, die Gegner markiert und sie nach und nach durch Umgebungsmanipulation ausschaltet, es fühlt sich einfach mächtig an. Man muss keinen Schuss abgeben. Man kann fast jede Situation passiv lösen - was tatsächlich mehr Spaß macht, als drauf los zu ballern. Das kann und muss man in Watch Dogs auch machen. Und es geht locker von der Hand, wenn sich Aiden mit schallgedämpfter Pistole, Automatikshotgun und Granatwerfer ans Werk macht. Aber das erhabene Gefühl des mächtigen Beeinflussers spüren nur jene, die alle Fähigkeiten von Aiden ausreizen. Er kann nämlich auch aus gefundenen Items Blackout-Hacks bauen, die die ganze Stadt lahmlegen. Oder Splittergranaten und Fernzündbomben. Was beeindruckt ist das nahtlose Umschalten von Schleichen zur Action und zurück. In den besten Momenten schenkt einem das ein Gefühl von Macht, das schon berauschend ist.

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Das Fahren in der Stadt ist leider auf Dauer etwas langweilig. Es ist schwer zu sagen, woran genau das liegt.

Die gesamten Missionen im Verlauf der Story sind abwechslungsreich strukturiert. Action wechselt sich mit Schleichen und Hacken ab, man kann sich aber jederzeit entscheiden, auf den anderen Style zu wechseln. Manchmal muss man das sogar, um zu überleben. Schnell Krach machen, ein paar Gegner mit explodierenden Dingen erledigen, einem der heftig gepanzerten Typen einen Container auf den Schädel fallen lassen und danach mit einem ctOS-Blackout die Lichter ausmachen und durchs Dunkel abdüsen.

Wer die Story nach 15 bis 20 Stunden durchgespielt hat, darf sich noch auf reichlich Kram freuen, der im Off wartet. Einiges davon wird man vorher schon mitgenommen haben, vielleicht auch schon erledigt haben. Dann stehen locker 40 Stunden auf der Uhr. Aber trotzdem kann man auch weit darüber hinaus Autos klauen, Verbrechen verhindern und aufklären, QR-Codes sammeln, digitale Trips einschmeißen oder vermisste Personen suchen. Dafür muss man aber erst einmal alle ctOS-Türme freischalten, um alles in den Bezirken sichtbar zu machen. Nette Hacking-Spiele, in denen wir uns durch Kameras klicken müssen, wechseln sich mit dem brutalen Hochnehmen von Gang-Verstecken fließend ab. Vieles davon schaltet zudem Bonusmissionen frei, die man spielen will, um das gesamte Universum aufzusaugen.

Natürlich ist Watch Dogs auch ein bisschen Best-off-Ubisoft. Assassin's Creed steckt drin, Splinter Cell, Rainbow Six, The Crew, Driver: San Francisco und selbst Rayman Legends irgendwie. Darf man ihnen das übel nehmen? Ich sage: Nein! Denn sie remixen hier zwar ihre eigenen Kunstwerke, erschaffen aber dabei etwas Neues. Also ist die Kopie hier Mittel zum Zweck, etwas größeres zu kreieren.

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Wer die Story nach 15 bis 20 Stunden durchgespielt hat, darf sich noch auf reichlich Kram freuen, der im Off wartet.

Ohne Probleme ist Watch Dogs natürlich nicht. Das Fahren in der Stadt ist leider auf Dauer etwas langweilig. Es ist schwer zu sagen, woran genau das liegt. Durch das Hacken hat Aiden eigentlich viele Möglichkeiten, seine Verfolgungsjagden abwechslungsreich zu gestalten. Er kann Brücken, Ampeln und Poller schalten, um Verfolger zu stoppen. Gullideckel explodieren lassen. Nagelsperren ausrollen. Aber die Autos selbst fahren sich irgendwie zu gleich. Außerdem ist das Kollisionssystem bisweilen merkwürdig. Wenige Objekte sind wirklich ein Hindernis, alles vom arglosen Passanten über die Straßenlaterne bis zum Bushäuschen kann ohne große Probleme umgefahren werden. Manchmal stehen aber eigenartige Kisten rum, die scheinbar 1000 Tonnen wiegen. Die stoppen einen ebenso umgehend wie massive Betonpfeiler. Aber selbst ein Crash mit 200 Stundenkilometern gegen eine Wand hat kaum Folgen. Der Wagen fährt meistens noch, Aiden fliegt nicht aus der Frontscheibe. Dafür stirbt er jedes Mal fast, wenn er sich aus einem mit Schrittgeschwindigkeit fahrenden Auto rollt.

Nervig ist auch, dass man beim Autofahren keine Erfahrungspunkte oder Skills sammelt. Hier hat GTA einfach vorgemacht, wie man das Herumfahren in einer großen, offenen Spielwelt zusätzlich spannend macht dadurch, dass knappes Vorbeifahren oder gute Kurventechnik honoriert wird. Einzig Passanten kann man über den Haufen fahren und sie so verletzen oder auch töten, was den eigenen Ruf in der Stadt natürlich beeinflusst. Und auch die Bewohner haben Smartphones, mit denen sie gerne auch die Polizei rufen.

Trotz dieser Probleme und Kleinigkeiten wie fehlender dynamischer Schattenwurf ist das Gesamtkunstwerk Watch Dogs einfach beeindruckend. Es ist wegen dieser kleinen Unnötigkeiten auch "nur" so gerade eine 9/10 geworden (und die Versionen für Xbox 360 und PS3 liegen eher bei einer 8/10). Aber alleine die Anstrengung, ein solches Spiel zu entwerfen, den Multiplayer und die Story zu vernetzten, es zeigt die wahre Stärke der Next-Gen-Konsolen. Es geht weniger um immer realistischere und bessere Grafik, sondern darum, große Spielerlebnisse zu erschaffen. Watch Dogs ist der Vorreiter dieser Konzeption. The Division und Destiny werden die nächsten sein.

09 Gamereactor Deutschland
9 / 10
+
mächtiges Spielgefühl, Hacken und Schleichen trifft auf brutales Ballern, perfekte Verbindung von Storymodus und Multiplayer, cooles Design
-
Autofahren leider etwas öde, Kollisionsabfrage der Objekte in der Spielwelt bisweilen eigenartig
overall score
ist die Durchschnittswertung von Gamereactor. Wie hoch ist eure Wertung? Die Durchschnittwertung aller Gamereactor-Redaktionen wird aus den Wertungen in allen Ländern erhoben, in denen es lokalen Gamereactor-Redaktionen gibt

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KRITIK. Von Christian Gaca

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