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Wolfenstein: The New Order

"Wolfenstein wird nicht als Kunst wahrgenommen"

Es ist ziemlich schwer, niemandem auf die Füße zu treten, wenn man sich in als Videospielmacher in Themenkreisen wie Nationalsozialismus, Folter und Mord bewegt.

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Auf der Quake Con 2013 verbringen wir eine ganze Stunde mit dem kommenden Wolfenstein: The New Order. Im Anschluss haben wir noch Zeit für einen kleinen Plausch mit Creative Director Jens Matthies vom schwedischen Entwickler Machine Games. Gleich zu Beginn lasse ich ihn wissen: Selten habe ich so viel Hass gegen einen Antagonisten empfunden wie gegen Oberführer Wilhelm "Deathshead" Strasser. "Was für eine Erleichterung!", freut Matthies. Ich werde neugierig und hake deshalb nach.

Ich bitte Jens, mir ein bisschen mehr über den Charakter zu erzählen. "Er ist eine Figur aus den früheren Teilen der Serie. Wir wollten alles weiter entwickeln. Dieser Ansatz galt sowohl dem Protagonisten Blazkowicz wie auch alle anderen Charaktere. Es gibt noch einige weitere Figuren, die man aus den früheren Spielen kennen. Deathshead hatten wir schon bei den vorherigen Titeln auf dem Schirm, aber noch nie ging es so direkt und ausschließlich in den Kampf gegen ihn."

Ob er auch der finale Gegner sei, frage ich den Entwickler. "Ich will da nicht zu sehr ins Detail gehen, um nichts zu verraten. Mir gefällt aber die Idee, dass Charaktere Gegensätze vereinen und oft anders sind, als man im ersten Moment erwartet. Ich war davon überzeugt, es wäre doch lustig, wenn Deathshead eine glückliche Figur wäre. Wenn auch er ein glückliches Individuum wäre. Im letzten Spiel überlebte er einen Zeppelin-Crash und dann dachte ich wiederum: Wenn man so etwas überlebt, weiß man das Leben auf einmal auf eine ganz neue Weise wertzuschätzen. Das wollte ich vertiefen und zum Ausdruck bringen - sowohl in seinen Aussagen, als auch seinem Auftreten als Charakter. Er ist einfach ein glücklicher Mistkerl", meint Jens schmunzelnd.

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Wolfenstein: The New OrderWolfenstein: The New Order
"Mir gefällt aber die Idee, dass Charaktere Gegensätze vereinen und oft anders sind, als man im ersten Moment erwartet."

Er zwang mich, zu entscheiden, welcher meiner Freunde gefoltert und ermordet werden sollte - warum? Jens Matthies überlegt: "Da gibt es viele Gründe. Wir haben hart daran gearbeitet, Beziehungen herzustellen. Was du gerade gespielt hast, war das Ende des Prologs und ist Teil des 'normalen Spiels', um es mal so zu formulieren. Kurz davor muss man noch eine andere schwierige Entscheidung treffen. Das versetzt den Spieler in eine Lage, die ist unheimlich, unheimlich - nun sagen wir, man fühlt einfach bestimmte Dinge. In diesem Zusammenhang gibt es auch einige Gameplay-Aspekte zu beachten. Für wen hast du dich denn am Ende entschieden?"

Meine knappe Antwort: Fergus.

Jens nimmt die Antwort auf und erklärt mir: "Die Tatsache, dass du gerade ihn ausgewählt hast, hat dir schließlich das Wissen übers Schlösserknacken eingebracht. Hätte Fergus aber überlebt, hättest du etwas ganz anderes gelernt. So hätten sich vollkommen andere Möglichkeiten ergeben." Auf die Frage, um welche genau es sich dabei gehandelt hätte, schweigt der Entwickler.

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Ich bin weniger auf die Details gespannt, als vielmehr auf die Antwort auf die Frage, was die Entwickler zu der Entscheideung bewogen hat, Wolfenstein gerade im Bezug auf Entwicklung und Emotionalität zu so einer so schweren Kost zu machen. Jens versucht zu erklären: "Es gibt unheimlich viele Titel, da hat die Geschichte nicht wirklich viel mit dem Spiel selbst zu tun. Tetris oder Minecraft sind solche Beispiele. Aber sobald man ein Spiel vor sich hat, in dem Charaktere miteinander interagieren, haben wir das Gefühl, es sei unsere Aufgabe, einen bedeutungsvollen Titel zu liefern. Darunter darf aber natürlich das Gameplay nicht leiden. Wir haben darum eine Menge Zeit darauf verwendet, die Geschichte so zu gestalten, dass sie das Gameplay optimal unterstützt - und andersherum."

Wolfenstein: The New Order
"Es gibt unheimlich viele Titel, da hat die Geschichte nicht wirklich viel mit dem Spiel selbst zu tun."

Ein wunderbares Beispiel dafür ist der Moment, in dem Blazkowicz aus dem Koma erwacht und beobachtet, wie Nazis andere psychisch kranke Patienten entführen und töten, ohne dass er selbst eingreifen könnte. Er ist gefangen in seinem eigenen Körper. Es war sehr bewegend, als er endlich aufwacht. Plötzlich waren da auch wieder diese Heavy Metal-Riffs. Die hätten übrigens noch etwas länger gespielt werden können. Trotzdem: Es war großartig.

Jens lacht. "Ja, aber der Musik und ein paar anderen Sachen wird noch gearbeitet. Das wird also alles noch etwas runder."

Interessiert komme ich noch einmal auf die von mir beschriebene Situation zurück: Wie wird das, was Blazkowicz im Koma erlebt hat, ihn und den Rest des Spieles beeinflussen? "Das tolle ist", führt Jens Matthies aus, "dass die Nazis den Krieg gewonnen haben. Auf einer gewissen Ebene ist Blazkowicz also im Unrecht. Ganz offensichtlich ist er nur ein Mann, der immer auf einer Mission war. Und nun ist die Kommission vernichtet worden. Das hat natürlich einen großen Einfluss auf die Welt, in der wir uns befinden."

Ich bitte den Entwickler, für unsere Leser, die sich nicht so gut mit der Reihe auskennen, etwas mehr darüber erzählen, was genau passiert ist, als die Nazis den Krieg gewonnen haben. "Sie haben fast die komplette Weltherrschaft an sich gerissen. Es gibt noch ein paar offene Fronten in Afrika, aber im Grunde diktieren sie das Weltgeschehen. Es ist eine Gesellschaft, die völlig anders ist. Die kulturelle Revolution, die sich in den 1960er Jahren in unseren westlichen Kulturen vollzogen hat, hat in diesem Szenario nicht stattgefunden. Was geschehen ist, passierte alles aus einer nationalsozialistischen Perspektive. Das Ergebnis ist eine ziemlich ungemütliche Welt. Im Gegensatz zu den früheren Titeln hat Blazkowicz dieses Mal keine Armee im Rücken. Es gibt keine Seite mehr, für die er kämpfen kann. Es ist alles etwas düsterer als vorher."

Wolfenstein: The New Order
"Die kulturelle Revolution, die sich in den 1960er Jahren in unseren westlichen Kulturen vollzogen hat, hat in diesem Szenario nicht stattgefunden."

"Mir gefallen die unterschiedlichen Töne der Geschichte. Zum einen ist da der Wunsch, das absolute Böse zu besiegen. Auf der anderen Seite gibt es dann aber die intime Beziehung zwischen der Krankenschwester Anya und Blazkowicz im Krankenhaus." Letztere ist, wie uns Jens erklärt, die Komplizin unseres Hauptcharakters. Ein klassisch guter Charakter, finde ich. Jens stimmt mir zu. "Wir arbeiten an verschiedenen klassischen Themen und geben ihnen eine neue Wendung. Wolfenstein an sich ist unheimlich klassisch. Mich hat das Videospielbusiness deshalb interessiert, weil ich gerne Welten erschaffe, die nicht existieren. Ich bin mit Nintendo, Amiga und Atari aufgewachsen und hätte nie gedacht, mal ein Spiel aus der Egoperspektive zu erleben. Und dann kam Wolfenstein 3D! Plötzlich ist man selbst der Herr der Lage. Man blickt nicht länger auf eine andere Figur - man selbst ist die Figur. Das war eine unheimlich tiefgreifende Erfahrung für mich. Seit dem ist natürlich eine ganze Menge passiert, aber ich versuche dem Respekt zu zollen, was im Original für mich so wichtig gewesen ist. Die Beziehung zwischen dem Soldaten und der Krankenschwester ist sehr klassisch, aber es spielt in einem interessanten, neuen Kontext", so der Entwickler.

Ob es Probleme mit der Zensur gegeben habe, möchte ich wissen und denke dabei natürlich über Deutschland. "Ich glaube, bisher hat es kein Wolfenstein-Titel nach Deutschland geschafft. Es wurde immer aus dem einen oder anderen Grund indiziert. Das letzte Spiel war nah dran, aber dann fand einer ein kleines Hakenkreuz auf dem Gürtel von irgendwem, bestehend aus 16 Pixeln - und daraufhin haben sie es indiziert. Das fundamentale Problem in Deutschland ist, dass Videospiele nicht als Kunstform angesehen werden. Nicht wie Filme oder etwas in der Art."

"Spiele werden nicht als Kunstform wahrgenommen. Eine ganze Reihe Inhalte in Zusammenhang mit Nazis sind illegal. Es geht nicht um Zensur, es geht darum, dass sie illegal sind." Ob man also keine Hakenkreuze in der deutschen Version sehen wird, frage ich. "Es wird keine illegalen Inhalte geben", bestätigt Jens und meint weiter: "Das würde uns ins Gefängnis bringen. Wir wollen den Deutschen eine möglichst ebenso runde Spielerfahrung bieten, deshalb haben wir alles Illegale entfernt. Die Spielerfahrung sollte dabei so intakt wie möglich bleiben."

Wolfenstein: The New Order
"Das fundamentale Problem in Deutschland ist, dass Videospiele nicht als Kunstform angesehen werden."

Und, was muss jetzt noch gemacht werden, um den Titel fertig zu machen? "Ein bisschen was. Das Spiel ist riesig. Es ist eine abwechslungsreiche Spielerfahrung. Erst haben wir uns nur überlegt, dass es toll wäre, Blazkowicz an einer Wand hochklettern zu lassen, während ein Flugzeug in das Gebäude rast. Wir haben also dafür gesorgt, dass genau das passiert und am Ende ein einzigartiger Moment entsteht. Und aus dem einen sind dann gleich eine ganze Reihe Momente geworden. Da dauert es natürlich entsprechend lange, die alle abzurunden. Im Moment sehen wir nur, dass alles wirklich gut funktioniert, aber es ist ein langer, langer Ausbesserungsprozess."

Wie lang die Kampagne dauern wird, möchte ich noch wissen. So pauschal lässt sich das aber nicht beantworten, findet der Entwickler. "Das hängt sehr vom Spieler ab. Manche spielen ohne Umschweife durch, andere gehen noch auf Erkundungstouren. Im Durchschnitt wird die Spielzeit wohl etwa zwischen 14 und 20 Stunden liegen."

Ob er noch eine lustige Empfehlung für die künftigen Spieler von Wolfenstein: The New Order habe, um sich die Zeit zu vertreiben, frage ich Jens. Er überlegt kurz und antwortet dann: "Ich glaube, die Leute sollten sich mal die Metal Band Meshuggah anhören. Wir haben mit deren Gitarristen Frederik Thordendal zusammengearbeitet." Ob es das Verdienst des Entwicklers wäre, dass man die Band im Spiel höre, hake ich nach. Er lacht. „Natürlich, ich bin einer der Gründe, warum die Musik sich in diese Richtung bewegt. Ein Großteil ist aber natürlich dem Komponisten Mick Gordon zuzuschreiben, der unglaublich gut ist. Und der ist eben auch ein leidenschaftlicher und großer Meshuggah-Fan."

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