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Vom Master System zum Mega Drive

In seiner Artikelreihe berichtet Petter, wie er die Entwicklung der Videospielkonsolen in den 80ern erlebt hat. Heute geht es um den Wechsel der 8-bit-Ära zur 16-bit-Ära.

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Als kleiner Jungen hatte ich keine Nintendo-Konsole. Daran änderte auch nichts, dass ich Geld sparte, hoffte, davon träumte und mich durch jede Ausgabe des Nintendo-Magazines wühlte, das mein Freund zugeschickt bekam, dessen Kindheit durch die monströse Maschine maßgeblich geprägt wurde. Zuhause bei Richard spielten wir häufig Balloon Fight und Excitebike, bauten unsere eigenen Strecken und kämpften ums nackte Überleben. Bei seinem besten Freund Mikey spielten wir dann fast täglich Shadow Warrior, Track & Field II, Slalom, Pinball und Ice Hockey. Oft trafen wir uns anderthalb Stunden vor Schulbeginn und eilten dann gleich nach dem letzten Klingeln nach Hause.

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Wonder Boy - eine der wunderbarsten Jump'n'Run auf dem Master System.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie beeindruckt ich war, nachdem ich das erste Mal Duck Hunt mit dem Zapper ausprobiert hatte. Ich weiß noch, wie sehr ich die Turbo-Funktion des Arcade-Joysticks geliebt habe und wie einige von uns in Track & Field II geschummelt haben, nur in dem sie dieses Feature benutzten. Und wie sehr ich Punch-Out!! geliebt habe und all die Stunden, die wir mit Little Mac verbrachten! Ich erinnere mich an R.C. Pro-Am, das wir zuhause bei Roger aus unserer Parallelklasse zockten. Nintendo brachte uns zusammen. Durch diese wunderbare Maschine NES fand ich neue Freunde und festigte die Beziehung zu alten Freunden. Weil ich mir keine eigene Konsole leisten konnte, entwickelte ich eine unglaubliche Sehnsucht nach diesen Spielen. Ich heftete mich wie ein hypnotisiertes Blutegel an meine Klassenkameraden und ihren heiligen Grad der interaktiven Unterhaltung.

An einigen Wochenenden schaffte ich es, meinen Nachbar Frederick dazu zu überreden, mir seine Konsole samt der Spiele Cobra Triangle, Kung-Fu, R.C. Pro-Arm, The Goonies II und Super Mario Bros. 2 auszuleihen. Ich liebte diese Spiele. Ich weiß noch gut, wie ich früh um Fünf vor dem Fernseher saß und die Lautstärke auf ein Minimum herunter drehte, um endlich meine nachts ersehnte Spielsession zu starten - ohne meine Mutter oder ältere Schwester zu wecken. Diese Zeit war auf so viele verschiedene Arten magisch. Einige meiner besten Erinnerungen beruhen darauf, dass ich mir keinen NES leisten konnte. Natürlich habe ich versucht zu sparen, aber bei einem wöchentlichen Taschengeld von umgerechnet 50 Cent kam ich nur langsam meinem Ziel näher. Sehr langsam.

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Das NES selbst zu besitzen, es blieb dem Autor leider in seiner Jugend versagt.

Zu dieser Zeit war Segas Konkurrenzprodukt gerade erst in Schweden veröffentlicht worden und nur ein Laden hatte sich bereit erklärt, das Master System zu verkaufen. In Gesprächen auf dem Schulhof ging es darum, dass Kung-Fu, Punch-Out, R.C. Pro-Arm und Super Mario nicht auch für "Sega" erhältlich waren. Viele meiner Nintendo-geprägten Freunde verwarfen das Master System schon, bevor sie es auch nur getestet hatten. Man konnte ihnen auch schlecht einen Vorwurf machen. Sie waren schließlich erst zehn Jahre alt und bekamen, was ihre Eltern aus dem Spielzeugladen mitbrachen. Ich aber hatte keine Nintendo-Konsole. Ich hatte in dem verzweifelten Versuch, mein Bankkonto aufzubessern, mein altes Colecovision verkauft. Doch obwohl 40 Euro damals viel Geld waren, war es natürlich nur ein Bruchteil von dem, was ich brauchte.

Mehrere Monate sammelte ich deshalb nach der Schule Dosen. Schaffte sie zum Pfand, sammelte weiter, ging wieder zum Pfand und suchte erneut. Es dauerte ewig. Dann gewann meine Schwester einen Wettbewerb. Sie konnte frei wählen zwischen ein folgenden Preisen: Fahrrad, Fernseher, Popcornmaschine, Lego-Schloss oder Sega Master System. Ein kostenloses Master System! Komm schon! Nimm es, verdammt noch mal! Ich, Petter, damals zehn Jahre alt, wandelte mich vom verantwortungslosen Weichling zum neidischen Trottel. Ich bettelte, betete, flehte. Gefühlte 700.000 Mal fragte ich meine Schwester in den folgenden Tagen, ob sie nicht das Master System wählen könne. Ihre finale Antwort gab sie mir dann eines Tages beim Frühstück: "Ich hole mir einen Fernseher. Ich hasse Videospiele!"

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Kung-Fu und Alex Kidd in Miracle World, da drückte man damals gerne die Starttaste.
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Das war's! Eine ganze Weile hasste ich meine Schwester und erdachte mir eine gefährliche Falle, die sie irgendwie dazu zwingen sollte, ihre Meinung zu ändern. Draußen vor der Wohnung, in der wir lebten, wurde der Schnee geräumt. An Wochenende türmte sich dort dann ein kleiner Schneeberg, der sich perfekt zur Höhle ausbauen ließ. An diesem Tag würde man dort aber keine gewöhnliche Behausung befinden, sondern ein drei Meter tiefes Loch mit Eiswänden. Eine Falle ohne Ausweg.

Meine Schwester kam nie vorbei. Es wurde dunkel. Wir gingen rein. Drinnen saß schon meine gewiefte Schwester, die einen anderen Weg genommen hatte, in ihrem Zimmer und betrachtete eine Broschüre, in der ihr zukünftiger Fernseher abgebildet war. "Sega!", schrie ich, nachdem ich meine Schuhe von mir geworfen hatte. "Halt die Klappe!", schrie sie, schlug ihre Tür zu.

Ich erkannte, dass ich weder eine Nintendo-Konsole noch das Master System besitzen würde. Weil ich meine Schwester nicht in das Loch hatte locken können, würde ich mit meinem Geld nun wohl oder übel eine Konsole in der Videothek ausleihen müssen. Das machte ich dann auch. Ich stand früh auf. Meist war der Typ hinter der Kasse krank und verliehen wurden in dieser Videothek hauptsächlich jede Menge Kopien von Cocktail mit Tom Cruise. An diesem Tag sprachen wir über die besten Spiele für Nintendo und Sega und Looping für Colecovision. So lieh ich mir schließlich von Freitag bis Sonntag ein Sega Master System mit zwei Spielen als Paket zum halben Preis aus. Dann fuhr ich mit meinem Rucksack und der darin befindlichen Konsole nach Hause.

Oft lieh ich mir zwei Spiele aus - meist die gleichen: Wonder Boy und Alex Kidd in Miracle World. Beides waren Jump'n'Runs wie Super Mario Bros. - und trotzdem anders. Ich erinnere mich sehr gut an die Mystik und Atmosphäre in Wonder Boy. Es war so ein unvorhersehbares Spiel und bunt. Ich wollte es durchspielen, alle Welten sehen, alle Gegenstände und die Axt finden. Alex Kidd war schwieriger und vielleicht sogar noch etwas cooler. Am Ende einer Welt wartete ein Boss, der Alex zu einem Spiel Schere-Stein-Papier herausforderte. Am Anfang verstand ich gar nichts, doch schnell fand ich mich zurecht und erledigte einen Boss nach dem anderen. Es wurde mein liebstes Sega-Jump'n'Run.

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Das Sega Master System, eine wunderbar gestaltete Heimkonsole.

Ich spielte viel. Also wirklich viel. An Wochenenden, an denen ich das Master System auslieh, spielte ich etwa 20 Stunden, bevor meine Mutter schließlich genug hatte und den Stecker zog. "Wenn du so viel vor dem Fernseher sitzt, bekommst du noch viereckige Augen!" Doch wenn meine Mutter Stopp sagte, schwang ich mich aufs Rad und fuhr zu Olsson. Dort lieferten wir uns wilde Gefechte vor seinem Amiga 500, den er gerade von seinem großzügigen Vater zum Geburtstag bekommen hatte. Einige Amiga-Spiele waren realistischer als die für das Master System. So ging es dann einige Jahre weiter. Ab und an lieh ich mir eine Konsole aus, die meiste Zeit aber verbrachte ich bei Freunden, die ein Nintendo, ein Master System oder einen Amiga besaßen.

Die ganze Straße spielte und es blieb selten bei einer Runde. Manchmal saßen wir fünf, sechs Stunden am Stück vor dem Fernseher. In diesen Momenten und in dieser Zeit, das weiß ich noch, war das Leben für mich einfach großartig. Ich fuhr BMX mit Finger-Handschuhen, hörte Maiden und Sabbath und aß mehr Kekse als in meinem ganzen Leben zuvor. Damals war ich davon überzeugt, dass 1989 ein goldenes Jahr für Videospiele war. Damals hatte ich natürlich noch keine Ahnung, dass sich bald alles ändern würde.

Es kam der Herbst 1990. Ich war gerade 13 geworden und in die siebte Klasse gekommen. Und ich war vollkommen fixiert auf Segas neue Konsole: das Mega Drive. Nachdem mir in dem Verleih, bei dem ich mir das Mega System oft beschafft hatte, eine hübsche Broschüre in die Hände gefallen war, hatte ich das achtseitige Heftchen mindestens 600 gelesen.

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Das Sega Mega Drive läutete die 16-bit-Ära ein und verschaffte mir das Gefühl von Zukunft in meinem Jugendzimmer.

Die Konsole selbst sah wunderbar futuristisch aus. Klein, schick, schwarz und mit unglaublich coolen Knöpfen. Die Bilder von Sonic The Hedgehog ließen mich zu Hause schnurstracks zum Sparschwein stürmen. Ich würde mir einen Mega Drive kaufen. Ich würde ihn besitzen. Doch bei dem Gedanken blieb es dann erst einmal. Mein Taschengeld, dass ich in der Büchse gesammelt hatte, belief sich auf knapp 60 Euro. Ich brauchte mehr. Darum verkaufte ich mein Skateboard an einen Typen aus der Parallelklasse. Er gab mir 80 Euro für ein Hosoi-Board mi weichen Rampen-Rollen. Das war ein guter Preis. Innerhalb von einigen Monaten konnte ich mir so meine erste Spielekonsole seit der Colescovision kaufen.

Zu dieser Zeit dachte ich an nichts anders als die 16-bit-Spiele von Sega, die bald auf meinem TV zuhause laufen würden. Ich fantasierte von dem Tag, an dem es endlich so weit sein würde. In völlig absurden Träumen spielte ich Mega Drive, während die hübschen Mädchen aus der Klasse um mich herum liefen und mich mit Erfrischungen versorgten. Am 30. November 1990 war es dann endlich soweit. Vier Wochen waren seit der Veröffentlichung der Konsole vergangen und ich war noch immer 13 Jahre alt. Ich radelte zum Spielzeugladen und kaufte einen Sega Mega Drive samt Sonic The Hedgehog und Outrun. Die Rückfahrt mit dem Fahrrad lässt sich heute mit nichts mehr vergleichen. Der Schnee knirschte unter meinen Rädern und meine Nase lief ohne Ende. Ich interessierte mich aber nur für meine neue Konsole, die ich sicher in meinem Rucksack verpackt hatte. Ich brauchte 16 Minuten nach Hause. Dort angekommen, schloss ich meine Konsole an und einige der schönsten Stunden meines Lebens begannen.

Ich hatte einen großen, alten Fernseher, der das Geschenk eines Nachbars gewesen war. Der hatte das Gerät ursprünglich in den Müll werfen wollen. Da in unserer Nachbarschaft jeder jeden kannte und ich immer aufmerksam war, schaffte ich es noch, den alten Mann daran zu hindern. Stattdessen schob ich das alte Ding auf einen kleinen Wagen und nach Hause. 28 Zoll hatte er - damals war das riesig. Umrahmt wurde der Bildschirm von Holzplatten. Der Sender wurde durch super-sensible Knöpfe umgeschaltet. Das war noch ein Fernseher aus den späten 70ern ohne Fernbedienung. Dieses Problem hatte ich natürlich schnell durch einen drei Meter langen Stock gelöst. An der Stockspitze hatte ich einen Magneten mit Klebeband befestigt. Es war wunderbar!

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Drei Klassiker für das Mega Drive, die für immer einen Platz in meinem Herzen haben werden.

Es dauerte nur einige Sekunden, den Mega Drive anzuschließen. Ich war so glücklich, als ich die Konsole das erste Mal aus der Box heraus holte. Das erste Spiel war natürlich Sonic. Die Musik fing an zu spielen, Sonic rannte ins Bild und die schönste Spielwelt, die ich je gesehen hatte, entfaltete sich vor meinen Augen auf dem alten Fernseher meines Nachbarn. Green Hill Zone fühlte sich so lebendig, so detailliert, geheimnisvoll und unglaublich einladend an. Ich starrte jeden kleinen Gegenstand stundenlang mit offenem Mund an, bevor ich mich von der Faszination für das Design losreißen konnte und mit Sonic wirklich ins Abenteuer startete.

Sonic The Hedgehog war auf vielerlei Art etwas komplett Neues. Es war ein Jump'n'Run, das so schnell war, das ich mich anfangs gar nicht zurechtfinden konnte. Ich steuerte Sonic wie einen Pinball durch die wunderbaren und abwechslungsreichen Welten. Vor allem gefiel mir damals, wie viel besser sich der Controller im Vergleich zu den Jump'n'Runs Wonder Boy und Alex Kidd auf dem Master System anfühlte. Außerdem staunte ich über die Grafik, die Tausenden von Farben, darüber wie flüssig sich Sonic bewegte und - nicht zu vergessen - die Musik. Mein Mega Drive spielte Gamesound auf eine Weise ab, wie man es sich für das Master System nur in den kühnsten Träumen hatte vorstellen können. Und da fühlte es sich auf einmal alles richtig an. Als hätte ich mir durch das jahrelange Sparen, Haushalten und Dosenpfand einkassieren an diesem Tag endlich ein Stück Zukunft gekauft.

Hier geht es zu Teil 1:
Vom Colecovision zum NES

Hier geht es zu Teil 3:
Vom Super Nintendo zur Playstation
Hier geht es zu Teil 4:
Vom Sega Saturn zum Nintendo 64



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