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Vom Colecovision zum NES

Eine neue Serie von Kolumnen, in denen wir von persönlichen Erfahrungen mit den Konsolen-Generationen seit 1986 erzählen.

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Ich bin gerade Neun geworden und in der dritten Klasse. Meinen Colecovision hatte ich vor drei Jahren von meiner Großmutter geschenkt bekommen. Es war am Weihnachtsabend und ich erinnere mich noch daran, als wäre es gestern gewesen. Kurz bevor Donald Duck im Fernsehen lief, durfte ich noch ein Päckchen zum Öffnen wählen und ich entschied mich richtig. In das Geschenkpapier eingewickelt fand ich einen gebrauchten Colecovision mit den drei Spielen Frenzy, Ladybug und Looping. Ich war damals fünf Jahre alt und hatte gerade meine erste Videospiel-Konsole geschenkt bekommen. Ich hätte nicht glücklicher sein können.

Vom Colecovision zum NES
Zu Weihnachten von der Oma geschenkt bekommen: ein gebrauchtes Colecovision.

Looping war ein phänomenales Spiel und ich habe in den nächsten zwei Jahren locker über 500 Stunden mit diesem Spiel verbracht. Die Grafik bestand aus lose verbundenen, gelben Pixeln, die eine Art Kanalisation formten und einem Flugzeug. Die Herausforderung lag darin, das Flugzeug mit Hilfe des Coleco-Controllers durch die schwierigen Passagen zu steuern und die zunehmend komplexeren Röhrensysteme zu meistern. Ich erinnere mich noch genau an die träge Steuerung und den unfassbaren Schwierigkeitsgrad. Aber es war natürlich unmöglich, einen Fünfjährigen mit seiner ersten Videospielkonsole zu stoppen.

Ich habe Frenzy (ein unglaubliches Schrott-Spiel) gegen Cabbage Patch Kids: The Adventure eingetauscht und damit bestimmt genauso viel Zeit wie mit Looping verbracht. Die Grafik sah viel besser aus, es wuselten wesentlich mehr Sprites gleichzeitig über den Bildschirm und es war wesentlich abwechslungsreicher als Ladybug oder Looping. Der pummelige Käfer in seinem hellrosafarbenen Kostüm springt über Pfützen, klettert über Spielzeug und weicht bösen Ameisen im Zickzack-Kurs aus. Cabbage Patch Kids war ein echtes Abenteuer und es hat sich für mich damals riesig und mysteriös angefühlt. Ich wollte einfach nicht aufhören zu spielen. Die Neugierde hat immer gesiegt - immer wollte ich wissen, was sich wohl hinter der nächsten Falle oder der nächsten Aufgabe verbirgt.

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Looping war so unglaublich schwer, aber ich spielte es locker über 500 Stunden.

Mein Colecovision jedenfalls lief heiß. Ich spielte so viel, dass der Controller langsam darunter litt. Ein freundlicher Nachbar löste mehr als einmal die Schrauben und verlötete die Kabel neu. Als dann Nintendo sein Debüt in Europa feierte, war meine allererste Spielkonsole kaum noch funktionsfähig.

Eines Tages zog mein Klassenkamerad Jonas während einer Pause ein Prospekt aus seiner Schultasche. Wir saßen auf einer Bank vor der Schulkantine und betrachteten das bunte Hochglanzheft. Ich kann mich noch an Jonas erste Worte erinnern, während er auf die Doppelseite mit der Konsole und der Super Mario Bros.-Cartrigde tippte. "Mein Vater und ich werden uns das Freitag kaufen". Ich war sofort eifersüchtig, obwohl ich nicht einmal genau wusste, was Nintendo war. Ich hatte das Bild des Klempners schon häufiger gesehen, aber ich wusste nicht genau, was Super Mario Bros. eigentlich genau war. Was ich aber sehr wohl wusste war, dass sich die nächsten Jahre nur um eines drehen würden: Selbst einen Nintendo zu bekommen.

Der Freitag kam und sowohl Jonas als auch mein anderer Klassenkamerad Mattias erschienen nicht in der Schule. Jeder dachte, die Beiden wären krank. Aber in Wirklichkeit war alles ganz anders. Unabhängig voneinander erlaubten ihre Väter den Beiden, sich krank zu melden, um den ganzen Tag und das folgende Wochenende Nintendo zu spielen. Sie hatten beide die Konsole und sie hatten auch beide die Spiele Super Mario Bros., Ballon Fight und Kung-Fu.

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Ladybug und Cabbage Patch Kids sind zwei echte Coleco-Klassiker.

Ich hatte mit meiner lieben Mutter verabredet, dass ich an diesem Freitag - wie immer - direkt nach dem Klingeln mit meinem rostigen BMX nach Hause radeln würde. Meine Mutter hatte zwei Jobs und als Alleinerziehende war es ihr natürlich unmöglich zu kontrollieren, was ihr achtjähriger Sohn nach der Schule so trieb. Normalerweise tat ich, was von mir erwartet wurde und radelte nach Hause, aß mein Sandwich und spielte Colecovision. Aber nicht an jenem Freitag. Ganz bestimmt nicht an diesem Freitag.

Ich raste die 600 Meter vom Spielplatz zu Jonas. Es dauerte eine ganze Weile, bis mir die Tür geöffnet wurde. Ich konnte die Spiel-Ecke schon sehen, während ich mir hastig die Schuhe auszog. Jonas hatte es sich in einem riesigen Ohrensessel im Hobbyraum seines Vaters gemütlich gemacht und spielte Kung-Fu. Ich hockte mich dazu und sah an diesem Freitag im September 1986 die coolste Sache, die ich bis dahin je gesehen hatte. Jonas steuerte einen weißen Ninja, der sich durch Massen von Fußsoldaten kämpfte. Am Ende traf er auf einen alten Chinesen mit einem Zopf, der seine Nunchakus mit einer Wildheit wirbelte, die für meinen Colecovision unmöglich gewesen wäre.

Ich erinnere mich bis heute an die Musik in Kung-Fu. Ich erinnere mich an die Grafik, die Atmosphäre und die unglaublichen Animationen. Es dauerte nicht lange und Jonas wechselte die Cartridge und zeigte mir die ersten drei Level von Super Mario Bros. - und ich war wie versteinert. Am selben Morgen hatte ich ein bisschen Looping gespielt, das jetzt, im Vergleich zu Kung-Fu und besonders zu Super Mario Bros. so unglaublich primitiv wirkte, das ich es kaum glauben konnte. Nachdem ich zwei Stunden gebannt auf den Bildschirm gestarrt hatte, fuhr ich heim. Seltsamerweise begeistert und deprimiert gleichermaßen. Ich kann mich genau daran erinnern - besser als ich mich an Dinge erinnere, die in der letzten Woche passiert sind. Das Gehirn arbeitet selektiv und dieser Tag ist in meiner Erinnerung noch ganz frisch und das, obwohl mittlerweile 28 Jahre vergangen sind.

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Das Nintendo Entertainment System - zwei Freunde hatten es, für mich war es nicht realisierbar.

Meine Fahrt nach Hause war voller Eindrücke, die schwer zu verarbeiten waren. Ich wusste, ich würde keinen Nintendo bekommen. Ich hatte kein Geld, meine Mutter hatte kein Geld. Und da war kein Vater, der mich für einen ganzen Tag krank melden, mir ein neues Videospiel kaufen und mir eine supergemütliche Videospielecke in seinem heiligen Hobbyraum einrichten würde. Aber ich träumte. Ich träumte davon, selbst die Gegner in Kung-Fu umzuhauen oder wie es mir gelänge, die versteckte Bohnenranke in Super Mario Bros. zu finden. An diesem Tag war es schon abzusehen: Ich wusste mit Sicherheit, dass Videospiele eine große Rolle in meinem Leben spielen würden.

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Kung-Fu und Super Mario Bros. - zwei ewige Klassiker auf dem NES.

Hier geht es zu Teil 2:
Vom Master System zum Mega Drive
Hier geht es zu Teil 3:
Vom Super Nintendo zur Playstation
Hier geht es zu Teil 4:
Vom Sega Saturn zum Nintendo 64



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